Aaron
englisch: Aaron; französisch: Aron; italienisch: Aronne.
Karl Möller (1933)
RDK I, 6–11
Aaron, Bruder des Moses, der erste Hohepriester des jüdischen Volkes und zugleich der Ahnherr seiner Priester (4. Mos. 3, 10), wird seit frühchristlicher Zeit dargestellt (Holztür von S. Sabina in Rom: A. verwandelt seinen Stab in eine Schlange, 2. Mos. 7, 9). Besondere Kennzeichen für ihn sind jedoch erst in der Miniatorenschule von Tours zu beobachten: Die Vivianbibel (Köhler, Die karoling. Miniaturen, Bd. I, Berlin 1930, Taf. 71) versieht ihn in Anlehnung an die Vorschriften der Bibel (2. Mos. 28 u. 39) mit Stirnreif und Glöckchensaum und zugleich mit bischöflichem Ornat; darin scheint eine ikonographische Neuschöpfung vorzuliegen. In Frankreich wird die bischöfliche Tracht Tradition (Mâle I3, S. 147 u. 394). Sie dringt auch nach England (Albanipsalter in Hildesheim, Goldschmidt, Abb. 32) und Deutschland (Hortus Deliciarum; Abb. 1). Doch beschränkt man sich hier häufig auf die Mitra (Scivias-Kodex der hl. Hildegard, Glasgemälde in Kappenberg). In den östlicheren Teilen Deutschlands erhält A.s Gewandung gewöhnlich nur ganz allgemein priesterlichen Charakter.
A.s eigentliches Kennzeichen ist im übrigen bald der grünende Stab (4. Mos. 17, 16; Goldene Pforte in Freiberg, Albanipsalter), bald ein Opfertier (Kasel aus St. Blasien; F. X. Kraus, Der Kirchenschatz von St. Blasien, Freiburg i. Br. 1892, Taf. 1), ein Rauchfaß (Goldschmidt, Elfenbeinskulpt. III, 119), eine Salbölkanne (Freiberg, Hildesheimer Taufbecken, Abb. 4), der Brustschild mit 12 Steinen und das Gesetzbuch (Freiburg, Müstervorhalle; hier gewöhnlich als Zacharias gedeutet) oder eine tiara-ähnliche Mütze (Hildesheim, Abb. 4). Eine feste Regel setzt sich im Mittelalter nicht durch. Im Barock wird A. genau nach dem Ritus des alttestamentlichen Hohenpriesters (2. Mos. 28 u. 39) abgebildet: er erhält 3 verschiedene Röcke, Glöckchen am Saum des mittleren, den Brustschild mit 12 Steinen in der vorgeschriebenen Befestigung an 4 Kettchen und ein Rauchfaß; als Kopfbedeckung wechselt eine Tiara mit Mitra und Barett (s. Abraham, Abb. 9, Sp. 92). Meist fehlt auch nicht der Stirnreif mit der Inschrift: Jehovah.
Die ältesten Darstellungen zeigen A. nur als Nebenperson in Moses-Szenen. Erst im 11. Jh. gelangt er zu selbständiger Bedeutung. In repräsentativen Darstellungen reiht er sich unter die Patriarchen (Freiburg, Westportal-Archivolten) oder die Propheten (Scivias-Kodex, Wandgemälde in Windisch-Matrei, Garber, Abb. 77), oder er dient als Repräsentant des Alten Bundes, besonders im 17. und 18. Jh., und zwar sowohl in prot. wie in kath. Ländern.
Historische Darstellungen mit A. als Mittelpunkt sind, vom Stabwunder abgesehen, nicht häufig. Seine Salbung zum Hohenpriester (3. Mos. 8) ist neben jenem am frühesten belegt (Frankfurt, Staedel; G. Swarzenski und R. Schilling, Die illum. Hss. ..., Ffm 1929, Nr. 5; 2. H. 11. Jh.). In der Concordantia caritatis gilt sie als Typus zur Taufe Christi (Tietze [4], Nr. 20). – A.s Rauchopfer nach dem Aufruhr der Rotte Korah (4. Mos. 16, 47f.) und sein jährliches Versöhnungsopfer (2. Mos. 30, 10 und 3. Mos. 16) dienen in der Frühzeit der mittelalterlichen Typologie als Hinweis auf Christi Opfertod (Clm. 14159, Leidinger VIII, Abb. 34; Tragaltar im Mus. Cluny, Abb. 2; Kasel aus St. Blasien, s. o.). Der Gedanke führt über die Glossa ordinaria des Walafrid Strabo und die Kirchenväter bis auf den Ebräerbrief zurück (Kap. 5, 7, 9). Auch als Tauschreiber (2. Mos. 12, 7) wird A. der Kreuzigung gegenübergestellt (Kruzifix mit Grubenschmelz im Victoria and Albert-Mus. in London, Abb. 3). Die Concordantia caritatis (Tietze, Nr. 95) stellt A.s Fürbitte für seine Feinde (4. Mos. 16, 22) zu Christi Fürbitte auf Golgatha (Luk. 23, 34). Auch hierfür konnte die Glossa ordinaria Anregung geben. A.s Kuß an Moses auf dem Berge (2. Mos. 4, 27) dient als Typus zur Heimsuchung (Concordantia caritatis, Tietze Nr. 7), sein Warten am Sinai auf Moses’ Rückkehr (2. Mos. 24, 14) als Typus zu Christi Gebot an die Jünger, zu harren, „bis sie angetan würden mit Kraft aus der Höhe“ (Luk. 24, 49; ebd., Nr. 118). Und A.s Söhne, die ihm Opferblut bringen (3. Mos. 9, 9ff.), gelten als Vorbild zu Hannas und Kaiphas (Clm. 14 159, s. oben, S. 37 u. Taf. 33).
A.s Stabwunder (4. Mos. 17) wird sehr verschieden dargestellt, entweder als Szene: A. tritt an einen Altar, auf dem der grünende Stab – allein oder inmitten der 11 trockenen Stäbe – aufgestellt ist, und deutet auf diesen oder ergreift ihn (Abb. 5 u. 4). Der Stab, nach der Bibel ein Mandelzweig, wird bald als Baumzweig mit Blättern, Blüten und Früchten, bald mehr als Blumenstengel, oder auch in Anknüpfung an die typologische Bedeutung der Traube der Kundschafter als Weinrebe aufgefaßt (Armenbibel in Kremsmünster, Cornell [2], Taf. 47). Moses oder einige Juden können als Zuschauer hinzutreten (Cod. Wyscheradensis in Prag; F. Lehner, Ceská škola malířská. XI věku, Prag 1902, Taf. 7), obwohl nach der Bibel nur Moses zugegen ist. Oder A. wird als Einzelfigur gegeben; dabei hält er nur den Stab in der Hand (Freiberg u. Lüne). Oder schließlich, es wird lediglich der Stab – allein oder mit den 11 andern zusammen – abgebildet (Abb. 6). Diese Darstellung gehört zu den ältesten; sie wurde von Cornell (S. 137 Anm.) für einen der Bildteppiche von St. Ulrich und Afra in Augsburg rekonstruiert. Sie wird aber auch noch im Heilsspiegel verwendet (Lutz-Perdrizet [3], Taf. 16). Das frühste Beispiel einer Stabwunder-Darstellung enthält der Codex Wyscheradensis. Vom 12. bis zum 15. Jh. bleibt die Szene gleichmäßig beliebt. Sie dient gewöhnlich als Hinweis auf die Jungfrauengeburt (Abb. 5 u. 6), seltener auf das Kreuz Christi (Clm. 14159, s. oben, S. 36) oder die Himmelfahrt (Biblia picta, Wien, Heider, Jb. d. k. k. Zentralkomm., A. F. 5, 1861, S. 102). Bei Origenes (In Num. Hom. IX, 7), Gregor d. Gr. (Moral. 14, 55), Isidor (Quaest. in Num. XV, 18f.) u. a. und in der Glossa ordinaria sind alle diese Ideen vorgebildet. – Der Stab A.s fehlt naturgemäß nicht auf den meisten Darstellungen der Bundeslade, zu deren Ausstattung er gehört. Er dient auch gelegentlich als Attribut der Synagoge (Magdeburg, Dom, Paradiesvorhalle, um 1250). In der Josephslegende tritt das gleiche Stabwunder auf.
Zu den Abbildungen
1. Hortus Deliciarum, Aaron hinter der Bundeslade. Nach der Ausgabe von Straub u. Keller, Taf. 15.
2. Paris, Mus. Cluny, Tragaltar, deutsch 12. Jh. Oben thronender Christus zwischen Petrus u, Paulus, St. Blasius u. St. Nikolaus, unten Abrahams Opfer, Mitte Melchisedeks Opfer u. Aarons Rauchopfer. Nach E. Molinier, Histoire gén. des arts appliqués . . IV, L’orfèvrerie I, Paris o. J.
3. London, Vict. and Albert Mus., Kruzifix, 12. Jh., Detail: Aaron als Tauschreiber. Nach V. C. Habicht, Niedersächs. Kunst in England, Hannover 1930, Abb. 31.
4. Hildesheim, Dom, Taufbecken, 2. V. 13. Jh., Aarons Stabwunder. Phot. Kunstgeschichtl. Seminar Marburg.
5. Wien, Staatsbibl., Cod. 1198, Armenbibel, ca. 1320. Christi Geburt zwischen Propheten, Moses vor dem brennenden Busch, Aarons Stabwunder. Nach Cornell, Biblia pauperum, Taf. 1.
6. Speculum humanae salvationis. Aarons Stabwunder, Augustus u. die Sibylle. Nach Ernst Kloß, Spec. hum. salv., München 1925.
Literatur
1. Wilhelm Molsdorf, Christl. Symbolik d. mittelalterl. K., Leipzig 1926 2. 2. Henrik Cornell, Biblia pauperum, Stockholm 1925. 3. J. Lutz und P. Perdrizet, Speculum humanae salvationis, Leipzig 1907. 4. Hans Tietze, Die typolog. Bilderkreise d. Mittelalters in Österreich, Jb. d. k. k. Zentralkomm., N. F. II, 2, Wien 1904.
Empfohlene Zitierweise: Möller, Karl , Aaron, in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. I (1933), Sp. 6–11; in: RDK Labor, URL: <https://www.rdklabor.de/w/?oldid=88769> [09.10.2024]
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