Agraffe
englisch: Agraffe, clasp; französisch: Agrafe; italienisch: Fermaglio, spilla, spillone.
Elisabeth Moses (1933)
RDK I, 216–220
Agraffe (Schließe, Spange, Hakenspange, braze). Der Ausdruck A. wird erst um 1700 in Deutschland aus dem Französischen entlehnt. In französischen Texten tritt er im 15. Jh. auf. Die Definition in der kunsthistorischen Literatur ist bis in unsere Zeit hinein immer unklarer geworden: die Begriffe A., Fibel, Brosche, Fürspan, Heftlein fließen überall ineinander. Während die letzteren aber im allgemeinen mit einem rückwärtigen Dorn durch den Stoff durchgesteckt werden und wie die moderne Brosche hauptsächlich als Zierrat dienen, hat die A. die Funktion des Zusammenhaltens. Geht man von dem germanischen Stamm grap (graff), greifen, mit krummen Fingern fassen, aus, so ergibt sich folgende Definition: Die A. ist ein Schmuckstück, das zum Zusammenhalten oder Raffen des Stoffes dient, und kann auf verschiedene Weise angebracht werden. Sie wird entweder mit der einen Seite an den Stoff angenäht, während die gegenüberliegende Seite mit einem rückwärtigen Haken in einer am Stoff angebrachten Öse befestigt wird. Oder sie hat beiderseitig Ösen, von denen die eine angenäht, die andere angehakt wird. Schließlich gibt es noch verschiedene Arten rückwärtiger Spangenvorrichtungen.
Die A. ist aus Bronze, Kupfer, Silber oder Gold in Verbindung mit Edelsteinen, Halbedelsteinen, Glasstücken, Email, Perlmutter u. a. verfertigt. Ihre stilistische Entwicklung hängt eng mit der des Anhängers zusammen.
In der deutschen Mode erscheint sie als Mantelschließe neben der Tassel in der Frühgotik, als der Mantel bei Männern und Frauen auf der Brust geschlossen wird, und entwickelt sich im Anschluß an französische Vorbilder. Ihre Form ist rund, 4-, 6- oder 8paßförmig. Typisch für die Spätgotik ist das Hochrelief, das bis zur vollplastischen Darstellung einzelner Figuren führt. Da der Darstellungsinhalt meist kirchlicher Art ist, läßt sich heute bei den wenigen noch erhaltenen Stücken, deren deutsche Herkunft gesichert ist, schwer feststellen, ob sie bürgerlichem Besitz entstammen oder als Pluvialschließe (Monile, Pectorale) zum Zusammenhalten des Chormantels dienten. Wiedergaben von Mantelschließen auf Gemälden des 15. Jh. (vor allem bei J. v. Eyck und Stephan Lochner), zweifellos Porträts einst vorhandener Stücke, geben jedenfalls eine Vorstellung von der einstigen Fülle dieser Prunkstücke gotischer Goldschmiedekunst und müssen als Ersatz für Verlorenes dienen. Der profane Charakter einer A. aus vergoldetem Silber mit Darstellung einer Burg in der Pfarrkirche zu Hochelten am Niederrhein (Abb. 2) und einer anderen mit wappenhaltendem Löwen in Münster i. W. (Abb. 4) läßt darauf schließen, daß wir es hier mit Mantelschließen zu tun haben, die sich einst im Besitz weltlicher Würdenträger befanden. Das gilt auch für die Gruppe der ungarischen „Magnatenschließen“, die sich in großer Zahl im Kunstgew.-Mus. in Budapest und anderen europäischen Museen befinden (Abb. 3). Sie sind in Siebenbürgen entstanden; ihre Form und Technik hat sich lange erhalten, wenn die Ausführung auch später immer roher wurde, da die dortigen Goldschmiede bei der Meisterprüfung eine Arbeit nach mittelalterlichem Vorbild vorlegen mußten. Charakteristisch ist ihre prunkvolle Ausstattung: figürliche Plastik in gotischer Architekturumrahmung unter Verwendung von Silberdrähten, Buckeln und farbigen Glassteinen. Unter Vorbehalt – denn wir haben es hier vielleicht mit einem Fürspan zu tun – sei schon an dieser Stelle ein wichtiges Denkmal weltlichen Gewandschmucks erwähnt: die silberne Minnespange im Prov.-Mus. in Stettin, die um 1335 wahrscheinlich in Norddeutschland entstanden ist (Abb. 1). „Ein gotischer Fünfpaß aus Kielbögen mit ursprünglich fünf nelkenförmigen Anhängern umgibt in einem Durchmesser von 7,3 cm zwei Figuren, die einen Wappenschild mit Wappen der Familie Nienkerken halten und das zweite Armpaar ineinander gekreuzt auf die Schultern legen“ (Balt. Stud., N. F. 33, 1931, S. 105). Den Fünfpaßrahmen schmückt eine Inschrift aus gotischen Majuskeln: DE MINNE WIL MICH STHETE MACHEN DES MOTZ ICH LEP WIL NACH DIR WACHEN. Schließlich seien noch die Perlmutteragraffen erwähnt, die in Flachrelief auf Metallgrund oder ausgeschnitten zwar kirchliche Darstellungen zeigen, aber wohl bürgerlichem Gebrauch entstammen (Abb. 6).
In der Renaissanceperiode verschwinden die monumentalen Mantelschließen, dagegen werden kleine A. an Kleidern, Hüten und Baretts getragen. Sie sind meist rund oder oval, zeigen in Hochrelief Darstellungen aus der Antike, Porträtköpfe (Abb. 5 u. 7) oder die üblichen Stilornamente, wie Rollwerk, Kartuschen, Bandwerk. Die schönsten Beispiele finden sich auf Hans Mielichs (1516–73) Pergamentmalereien in der Münchner Staatsbibl. Weitere Entwürfe lieferten die Ornamentstecher Joh. Theod. de Bry, Mignot und Birkenhultz.
Im 17. und 18. Jh. trägt die Dame A. an Brust und Schulter, mit Diamanten und Perlen geschmückt. F. J. Morisson, Baumann und C. G. Eisler lieferten Entwürfe. Diese Mode hält sich noch bis in die Empirezeit hinein.
Der Ausdruck A. wird im übertragenen Sinn in der Barockarchitektur gebraucht für eine kartuschenartige Verzierung im Scheitel des Bogens, die diesen umklammert, da sie die beiden Bogenhälften wie eine Mantelschließe gleichsam zusammenhält. Vgl. Kartusche.
Zu den Abbildungen
1. Stettin, Prov.Mus., Minnespange, ca. 1335, Silber, Durchmesser 7,3 cm. Phot. Mus.
2. Hochelten, Stiftskirche, A. (Pluvialschließe?), 14. Jh., Silber vergoldet, Durchmesser 13,8 cm. Nach Inv. Rheinprovinz 2, 1, Taf. IV.
3. Köln, K.gewerbemus., Slg. Clemens, „Magnatenschließe“, Siebenbürgen, Anf. 16. Jh., Silber vergoldet, Durchmesser 11,5 cm. Phot. Bildarch. d. Rhein. Mus., Köln.
4. Münster, Stadtbesitz, A. mit Stadtwappen, 1606, Gold und Email. Phot. Vorbilderslg. d. K.gewerbemus. Köln.
5. Köln, K.gewerbemus., Slg. Clemens, Hut-A., 16. Jh. Phot. Bildarchiv d. Rhein. Mus., Köln.
6. Köln, K.gewerbemus., Slg. Clemens, Perlmutter-A., E. 15. Jh. Phot. Bildarchiv d. Rhein. Mus., Köln.
7. Köln, K.gewerbemus., Slg. Clemens, Hut-A., 16. Jh. Phot. Bildarchiv d. Rhein. Mus., Köln.
Literatur
1. F. Luthmer, Goldschmuck der Renaissance. Nach Originalen und Gemälden des 15.-17. Jh., Berlin 1881. 2. Jak. von Hefner-Alteneck, Deutsche Goldschmiedewerke des 16. Jh., Frankfurt 1890. 3. Rudolf Rücklin, Das Schmuckbuch, Bd. I u. II, Leipzig 1901. 4. E. Schauß, Schatzkammer des bayrischen Königshauses, Nürnberg o. J. 5. Kunstsammlungen von Hefner-Alteneck (Hans Mielich, Entwürfe zu Schmuckstücken), Versteigerungskatalog Helbing, München 1904. 6. Max Creutz, Kunstgeschichte der edlen Metalle, Stuttgart 1909. 7. Ernst Bassermann-Jordan, Der Schmuck, Leipzig 1909. 8. Elisabeth Moses, Der Schmuck der Sammlung W. Clemens, Köln (K.gewerbe-Mus.) o. J. 9. Max von Boehn, Das Beiwerk der Mode, München 1928. 10. Jean Louis Sponsel, Das Grüne Gewölbe zu Dresden, Bd. III, Kleinodien der Goldschmiedekunst, Leipzig 1929.
Empfohlene Zitierweise: Moses, Elisabeth , Agraffe, in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. I (1933), Sp. 216–220; in: RDK Labor, URL: <https://www.rdklabor.de/w/?oldid=88962> [16.09.2024]
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