Altarumgang (B. In der protestantischen Kirche)
englisch: Ambulatory (Protestant); französisch: Déambulatoire (protestant); italienisch: Vano dietro l'altare (protestante).
Helmuth Eggert (1934)
RDK I, 617–618
Bei der protestantischen Abendmahlsfeier findet die Austeilung von Brot und Wein vielerorts auf verschiedenen Seiten des Altars statt; nach dem Empfang des Brotes, das in der Regel auf der linken Seite des Altars dargereicht wird, gehen die Gläubigen hinten um den Altar herum, um rechts den Wein zu empfangen. Dieser Ritus führte gelegentlich zur Anbringung von Durchgängen in Form von Portalen zu beiden Seiten des Altars, die dem Brauch der Umwandlung sinnfälligen Ausdruck verleihen. – Die Durchgänge, die offen oder durch Türen bzw. Vorhänge verschließbar sein können, sind bald seit in den Organismus der Altarwand hineinverarbeitet, bald lose als Flügelmotive angehängt. Für die Komposition des Altarretabels können sie erhebliche Bedeutung haben, da sie gestatten, der Altarrückwand eine Ausdehnung bis zur vollen Breite des Chors und damit eine eindrucksvolle Wirkung im Raum zu geben.
Umgangsportale kommen vereinzelt schon im 16. Jh. vor, so im Ostchor des Naumburger Doms, wo sich hinter der mittelalterlichen Mensa eine breite Altarwand mit hohem Mittelstück und niedrigen seitlichen Durchgängen erhebt; die Durchgänge scheinen allerdings dem 1567 errichteten Retabel nachträglich angefügt zu sein. Das gleiche gilt von dem E. 16. Jh. errichteten Altar in Lauenstein (Inv. Sachsen 2, Taf. 8), wo die Durchgänge von knieenden Stifterfiguren bekrönt und mit Gittertüren verschließbar sind. Wohlerhalten ist eine 1598 datierte Altarwand in Brülow in Mecklenburg (Sp. 573, Abb. 7); die Seitenstücke mit den Durchgängen sind hier von ungewöhnlicher Höhe und Breite und aufs reichste geschmückt. An dem 1598 errichteten Altar der Marienkirche in Flensburg (Inv. Schleswig-Holstein I, Taf. vor S. 263) wurden die Durchgänge, die außen von den Statuen der Apostelfürsten flankiert sind, schon 1601 mit Türen versehen. Die Umgangstüren am Altar der Hauptkirche in Wolfenbüttel (Sp. 576, Abb. 9) gehören kaum dem ersten Entwurf an; sie dürften dem ursprünglich für Prag bestimmten Altar erst nach seiner Überführung nach Wolfenbüttel (1623) angefügt worden sein. Sonst sind seitliche Durchgänge bei den Altären dieser Zeit noch selten. Erst seit der M. 17. Jh. werden sie häufiger: Angerburg (1652; Ulbrich I, S. 221), Bartenstein (um 1650-60; Sp. 584, Abb. 17) und Schippenbeil (1660-70; Ulbrich I, S. 232-33) in Ostpreußen. In Verbindung mit Kanzelaltar und Emporenanlage in Kissenbrück (Braunschweig, 1665; Sp. 597, Abb. 24). Ebenfalls an einem Kanzelaltar, geschickt mit den Aufgängen zur Kanzel verbunden, in Dobberzin (Kr. Angermünde, 1699; Sp. 598, Abb. 25). – In St. Wenzel in Naumburg (1680; Sp. 589, Abb. 20) sind die Durchgänge mit riesigen Überbauten versehen und dadurch besonders eng mit der pompösen Altarrückwand verschmolzen. Eine klassische Lösung bietet der Altar der Martinikirche zu Braunschweig (1722-25; Sp. 593, Abb. 22). Am Altar von St. Benedikti in Quedlinburg (1700; Sp. 590, Abb. 21), der auf einen Entwurf von L. Sturm zurückgeht, sind die Durchgänge mit geschnitzten Türen geschlossen. In Groß-Schönau (1802; Inv. Sachsen 29, Taf. 1) ist der Umgang ohne besondere Eingänge zwischen vorderer Säulenstellung und Rückwand des Altaraufbaus angeordnet.
Von einem Umgang im architektonischen Sinn kann in allen diesen Fällen so wenig die Rede sein wie bei der entsprechenden Einrichtung in der katholischen Kirche; der Umgang ist immer nur durch Portalöffnungen angedeutet. Eine einzigartige Ausnahme bildete der ehemalige Hochaltar der Schloßkirche in Quedlinburg (ca. 1700; Inv. Prov. Sachsen 33, 1 S. 30), wo der Umgang wirklich architektonisch-räumlich durchgeführt und mit Scheingewölben gedeckt war, die durch allmähliche Erniedrigung der Scheitelhöhe eine übergroße Tiefe vortäuschen sollten.
Nicht zu verwechseln sind Umgangstüren mit den – oft symmetrisch verdoppelten – Eingängen zu Sakristeien (vgl. Haßleben, Sp. 431/32, Abb. 3) und Beichtkammern, die häufig hinter dem Altar angebracht waren. Wenn die Altarwand die volle Breite des Chors einnimmt (vgl. Goslar, Marktkirche; Inv. Hannover II, 1 u. 2, Fig. 120), brauchte man diese Türen auch schon, um Zugang zum Raum hinter dem Altar zu haben; bei Kanzelaltären führen sie vielfach zur Kanzel (vgl. Sp. 597, Abb. 24; ferner Quedlinburg, St. Blasius; Inv. Prov. Sachsen 33, 2 S. 8, Fischbach und Castell in Unterfranken; Inv. Bayern III, 1 5 S. 91, und III, 8 S. 50-51), mitunter auch zu Emporen. Ein anschauliches Beispiel für Durchgänge, die zugleich der Umwandlung des Altars und als Zugang zu zwei Beichtkammern dienen, in Salzdahlum (Inv. Braunschweig III, 2, Taf. IV).
Abbildungen s. unter Altarretabel, protestantisch, Sp. 565ff.
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