Andachtsbild

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englisch: Image, devotional picture; französisch: Image de dévotion; italienisch: Immagine di devozione.


Dorothee Klein (1935)

RDK I, 681–687


RDK I, 683, Abb. 1. Straßburg, Münster, um 1280.
RDK I, 685, Abb. 2. Süddeutsch, um 1320. Berlin.

I. Begriffsbestimmung

Der theologische Begriff des A. umfaßt alle bildlichen Darstellungen religiösen Inhalts, die „zur Weckung frommer Gedanken und Entschlüsse“ dienlich sind [1]. Die Kunstwissenschaft versteht unter A. eine bestimmte Gruppe von Bildwerken, die im späteren Mittelalter neben den herkömmlichen Darstellungen erscheinen und dem Bedürfnis nach stiller, gesammelter Andacht des einzelnen Gläubigen dienen. Die wichtigsten Vertreter dieser Gruppe sind: Marienklage (Pietà, Vesperbild), Schmerzensmann (Erbärmdebild) und Christus-Johannes-Gruppe.

Innerhalb der Kunstwissenschaft ist der Begriff des A. noch relativ jung. Er wurde aufgenommen, als sich die Forschung mit der bis zum Beginn unseres Jahrhunderts stark vernachlässigten Holzplastik zu beschäftigen begann, und ist bislang auf die deutschsprachige Forschung beschränkt geblieben [2–4 u. 6]. Neuerdings wurde von verschiedenen Seiten unternommen, den Begriff des A. zu bestimmen, man ist jedoch nicht zu ganz übereinstimmenden Abgrenzungen gekommen:

a) Dehio [2] faßt die A. ihrer Bestimmung nach als „gewisse plastische Darstellungen, die zu den liturgischen Voraussetzungen des Altardienstes nicht passen“ und fügt zu den obengenannten Typen noch das „Schutzmantelbild“ und das „Hl. Grab“ hinzu.

b) Pinder [3] definiert das A. als „Sichtbarmachung eines Gefühlsgehaltes“ oder „tastbare Verwirklichung dichterischer Wurzeln“. Die verschiedenen Formen des A. sind nach ihm „Gefühlsgefäße“, die aus den vorhandenen Bildformen durch mannigfaltige Arten der Umdeutung abgeleitet wurden (Verdichtung, Herauslösung, Ausschmückung usw.). Im allgemeinen sieht Pinder [4] den Entstehungsvorgang des A. so: „An irgendeiner Stelle jener erzählenden Reliefs, mit denen die Bogenfelder der alten Kathedralen sich schmückten, spaltete das neue Gefühl ein und enthob das lyrisch Wertvolle dem Verlaufe der Handlung“ (Abb. 1 u. 2). Unter diesem Gesichtspunkt wird Dehios Reihe der A. noch um die Darstellungen des „Christus am Astkreuz“, der „Muttergottes mit dem Rosenstrauch“, der „Maria auf der Mondsichel“, der „Anna im Wochenbett“ vermehrt.

c) Panofsky [5] definiert das A. formgeschichtlich als lyrisches Gebilde, entstanden zwischen den beiden Polen des epischen Historienbildes und des hieratischen Repräsentationsbildes, als „Verzuständlichung“ des ersten und „Verbeweglichung“ des zweiten; zu dem ideellen Zweck, „dem betrachtenden Einzelbewußtsein die Möglichkeit zu einer kontemplativen Versenkung in den betrachteten Inhalt zu geben, d. h. Subjekt und Objekt gleichsam verschmelzen zu lassen“. Dies wird erreicht durch Einführung bestimmter Kunstmittel: 1. Isolierung einzelner Motive aus dem szenischen Historienbild. 2. Ausstattung des Repräsentationsbildes mit menschlich nahebringenden, auch symbolhaften Zügen. – Diese Bestimmung gestattet es, weitere Darstellungen unter die Gattung des A. zu zählen; zu 1.: den „Kreuzschlepper“, „Christus an der Geißelsäule“, den „Betenden Heiland“ (ebenso wie: Veronika mit dem Schweißtuch, Christus als neugeborenes Kind, Christus-Johannes-Gruppe, Christus in der Rast und Herrgottsruhbild [beide ohne Wundmale im Gegensatz zum Schmerzensmann], Hl. Grab, Marienklage, Anna bzw. Maria im Wochenbett); zu 2.: die „Hl. Familie“ (zusammen mit: Verlobung der hl. Katharina, Christkind als Salvator, Christus am Astkreuz, Maria im Ährenkleid, Maria auf der Mondsichel, Maria mit dem Rosenstock, Maria im Schutzmantel, schmerzhafte Maria, Schmerzensmann). Aber auch gewisse Formen des Kruzifixes und der Muttergottes rücken – so gesehen – unter die A.

II. Entstehung und Verbreitung

An der Entstehung des A. im frühen 14. Jh. ist die geistige Bewegung der Mystik seit Ende des 13. Jh. wesentlich beteiligt [7]. Die 3 Gebiete, aus denen die A. vor allem schöpfen – Tugendgeschichte Christi, Passionsgeschichte, Marienkult –, entsprechen allgemein den wichtigsten Betrachtungsbezirken der zeitgenössischen Mystik. Von einer Anzahl der A.-Typen ist im besonderen erweisbar, daß sie in unmittelbarem Anschluß an bestimmte Visionen entstanden sind, die von Nonnen in südwestdeutschen Klöstern des 14. Jh. geschaut wurden (Christus als Kind, Maria im Wochenbett, Christus-Johannes-Gruppe, Kreuzträger, Christus am Marterpfahl). Diese Gruppe der A. wäre also entstanden, gleichsam um jene einmaligen, individuellen Erlebnisse durch das Bild zu fixieren, um sie einem größeren Kreise von Gläubigen mitteilen zu können. Es ist jedoch nicht in allen diesen Fällen klar zu entscheiden, wie das gegenseitige Anregungsverhältnis gewesen ist, ob das Bildwerk oder die mystische Schau das Primäre war. Aus dem gleichen Kreis alemannischer Frauenklöster des 14. Jh. sind auch schon einzelne Berichte erhalten, die das Vorhandensein der entsprechenden A. dort bezeugen.

Diese Gruppe der A., die so eng mit dem individuellen religiösen Leben jener Klöster des mystischen Kreises verbunden war, hat sich örtlich und zeitlich nicht wesentlich über deren Umkreis hinaus verbreitet. Die meisten von ihnen sind nur in ganz wenigen, eng untereinander verwandten Exemplaren erhalten, so daß man wohl schließen darf, daß es viel mehr gar nicht gegeben haben wird. Es sind zu allermeist Holzskulpturen, seltener Miniaturen oder graphische Blätter. Die außerordentliche Wertschätzung, die sie in der Kunstwissenschaft seit kurzem genießen, danken sie vor allem der überragenden künstlerischen Qualität vieler ihrer Vertreter.

Neben jener ersten Gruppe der „mystischen“ A. im engeren Sinn steht noch eine zweite, deren Verbreitung nach Ort und Zeit weit über die der ersten hinausreicht. Sie wurde für die gesamte europäische Kunstentwicklung bis in die neuere Zeit hinein bedeutsam (vgl. Christus an der Geißelsäule von Velasquez, Pietà von Michelangelo usw.). Die Formen dieser A. sind bereits innerhalb der italo-byzantinischen Ikonographie des 12.-13. Jh. vorgebildet, und die Dichtwerke, die ihre Gestaltung in der Bildkunst anregten, sind noch weiter zurück zu verfolgen.

Aber auch an der endgültigen Formung der A. dieser zweiten Gruppe war die Kunst des 14. Jh. in Deutschland wesentlich beteiligt. Dort erst erhielten sie ihre maßgebende, endgültige Prägung.

III. Bedeutung

Aus allem Bisherigen ergibt sich, daß es sich bei den verschiedenen Formen des A. um ikonographische Neuschöpfungen handelt, die im wesentlichen in Deutschland während des 14. Jh. herausgebildet wurden, um der besonderen Eigenart des lyrisch-menschennahen Gefühles zum Ausdruck zu verhelfen. Formal ist das A. auf zweierlei Weise aus den vorhandenen Bildformen entwickelt: Entweder durch Herauslösung bestimmter Teile aus den herkömmlichen historischen Szenen (Abb. 1 u. 2), oder durch Belebung starrgewordener Einzeltypen mit neuen, sinnfördernden Motiven. Als Ausdruck für die besondere Art des 14. Jh., die religiösen Inhalte zu verstehen, steht das A. in der Mitte zwischen den scholastisch-lehrhaften Auslegungen des 13. und den profan-naturalistischen Deutungen des 15. Jh. Noch innerhalb des sakral-religiösen Vorstellungskreises bedeutet die Schöpfung des A. aber bereits eine erste Ablösung von den traditionellen Bildformen; die hl. Geschehnisse werden durch jene „Gefühlsgefäße“ der menschlichen Sphäre nähergerückt. Auf diese Weise bereitet das A. die Bildformen der folgenden, weltlicheren Zeit schon vor, die die hl. Ereignisse zu menschlichen, ja bürgerlich-idyllischen Szenen umdeutet.

IV. Das „kleine“ Andachtsbild

Das sog. „kleine“ A. [8] ist ein Blatt von bescheidenen Ausmaßen, das mit einer erbaulichen religiösen Darstellung geschmückt, häufig auch mit einem begleitenden Gebetstext versehen ist. Es ist dazu bestimmt, in ein Gebet- oder Erbauungsbuch eingelegt zu werden, um die geistliche Betrachtung seines Besitzers anzuregen und zu unterstützen.

Der Ursprung des „kleinen“ A. berührt sich aufs engste mit dem des A. schlechthin. Die Nachrichten über die ältesten Beispiele, die wir kennen, stammen aus dem gleichen Kreis südwestdeutscher Frauenklöster des 14. Jh. Es müssen kleine, auf Pergament oder Seide gemalte Bildchen gewesen sein, die sich auf die frommen Erlebnisse und Eingebungen der Klosterfrauen bezogen (Christuskind, Minnende Seele, Passionsgeschichte). Sie wurden als Geschenke, Neujahrswünsche, als Zeichen des Dankes oder der Verehrung, auch über die Klausuren hinaus, vergeben.

Im 15. Jh. geht die Herstellung des „kleinen“ A. vorwiegend an die Graphik – vermutlich klösterlicher Pressen – über (Schrotblätter, Teigdruck, Holzschnitt, Kupferstich). Die Bildchen gelangen so zu größter Volkstümlichkeit. Wallfahrts-, Ablaß-, Patronatswesen tun das Ihre zu ihrer Verbreitung unter die Laien. In Briefmalern und -händlern bildete sich eine ganze Zunft heraus, die sich mit dem Vertrieb des „kleinen“ A. befaßte. Diese wachsende Ausbreitung des „kleinen“ A. geht allerdings oft auf Kosten seiner künstlerischen Qualität sowie des Bedeutungsreichtums seiner Darstellungen. Durch die Beteiligung der großen deutschen Graphiker des 15. und 16. Jh. (Schongauer, Dürer, die Kleinmeister usw.) wird das „kleine“ A. zu seiner höchsten künstlerischen Blüte gebracht, ohne daß jedoch seine Bildinhalte wesentlich bereichert würden; sie erschöpfen sich in Heiligenbildern und biblischen Themen.

Im 17. Jh. gewinnt das „kleine“ A. als wichtiges Propagandamittel der Gegenreformation an neuer Bedeutung. Die graphischen Werkstätten und Verlage von Antwerpen (Wiernisc, Galle, Collaert usw.) sowie deren Filialen in Köln und Augsburg waren die wichtigsten Herstellungsstätten jener Zeit; die Herz-Jesu-Verehrung, die Pia Anima, Memento mori, Blumensymbolik waren die neuen Motive der Darstellung. Um die gleiche Zeit wurde auch eine Fülle neuer Materialien herangezogen, auf die die Bildchen gedruckt oder gemalt (Horn, Glimmer, Birkenrinde) und aus denen sie in neuen Verfahren wieder individuell mit der Hand gefertigt wurden (sog. Spickel-, Nadelstich-, Ausschneide-, Hausenblasentechnik). An der Herstellung dieser neuen Gattungen hatte das Frauenhandwerk einen besonderen Anteil. Das „kleine“ A. des Hochbarock war prachtvoll mit Goldpapier usw. ausgestattet, häufig wird es mehrschichtig, plastisch angelegt (Klappbilder), ein Produkt subtiler Handfertigkeit. Am Wiener Hof des 18. Jh. war das „kleine“ A. als Geschenk unter Fürsten beliebt.

Die Reformation lehnte den Gebrauch des „kleinen“ A. ursprünglich ab. Im 17. Jh. finden sich aber auch protestantische Bildchen (D. Sudermann). Im 18. Jh. wird das „kleine“ A. auch von pietistischen Strömungen aufgenommen. Herrnhut hat eine ganze Reihe hervorgebracht. Ihr Inhalt bezieht sich häufig auf den Pleurakult.

Im 19. Jh. fällt das „kleine“ A. der Industrialisierung durch die modernen Vervielfältigungsverfahren anheim. Seine Verbreitung und Verwendung in katholischen Kreisen ist weitergewachsen, seine künstlerische Bedeutung stark gesunken. Seit neuerer Zeit bedarf das gedruckte „kleine“ A. der kirchlichen Approbation.

Zu den Abbildungen

1. Straßburg, Münster, Tympanon des mittl. Westportals, um 1280: Abendmahl. Phot. Kunstgeschichtliches Seminar Marburg.

2. Berlin, Deutsches Mus., Christus-Johannes-Gruppe aus Sigmaringen, Holz, um 1320. Phot. Mus.

Vgl. im besonderen die Artikel: Astkreuz, Christkind, Christus, Christus-Johannes-Gruppe, Grab (heiliges), Herz Jesu, Kruzifix, Maria, Marienklage (Pietà, Vesperbild), Muttergottes, Schmerzensmann.

Literatur

1. Michael Buchberger, Lexikon für Theologie und Kirche, Freiburg i. Br., 19302, Bd. I, S. 403. 2. Georg Dehio, Geschichte der Deutschen K., Bd. II, Berlin 19304. 3. Wilhelm Pinder, Die Deutsche Plastik, I (Hdb. der Kw.), 1914 bis 1929, S. 92. 4. Ders., Deutsche Plastik des 14. Jh., München 1925, S. 35. 5. Erwin Panofsky, Imago Pietatis (in Festschrift für Max J. Friedländer, Berlin 1927, S. 261ff.). 6. Julius Baum, Gotische Bildwerke Schwabens, Augsburg und Stuttgart 1921. 7. Josef Sauer, Mystik und Kunst unter besonderer Berücksichtigung des Oberrheins (in Kunstwiss. Jb. der Görresges., Augsburg 1928, Bd. I, S. 1ff.). 8. Adolf Spamer, Das kleine A., München 1930.