Architektur
englisch: Architecture; französisch: Architecture; italienisch: Architettura.
Victor Curt Habicht, 1 und Liselotte Stauch, 2 (1936)
RDK I, 902–905
1. Begriff. Unsere heutige begriffliche Unrerscheidung zwischen Baukunst (Hochbau) und Ingenieurbaukunst (Tiefbau, Brückenbau usw.) hat in der uns hier beschäftigenden Zeit (d. h. bis um 1800) keine Geltung. Im Großen ist aber auch damals unter A. in erster Linie das Leistungsgebiet neuerer Auffassung, also Sakral- und Profanbaukunst verstanden worden.
Das aus dem Griechischen (ἀρχιτέϰτων = Erz[Haupt-] Künstler, Baumeister) stammende Wort ist bei uns aus dem Lateinischen entlehnt und hauptsächlich durch Vitruvs Werk De architectura eingeführt worden. Doch die Bezeichnung architectus bzw. der seltenere Gebrauch des Wortes architectura sind auf das frühe Mittelalter beschränkt und auch da nicht häufig, zumal in den Quellen meistens nur von dem einzelnen Objekt (als ecclesia, opus usw. bezeichnet) die Rede ist.
Im hohen und späteren Mittelalter tritt durch das Aufkommen der Bauhütten sowohl die Bezeichnung architectus (zugunsten von magister operis, Werkmeister usw.), als besonders auch der Gattungsbegriff architectura ganz in den Hintergrund.
Erst in der Renaissance und angeregt durch das erneute Vitruvstudium und die Einflüsse der italienischen Architekturtheoretiker (L. B. Alberti usw.) taucht der Begriff wieder auf und überwiegt noch im Frühbarock (z. B. Titel der Werke J. Furttenbachs). Doch mit dem endenden 17. Jh. tritt schon wieder eine Bevorzugung des Begriffs Baukunst ein (vgl. Goldmann, Sandrart, D. Hartmann usw.), während das 18. Jh. eine etwa gleichwertige Verwendung der Begriffe A. und Baukunst aufweist. Erst das 19. Jh. hat eine vollkommene Verdrängung des Wortes Baukunst und Bevorzugung von Architektur gebracht.
Vgl. die Artikel Architekturtheorie, Baubetrieb, Bauhütte.
2. Personifikation. Als menschliche Gestalt dargestellt, kommt die A. (architectura) in der bildenden Kunst verhältnismäßig selten vor. Sie gehört nicht zum Zyklus der „freien Künste“, obwohl bei den Römern, auf die diese Einteilung des menschlichen Wissens zurückgeht, z. B. bei Terentius Varro neun „disciplinae“ gelehrt werden, unter denen sich auch „architectura“ befindet. In dem symbolischen Roman des Martianus Capella (5. Jh.) „De Nuptiis Philologiae et Mercurii“, der für sehr lange Zeit die Typen der freien Künste auch für die bildende Kunst festlegte, erscheinen unter den Hochzeitsgästen sieben freie Künste, während Medizin und Architektur zwar angekündigt, aber zum Feste nicht zugelassen werden, d. h. also, zwar noch bekannt sind, aber eine unwichtige Rolle spielen. Dementsprechend kennt auch die mittelalterliche Kunst „Architectura“ nicht innerhalb des Zyklus der freien Künste. Sie wird zwar im Zusammenhang damit dargestellt, doch im Gegensatz zu den als Frauengestalten gegebenen freien Künsten in männlicher Gestalt. So ist z. B. an der Kathedrale von Laon am linken Fassadenfenster zu seiten der Rose neben den sieben durch sitzende Frauengestalten verkörperten Künsten und neben Philosophie und Medizin die A. als Mann gegeben, der einen Grundriß auf eine Tafel zeichnet. Am Campanile des Florentiner Doms ist in der oberen Reihe auf der Nordseite zwischen den sog. „artes mecanicae“, Skulptur, Malerei, Theatrica und Agricultura, A. dargestellt: ein bärtiger Mann sitzt auf hochlehnigem Stuhl vor einem Tisch und zeichnet mit einem Zirkel (Jb. Kaiserhaus 1896, S. 57, Fig. 14, 5). Am Nordportal von Chartres, an dem die Künste nicht im geschlossenen, traditionellen Zyklus, sondern in willkürlicher Auswahl dargestellt sind, ist die A. eine bärtige Gestalt, die Lineal und Zirkel hält. Mit den selben Attributen in weiblicher Gestalt dargestellt, ist die Personifikation nicht eindeutig als A. gekennzeichnet, so daß es in manchen Fällen strittig ist, ob A. oder Geometrie gemeint ist.
Die nachmittelalterliche Kunst personifiziert die A. in Frauengestalt, die als Attribut Werkzeuge des Architekten hält. In dem stark erweiterten Kreise der freien Künste im Tempio Malatestiano in Rimini ist die A. eine in antikische Gewandung gehüllte Frau, die Stab und Richtblei hält (Corrado Ricci, Il Tempio Malatestiano, Mailand-Rom 1924, Abb. 649). Die Marmorstatue einer nackten Frau von Giovanni da Bologna im Museo Nazionale in Florenz, von deren zahlreichen Bronzenachbildungen sich eine in Berlin befindet (Kat. F. Goldschmidt, Taf. 44, Nr. 132), stützt mit der Linken eine Tafel auf den Boden und hält mit der Rechten Zirkel, Lineal und Winkelmaß. Auch eine niederländische Holzstatuette um 1560-70 im Deutschen Museum Berlin, die eine nackte Frau mit Richtscheit darstellt (Kat. Bange, S. 81, Nr. 7816) wird als A. gedeutet.
Auf den Titelblättern zu den Kapiteln der Architekturwerke des Wendel Dietterlin (1593/94; 1598) erscheint häufig eine weibliche Gestalt mit Zirkel, Pinsel und Palette sowie Hermes mit Meißel und Schlägel. – Nach Cesare Ripas Buch „Iconologia“ (1593 vgl. Sp. 359), das die Darstellung von Allegorien und Personifikationen erstaunlich lange und in weitestem Umkreis beeinflußt hat, ist die A. zu gestalten: als reife Frau, die in der einen Hand ein Bleilot und einen Zirkel mit Winkelmaß, in der anderen einen Plan mit dem Grundriß eines Palastes hält. Er übernimmt also die in der Kunst üblichen Attribute und fügt als neues die architektonische Zeichnung hinzu. Dies Motiv erscheint dann auch in der Folgezeit in der bildenden Kunst als Attribut der A. – Das Titelbild von Josef Furttenbachs „Architectura navalis“ (Ulm 1629) zeigt als Personifikation der A. eine weibliche Gestalt mit Meßlatte und Zirkel; hinter ihr zwei Zeichnungen: ein Grundriß und fünf Säulen. Auf einem Deckengemälde des T. M. Rottmayr von 1711 in der Salzburger Residenz ist die A. – als Gegenstück zur Astronomie – eine Frau mit einer Zeichnung der Fassade von Schloß Mirabell; zu ihren Füßen sitzt ein mit dem Zirkel auf einer Tafel zeichnender Putto (Österr. Kunsttopographie Bd. 13 Fig. 35). Ähnlich die Fresken des Carlone in Brühl und Ludwigsburg (Zs. f. Kg. 2, 1933, Abb. S. 184 u. 185). – Die „Architektur“ des J. S. B. Pfaff (1747-94) für die Domprobstei in Mainz (Altertumsmuseum) ist eine Frauengestalt, die sich auf eine Zeichentafel stützt und eine Reißschiene in der Rechten hält; von der Tafel rollt sich ein Blatt hoch, auf dem ein Grundriß gezeichnet ist (Abb.; das Modell bei Brinckmann, Barock-Bozzetti IV, Taf. 81); Rud. Kaplunger (1746-95) gibt seiner A. lediglich einen Zirkel in die Hände (Ludwigslust, Modell im Museum Schwerin).
Zur Abbildung
J. S. B. Pfaff, Attikafigur von der ehem. Domprobstei in Mainz, um 1785. Mainz, Altertumsmuseum. Phot. Prof. Dr. E. Neeb, Mainz.
Literatur
1. Künstle I, S. 148. 2. van Marle, Iconographie II, S. 255f. 3. Mâle II, S. 93. 4. Louis Bréhier, L’art chrétien, son développement iconographique des origines à nos jours, Paris 1918. 5. Molsdorf, S. 227, Nr. 1101.
Verweise
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