Büchsenreliquiar

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englisch: Pyx-reliquary; französisch: pyxide-reliquaire; italienisch: reliquiario.


Joseph Braun S.J. († 8. 7. 1947) (1950)

RDK III, 35–41


RDK III, 37, Abb. 1. Halberstadt, Domschatz, 13. Jh.
RDK III, 37, Abb. 2. Halberstadt, Domschatz, 13. Jh.
RDK III, 39, Abb. 3. Minden, Dom, 13. Jh.
RDK III, 39, Abb. 4. Krakau, Dom, 1507.

I. Begriff und Bezeichnungen

B. – d. s. Reliquiare von der Form einer Büchse (Sp. 33–34) – hat es, wie Beispiele aus Altargräbern des 6. Jh. im Dom zu Grado und zu Pola beweisen (Braun, Altar I, S. 636f., Taf. 107), schon in altchristlicher Zeit gegeben, ob häufiger oder nur vereinzelt, läßt sich jedoch nicht feststellen; und so verhält es sich auch noch im frühen MA. Insbesondere wissen wir nicht, ob und inwieweit die zahlreichen noch vorhandenen altchristlichen Elfenbeinbüchsen schon zu ihrer Zeit als Reliquiare benutzt worden sind. Seit dem 9. Jh. bis ins ausgehende MA hatten die Reliquiare neben den allmählich in Gebrauch kommenden neuen Formen oft büchsenförmige Gestalt. Das bekunden nicht bloß die m.a. Inventare, sondern auch die erhaltenen Beispiele. Gibt es doch aus dem MA im Schatz des Doms zu Prag noch heute fünf, in dem der Servatiuskirche zu Maastricht sogar noch neun solcher B. (Braun, Reliquiare, S. 208); im Halleschen Heiltumsschatz finden sich im frühen 16. Jh. sieben verzeichnet (Phil. M. Halm u. Rud. Berliner, Berlin 1931, Taf. 15 b, 19 a, 21, 27 a, 30 a, 33 a, 157). In nach-m.a. Zeit entstanden B. nur noch selten, wie auch die wenigen noch vorhandenen Beispiele bezeugen. Was uns aber in den nach-m.a. Schatzverzeichnissen begegnet, war meist Erbe des MA. Neuen Reliquiaren gab man mit Vorzug die Form von Tafelreliquiaren, Ostensorien, Arm- (RDK I, Sp. 1106ff.) und Büstenreliquiaren oder Reliquienkreuzen.

An Sonderbezeichnungen für B. begegnen uns in den m.a. Quellen bustea (buxa), als Diminutiv bustula (buxtula) und pyxis (pixis). Die erste Bezeichnung läßt sich schon im 9. Jh. nachweisen, die zweite, die im späteren MA die gewöhnliche, im ausgehenden die alleinige wird, erst im 11. Jh. Wie man in vorkarol. Zeit B. benannte, ist den Quellen nicht zu entnehmen. In spät-m.a. deutsch abgefaßten Inventaren ist aus bustea büsse, aus buxa buchse geworden, ähnlich wie in französischen derselben Zeit aus bustea boiste (boëtte), aus bustula boistelette wurde.

II. Material

Hergestellt wurden die B., was sowohl aus den Angaben der schriftlichen Quellen wie aus den noch vorhandenen Beispielen hervorgeht, bald aus Holz, bald aus Metall (Silber, Gold, vergoldetem Kupfer), bald aus Elfenbein oder Bein, bald endlich aus Kristall, und zwar auch im Bereich der deutschen Kunst. Was an silbernen B. im MA entstand, ist zumeist zugrundegegangen. Zwei aus Gold gefertigte haben sich in den Domen zu Gnesen und Krakau erhalten (Braun, Reliquiare, S. 211, Abb. 159 u. 160). Aus Holz hergestellte wurden mit Malereien verziert und mit Silber, emaillierten Kupferplatten, Elfenbein oder Beinplättchen bekleidet sowie auch wohl, wie ein Beispiel im Halleschen Heiltumsbuch (Braun, ebd. S. 209, Abb. 152) und zwei noch vorhandene B. in der Servatiuskirche zu Maastricht (ebd. S. 208) zeigen, mit Stickereien überzogen. Beliebt waren B. aus Elfenbein (Abb. 1 u. 2), besonders im 13. und 14. Jh., wie die Inventare aus dieser Zeit bekunden. Sie waren, nach den Beispielen zu urteilen, die sich z. B. in St. Servatius zu Maastricht, in St. Peter und im Stift Nonnberg zu Salzburg, im Münster zu Essen, in St. Ursula zu Köln erhalten haben oder die der Hallesche Heiltumsschatz im Bilde zeigt, vornehmlich sikulo-arabischer Herkunft. Eine bustea cristallina cum reliquiis wird schon 867 im Testament des Grafen Eberhard von Friaul erwähnt. Manche B. aus Kristall entstanden im späten MA, weil sie die eingelegten Reliquien sichtbar machten, was man damals so sehr wünschte. Derartige B. waren stets mit einer Fassung von vergoldetem Silber versehen.

III. Form und Größe

Ihrer Form nach waren die B. entweder rund oder mehrseitig. Reliquienbüchsen beider Art gab es, wie die in Grado und Pola gefundenen bezeugen, schon in altchristlicher Zeit. Der Deckel der runden B. (Abb. 1 u. 2) war in der Regel flach, seltener konisch oder gewölbt. Einen sechsseitigen Helm besitzt ausnahmsweise eine runde Kristallpyxis im Dom zu Prag. Bei mehrseitigen B. (Abb. 3) war der Deckel pyramiden-, kalotten- oder kuppelförmig. Eine Zarge wies er nur auf, wenn er zum Abheben eingerichtet war. Mit Füßchen (in Gestalt von Klauen, kleinen Löwen, Engelchen, Kugeln usw.) und Sockel wurden runde B. nicht versehen, ausgenommen solche aus Kristall, bei denen sie eine Ergänzung der Fassung bilden. Häufiger zeigen die mehrseitigen B. Füßchen und Sockel. Stattete man, wie es bisweilen geschah, B. nachträglich mit einem Ständer aus, so glichen sie ziborienförmigen Reliquiaren.

Die Größe der runden B. ist durchwegs gering, schwankt doch ihr Durchmesser bei der Mehrzahl der noch vorhandenen Beispiele aus dem MA zwischen 5–10 cm und erreicht höchstens eine Höhe von etwa 15 cm. Anders verhält es sich bei den mehrseitigen B., von denen selbst die kleinsten mit wenigen Ausnahmen einen Durchmesser von wenigstens 13 cm aufweisen, verschiedene der größeren aber 20 cm und mehr.

IV. Ausstattung

Über die Ausstattung der B. berichten die christlichen Quellen kaum etwas von Belang, und unvollständig ist auch, was uns die noch vorhandenen B. zu sagen wissen. Immerhin ist festzustellen, daß sie unter Umständen, wenn auch minder häufig und ausgiebig, mit figürlichem und ornamentalem Schmuck in Gravierung, Stanz- (Abb. 3) und Treibarbeit, in Bein- und Elfenbeinschnitzerei, in Stickerei und Malerei sowie auch, mehr oder weniger reich, mit Steinen verziert waren. Nur Schmuckcharakter haben auch die architektonischen Motive, die uns bei einzelnen, zumal mehrseitigen Beispielen begegnen. Figuren und Ornament in Niello weist die Silberbekleidung des Oswaldreliquiares aus dem späten 12. Jh. im Dom zu Hildesheim auf (Braun, Reliquiare, S. 210, Abb. 600), Figuren und Ornament in Grubenschmelz die vergoldete Kupferbekleidung eines B. Kölner Herkunft aus derselben Zeit im Landesmus. zu Darmstadt (ebd. Abb. 156). Mit figürlichen und ornamentalen Beinschnitzereien sind B. des gleichen Ursprungs von etwa 1200 bekleidet, die sich in St. Emmeram in Regensburg (ebd. Abb. 39), im K.F.M. Berlin, im Landesmus. zu Darmstadt und im Metropolitan Mus. zu New York erhalten haben. Überaus reich mit Schmuck ist das achtseitige goldene, das Haupt des hl. Stanislaus bergende B. von 1507 im Dom zu Krakau (Abb. 4) bedacht, mit zierlichen Strebepfeilern an den Ecken, mit von kleinen Baldachinen überdeckten gegossenen Reliefszenen aus dem Leben des hl. Stanislaus an den Seiten, Engelchen mit Wappenschild als Trägern und einer Fülle von Steinen und Perlen auf Deckel und Sockel, das hervorragendste B. seiner Art, das überhaupt geschaffen sein dürfte.

Zu den Abbildungen

1. u. 2. Halberstadt, Domschatz. Büchsenreliquiar, Elfenbein 13. Jh. Marburger Photos.

3. Minden, Dom, Silberpyxis, kölnisch frühes 13. Jh. Achteckig, Holz mit gestanztem Silberblech. Dm 14,3 cm. Phot. Marburg.

4. Krakau, Dom, achtseitige Reliquienpyxis mit Reliefdarstellungen aus dem Leben des Hl. Stanislaus, 1507. Gold, auf dem Deckel Steine u. Perlen. H = 18,5 cm, Dm = 22,4 cm. Phot. St. Kolowca, Krakau.

Literatur

Braun, Reliquiare, S. 47f., 85f., 205ff.