Bauornament

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englisch: Ornament, architectural, architectural Ornament; französisch: Ornementation architecturale; italienisch: Decorazione di architettura.


Ernst Strauß (1938)

RDK II, 106–131


RDK I, 1257, Abb. 6. Polling, 1416-20 und 1621ff.
RDK II, 107, Abb. 1. Quedlinburg, Stiftskirche, geweiht 1129.
RDK II, 107, Abb. 2. Hildesheim, St. Michael.
RDK II, 109, Abb. 3. Murrhardt, um 1220-30.
RDK II, 111, Abb. 4. Sayn bei Koblenz, 2. H. 13. Jh.
RDK II, 111, Abb. 5. Lieberhausen, Ausmalung 15. Jh.
RDK II, 113, Abb. 6. Gmünd, Hl. Kreuzkirche, um 1310.
RDK II, 113, Abb. 7. Ingolstadt, Frauenkirche, 15. Jh.
RDK II, 115, Abb. 8. Brandenburg, Katharinenkirche, 1401ff.
RDK II, 115, Abb. 9. Anklam, Marienkirche, um 1380.
RDK II, 117, Abb. 10. München, Residenz, um 1570-80.
RDK II, 117, Abb. 11.Bremen, Essighaus, 1618.
RDK II, 119, Abb. 12. Hechingen, St. Luzen, 1586-89.
RDK II, 121, Abb. 13. Hans Krumper, Entwurf für die Paulanerkirche in München, 1621.
RDK II, 121, Abb. 14. Hans Krumper, Entwurf für die Paulanerkirche in München, 1621.
RDK II, 125, Abb. 15. Hameln, Rattenfängerhaus, 1602.
RDK II, 125, Abb. 16. Innsbruck, Helblinghaus, um 1730-40.
RDK II, 127, Abb. 17. Fulda, Kaisersaal, 1707-13.
RDK II, 129, Abb. 18. Bruchsal, Fürstensaal, 1751.
RDK II, 131, Abb. 19. Mainz, Schloß, Akademiesaal, 1775.
RDK II, 255, Abb. 11. Königslutter, Stiftskirche,Kreuzgang.

Unter B. versteht man die von der Hand des Steinmetzen (Bildhauers), Maurers, Zimmermanns, Stukkators oder Malers geschaffene Zierform der Außen- und Innenarchitektur. Zur schärferen Bestimmung des Begriffs empfiehlt sich eine Unterscheidung zwischen B. im weiteren und B. im engeren Sinne. Unter ersterem lassen sich alle diejenigen Architekturformen zusammenfassen, die sich entwicklungsgeschichtlich aus struktiven Baugliedern herleiten, im konstruktiven Aufbau der Architektur aber nicht unerläßlich nötig erscheinen (z. B. Lisene und Bogenfries, vorgeblendete Säulenordnungen, Netzwerk spätgotischer Gewölbe). Je weiter solch „dekorative Bauformen“ sich von ihrer ursprünglich architektonischen Funktion entfernen, um so eher gewinnen sie ein ornamentales Aussehen und können dann als Ornament großen Maßstabs angesehen werden. – Unter B. im engeren Sinne sind dekorative Zierformen an und für sich zu verstehen, die nicht aus Architekturgliedern hervorgegangen sein müssen, sondern sich auch außerhalb des Bereichs der Architektur und unabhängig von ihr finden, etwa als Motive der Buchmalerei, des Kunstgewerbes oder Ornamentstichs (z. B. Akanthusranke, Arabeske, Rollwerk). Eine genaue Trennung in Dekoration und Ornamentik im eigentlichen Sinne ist nicht immer möglich, und gerade die deutsche Architektur ist zeitweise (etwa im späten 12. oder späten 16. Jh.) reich an Beispielen für die Durchdringung beider Arten. – Das Verhältnis der Bauornamentik zur außerarchitektonischen Ornamentik bedarf noch genauer Untersuchung. Bis zum Ende des Mittelalters, vor allem in der Gotik, hat die Bauornamentik zweifellos Ornamentformen der übrigen Künste (besonders des kirchlichen Kunsthandwerks) vielfach mitbestimmt. An der weitverbreiteten Annahme einer umgekehrten Beeinflussung kann heute nicht mehr festgehalten werden [2]. Die häufigen Motivverwandtschaften zwischen Kleinformen der Architektur und Ornamentformen anderer Gebiete (vor allem der Buchmalerei) lassen sich keinesfalls durch Beeinflussung von außen, sondern nur durch gemeinsame Verwurzelung im gleichen Stilwillen erklären. Von außen (z. B. vom ornamentalen Vorlagestich [20]) sind erst seit der Renaissance gewisse Anregungen auf die B. ausgegangen, jedoch nur zeitweise und in schwer bestimmbarem Umfang. Wechselseitige formengetreue Übertragungen historischer Ornamentmotive ohne Rücksicht auf deren Herkunft und Stelle im Organismus der Architektur kennt erst das 19. Jh. – Das B. ist als Glied des Gesamtbaus anzusehen und muß nach seinem Verhältnis zu diesem betrachtet werden. Von primärer Bedeutung ist daher immer, in welchem Ausmaß und an welchen Stellen es die Erscheinung des Baus mitbestimmt. Für die räumlichen Beziehungen selbst, die zwischen dem Ornament und seiner Stelle am Bau bestehen, lassen sich zwei Möglichkeiten unterscheiden: das Ornament liegt seinem Träger reliefartig auf (wie in allen an der Antike orientierten Stilen, besonders in der Renaissance und im Klassizismus um 1800) oder es liegt als vertieftes Relief in der Oberfläche des Baukörpers; seine Form ist dann durch Eingrabung entstanden, die durch verschiedene Tiefengrade bis zur völligen Durchbrechung der zu schmückenden Fläche führen kann (Prinzip der romanischen und gotischen Ornamentik). Die stilistischen Verschiedenheiten der Ornamentsprache äußern sich nicht so sehr in den Einzelmotiven selbst wie im Verhalten der Ornamentik zum Baukörper. Gerade in der deutschen Bauornamentik ist die Art der Anwendung der verschiedenen Ornamentgattungen, ihr jeweiliges Verhältnis zur Architektur wesentlich. Die Eigenart des deutschen B. liegt nicht in der Erfindung eigener, sondern in der selbständigen Verwendung und Umdeutung nicht-deutscher Formenmotive. –

[I. Karolingische Epoche]

Der heutige Bestand der deutschen Baudenkmäler gestattet nicht, früher als mit der karolingischen Epoche die Geschichte des deutschen B. beginnen zu lassen. Jedoch auch die karolingische und nachkarolingische Architektur kennt noch keine nur ihr eigene Ornamentik, wie sie etwa die gleichzeitige Buchmalerei besitzt. Sieht man von einigen jüngst in Kloster Lorsch aufgefundenen ornamentierten Architekturfragmenten ab, so können als Träger von Ornamentformen mit Sicherheit nur die Kapitelle und Kämpfer einiger bedeutender Bauten des 9. und 10. Jh. angesprochen werden wie die Mittelschiffkapitelle der Abteikirche Corvey, von St. Justinus in Höchst a. M. (RDK I, Sp. 15/16, Abb. 4), St. Cyriacus in Gernrode, Kapitelle aus Fulda im Marburger Kunsthistor. Museum u. a. Mit dem Aufkommen des Würfelkapitells um 1000 wird die skulptierte Ornamentik vorübergehend aus der Kapitellregion verdrängt. Ihre Stelle kann in vielen Fällen ornamentale Bemalung eingenommen haben. Über Aussehen und Verbreitung der ornamentalen Malerei, auch außerhalb der Kapitellregion, sind wir jedoch aus Mangel an gut erhaltenen Beispielen und infolge fälschender Wiederherstellungen des 19. Jh. nur ungenügend unterrichtet. Das Hauptbeispiel für ornamentale Bemalung vor 1000 bietet das Innere von St. Georg auf der Reichenau in den rahmenden Mäanderfriesen der Langhausfresken. Weitere Beispiele (schon jüngerer) ornamentaler Freskenmalerei in der Aachener Pfalzkapelle, der Luciuskirche zu Werden, in St. Michael zu Burgfelden (Württ., Schwarzwaldkreis). Ein vereinzeltes Beispiel ornamentaler Verkleidung von Teilen des Außenbaus – Inkrustierung mit bunten Platten in der Art des römischen opus reticulatum – bietet die Torhalle des Klosters Lorsch.

Die lückenlose Entwicklung der deutschen B. setzt erst um die Wende des 11. zum 12. Jh. ein. Vom Ende des 11. Jh an beginnt Ornamentik an der Gesamterscheinung des Baus mitzuwirken. Sie bleibt zwar noch immer vorwiegend auf die Kapitell- und Kämpferzone der Stützglieder beschränkt (Quedlinburg, Oberkirche und Krypta, RDK I, Sp. 16, Abb. 5 u. Sp. 184, Abb. 4: Kapitell und Kämpfer; Hamersleben, Stiftskirche; Hildesheim, St. Michael, Langhaus), darüber hinaus aber nimmt sie, zumal bei bedeutenderen Bauten, an der Außen- und Innengliederung der Wände teil. So besetzt oder betont sie horizontale Teilungsglieder wie Gurt- und Dachgesimse: Speyer; Königslutter, Chorapsis (RDK I, Sp. 945/6, Abb. 4); Hamersleben, Dachgesims der ältesten Langhauspartie; Quedlinburg, Stiftskirche, Außenfries am oberen Abschluß der Mittelschiffwand. – Ungewöhnlich für die Zeit ihrer Entstehung sind im Innern der Quedlinburger Stiftskirche die ornamentierten Friese unter den Hochschiffenstern, an der westlichen Emporenwand und um die Nebenapsiden (Abb. 1). Die schachbrettartig durchmusterten Friese an den inneren Mittelschiffwänden (Königslutter, Paulinzella usw.) sind ein hirsauisches Motiv.

Verhält sich die Bauornamentik während der Frühzeit der Romanik, bei allem Reichtum der Einzelformen, dem Baukörper gegenüber noch zurückhaltend, so erlangt sie während der Reife, vor allem aber in der Spätzeit des Stils eine außerordentliche Bedeutung. Zwischen 1150 und 1230 liegt die Blütezeit der deutschen romanischen Bauornamentik. Sie fällt zusammen mit der allmählichen Auflockerung des romanischen Baukörpers: Indem die Mauer sich in hintereinander gestaffelte Wandzonen schichtet, wird ihre Oberfläche in dekorativem Sinne gegliedert. Dekorative Systeme, die bisher nur schwach in Erscheinung traten (Stiftskirche zu Essen) verselbständigen sich (Halbsäulchengliederung an St. Godehard in Hildesheim; Ansätze dazu an der Stiftskirche zu Quedlinburg). Zugleich nehmen sie ornamentale Einzelheiten auf oder erhalten selbst ornamentalen Charakter. Das deutlichste Beispiel für diesen Vorgang ist die Entwicklung des Bogenfrieses. Ursprünglich (seit 2.H. 10. Jh.) aus der Oberfläche der Außenwand in nur flachem Profil ausgespart, setzt er sich im Laufe des 12. Jh. in immer bewegter verlaufenden Profilen gegen die Mauer ab; er erhält vielfach selbst wieder ornamentierte oder figürliche Kragsteine und umschließt als „gefüllter Rundbogenfries“ ornamentierte Details (besonders in der schwäbisch-fränkischen Spätromanik: Gmünd, St. Johannes; Brenz, St. Gallus; Murrhardt, Walderichskapelle (Abb. 3); Wölchingen, Johanniterkirche u. a.). Schließlich, zu Beginn des 13. Jh., kann er Abschluß eines schon fast von der Rückwand losgelösten dekorativen Stützensystems werden (Neuwerkskirche zu Goslar, St. Fides zu Schlettstadt). Solche Entwicklungen dekorativer Bauformen sicherten der Ornamentik reiche Wirkungsmöglichkeiten am Außenbau. Sie begleitet in erster Linie die horizontalen Teilungsglieder, oft unter üppiger Entfaltung der verschiedensten Einzelmotive. Ein Hauptbeispiel hierfür bietet der Ostchor des Bamberger Doms (RDK I, Sp. 874, Abb. 17). Wie sehr das frühe 13. Jh. Ziermotive am Außenbau bevorzugte, zeigt ihre verhältnismäßig reiche Verwendung an dem sonst ornamentarmen norddeutschen Backsteinbau. In der Regel werden hier die Hauptgesimse von Friesen aus durchschlungenen Halbkreisbögen, Sägebändern, einfachen oder doppelten Zickzackbändern begleitet; s. Deutsches Band, RDK I, Sp. 1425/26. Jedoch gehören so reich ornamentierte Außenbauten wie die von Chorin oder der Dorfkirche zu Altenkirchen auf Rügen schon zu den Ausnahmen; vgl. RDK I, Sp. 1348, Abb. 2.

Mit Vorliebe konzentriert sich in der Spätromanik die Ornamentik auf die Portal- und Fensterregion. Die Flächen der abgetreppten Gewände werden zu Trägern von Friesbändern aus den mannigfaltigsten Motiven (Speyer, Dom, Querschiffenster; Murrhardt, Walderichskapelle [Abb. 3]; Schlettstadt, St. Fides; Doppelfenster aus Burg Schweinsberg im Karlsruher Schloßmuseum). Die bekanntesten der reich ornamentierten spätromanischen Portale sind an St. Godehard in Hildesheim (Seitenschiff); Regensburg, St. Emmeram; Straubing, St. Peter; Moosburg; Murrhardt, Walderichskapelle; Rosheim.

Gleichzeitig mit seiner Ausbreitung am Außenbau erweitert das B. sein Bereich im Innenraum. Es besetzt die bisher in der Regel unornamentierten Schilde der Würfelkapitelle (frühestes Beispiel von ca. 1070: Magdeburg, Liebfrauenkirche, Kämpfer der weillichen Vierungspfeiler und zwei Langhauskapitelle) und greift auf die übrigen Teile der tragenden Glieder und auf die an sie angrenzenden Architekturteile über. So sind z. B. in den Langhausarkaden von St. Michael in Hildesheim die Innenflächen der Archivolten mit Wellenranken zwischen Taustäben oder mit Palmetten zwischen Zickzackbändern verziert (aus Stuck, um 1170, Abb. 2). Die Säulenbasen, bisher nur in Ausnahmefällen (Hamersleben) dekoriert, erhalten Ecksporen (s. RDK I, Sp. 1492ff.). Der Schaft erfährt eine Umformung ins Dekorative durch Verschlingung (Knotensäulen), spiralförmige Kannelierung (Riechenberg, Krypta), textil-ornamentartige Musterung (Königslutter, Kreuzgang; Abb. im Artikel Benediktiner). Der Eindruck ornamentalen Reichtums wird dadurch gesteigert, daß bei einfacher Reihung oder paarweiser Gruppierung der verzierten Glieder wie etwa bei gekuppelten Säulen in Kreuzgängen oder bei Gewändesäulen in Portalen streng symmetrische Anordnung oder rhythmische Wiederholung der Ornamentmotive im Prinzip vermieden wird (Kreuzgänge von Königslutter oder Zürich, Großmünster).

Die Formenwelt des 12. und beginnenden 13. Jh. ist ungewöhnlich reich. Eine Aufzählung von Einzelmotiven erschöpft sie nicht; nur die wichtigsten seien genannt. Für die Frühromanik charakteristisch sind flachlineare Motive, unter denen frühgermanische Zierformen wie Flechtband und Kreisspirale wieder auftauchen (Kapitelle in Klostergröningen und Quedlinburg, Stiftskirche). Dazu treten antikisierende Motive wie die laufende und die intermittierende Ranke, in Verbindung mit der Palmette bzw. Halbpalmette (Hamersleben; Hildesheim, St. Michael, Abb. 2; Worms, Dom, Lisene im Ostchor).

Auch figürliche, besonders Tiermotive beginnen seit dem 12. Jh. eine immer größere Rolle zu spielen. Als neue und nur dem späten 12. und frühen 13. Jh. eigene Motive sind hervorzuheben: diamantiertes Band (nicht vor 1180), Schachbrett- und Röllchen fries (besonders an Gesims und Kämpferschrägen), Halbkugeln, Sterne und „Schellen“ als Besetzung flacher Hohlkehlen, vor allem am Oberrhein (Rosheim; Schlettstadt; Baseler Münster, Ostseite des Chors; Freiburger Münster, Osttürme; ferner die Fensterleibungen des Ostchors vom Bonner Münster). Auch das Motiv des zickzackförmig gebrochenen Stabs, wie es sich etwa an den inneren und äußeren Erdgeschoßwänden des Wormser Westchors, in der Archivolte des Kreuzgangportals von St. Emmeram in Regensburg oder an den Palastfenstern der Burgruine Wildenberg in Unterfranken findet, ist nur in der Spätzeit der Romanik möglich. Wieweit bei der Verwendung dieser Motive Einflüsse aus Frankreich (Burgund) mitwirkten, bedarf noch der Untersuchung. Eine unmittelbare Beeinflussung der sächsischen Bauornamentik durch oberitalienische Dekoration, eine Abhängigkeit insbesondere Quedlinburgs von S. Abbondio in Como, Königslutters von Ferrara ist neuerdings bezweifelt worden [9]. – Die Behandlung der Ornamentformen ist zu Anfang des 12. Jh. (bis ca. 1130) und am Ende (ca. 1180-1200) flächenhaft, in der Zwischenzeit plastisch; die Reliefwirkung wird bestimmt durch starken Wechsel von Licht und Schatten (Königslutter und die Schulbauten wie Hecklingen, Wimmelburg, die Hildesheimer Langhauskapitelle). Zu Beginn des 13. Jh. lebt der plastische Stil wieder auf, prächtiger und bereichert um figürliche Elemente (Konradsburg, Kryptakapitelle der Klosterkirche; Kapitelle des Magdeburger Doms nach dem Neubau von 1209 [3]). An den Kapitellen ist von nun an die Entwicklung der Bauornamentik während des 13. Jh. am sichersten zu verfolgen. Auf sie konzentriert sich wieder das ornamentale Leben des Baus, während sonst das eigentliche ornamentale Detail mit dem Aufkommen gotischer Konstruktionsgedanken erheblich zurücktritt. Schon im Limburger Dom oder Marburg, St. Elisabeth bezeichnet die Kapitellornamentik in erster Linie die Grenze zwischen Pfeilern und Gewölben; im übrigen bleibt sie auf einzelne architektonische Detailformen wie Konsolen und Gewölbeschlußsteine beschränkt. – Auch das Verhältnis der Kapitellornamentik zum Kapitellkern wandelt sich mit dem Beginn der Gotik.

Neben dem immer mehr vorherrschenden Kelch bleiben die romanischen Kernformen des Kapitells bestehen, während der ornamentale Kapitellschmuck, meistens unverkennbar unter dem Einfluß der französischen Hochgotik (Reims), sich weiterbildet. Die Loslösung der Kapitellornamentik vom Kern beginnt mit der Ausbildung des Knospenkapitells [5]. Um 1240 ist die Kapitellornamentik soweit verselbständigt, daß sie wie ein dichtes Geflecht dem Kern aufliegt. Schließlich erscheinen vereinzelte naturalistische Blattwerkbildungen wie dem Kelch lose angesteckt und nur noch an der Wurzel mit dem Kern verbunden (Marburg, St. Elisabeth, Hauptportal; Naumburg, Westlettner; Freiburg, Münster, Westportal). Dieses Verhältnis zwischen Kapitellkern und -ornamentik bleibt bis in das späte 15. Jh. im Wesentlichen bestehen.

Originale Beispiele romanischer ornamentaler Malerei, soweit sie nicht den monumentalen Fresken zuzuzählen ist, sind selten. Ein vollkommenes polychromes Dekorationssystem hat sich in St. Severus zu Boppard erhalten. Weitere Beispiele ornamentaler Malerei bieten die Marienkirche zu Bergen auf Rügen, die Dome zu Schleswig (Chor) und Braunschweig (Langhauspfeiler), St. Maria zur Höhe in Soest, die Klosterkirche zu Prüfening.

Ausnahmen sind farbige Dekorationen am Außenbau wie an der Kirche zu Sayn bei Koblenz (Abb. 4) und an St. Kastor zu Karden an der Mosel.

[II. Hochgotik]

Die hochgotische Bauornamentik verhält sich zum Baukörper grundsätzlich anders als die romanische. Sie entstammt nicht wie diese einer auch unabhängig von der Architektur existierenden Formenwelt, sondern wird aus bestimmten Bauformen der ihr übergeordneten Großarchitektur abgeleitet. So gliedert sie sich mit strengerer Folgerichtigkeit als bisher dem struktiven System ein. Das neue Verhältnis von Ornamentik und Architektur wurde erst möglich durch die fortschreitende Auflösung der Mauerfläche. Mit dem Fortschreiten vom Massen- zum Gliederbau entfallen größere Grundflächen, an welcher Ornamentformen in der bisherigen Weise sich hätten ausbilden und verbreiten können. Das Ornament zieht sich im Innenraum mehr und mehr auf abschließende Architekturglieder wie Rippenkonsolen oder Gewölbeschlußsteine zurück; am Außenbau erscheint es nur mehr als knospenartiger Auswuchs freistehender Bauglieder wie an Wimpergen, Fialen usw., wo es in regelmäßigen Abständen die Außenkanten besetzt. Vor allem aber ergaben sich aus der Architektur selbst neue dekorative Figurationen, die sich bei entsprechender Veränderung ihres Maßstabs als Ornamente im engeren Sinne verwenden ließen. Solche dekorativen gotischen Motive treten zuerst in der Fensterregion auf und entwickeln sich dort am reichsten [11]. Die Durchbrechung der Mauerflächen führt hier zur Bildung des Stab- und Maßwerks; es geht aus einfachen Unterteilungen der Fensterflächen hervor und schließt sich im Laufe der Gotik zu immer komplizierteren Figuren zusammen, die aus wenigen Formelementen (Kreis, Spitzbogen, Vielpaß) ableitbar sind und ins Unbegrenzte variiert werden; ihre „Verschleifung“ führt am Ende der Gotik zur Bildung der „Fischblasen“. Form- und Profilbildung des Maßwerks bestimmt die gotische Ornamentik und zwar um so mehr, je weiter es sich von seiner ursprünglichen struktiven Funktion entfernt. So wird die Rippe für die gotische Ornamentik bedeutungsvoll, seit sie nicht mehr struktives Glied bleibt, sondern durch ihre Verteilung über die Gewölbeflächen selbständige Figuren bildet. Der Höhepunkt dieser Verselbständigung wird in der Spätgotik erreicht, wo die Rippen, teilweise ganz losgelöst von den Gewölbeflächen, in sich geschlossene dekorative Systeme bilden („gewundene Reihung“; vgl. Pirna, Stadtkirche; Frankfurt a. M., St. Leonhard, Salvatorchörlein; Frauenkirche zu Ingolstadt, Abb. 7). – Das räumliche Verhältnis der gotischen Ornamentik zum Baukörper ist so geartet, daß das Stab- und Maßwerk, wo es nicht als durchbrochene Füllung erscheint (Giebel des Rathauses zu Münster), entweder als Rahmenwerk frei vor demselben liegt (Westfassade des Straßburger Münsters) oder als dekorative Gliederung, als „blindes Maßwerk“, den Mauerflächen vorgeblendet wird (Brandenburg, Katharinenkirche, Abb. 8). Das vegetabile Element wird als freie Endigung zu einem vollplastischen Ornament (Köln, Dom, Kreuzblumen der Chorgalerie) oder es zieht als fries- bzw. gitterartiges Muster vor der Grundfläche hin. Diese verliert gegen Ende der Gotik als Folie des Ornaments an Bedeutung; erst mit der Renaissance wird die Wandfläche zur Grundebene des Zierwerks.

Unter den in der Romanik ausgebildeten Ornamentmotiven ist allein dem Laubwerk eine Weiterentwicklung beschieden. Die vollen, naturalistischen Blattformen, wie sie der Naumburger Meister bildet, erfahren jedoch während des 14. und 15. Jh. eine Umformung in magere, knollige und krause Formen; es schrumpft zum Krabbenwerk zusammen. Die Krabbe bildet zusammen mit dem Maß- und Stabwerk das Grundelement des gotischen B. bis zum Beginn des 16. Jh. Nur vereinzelt, wie um 1400, finden sich neue Ansätze zu organisch-pflanzenhaften Bildungen wie am Westportal des Regensburger Doms. Der Durchbruch zu wieder naturähnlichen Formen erfolgt erst in der Spätgotik: die Krabbe wandelt sich zum Blattrankenwerk oder Weinlaub, der „Stamm“ nimmt naturalistische Astformen an (s. Astwerk, RDK I, Sp. 1166ff.). Die bezeichnendsten Beispiele für spätgotisches Blattornament hat man jedoch nicht in der Architektur, sondern in der kirchlichen Ausstattung und im Ornamentstich des späten 15. Jh. zu suchen.

Im 14. und 15. Jh. vertritt gemaltes Ornament bisweilen die Stelle des gemeißelten: Anklam, Marienkirche (Abb. 9); Kolberg, Dom; Brandenburg, Nikolaikirche; Lieberhausen (Abb. 5); Eltville; Surburg b. Straßburg, Stiftskirche; Straßburg, Kaufhaus u. a.

[III. Renaissance]

Die Renaissance ändert an dem Verhältnis vom B. zum Baukörper, wie es in der Spätgotik bestand, zunächst nichts. Das Ornament bleibt im 16. Jh. den gleichen Bauteilen vorbehalten, vor allem der Portal-, Fenster- und Giebelregion; die mit Hilfe des Ornaments in ihrer Wirkung deutlich hervorgehobenen Bauglieder stehen in entschiedenem Gegensatz zu den übrigen schmucklos belassenen Mauerflächen, ein Verhältnis, das bis in die ersten Jahrzehnte des 17. Jh. gültig bleibt. Das eigentlich „Renaissancemäßige“ gibt sich zu Beginn des 16. Jh. nur in der Verwendung und Bildung gewisser Einzelmotive zu erkennen [15]. Während die Gotik struktive Einzelformen wie Dienste, Gesimse usw. als möglichst unartikuliert durchgehende Glieder behandelte, beginnt man jetzt solche Formen mit „Gelenken“ zu versehen, ihre Ansatz- und Abschlußstellen als solche zu markieren. Diese Funktion fällt dem dekorativen Detail zu (Freising, Arkadensäulen im Hof der bischöfl. Residenz; Regensburg, Fensterdekoration im Domkreuzgang; Klosterneuburg, Klostergebäude). Die neuen Einzelformen stellen, namentlich vor ca. 1550, ein oft phantastisch-fremdartig anmutendes Gemisch aus spätgotischen und italienischen Frührenaissance-Bildungen vor, die sich bisweilen sogar mit Erinnerungen an romanische Formen verbinden können, wie am Turm von St. Kilian zu Heilbronn.

Die Wandlung zum „reinen“ Renaissanceornament beginnt im 2. Jahrzehnt des 16. Jh. Zierformen, wie sie sich seit M. 15. Jh. in der oberitalienischen Dekoration ausgebildet hatten, bürgern sich in der deutschen Profanarchitektur ein. Den stärksten Einfluß übten bis etwa 1550 auf das westliche Deutschland (Ober- und Mittelrhein) Mailand und Pavia (Certosa) aus, auf das östliche (Bayern [25], Sachsen) Verona und Venedig; dazu kommen starke Einwirkungen der Buchornamentik und des Ornamentstichs (Nachweise vermutlicher Entlehnungen bei Brinckmann [14]). Unter den neuen Formen erhält sich jedoch der Geist spätgotischer Dekoration, es bleibt die gehäufte, wuchernde Anordnung der Motive, die Motive werden gleichsam nur ausgewechselt (vgl. etwa die Dekorierung der Unterseiten der Treppenläufe im Göppinger Schloß mit denen der Wendeltreppe in Schloß Mergentheim). Die Höhenrichtung dominiert (Pilasterdekoration der Treppenhäuser in den Schloßhöfen von Dresden und Torgau-Hartenfels). Maßwerkmotive, beliebt als vorgeblendete Giebelfüllung wie am Rathaus in Stargard (RDK I, Sp. 1369, Abb. 23) oder am Kurfürstenhaus in Brandenburg, werden noch über 1600 hinaus beibehalten (Galeriebrüstungen in Nürnberger Höfen). – Um die Jahrhundertmitte wird häufig der Kernbau mit einem aus ornamentalen und figürlichen Einzelgliedern gebildeten dekorativen System verblendet (Wismar, Fürstenhof; Kulmbach, Plassenburg, Hofarkaden; vgl. die B. aus Terrakotta in Gadebusch, RDK I, Sp. 1370, Abb. 24 und Baukeramik, Sp. 53ff. – Bedeutungsvoll in doppelter Hinsicht ist die Dekoration des Heidelberger Ottheinrichsbaus (RDK I, Sp. 953/54, Abb. 14): hier wird erstmals die Bauornamentik in den Dienst eines Dekorationssystems im Sinne einer italienischen Ordnung gestellt. Zugleich ist dort auch der Beginn der niederländisch-vlämischen Dekorationsformen festzustellen. Ihre Verwendung dauert bis in das späte 17. Jh. Die Rolle der Außen- und Innendekoration übernimmt seit ca. 1565 das im Kreise des Cornelis Floris ausgebildete Roll- und Beschlagwerk [13]. Das bisher herrschende vegetabile und kleinfigürliche Ornament wird damit fast völlig verdrängt. Das Beschlagwerk bürgert sich zunächst in der niederdeutschen Profanarchitektur ein (Hamburg, Bremen, Danzig), langsamer dringt es in den Westen und Südwesten vor (Schlösser Horst, Frens, Aschaffenburg, Mainz), während es in Südostdeutschland nicht im gleichen Maße heimisch wird. Am Außenbau bestimmt es entschiedener als in seinem Stammlande die Umrißform der Giebel durch lebhaft bewegte Linienführung (Heidelberg, Haus zum Ritter; Bremen, Essighaus, Abb. 11; Frankfurt a. M., Salzhaus). Auch da, wo es Binnenformen zu füllen hat, ist die Anordnung der Bänder und Stege eine viel dichtere und bewegtere als in den Niederlanden. Am Turmhelm von St. Gumbertus in Ansbach vertreten Beschlagformen die Stelle des gotischen Maßwerks. Charakteristisch für die manieristische Ornamentik des späteren 16. und frühen 17. Jh. ist die Verwendung von Diamantmustern, mit denen die Mauerflächen rustiziert werden, sei es in Form spitz eingehauener Vertiefungen oder spitzer Bossen und Halbkugeln; die Fassade des Rattenfängerhauses in Hameln (Abb. 15) ist in ihrer ganzen Ausdehnung von einem System rustizierter Bänder überzogen. Die vereinzelte Rollwerkkartusche findet selten Anwendung am Außenbau: zwischen einer Pilasterordnung etwa an der Ostwand des Schlosses Rheydt oder an der östlichen Langhausseite von St. Michael in München. – Im Innenraum dient das Roll- und Beschlagwerk, in Stuck oder Holz ausgeführt, zur Verbrämung der Flächen an Gewölben, Wänden und Stützgliedern (Schmalkalden, Schloßkapelle; Helmstedt, Juleum, Aula). Bisweilen scheinen ganze Wandflächen wie hinter einem Gitter aus Beschlagwerk zu liegen, wie in St. Luzen in Hechingen (Abb. 12), an der Fassade des Hauses Ringstraße 29 in Brieg und des Kronschröderschen Hauses zu Osnabrück. Nach 1600 verbindet sich das Beschlagwerk mit dem Ohrmuschelwerk (Knorpelwerk; Anfänge am Bremer Rathaus [26]). Dieses spielt bis zum letzten Viertel des 17. Jh. hauptsächlich im Kunsthandwerk (Mobiliar) eine wichtige Rolle; in der Architektur wird es seines untektonischen Charakters wegen weniger berücksichtigt, doch finden sich auch hier vereinzelte reichere Beispiele. Die Verbindung, die das Knorpelwerk um 1610 mit dem entwickelten und dem alternden Rollwerk, teilweise auch mit bewußt wieder aufgegriffenen gotischen Einzelmotiven eingeht, macht die Zeit des Jahrhundertanfangs zu einer ornamentgeschichtlich höchst bewegten Epoche. An den Kirchen zu Wolfenbüttel und Bückeburg, die diese Stilstufe am reinsten repräsentieren, greift die Ornamentik so tief in die struktiven Einzelglieder (Kapitelle, Strebepfeiler und Giebelfelder) ein, daß diese selbst als vergrößerte plastische Zierglieder erscheinen. Als graphische Vorbereitung dieses Ornamentstils kann die „Architektura“ des Wendel Dietterlin (1598) gelten (RDK I, Sp. 970, Abb. 3). Nur Bayern und Bayrisch-Schwaben mit München und Augsburg als Mittelpunkten bleiben von dieser im wesentlichen norddeutschen Stilbewegung unberührt [24]. In den Bauten der dort führenden Meister (Fr. Sustris; Hans Krumper, Abb. 13 u. 14; Elias Holl) beschränkt sich das B. – im Gegensatz zu seiner Verwendung im übrigen Deutschland – auf den Innenraum. An Stelle der sonst übernommenen niederländischen Formengattungen tritt hier die italienische, speziell florentinische Ornamentik des Spätmanierismus, wie sie im Kreise Vasaris ausgebildet wurde. – Die Ausgestaltung des Innenraums von St. Michael in München bedeutet den Beginn einer neuen Dekorationsweise, welche die kirchliche Innenausstattung der Folgezeit bis zum Ende des 17. Jh. weitgehend bestimmte [21]. Die Wand- und Gewölbeflächen werden durch geometrische Systeme von Rahmen und Kassetten in Stuck gegliedert und diese mit Detailformen und manieristischer Ornamentik, insbesondere der Groteske, gefüllt (Neuburg a. D., Hofkirche; Landshut, Jesuitenkirche; vgl. vor allem oberbayrische Landkirchen wie Möschenfeld, Ilgen u. a.; vgl. auch Polling, RDK I, Sp. 1257, Abb. 6). Für die Dekoration der Münchener Hofkunst unter Kurfürst Maximilian I. ist charakteristisch die Wiederaufnahme von dekorativen Einzelmotiven der römischen Kaiserzeit.

Neben der gemeißelten und stuckierten Ornamentik wird während des 16. und 17. Jh. auch die geschnitzte und gemalte als B. verwendet.

In Verbindung mit dem Fachwerk werden die Balken an der Schauseite mit Ornamenten, gewöhnlich fortlaufenden Rankenfriesen in Flachschnitzerei, verziert, im späteren 16. Jh. stellenweise auch mit Einzelmotiven, in welchen Erinnerungen an frühgermanische Zierformen (Spirale, Rosette) erwachen (Braunschweig, Alte Waage, Häuser Poststraße 5, Süderstraße 4, Langstraße 9; Hildesheim, Goldener Engel). In der 2. H. 16. Jh. gelangt auch das Sgraffito-Ornament zu Bedeutung. Unter den erhaltenen Beispielen (Urbach, Geschichtliches und Technisches vom Sgraffitoputz, Berlin 1928) sind die besten in Norddeutschland: Schloß Kynsberg in Schlesien; Liegnitz, Haus zum Wachtelkorb; Posen, Rathaus; in Süddeutschland: Ulm, Kornhaus und Neuer Bau; Ansbach, ehem. Hofkanzlei.

Eine neue Stilwandlung des deutschen B. setzt zu Beginn des letzten Viertels des 17. Jh. ein, zunächst in Südbayern [25]. Um 1670 wird im Innenraum der Münchener Theatinerkirche durch italienische Stukkateure das hochbarocke Akanthuswerk eingeführt. Seine spezifisch deutsche Prägung erhält dieses durch die Miesbacher und vor allem die Wessobrunner Stukkatoren, deren Schule von ca. 1690 bis in das beginnende 19. Jh. für Süddeutschland bedeutsam war. Die Abwandlung des Vorbilds zeigt sich darin, daß die Verbindung des Akanthus mit der Kartusche und mit figürlichen Elementen gemieden wird. Dafür erscheinen komplizierte Verzweigungen, die an spätgotische Anordnungen des Laubwerks erinnern, und ganz naturalistische Motive. Das Blattwerk ist scharfkantig gekerbt und tief unterschnitten. Auf Mitwirkung der Farbe wird in der Regel verzichtet. Die Akanthusornamentik wird in Süddeutschland fast ausschließlich als Innendekoration verwendet, vor allem in der Gewölberegion (Vilgertshofen, Wallfahrtskirche; Friedrichshafen, Schloßkirche; s. a. RDK I, Sp. 269, Abb. 16). Im Profanbau stehen die schweren Akanthusmassen oft im Mißverhältnis zur geringen Höhe der Räume (Wessobrunn, Klosterkorridor der Hofseite). Als Außendekor findet sich Akanthuswerk besonders im Küstengebiet und in Schlesien; s. aber auch Bamberg, Böttingerhaus, RDK I, Sp. 956, Abb. 16. Die Entfaltung einer so üppigen Fassadenornamentik, wie sie für die französische oder spanische Architektur charakteristisch ist, kennt jedoch die deutsche nicht.

[IV. 18. Jh.]

Die Bauornamentik des 18. Jh. [17] ist durch folgende Merkmale charakterisiert:

1. In noch höherem Maße als bisher ist sie dem Innenraume zugewiesen; für die Belebung der Außenarchitektur sorgt die einfache Durchgliederung der Fassaden mit rein architektonischen Mitteln, ihre Akzentuierung durch dekorative oder mit figuraler Plastik verbundene Bauglieder (vgl. Bauten von Schlüter und Pöppelmann); die eigentlichen Zierformen treten zurück. Ausnahmen bietet der süddeutsche Profanbau besonders in Franken und Bayern, wo bis zum Ende des Spätbarocks auch die Schauseiten bisweilen reiche ornamentale Bekleidung erhalten (Landsberg a. Lech, Rathaus; Wasserburg a. Inn, Weinhaus; München, Palais Preysing; Würzburg, Falkenhaus; Ausnahmefälle sehr reicher dekorativer Behandlung einer älteren [spätgotischen] Fassade sind das Asamhaus in der Sendlingerstraße in München und das Helblinghaus in Innsbruck, Abb. 16). Das Äußere der Kirchenfassaden wird absichtlich möglichst schmucklos gelassen.

2. Die Ornamentierung der Innenarchitektur geschieht zunächst noch im engsten Anschluß an die architektonische Gliederung. Das Ornament belebt die Gewölbe, die Decken und Wandflächen in gleichmäßiger Dichtigkeit und unter Wahrung der wichtigsten Achsen und der umgrenzenden Rahmenform (Fürstenfeldbruck und Abb. 17). Sein Relief liegt verhältnismäßig flach der Grundebene auf. Vom 3. Jahrzehnt ab gewinnt die Grundfläche, vor allem in der Decken- und Gewölberegion, mehr und mehr den Anschein eines unbegrenzten Raumes, in welchem die Ornamentik sich frei und spielend entfaltet. Diese „Verräumlichung“ der Grundfläche kann durch eine – bisher nur ausnahmsweise erstrebte – Mitwirkung der Farbe noch gesteigert werden. Die erlesensten Beispiele hierfür bieten die Innenräume der Amalienburg im Nymphenburger Park, wo silberne Ornamentik über gelbe und mattblaue Gründe ausgebreitet ist. Die gleiche Absicht auf eine bildmäßige Tiefenwirkung zeigt sich in der plastischen Behandlung der Ornamentformen selbst; sie liegen nicht mehr im flachen Profil auf, sondern ihre Reliefgrade werden abgestuft.

3. Der Wirkungsbereich der Innenraum-Ornamentik ist im 18. Jh. viel ausgedehnter als in jeder vorhergehenden und folgenden Zeit. Mit der allmählichen Auflockerung des struktiven Gerüstes greift die Ornamentik immer mehr in dieses ein und scheint sich an der Funktion der struktiven Glieder mitbeteiligen zu wollen. Sie verbindet tektonisch bisher streng geschiedene Teile des Baus, wie Wand und Decke, Arakadenbögen und Fenster, miteinander und durchstößt oder überspielt die rahmenden Grenzen. Sie greift ferner auf die dekorative Plastik, die mobile Innenausstattung über und dringt in die Region der Wand- und Deckenmalerei ein. So bildet sie das eigentliche Bindeglied zwischen den einzelnen Raumkünsten und wird zum bestimmenden Element der Innenarchitektur überhaupt (ca. 1730 bis ca. 1760). Die Hauptbeispiele entstehen um 1750: Wallfahrtskirche Wies (Oberbayern); Mainz, St. Peter; Bruchsal, Schloß, Fürstensaal (Abb. 18) und Marmorsaal. Mit dem Ende des Barock verliert das B. diese verbindende Funktion. Es zieht sich wieder auf fest umgrenzte Bezirke zurück, um dann im Klassizismus, im Louis XVI. und Empire nur mehr als Füllmuster in leeren Flächen zu dienen (Abb. 19; vgl. auch die Wandbehandlung in den Innenräumen der Münchener Bauten Klenzes). Gleichzeitig löst sich die innere Verbindung des Ornaments mit dem Baukörper, dessen Wandflächen für sich allein oder nur durch möglichst sparsame Gliederung wirken sollen; es isoliert sich und erscheint ablösbar vom Grunde.

4. Der Umfang des Formenschatzes im 18. Jh. ist nur andeutungsweise bestimmbar; seine Motive erfahren in fast jeder Einzelleistung eine individuelle Prägung [18. 20. 22]. Die Prinzipien ihrer Anordnung jedoch bleiben sich gleich. Der in der Vorherrschaft des hochbarocken Akanthuswerks sich bekundende italienische Einfluß weicht um 1710 allgemein dem französischen. Die Grundmotive der Régence-Ornamentik [17], das Bandel- und Gitterwerk in Verbindung mit der durch Bérain, Marot und Watteau vorgebildeten Bildgroteske und deren Einzelmotiven dringen in die Dekoration ein. Sie erfahren jedoch auf deutschem Boden eine ungleich reichere und phantasievollere Durchbildung als in ihrem Stammlande, wie ein Vergleich etwa des Ovalsaals im Obergeschoß des Hotels Soubise in Paris mit dem Spiegelsaal der Amalienburg zeigen kann. – Das italienische Erbe des späten 17. Jh. lebt in der Vorliebe für die plastische Einzelform (Kartusche) in Verbindung mit vollplastischen figürlichen Motiven fort (Dekorationen der Asam). Auf diesen Grundlagen entwickelt sich dann, ohne weitere Anleihen bei außerdeutschem Formengut, die eigentliche Rokokoornamentik. Ihre Entwicklung ist in der Leistung des bedeutendsten Vertreters der Epoche, des älteren Cuvilliés, Schritt für Schritt (Schloß Falkenlust; München: Residenz, Reiche Zimmer; Amalienburg; Residenztheater) zu verfolgen [19]. Die späteste Phase der Rokokoornamentik (ca. 1760 bis ca. 1775) ist gekennzeichnet durch die Vorherrschaft der plastischen Rocaille in Verbindung mit vereinzelten „naturalistischen“ Motiven, besonders Blütenzweigen. Sodann tritt, in Norddeutschland früher als in Süddeutschland, eine Erschlaffung der Einzelform ein, die am deutlichsten in der Wahl schwerer, hängender Formen zum Ausdruck kommt. Zum beliebtesten Ornamentmotiv wird an Stelle der mehr und mehr schwindenden Rocaille der Zopf und die Guirlande (Innendekoration in St. Stephan, Würzburg). Den entscheidenden Bruch mit den Ornamentformen des Barock bringt jedoch erst der Klassizismus um 1800 durch Bevorzugung streng geometrischer Motive auf schwach vertieftem Grunde sowie durch Aufnahme von Einzelmotiven der hellenistischen und römisch-antiken Dekoration. Auf der bewußten Auswahl der Motive aus dem Formengut der Vergangenheit beruht der eklektische Charakter, der die Bauornamentik des ganzen 19. Jh., besonders im letzten Drittel, kennzeichnet.

Zu den Abbildungen

1. Quedlinburg, Stiftskirche, bemalter Fries an der südl. Querhausapsis (Weihe 1129). Phot. Prov.-Konservator d. Prov. Sachsen, Halle a. S.

2. Hildesheim, St. Michael, südl. Langhausarkaden mit Stuckauflagen, um 1170. Phot. Staatl. Bildstelle, Berlin.

3. Murrhardt, Walderichskapelle von Osten, um 1220-30. Phot. Landesbildstelle Württemberg, Stuttgart.

4. Sayn b. Koblenz, Prämonstratenserklosterkirche, Malerei an der Außenwand, 2. H. 13. Jh. Nach einem Aquarell von W. Schmitz im Besitz d. Prov.Konservators d. Rheinprovinz, Bonn.

5. Lieberhausen (Rheinland), Pfarrkirche, Gewölbe- und Wandmalerei 15. Jh. Nach Ber. über die Tätigkeit d. Prov.Kommission in d. Rheinprovinz 20, 1915/16, Düsseldorf 1917.

6. Gmünd, Hl. Kreuzkirche, Westportal, um 1310. Phot. Landesbildstelle Württemberg, Stuttgart.

7. Ingolstadt, Frauenkirche, Gewölbe einer Kapelle im südl. Seitenschiff, 15. Jh. Phot. Müller-Krah, München.

8. Brandenburg, Katharinenkirche, Fronleichnamskapelle von Hinrich Brunsberg, beg. 1401. Phot. J. Nöhring, Lübeck.

9. Anklam, Marienkirche, Malerei um 1380. Phot. Prov.-Kons. v. Pommern, Stettin.

10. München, Residenz, Antiquarium. Erbaut von Eckl um 1560. Malerei von Friedrich Sustris, 1580. Nach K. E. O. Fritsch, Denkmäler deutscher Renaissance.

11. Bremen, Essighaus, Giebel, 1618. Phot. Staatl. Bildstelle, Berlin.

12. Hechingen (Hohenzollern), Klosterkirche St. Luzen, 1586-89. Phot. Landesbildstelle Württemberg, Stuttgart.

13. u. 14. Hans Krumper, Entwürfe für Wand- und Deckendekoration des Chors der ehem. Paulanerkirche in München, 1621. München, Residenz. Phot. Verf.

15. Hameln, Rattenfängerhaus, 1602. Phot. Staatl. Bildstelle, Berlin.

16. Innsbruck, Helblinghaus (kath. Kasino), Stuckornament um 1730–40. Phot. Tiroler Kunstverlag Chizzali, Innsbruck.

17. Fulda, Bischöfl. Schloß von Joh. Dientzenhofer, Kaisersaal, 1707-13. Phot. Staatl. Bildstelle, Berlin.

18. Bruchsal, Schloß d. Speyrer Bischöfe von Balthasar Neumann, Dekoration von Joh. Mich. Feichtmayr, 1751. Phot. Rolf Kellner, Karlsruhe.

19. Mainz, ehem. kurfürstl. Schloß, Akademiesaal, 1775. Phot. Staatl. Bildstelle, Berlin.

Vgl. auch besonders RDK I.

Literatur

a) Mittelalter: 1. Dehio u. v. Bezold, Die kirchl. Baukunst des Abendlandes I, 652f.; II, 366ff., 570ff. 2. Georg Humann, Die Beziehungen der Handschriftenornamentik zur roman. Baukunst, Stud. z. dt. Kg. 86, Straßburg 1907. 3. Richard Hamann, Die Kapitelle im Magdeburger Dom, Jb. d. Preuß. Kslg. 30, 1909, S. 56ff.; erweiterter Sdr. Berlin 1910. 3 a. Ad. Goldschmidt, Die Bauornamentik in Sachsen im 12. Jh., Monatsh. f. Kw. 3, 1910, S. 299ff. 4. Jan Fastenau, Roman. Bauornamentik in Süddeutschland, Stud. z. dt. Kg. 188, Straßburg 1916. 5. Elisabeth Ahlenstiehl-Engel, Die stilistische Entwicklung der Hauptblattform der roman. Kapitellplastik in Deutschland, Rep. f. Kw. 34, 1922, S. 135ff. 6. Walter Bader, Der Bildhauer des Laacher Samson, Bonner Jahrbücher 133, 1928, S. 169ff. 7. Jurgis Baltrusaitis, La stylistique ornementale dans la sculpture romane, Paris 1931. 8. H. A. Diepen, Die roman. Bauornamentik in Klosterrath, Haag 1931. 9. Otto Gaul, Die roman. Baukunst und Bauornamentik in Sachsen, Dissertation Köln 1932. 10. H. Weigert, Das Kapitell in der deutschen Baukunst des MA., Zs. f. Kg. N. F. 5, 1936, S. 7ff. 11. Rud. Offermann, Die Entwicklung des gotischen Fensters am Mittelrhein im 13. und 14. Jh., Dissertation Frankfurt a. M. 1932. 11 a. L. Behling, Das ungegenständliche Bauornament der Gotik, Versuch einer Gesch. des Maßwerks, Dissertation Berlin 1937. 11 b. Joachim Gerhardt, Wandmalereien in der Marienkirche zu Anklam, Dt. K. u. Denkmalpflege Jg. 1937, S. 129ff. 12. Wilh. Niemeyer, Formwandel der Spätgotik als das Werden der Renaissance, Diss. Leipzig 1904.

b) Neuzeit: 13. Max Deri, Das Rollwerk, Berlin 1906. 14. A. E. Brinckmann, Die praktische Bedeutung der Ornamentstiche für die dt. Frührenaissance, Stud. z. dt. Kg. 90, Straßburg 1907. 15. G. v. Bezold, Die Baukunst der Renaissance in Deutschland, Leipzig 1908, S. 160ff. 16. Rob. Hedicke, Cornelis Floris und die Florisdekoration, Berlin 1913. 17. Rich. Sedlmaier, Die Grundlagen der Rokoko-Ornamentik in Frankreich, Stud. z. dt. Kg. 116, Straßburg 1917. 18. Herm. Keil, Mainzer Ornamentik, Marburg 1918. 19. Oswald Götz, François de Cuvilliés, Ein Beitrag zur Gesch. d. süddeutschen Ornamentik, Diss. Frankfurt 1920 (ungedruckt). 20. Max Hauttmann, Gesch. d. kirchl. Baukunst in Schwaben, Bayern und Franken, München 1921, S. 85ff. 21. Hedwig Schmelz, Systematische Entwicklungsgeschichte der oberbayr. Stukkaturen, Diss. München 1920 (ungedruckt). 22. Rud. Pfister und Rich. Sedlmaier, Die fürstbischöfl. Residenz zu Würzburg, München 1923, S. 81ff. 23. Rud. Berliner, Ornamentale Vorlageblätter des 15. bis 18. Jh., Berlin 1926. 24. Ernst Strauß, Die Münchener Architektur und Dekoration um 1600, Münch. Habilitationsschrift 1931 (ungedruckt). 25. Ilse Dalchow, Italienische Stukkatoren und ihre Ornamentik in der bayr. Architektur um 1700, Diss. München 1928. 26. Walter Zülch, Die Entstehung des Ohrmuschelstils, Heidelberger kg. Abhandl. 12, Heidelberg 1933, S. 106ff.

S. a. die erschienenen Ornamentartikel; ferner Architekturplastik, Kapitell, Stuckdecke usw.

Verweise