Brustkreuz
englisch: Pectoral cross; französisch: Croix pectorale; italienisch: Pettorale, croce pettorale.
Joseph Braun S.J. (1947)
RDK II, 1318–1324
B. (Pektorale, crux pectoralis, pectorale) ist ein als religiöser Schmuck oder aus sonstigen religiösen Beweggründen an einer Halskette oder Schnur über der Brust getragenes Kreuzchen. Es lassen sich zwei Klassen unterscheiden: 1. das nichtliturgische B., das als Ausdruck der privaten Verehrung und als religiöses Schutzmittel (phylacterium) im Alltagsleben von jedermann getragen werden kann; 2. das einen Bestandteil der Pontifikalkleidung bildende, bei feierlichen Pontifikalhandlungen über der Albe angelegte liturgische B., das von Rechts wegen nur den Kardinälen, Bischöfen und Äbten, anderen nur auf Grund einer besonderen Ermächtigung zusteht, von den ersteren aber als Abzeichen ihrer Würde auch über der Alltagskleidung getragen werden darf.
Die Verwendung des nichtliturgischen B. reicht im Osten, wo es schon früh sehr beliebt war, wie auch im Westen nachweislich bis in die altchristliche Zeit zurück. Das früheste im Westen erhaltene Beispiel ist ein in einem Grabe in S. Lorenzo fuori le mura zu Rom 1863 gefundenes, mit nielliertem Ornament verziertes goldenes B. im Museo sacro des Vatikans, nach de Rossi (Guida del Museo sacro 2, Rom 1938) aus dem 5./6. Jh., ein Beispiel aus dem späten 7. Jh. ein mit Zelleneinlage geschmücktes goldenes B. im Dommus. zu Durham, das im Schrein des hl. Cuthbert († 687) gefunden wurde. Beispiele aus dem 9. Jh. sind ein aus der Slg. Beresford-Hope stammendes, mit figürlichen Emaildarstellungen geschmücktes B. im Victoria-and-Albert-Mus. in London (Marc Rosenberg, Geschichte der Goldschmiedekunst, Zellenschmelz 3, Darmstadt 1922, S. 53f.). ferner das sog. Kreuz des Erzpriesters im Dom zu Monza (Braun, Reliquiare, Taf. 139, Abb. 533) sowie verschiedene der durch Pilger aus dem Osten mitgebrachten byzantinischen und palästinensischen B. aus Bronze (Ebd. S. 460), aus dem 11. und 12. Jh. B. nordischen Ursprungs im Nat.Mus. Kopenhagen, im Hist. Mus. Stockholm, in der Slg. der Universität zu Oslo, im Mus. Tromsö, im Nat.Mus. Helsingfors und in der Altertums-Slg. zu Trondhjem (Ebd. S. 462 u. 479), aus dem späten 12. Jh. ein B. im Münster zu Aachen (Abb. 1) und in der Slg. Clemens des Kölner Kunstgewerbemus. Aus dem späten MA stammen B. im Dom zu Prag (Abb. 2–5), in der Schloßkirche zu Quedlinburg, im ehem. Welfenschatz, in den Hist.Mus. zu Basel und Stockholm sowie in St. Ulrich und Afra zu Augsburg (Ebd. S. 479).
Ein liturgisches B. hat es bis in das 12. Jh. nicht gegeben. Kein Sakramentar, kein Pontifikale und kein Liturgiker nennt es, auch nicht Rupert von Deutz († 1135), dessen Ausführung man mißverstanden hat (De div. off. L. 1, c. 26; Migne P. L. 170, Sp. 25; vgl. dazu J. Braun in Zs. f. christl. Kunst 16, 1903, S. 105). Liturgisches B. wurde das B. dadurch, daß es im Verlauf des 12. Jh. Aufnahme in die Pontifikalkleidung erhielt. Erwähnt wird es zuerst um 1170 in der Vita des 1160 ermordeten Erzbischofs Arnold von Mainz (Böhmer, Fontes rer. Germ, 3, S. 281) und in dem Ankleideritus in einem Missale aus dem ausgehenden 12. Jh. in der Landesbibl. zu Budapest (Braun, Reliquiare, S. 480), abgebildet aber ist es schon auf dem Mosaikgrabstein des in Albe und Pluviale dargestellten Abtes Gilbert von Maria Laach († 1152; Abb. 6). In Rom begegnet es uns zuerst in der Schrift Innozenz’III. (1198–1216) „De sacro altaris mysterio“ (L. 1, c. 53; Migne, P. L. 217, Sp. 793), hier aber als ein Ornatstück, dessen sich damals nur der Papst bediente. Größere Verbreitung gewann das pontifikale B. erst im 13. Jh.; insbesondere wurde es in Rom nun auch von Bischöfen getragen. Von einer Verleihung des Rechtes, es bei feierlichen Pontifikalhandlungen anzulegen, hören wir nie; es war dies dem Gutdünken des Bischofs überlassen, wie Durandus von Mende († 1296) in seinem weit verbreiteten und einflußreichen Pontifikale ausdrücklich mit den Worten: Si quis ea velit uti anmerkt (Martène, De antiquis ecelesiae ritibus, L. 1, c. 4, art. 12, ordo 23, I; ed. Antwerpen 1763, S. 221). In den Pontifikalien und bischöflichen Missalien des 14. und 15. Jh. wird das pontifikale B. oft erwähnt. Allerdings begegnet es uns auf den spät-m.a. deutschen Bischofsdarstellungen nie, weil es verdeckt unter den Obergewändern getragen wurde, zu denen nach deutschem Gebrauch auch dann die Dalmatik gehörte, wenn der Bischof mit dem Pluviale bekleidet war. Ein pflichtmäßiger Bestandteil der Pontifikalkleidung wurde das B. erst durch das Missale Pius’ V. (1570), allgemein gebräuchlich bei der außerliturgischen bischöflichen Tracht als Abzeichen der Würde des Trägers erst in nach-m.a. Zeit.
Seiner Form nach war das B., ob nicht liturgisch oder liturgisch, nie eine crux commissa, sondern stets eine crux immissa, ein aus zwei einander überschneidenden Balken bestehendes Kreuz, und zwar gewöhnlich ein Kreuz mit nach unten verlängertem senkrechten Balken (crux oblonga), seltener ein Kreuz mit gleich langen Balken (crux quadrata). Hergestellt wurde es aus Metall, Bronze, Kupfer, Silber, Gold; stets aus Silber oder Gold bestanden die pontifikalen B.
Gern wurden in die B., wenigstens bis in das ausgehende MA, Reliquien eingeschlossen, zumal wenn möglich eine Partikel des hl. Kreuzes, wie die noch vorhandenen Beispiele bekunden. Waren doch schon die B., die Gregor d. Gr. Dinamius, dem Patricius von Gallien, und Adulouvaldus, dem Sohn der Königin Theodolinde, sandte (Epp L. 3, n. 33; L. 14, n. 12; Migne, P. L. 77, Sp. 631, 1316), sowie das B., von dem um 590 Gregor von Tours erzählt (De gloria mart., c. 11; Migne, P. L. 71, Sp. 716), mit Reliquien ausgestattet. Immer, wie auch heute noch, enthielt das pontifikale B. Reliquien. Dadurch wurde es zugleich Reliquiar und bekam erhöhten Wert. Barg es aber Reliquien, so war es meist aufklappbar oder mit abhebbarer Rückseite versehen. Sichtbar unter Glas oder Kristall wurden die Reliquien erst im späten MA angebracht.
Stilistisch zeigt das B., das nichtliturgische wie das liturgische, dieselbe Bildung wie die gleichzeitigen großen Kreuze. Auch bei ihnen erweitern sich bis ins 12. Jh. die Balken gewöhnlich mehr oder weniger stark nach ihren Enden zu. Die romanischen B. sind mit einem rechteckigen oder trapezförmigen Abschlußstück versehen, die gotischen mit einem dreipaß- oder lilienförmigen (Abb. 4, 5). Bei den B. der Renaissance und des Barock verschwand jedes Abschlußstück, oder es verkümmerte zu einem Knäufchen, zu Blattwerk oder Schnörkelwerk. Der Hauptschmuck der B. bestand in einer an der Vorderseite angebrachten Darstellung des Gekreuzigten, und zwar schon zu einer Zeit, in der sie an großen Kreuzen noch nicht üblich war. Als Nebendarstellungen gesellten sich auf den Ecken der Balken häufig die Evangelistensymbole, Brustbilder Marias und Johannes’, der Apostel oder Heiligen hinzu. An der Rückseite entsprach dem Bilde des Gekreuzigten oft eine Darstellung Marias oder eines Heiligen mit oder ohne Nebenfiguren auf den Balkenenden in Gestalt von Heiligenbrustbildern. Häufiger wies sie als Schmuck jedoch bloßes Ornament auf. Die Vorderseite blieb ohne Bildschmuck fast nur, wenn sie, besonders bei pontifikalen B. der Renaissance und des Barock, mit Edelsteinen oder Perlen besetzt war. – Die Schmuckmotive waren in der Regel graviert oder ziseliert, in Treibarbeit, Email und Niello nur vereinzelt ausgeführt und nur bei B. aus älterer Zeit. Im ausgehenden MA wurden sie auch wohl gestanzt, gegossen oder dem Kreuz aufgenietet oder aufgelötet.
Die Höhe der nichtliturgischen B. schwankt zwischen 5 und 10 cm. Höher sind meist nur die pontifikalen B., doch geht auch ihre Höhe in der Regel nicht über 12–13 cm hinaus. So aber verhielt es sich von jeher. – Behufs Befestigung an der Kette oder Schnur zum Umhängen war und ist das B. mit einer Öse, einem Ring oder einer ähnlichen Vorrichtung versehen.
Zu den Abbildungen
1. Aachen, Münster, Schatzkammer, Brustkreuz des 12. Jh. Silber vergoldet, 8,5 cm hoch. Phot. Dr. F. Stoedtner, Berlin.
2. und 3. Prag, Domschatz, Brustkreuz, E. 15. Jh. Vorderseite: Kruzifix und Engel mit Marterwerkzeugen, Rückseite: Madonna und die Hl. Christophorus, Adalbert, Katharina, Georg. Silber, 7,1 cm hoch, 5,35 cm breit. Phot. J. Stenč, Prag.
4. und 5. Prag, Domschatz, Brustkreuz, 2. H. 15. Jh. Vorderseite: Kruzifix mit Gottvater, Maria und Johannes, Rückseite: Madonna, hl. Katharina, Barbara und Margareta. Silber vergoldet, 13,7 cm hoch, 11,8 cm breit. Phot. J. Stenč, Prag.
6. Bonn, Landesmus., Grabstein des Abtes Gilbert, † 1152, aus der Abteikirche Maria Laach, Mosaik. Nach einer alten Phot.
Literatur
1. Franz Bock, Geschichte der liturgischen Gewandung des MA, Bonn 1856ff., Bd. 2, S. 213. 2. Braun, Reliquiare, S. 23, 67, 70, 459ff., 478ff.
Verweise
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