Buch (Buchrolle) als Attribut
englisch: Book (scroll) as attribute; französisch: Livre (rouleau) comme attribut; italienisch: Libro (rotolo) come attributo.
Joseph Braun S.J., A und Gustav Radbruch, B (1947)
RDK II, 1339–1343
A. [Das B. als religiöses Attribut]
Das B. zählt zu den ältesten Attributen in der religiösen Kunst; denn es ist als ein Erbe der altchristlichen Kunst von der m.a. übernommen worden. Während es aber in der altchristlichen Zeit noch in sehr beschränktem Maße verwendet und fast nur Wiedergaben des Herrn und der Apostel (RDK I, Sp. 811ff.) beigefügt wurde, erweiterte sich im MA der Kreis der Darstellungen, denen ein B. beigegeben wurde, derart, daß es geradezu das am häufigsten vorkommende Attribut wurde und in der ganzen Folgezeit blieb. Denn ein B. erhielten nunmehr auch das Lamm Gottes, die Propheten, Johannes d. T. und andere an der Schwelle des N.T. stehende Heilige, wie Joachim, Anna und Zacharias, die Evangelisten und ihre Symbole, hl. Märtyrer und Märtyrerinnen, hl. Päpste, Bischöfe, Priester und Diakone, hl. Äbte und Äbtissinnen sowie andere Heilige männlicher und weiblicher Orden, hl. Einsiedler, Pilger und andere heilige Laien, hl. Frauen und Jungfrauen, kurz fast alle Klassen von Heiligen (Braun, Tracht und Attribute, Sp. 814). Eine Ausnahme machten nur die Darstellungen Marias, der Engel sowie der hl. Fürsten und Ritter.
Freilich war die Bedeutung des B. nicht in allen Fällen die gleiche; sie wurde vielmehr jeweils durch den Sondercharakter der Person oder des Gegenstandes bestimmt, dem es als Attribut beigegeben war. So will es auf Darstellungen Christi, je nachdem dieser als Lehrer, als Majestas (d. i. als König der Herrlichkeit) oder als Weltenrichter wiedergegeben ist, als das Evangelium, der Inbegriff seiner Lehre, als das Gesetz-B. des Neuen Bundes oder als das „Buch des Lebens“ (Apok. 3, 5; 20, 12; 21, 27) verstanden sein. Das Gotteslamm kennzeichnet es als das Lamm der Apokalypse, das allein die Macht hatte, das mit sieben Siegeln verschlossene B. zu öffnen (ebd. 5, 7f.). Als Attribut der Propheten versinnbildet es die von ihnen gemachten Weissagungen von dem kommenden Messias und dem auf ihm sich aufbauenden neuen Gottesreich, als solches der Hl. Joachim und Anna die auf die Schriften des A.T. sich gründende hoffnungsvolle Erwartung des Messias. Den hl. Johannes d. T. macht es kenntlich als den von Jesaias (40, 3; Matt. 3, 3) vorausgesagten Vorläufer und Wegbereiter des im Fleisch erscheinenden Messias, die Apostel als die hl. Zwölfboten, die der Herr vor seinem Scheiden beauftragte, den Menschen das Evangelium zu verkünden, die Evangelisten und ihre Symbole als die Verfasser der vier Evangelien. Bei hl. Märtyrern und Märtyrerinnen will es als das B. des Evangeliums verstanden sein, aus dem sie zugleich ihren Glauben an Christus, den Erlöser, wie auch die übernatürliche Kraft, für diesen Glauben das Opfer ihres Lebens zu bringen, schöpften. Auf Darstellungen hl. Päpste und Bischöfe soll es diese als die vom Herrn als Nachfolger Petri und der Apostel zur Reinerhaltung des Evangeliums und zu seiner Weiterverkündigung bestellten amtlichen Lehrer kennzeichnen. Das hl. Äbten und Äbtissinnen beigegebene B. wird man als das Regel-B., das B. der Ordenssatzungen, über deren treue Beobachtung zu wachen ihre Hauptaufgabe war, zu deuten haben, was durch die Inschriften bestätigt wird, die sich auf Darstellungen des hl. Benedikt in dem B. bisweilen finden, sowie durch die Aufschrift Liber Constitutionum auf dem dem hl. Ignatius von Loyola beigegebenen B. Ein B. in der Hand eines hl. Priesters ist als Missale und, gleich einem ihm als Attribut beigegebenen Kelch, als Hinweis auf seinen priesterlichen Stand zu verstehen; ein B. in der Hand eines hl. Diakons, dem die Verlesung des Evangeliums oblag, als Evangelien-B., ein B. als Attribut eines hl. Gottesgelehrten und Kirchenlehrers als Hinweis auf seine schriftstellerische Tätigkeit. Bei hl. Ordensmännern und -frauen gibt es das B. des kanonischen Offiziums, das Brevier, wieder, bei hl. Pilgern und Einsiedlern ein Gebet-B. als Hinweis auf ihren Gebetseifer, bei einem hl. Juristen, wie dem hl. Ivo, das kirchliche Rechts-B. Eine von der gewöhnlichen abweichende Deutung des B. ergibt sich vereinzelt aus der Besonderheit der Darstellung. So bedeutet bei dem Diakon Cyriakus, wenn er als Exorcist wiedergegeben ist, das B. nicht ein Evangeliar, sondern das B. der Exorcismen.
Ständiges Attribut ist das B. nur auf Darstellungen des Herrn, der Propheten und Apostel sowie hl. Päpste und Bischöfe. Auf Wiedergaben sonstiger Heiliger erscheint es mehr oder weniger häufig oder nur vereinzelt. Hl. Mönche und Nonnen, Pilger und Einsiedler haben das B. (Brevier oder Gebet-B.) bisweilen nicht unmittelbar in der Hand, sondern in einem Buchsack (Buchbeutel, Sp. 1343ff.), den sie in der Hand halten oder am Gürtel tragen.
An Stelle eines B., jedoch im gleichen Sinne, begegnet uns, zumal auf Darstellungen Christi, der Apostel, Evangelisten und Propheten, auch wohl in älterer Zeit eine Buchrolle. Allegorische Figuren der Kardinaltugenden auf der Unterseite eines süddeutschen tafelförmigen Portatiles aus dem frühen 11. Jh. im Cluny-Mus. zu Paris weisen eine solche B.-Rolle auf. Seit dem 13. Jh. verschwindet sie als Attribut fast ganz. Häufig ist sie, zumal auf Darstellungen von Aposteln und Propheten, seit dem späten 12. Jh. durch ein Spruchband ersetzt, das sich aber ebenfalls seit dem 16. Jh. wieder verliert.
B. Das Buch als profanes Attribut und Symbol
1. Im Rahmen der sieben freien Künste führt die Grammatik das B. als Attribut (RDK I, Sp. 1063, Abb. 1); ebenso deren Repräsentant, der Schulmeister (Abb. bei Emil Reicke, Lehrer und Unterrichtswesen in der deutschen Vergangenheit, Monographien z. dt. Kulturgeschichte 9, Leipzig 1901). Unter den Kardinaltugenden wird die Weisheit durch ein B. gekennzeichnet (Heinr. Brockhaus, Die städtische Kunst und ihr Sinn, Leipzig 1916, S. 94f.); auch der Philosophie werden B. beigegeben (Boëthius, Trost der Philosophie I, 1). Vor allem ist das B. Sinnbild der Wissenschaft und des Gelehrtenstandes (Emil Reicke, Der Gelehrte in der deutschen Vergangenheit, Monographien zur deutschen Kulturgeschichte 7, Leipzig 1900). Als solches erscheint es in Gelehrten- und Universitätswappen (Théod. de Renesse, Dict. des figures héraldiques 6, 1902, S. 457) und Emblemata (z. B. Zincgrefs Emblem der Universität Heidelberg: liber „semper apertus“, 1619), auf Grabsteinen ([7]; ferner B. Riehl, Augsburg, Leipzig 1903, Abb. 51) und Bildnissen. Zuweilen verselbständigt sich die Bücherbeigabe fast zu einem Bücherstilleben, in dem die Liebe zum B. und der Sinn für seine malerischen Qualitäten künstlerischen Ausdruck findet, so auf Dürers Kupferstich des Erasmus (vgl. a. RDK I, Sp. 1248, Abb. 2). Häufig werden die B. durch Titel als die eigenen Werke des Dargestellten gekennzeichnet, wie auf Hans Burgkmairs Totenbild des Conrad Celtis (1507; P. 118). In Miniaturen wird oft der Verfasser des B. dargestellt, wie er an diesem B. schreibt oder es einem Gönner überreicht; vgl. Autoren- (RDK I, Sp. 1309ff.) und Dedikationsbilder, ebenso B.-Darstellungen in Exlibris und Signeten.
2. Nicht immer ist das B. ehrendes Attribut; es erscheint auch in Spottbildern gegen die Büchergelehrsamkeit, z. B. dem „Büchernarr“ in einem Holzschnitt zu Sebastian Brants „Narrenschiff“. Ein Holzschnitt Hans Burgkmairs zeigt vor einem aufgeschlagenen B. einen Gelehrtenzank, der sich ursprünglich auf gelehrte Ärzte bezog, später aber mit entsprechenden Versen gegen Buchjuristen verwendet wurde (R. Muther, Die deutsche Buchillustration der Gotik und Renaissance, München 1884, Bd. 1, S. 136 u. 138) und so einer Fassadenmalerei am Ulmer Rathaus zum Vorbild gedient hat ([5, S. 67]; Denkmalpflege 3, 1901, S. 74). „Des Juristen Buch“ war nämlich in der Zeit des eindringenden Römischen Rechtes zu einem landläufigen Spottwort geworden, das es im Priamel-Stil anderen Zeitübeln wie Judenwucher und Weiberunzucht gleichstellte, so in der Zimmerischen Chronik (II, 408) und in Murners „Schelmenzunft“. In gleichem Sinne wird auf einem Nürnberger Einblattdruck von 1520 [4, S. 36] der Jurist mit seinem B. neben einem Juden und einer Dirne dargestellt.
3. Aus dem gleichen Grunde konnte das B. als Attribut der Justitia neben Waage und Schwert nur insoweit Eingang finden, als nach Festigung des Römischen Rechts und des absoluten Staates schon die bloße Gesetzmäßigkeit als Gerechtigkeit galt. Eher als in Deutschland war jedoch in Italien angesichts der frühen Entstehung einer städtischen Statutengesetzgebung das B. zum Attribut der Gerechtigkeit geworden ([3, S. 48 u. 51]; Jb. Kaiserh. 17, 1896, Taf. 2; van Marle, Iconographie II, fig. 12 u. 73; L. Zdekauer in Bulletino Senese 20, 1913, S. 387). In Deutschland finden sich solche Darstellungen z. B. im Augsburger Rathaus (das jus civile mit Zepter und B.; [5, S. 77]), im Danziger Artushof (neben einem Richter zwei Frauen mit Waage und Gesetz-B., 1588; Paul Simson, Der Artushof in Danzig und seine Brüderschaften, die Banken, Danzig 1900, S. 187f.), auf der Heidelberger Alten Brücke (Justitia mit Waage, Schwert und vier Folianten, 1790). Jedoch kommt das B. als Gerechtigkeitssymbol nicht annähernd so oft vor wie Waage und Schwert.
4. Auch in Verbindung mit dem Richter ist das Gesetz-B. zunächst nicht oft zu finden. Bis tief ins 16. Jh. ist Attribut des Richters allein der Stab, so insbesondere in den zahlreichen Richterbildern zur Bambergischen Halsgerichtsordnung von 1507. Wie vor einem Thronsessel, so gibt es in diesen Abbildungen auch vor dem Richterstuhl keinen Tisch, auf dem das Gesetz-B. vor dem Richter liegen könnte. Das Protokoll-B. der Gerichtsschreiber erscheint früher als das Gesetz-B. der Richter. Das Gesetz-B. auf dem Richtertisch kommt besonders früh in einer Hamburger Stadtrechts-Hs. von 1497 vor [1, Abb. 196]. Erst nach der Stabilisierung des Römischen Rechtes wird das vor dem Richter liegende B. häufiger [2, Abb. 1 u. 146].
5. Endlich erscheint das Gesetz-B. auch im Zusammenhang mit dem Gesetzgeber. Wie in der Spanischen Kapelle in Florenz als Repräsentant des weltlichen Rechts Kaiser Justinian mit seinem Gesetz-B. dargestellt wird, wie in den Stanzen des Vatikans auf Raffaels Fresko der Kaiser aus Tribonians Händen das Corpus Juris entgegennimmt, so wird Justinian im Amsterdamer Rathaus mit dem Schwerte in der Hand, gestützt auf das Corpus Juris, dargestellt ([5, S. 75]; vgl. a. Reicke, Der Gelehrte, Abb. 41). Aber auch deutsche Gesetzgebungsakte werden abgebildet: in einer Lüneburger Hs. des Sachsenspiegels (ca. 1400) überreicht der Kaiser dieses Rechtsbuch einem Herzog [6, S. 25ff., 28ff.], und auf dem Titelblatt der Gerichtsordnung für Ober- und Niederbayern (1520) sind vor versammelten Amtsträgern die beiden Herzöge zu sehen, wie sie in feierlicher Rede und Gegenrede das zwischen ihnen auf dem Tisch liegende Gesetz-B. dem Gebrauch übergeben (R. Muther a. a. O., S. 263).
6. Die bisher erwähnten B. sind teils Gesetz-B., teils – so in jenem Spottbild Burgkmairs – B. der Rechtsgelahrtheit. Es finden sich noch andere dem Rechtsleben angehörende B., z. B. das Evangelien-B., auf das Eide geleistet werden [1, Abb, 161–163], die Urkund-B. des Notars [2, Abb. 70–72], die für den Notar die Bedeutung eines Attributes haben (Eug. Wohlhaupter in Hdb. d. Symbolforschung 1, Leipzig 1941, S. 158), die Handels-B. des Kaufmanns (z. B. auf Holbeins Bildnis des Georg Gisze).
Über Zauber-B. s. Hexen, über sibyllinische B. s. Sibyllen.
Literatur
Zu A:
Braun, Tracht und Attribute.
Zu B:
1. Hans Fehr, Kunst und Recht, 1: Das Recht im Bilde, Erlenbach - Zürich 1923. 2. Franz Heinemann, Der Richter und die Rechtspflege in der deutschen Vergangenheit (Die deutschen Städte in Einzeldarstellungen), Jena 19242. 3. Georg Frommhold, Die Idee der Gerechtigkeit in der bildenden Kunst, Greifswald 1925. 4. Cornelis Veth, Der Advokat in der Karikatur, Berlin 1927. 5. Ursula Lederle, Gerechtigkeitsdarstellungen in deutschen und niederländischen Rathäusern, Diss. Heidelberg 1937. 6. Helmut Reinecke, Lüneburger Buchmalereien um 1400 und der Maler der Goldenen Tafel, Diss. Göttingen 1937. 7. Das Recht in der Kunst, Berlin 1938. 8. Kurt Gerstenberg, Das Bücherstilleben in der Plastik; Deutschland–Italien, Festschr. für Wilh. Waetzoldt, Berlin 1941. 9. Ernst Rob. Curtius, Schrift- und Buchmetaphorik in der Weltliteratur, Dt. Vierteljahrsschr. f. Literaturwiss. u. Geistesgesch. 20, 1942, S. 359ff.
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