Caritas

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englisch: Charity; französisch: Charité; italienisch: Carità.


Maria Wellershoff–von Thadden (1952)

RDK III, 343–356


RDK III, 345, Abb. 1. London, Bibel von Floreffe, um 1150.
RDK III, 347, Abb. 2. Basel, um 1150.
RDK III, 347, Abb. 3. Nikolaus von Verdun, 1181, Klosterneuburg.
RDK III, 349, Abb. 4. Köln, um 1463.
RDK III, 351, Abb. 5. Hans Peisser, 2. V. 16. Jh., Berlin.
RDK III, 351, Abb. 6. Balth. Permoser, um 1700, Dresden.
RDK III, 353, Abb. 7. Frz. Jos. Spiegler, 1736, Lindau.

I. Begriff und Bedeutung

C. (charitas, karitas, griech. nt.’αγάπη, mhd. liebe bzw. minne, s. [5]) bedeutet die Liebe zu Gott und zum Nächsten (C. est perfecta dilectio in Deum et proximum, Isidor v. Sevilla, Differentarium libri II, Migne, P. L. 83, 92; vgl. auch Augustin, De Trinitate, VIII, 12; Enchiridon, Kap. 32). Diese doppelte Liebe ist das höchste Gebot der Lehre Christi (Matth. 22, 36–40) und der Apostel. Sie gründet allein in der Gnade Gottes (Röm. 5, 5), der selbst C. ist (1. Joh. 4,8), und im Opfertode Christi (Röm. 5, 8; 1. Joh. 3, 16; 4, 10). – Augustin verschmilzt den nt. C.-Gedanken mit dem antiken Erosbegriff. Ihm bedeutet C. im Gegensatz zur nt. Lehre, die die Gleichwertigkeit der beiden Gebote betont, vornehmlich (aufsteigende) Liebe zu Gott, deren notwendige Folge die (sich herabneigende) Nächstenliebe ist (s. [1], II, S. 311f., 259). Die meisten m.a. Theologen schließen sich im wesentlichen dieser Auffassung an, ohne jedoch die Untrennbarkeit beider Richtungen außer Acht zu lassen. – Nach der Aufnahme der antiken Tugendlehre in die abendländisch-christliche Ethik im 4. Jh. wird C. im Verein mit Fides und Spes als „Tugend“ bezeichnet (s. theol. Tugenden). C. ist die höchste Tugend, sie wird das „Fundament“ und die „Wurzel alles Guten“ genannt. In moralischen Traktaten, in Gegenüberstellungen von Tugenden und Lastern werden Gottes- und Nächstenliebe oft getrennt behandelt, ersterer wird odium (invidia), letzterer avaritia gegenübergestellt. An Stelle des Wortes C. werden auch dilectio Dei (proximi) und amor Dei (proximi) verwendet. – Als Personifikation tritt C. in der Literatur kaum in Erscheinung; zum erstenmal in den Visionen des Hermas (2. Jh.; Migne, P. G. 2, 891ff.). Personalmetaphern wie „Königin“ und „Mutter“ werden zwar häufig gebraucht, doch selten verdichten sie sich zur Vorstellung echter Personenhaftigkeit (so bei Richard v. St. Victor, Adnotatio in Ps. 44 (45), Migne, P. L. 196, 322f.; Bernh. v. Clairvaux, Epistolae II, Migne, P. L. 182, 80). Wird C. als handelnde Gestalt mit menschlichen Zügen geschildert, dann nur als C. proximi (z. B.: Zeno v. Verona, Traktate I, 2; Smaragdus, Via regia, Migne, P. L. 102, 937; Rich. v. St. Victor, Tractatus de gradibus caritatis, Migne, P. L. 196, 1206). Die Gottesliebe, die niemals in menschlicher Gestalt erscheint, wird mit dem Feuer, dem brennenden Herzen, dem Licht verglichen; in der Farbensymbolik kennzeichnet das Rot die Liebe (Hugo v. St. Victor, Miscellanea, Migne, P.L. 177, 706). Zur Legende der Märtyrerin C., Tochter der Sophia, s. Braun, Tracht und Attribute 672f.

II. Darstellung

In der bildenden Kunst haben sich die ältesten Personifikationen der christlichen Liebe, als ’αγάπη bezeichnet, in der Katakombe S. Pietro e Marcellino (1. H. 4. Jh.) in Rom erhalten. Agape erscheint als Jungfrau ohne Attribut beim Totenmahl (Wilpert, Katakomben Taf. 133,2; 157; 184). Die personifizierte C. ist bis zum 12. Jh. in der bildenden Kunst ebenso selten wie in der Literatur. Die frühesten Zeugnisse finden sich vom 9.–12. Jh. nur in einigen Illustrationen zur Psychomachie des Prudentius, wo C., feierlich thronend, in der Schlußszene an die Stelle der Concordia tritt (z. B. Leiden, Univ. Bibl. Burm. Cod. Q. 3. fol. 145; R. Stettiner, Die illustrierten Prudentius-Handschriften, Berlin 1895, S. 386 und Taf. 196, Nr. 25).

1. Mittelalter

Erst um die Mitte des 12. Jh. tritt C., oft zusammen mit Fides und Spes, in den neuen allegorischen Programmen (s. Allegorie, RDK I 3 52) der Buch- und Wandmalerei, der Goldschmiedekunst und Plastik auf. Einen einheitlichen, alle Kunstgattungen umfassenden Typ gibt es zunächst nicht. In der Goldschmiedekunst des Maaslandes erscheint C. an Schreinen, Reliquiaren und Retabeln; sie kann Christus, Maria oder einem Heiligen zugeordnet sein oder ohne bestimmten Bezug einem allegorischen Zyklus angehören (so am Klosterneuburger Altar, Abb. 3). Sie wird als Halbfigur dargestellt, ist manchmal mit Flügeln versehen und häufig mit einem Nimbus. Ihre Attribute wechseln, je nachdem, ob sie als C. Dei oder C. proximi aufgefaßt ist oder beide Richtungen vereinigt. Die zur Brust erhobene rechte Hand (Medaillon v. Remaclus-Retabel um 1150 in Basel, Slg. R. v. Hirsch. – Abb. 2; C. heißt hier „Operatio“) oder lediglich ein Text (Ghislain-Schrein in St. Ghislain b. Mons [Beschr. bei Didron, Ann. arch. XXI, 1861, S. 63]; Scheibenreliquiar in Namur, Arch. Mus., um 1170/80, [Braun, Reliquiare, S. 619. – Abb. s. RDK Art. „Demut“]) weisen auf die Gottesliebe; Zeichen der Nächstenliebe sind Pokal (Remaclus-Retabel), Brot und Schale (Gundolfschrein in Brüssel, Mus. Cinquantenaire, um 1170/80 [v. Falke-Frauberger, Deutsche Schmelzarbeiten des MA, 1904, Taf. 80]), die gleichzeitig Symbole zweier Barmherzigkeitswerke und der Eucharistie sind. In der rheinischen Goldschmiedekunst fehlen jegliche Attribute, nur durch Beischriften (Heribertschrein, um 1170/80, Köln-Deutz) und bevorzugte Stellung im Giebel der Schreine (Dreikönigenschrein in Köln, 1181–1220/30; Karlsschrein in Aachen, voll. 1215) wird C. als höchste Tugend gekennzeichnet. Am mannigfaltigsten sind bei fast gleichbleibender Gestalt Bedeutung und Verwendung der C. in der Buch- und Wandmalerei des 12. und 13. Jhs. In der Bibel von Floreffe (um 1150) erscheint C., begleitet von Fides und Spes, in einer allegorischen Illustration zum Buch Hiob, sie trägt ein Spruchband mit den Worten „Diligens diligetur“ (London, Brit. Mus. Add. 17738, fol. 3 v. – Abb. 1). Als Liebe Gottes zu den Menschen (diese durch „filia Syon“ verkörpert) ist C. in der Regensburger Hs. Clm. 13002 von 1165 aufgefaßt (A. Boeckler, Regensburg-Prüf. Buchmalerei, Taf. XII). Die „scala caritatis“, auf der C. nach Überwindung aller Versuchungen zu Gott aufsteigt und zum Lohn die Krone des Himmels empfängt, findet sich im Hortus deliciarum, fol. 215 v, 1175 (RDK I 347, Abb. 2); sie geht wohl auf das Speculum ecclesiae des Honorius Augustod. zurück (vgl. O. Gillen, Ikonogr. Studien zum Hort. delic., Berlin 1931, S. 68). Im Typus der Majestas Domini, feierlich auf einem Regenbogen thronend, die Köpfe von Fides und Spes in den Händen erhebend, erscheint C. schließlich in einer Salzburger Hs. der M. 12. Jh. (Wien, Nat.Bibl., Cod. 1367, Salisb. 251, fol. 92 v [Beschr. Verz. N.F. II, 1926, Fig. 79]). In der Wandmalerei gehört sie einmal, in der Gruppe der theologischen Tugenden, zum Weltgericht (Regensburg, Allerheiligenkapelle, M. 12. Jh.; H. Karlinger, Die hochrom. Wandm., 1920, Taf. VII), ein anderes Mal, als Tugend Marias, zum Salomonischen Thron (Gurk, Westempore des Domes, beg. 1214; Ginhart-Grimschitz, Der Dom zu Gurk, 1930, S. 58ff., Taf. 71). Als Attribut trägt C. nur in der Regensburger Hs. einen Kelch, sonst das allgemeine Tugend-Attribut, die Krone. Als reine Nächstenliebe tritt C., abgesehen vom Maasland, nicht auf, denn im Gegensatz zu der die Einheit des C.-Begriffes betonenden theologischen Lehre trennt die deutsche Kunst Gottes- und Nächstenliebe und bezeichnet letztere dann als Misericordia (s. Barmherzigkeit, RDK I 1458). Die französische Kunst hingegen sieht gerade in der Werktätigkeit ein Gleichnis der C. Das Bild der Frau, die dem Bettler einen Mantel schenkt, entwickelt sich in der Kathedralplastik des ausgehenden 12. Jh. und findet in Paris und Amiens die endgültige bis zur Renaissance vorbildliche Gestaltung. Das Wappentier der C. ist ein Lamm. Dieser französische Typus, der wahrscheinlich von der Gestalt des hl. Martin beeinflußt ist, läßt sich aus den Zyklen der Barmherzigkeitswerke (4. Gebot; s. RDK I 1460), aus den Operatio (Largitas) - Illustrationen der Prudentius-Hss. (z. B. Lyon, Bibl. du Palais des Arts, Ms. 22, fol. 13 b, 11/12. Jh., [Stettiner a. a. O. Taf. 121,1; vgl. auch Taf. 171]) und den Bildern der Gabenverteilung des Utrecht-Psalters (fol. 40 v, fol. 14 r) ableiten. Die älteste nachweisbare Darstellung der Almosenspende, deren Entstehungszeit allerdings nicht bekannt ist, befand sich zur Zeit Hadrians I. im älteren Lateranpalast (Lib. pont., Duchesne I, 1886, S. 502); frühchristliche Bilder haben sich nicht erhalten. – Der französische Typus kehrt in Deutschland nur A. 14. Jh. bei der C. am Südportal des Wormser Domes wieder (Zs. f. chr. K., 1920, S. 5). Sie ist die einzige monumentale C.-Plastik der deutschen Kunst des MA.

In den Psychomachien spielt C. als kämpfende Tugend zunächst keine Rolle. Nur Herrad von Landsberg nimmt sie einmal in die Reihe gerüsteter Tugenden auf (Hort. del., fol. 200 r). Erst seit A. 14. Jh. gehört C. häufiger zu den Darstellungen der Psychomachie. Stets wird sie als Gottesliebe aufgefaßt, deren Gegnerin Invidia ist, während der Largitas als Nächstenliebe Avaritia gegenübersteht. Französischer Herkunft ist der „Triumphtypus“ auf einem Glasfenster in Mülhausen (1350), der C. stehend auf dem überwundenen Laster zeigt (Lutz-Perdrizet, Speculum hum. salv. I, 1907, Taf. 115). In den Kampfzyklen, die sich hauptsächlich in der Buchmalerei, manchmal auch auf Teppichen, finden (s. Tugenden und Laster), entsteht ein neuer C.-Typ, der mit den älteren Bildern nichts mehr gemeinsam hat. Wie die anderen Tugenden ist C. oft beritten. Attribute, die aus der Fabel-, Tier- und Pflanzenwelt entnommen sind, bezeichnen ihre Eigenschaften. Sie veranschaulichen nicht mehr das Wesen der C. (wie z. B. die Gabenspende), sondern verschlüsseln es symbolisch, so daß sie nur bei entsprechenden literarischen Kenntnissen verständlich sind. Im „Lumen animae“, der ältesten Hs., in der diese neue Symbolik voll entwickelt ist (1332 datiert; Bibl. Vorau 261 (130 [–1]) fol. 110 [Beschr. Verz. Bd. IV, 1911, S. 202/204]), ist „Orasmus“ das Reittier, „Coredulus“, Pelikan und Harpye sind auf Rüstung, Schild und Fahne verteilt. Die Bedeutung des Orasmus, manchmal auch „Orasius“ genannt, ist u. W. noch nicht geklärt. Eine Definition des Coredulus gibt Isidor von Sevilla (Etymolog., Migne, P.L. 82, 463) ... „genus volatile, quasi cor edens“. Der Vogel wird zum Sinnbild der C., weil auch die Liebe das Herz verzehrt. (Weitere Hss. genannt bei v. d. Leyen – Spamer, Die altdt. Wandteppiche im Regensburger Rathaus, 1910, S. 38/39). Auf einem Teppich des Regensburger Rathauses, A. 15. Jh., sind stehende Tugenden und reitende Laster entgegengesetzt. Der durch eine Krone ausgezeichneten C. sind der die Jungen anhauchende Löwe als Schild, ein Baum mit Vögeln auf dem Banner und ein Engel, der in einer Schale eine herzförmige Flamme trägt, als Attribute beigegeben (Kurth, Bildteppiche III, Taf. 244–246; ebenso Cod. Casanat. 1404, ebd. I, Abb. 83). Die Attribute des „Lumen animae“ wiederholen sich, ausgenommen die Harpye, in dem „Buch der heben Todsünden und Tugenden“ (Augsburg 1474). Noch in der Renaissance, als die italienischen C.-Typen (s. u.) sich bereits durchgesetzt haben, lebt die ma. Tiersymbolik in vereinzelten Beispielen weiter. H. Aldegrever verwendet 1552 auf einem Stich Pelikan, Löwe und einen Vogel, wohl Coredulus (M. Geisberg, H. Aldegrever, Westf. Kunsthefte, 1939, S. 81); auf einer Ofenplatte des frühen 17. Jh. reitet C. auf einem Elefant über Herodes hinweg (Schloß Haggn, Inv. Bayern IV, 20, Abb. 73).

Bei den Darstellungen der Kreuzigung Christi durch Tugenden, die sich, im 13. Jh. beginnend, durch das ganze MA hinziehen, vollführt C., immer zur Rechten des Gekreuzigten stehend, den Lanzenstich, worin der Liebestod Christi seinen symbolischen Ausdruck findet. Gewöhnlich fängt Ecclesia das Blut auf, weil die Kirche den Menschen die Lehre vom Opfertod Christi verkündet. Auf dem Kölner Tafelbild um 1460 „Christus und C. in einer Landschaft“ (Abb. 4) hat C. die Funktion der Ecclesia übernommen, sie hält aber gleichzeitig noch die Lanze in der Hand, was bedeutet: Christus ist aus Liebe zu den Menschen gestorben und sein Blut ist die Erlösung, die den in der C. lebenden Menschen zuteil wird (Überschneidungen der C.- und Ecclesiavorstellung lassen sich in der theologischen Literatur des MA nachweisen: Ecclesia und C. sind Braut und Mutter; zur verwundenden Kraft der Ecclesia und C. vgl. Honorius Augustod., Expositio in Cant. Cantic., Migne, P.L. 172, 419; Hugo v. St. Victor, De laude caritatis, Migne, P. L. 178, 974f.).

Für die Seltenheit der C. in der deutschen im Gegensatz zur französischen und italienischen Kunst des MA gibt es mehrere Gründe: 1. das Fehlen umfassender Fassadenprogramme, 2. die geringe Verwendung personifizierter Tugenden und 3. die Verehrung der hl. Elisabeth, die seit ihrer Kanonisation i. J. 1235 zur Verkörperung der barmherzigen Nächstenliebe geworden ist (ihre Attribute sind z. T. die gleichen wie die der C.).

2. Renaissance

Zu Beginn des 16. Jhs. gelangen die italienischen C.-Typen nach Deutschland und verdrängen die ohnehin nicht bedeutenden deutschen Figuren. Bei einem Überblick über die Entwicklung der italienischen C.-Darstellung ergibt sich, daß man die im 13. Jh. getrennt behandelten Richtungen C. Dei und C. proximi seit dem 14. Jh. (zuerst bei Giotto, Arenakapelle) in einer Gestalt vereinigt. Symbol der C. Dei ist seit Niccolo Pisano das aus der Literatur übernommene Feuer [4 S. 72ff.]. Attribute der C. proximi sind Füllhorn und vor allem Kinder, die zumeist genährt werden und ursprünglich Sinnbild der ganzen liebebedürftigen Menschheit sind. Das Bild der nährenden Mutter geht letzten Endes auf antike Tellus (Terra)-Darstellungen zurück [5 S. 169ff.], es hängt zugleich mit der Maria lactans zusammen. Bestimmend für die Vorstellung der C. als Mutter waren aber auch literarische Quellen: Gebote Christi (Mark. 9, 36f.), die Vergleiche der christlichen mit der mütterlichen Liebe (u. a. Zeno v. Verona, a. a. O., Thomas v. Aquino, Sum. theol. II, 2, qu. 27. a. 1, Bernhard v. Clairvaux, a. a. O.) und schließlich die Symbolik des Nährens [5 S. 173f.].

Mit der Frührenaissance setzt eine zunehmende Vermenschlichung ein, die Kinder verlieren den streng symbolischen Charakter, ihre Anzahl wird vermehrt, das Motiv des Nährens tritt zurück und oft sind die Kinder, und nicht die C., Hauptgegenstand der Darstellung. Folge der allmählichen Säkularisierung ist eine Trennung der zwei Richtungen und die bevorzugte Darstellung der Nächstenliebe.

Von den mannigfachen Typen, die vom 13.–16. Jh. in Italien entstanden, seien nur die für Deutschland wichtigen genannt: 1. Die C. als Gottesliebe (mit Flammensymbol). 2. Die C. als Nächstenliebe: „Tellus-Typ“ (C., sitzend oder stehend, hält auf jedem Arm ein Kind, manchmal werden beide gleichzeitig genährt); „Quercia-Typ“ (stehende C. trägt ein Kind auf dem Arm, ein zweites steht neben ihr); „Filippino Lippi-Typ“ (stehende C. hält ein Kind auf dem Arm, zwei weitere stehen neben ihr); liegende C. (mit zwei oder drei Kindern). Bei den sitzenden C.-Figuren der Renaissance mit mehreren, meistens drei Kindern handelt es sich um individuelle Formulierungen, die sich nicht mehr zu festen Typenreihen zusammenfassen lassen.

Die deutsche Kunst übernimmt nur die späten C.-Typen, deren einziges Thema C. proximi (als Mutterliebe) ist. Erst seit der Renaissance bedeutet C. in der deutschen Kunst Nächstenliebe.

H. Burgkmair faßt auf einem Holzschnitt um 1510 noch einmal beide Richtungen zusammen (Quercia-Typ und Feuer [M. Geisberg, Bilderkatalog z. dt. Einblattholzschnitt, 1930, Nr. 477]; ähnlich auf einem Brüsseler Teppich in Wien); doch bleiben dies Ausnahmen. Wohl durch Vermittlung von italienischen Stichen erscheint C. zunächst in der süddeutschen Graphik (Burgkmair, Beham) und Kleinplastik (Plaketten und Medaillen von Flötner, Weiditz, Stampfer, Militz, Peisser; Abb. 5), sei es liegend, sitzend oder stehend, bisweilen geflügelt und manchmal mit entblößtem Oberkörper. Die bedeutendste C.-Darstellung aus dem A. 16. Jh. ist eine Zeichnung von Grünewald in Berlin (sitzende C. mit zwei Kindern, [3] Taf. 55 a). L. Cranach, der auf mehreren Tafelbildern das C.-Thema variiert (Friedländer-Rosenberg Nr. 185ff. 325ff.), gleitet mit seinen von spielenden Kindern umgebenen nackten, meist sitzenden, Frauengestalten ins Genrehafte ab. Dieser Gefahr sind überhaupt alle sitzenden und liegenden C.-Figuren ausgesetzt, während die stehenden Gestalten, unter denen der Quercia- und Fil. Lippi-Typ vorwiegen, eher zu einem starren Schematismus neigen. Die m.a. Symbolik vermischt H. Aldegrever mit dem italienischen Mutterbild: er fügt der stehenden C., die ein Kind trägt, auf Wappen, Helmzier und Fahne noch Löwe, Lamm und Hund hinzu (s. o.). Ein Hund begleitet auch die C. des H. S. Beham (um 1539, Quercia-Typ, geflügelt; G. Pauli, 1901, Taf. XVI, Nr. 133).

Seit der M. des 16. Jh. tritt die C. auch in der Monumentalplastik auf. Gewöhnlich mit anderen Tugenden zu einem größeren Programm gehörend, findet sie in der kirchlichen Kunst mannigfache Verwendung, und die Fülle der C.-Bilder wird vor allem in den protestantischen Gebieten unübersehbar.

C. dient, häufig mit Fides und Spes vereint (die theol. Trias erscheint unter deutschem oder lateinischem Namen), zum Schmuck von Grabmälern, Epitaphien, Kanzeln und Altarretabeln (vgl. RDK I 576). Doch nur selten wird durch die Aufstellung verdeutlicht, daß die C. die höchste Tugend ist, sei es, daß sie die Architektur bekrönt (Grabmal v. d. Gabelentz um 1592, Mainzer Dom [R. Kautzsch, Der Mainzer Dom u. s. Dkm., Frankfurt 1925, Taf. 145]), sei es, daß sie sich in der Mitte der Tugenden befindet, wie die sitzende C. mit vier Kindern am Testatorgrab in Marburg (1590–92, Luth. Pfarrkirche). Liegende Gestalten werden zumeist auf Giebeln und Voluten angebracht. – Ebenso häufig wie in der kirchlichen Kunst ist die C. in der profanen. Sie erscheint an Portalen, in der Wandmalerei (Schloß Freisaal, Salzburg, 1558), in Bildteppichen (C.-Teppich in der Folge der 7 Tugenden von Franz Geubels, Brüssel 2. H. 16. Jh., in Wien [H. Schmitz, La collection de tapisseries viennoise, Wien 1922, Taf. X]; C. mit dem brennenden Herz in der Hand, umgeben von Kindern, allegorischen Szenen und Symbolen), in Ratstuben (Lüneburg, 1568), an Bürgerhäusern, auf Kaminen, Ofenplatten, Schränken (bes. in Westfalen u. Schlesw.-Holstein) und selbst auf Schmuckstücken (Grünes Gewölbe, Dresden; Sponsel III, Taf. 4). Die einzige Gestalt, die durch ihre Stellung und künstlerische Qualität aus der Menge monotoner Wiederholungen herausragt, ist die Statue über dem Hauptportal des Ottheinrichbaus in Heidelberg, die den geistigen und kompositionellen Mittelpunkt des Fassadenprogrammes bildet. Hier ist in freier Form der repräsentative „Tellus-Typ“ aufgegriffen, – Während die italienische und vor allem auch die niederländische Kunst das Thema der Mutterliebe mit immer neuer Ausdruckskraft erfüllen (Bernini; B. Strozzi; J. Massys; A. Benson; Rubens; van Dyck u. a.), erliegen die deutschen Darstellungen der 1. H. 17. Jh. einer im Schematismus erstarrenden unschöpferischen Wiederholung.

3. Barock

Im Gegensatz zur Renaissance, in der die sitzende C. ebenso beliebt war wie die stehende, bevorzugt der Barock in der Plastik die stehenden Figuren, unter denen die des Quercia-Typ weitaus die häufigsten sind. Daneben wird die liegende C. auf Giebeln und Voluten beibehalten. Die Verwendung der C. bleibt in der kirchlichen und profanen Kunst unverändert. Obwohl sich die Barockzeit im Vergleich zur Spätrenaissance auf eine kleinere Anzahl von C.-Typen beschränkt, wird die Formelhaftigkeit der voraufgegangenen Epoche überwunden und das Wesen der christlichen Liebe wieder adäquater zum Ausdruck gebracht. Dennoch sind Werke von hoher Qualität selten, es gibt kaum eines, das Permosers C. vom Freiberger Fürstinnengrab gleichkäme (Quercia-Typ, 1702–04 [M. Sauerlandt, Dt. Plastik des 18. J., München 1926, Taf. 15]; vergleichbar die C.-Figur aus Pöppelmanns Garten [zerstört; W. Boeckelmann, B. Permoser, Traunstein 1951, S. 40ff.], s. Abb. 6); und bei wenigen sind Anmut und Innigkeit so überzeugend vereint, wie bei der Statue von Fr. Chr. Glume in der Französischen Kirche zu Potsdam (Quercia-Typ, 1752; E. Köllman, Glume, S. 77f., Abb. 9) und einer ostpreußischen Figur des späten 18. Jh. aus dem Braxeinschen Grabgewölbe (Quercia-Typ, um 1785, Gutspark zu Tharau; A. Ulbrich, Gesch. d. Bildhauerk. in Ostpreußen, 1926/29, Bd. II, Taf. 48). – In der barocken Decken- und Tafelmalerei erscheinen die aus der Plastik bekannten C.-Typen (z. B. Quercia-Typ: Grisaille von Fr. J. Spiegler, Ottobeuren, nördl. Stiegenhaus z. Kaisersaal, 1724). Sie haben aber, zumal, wenn sie einem großen allegorischen Programm angehören, wenig Eigenbedeutung (A. F. Maulpertsch, Entwurf für ein Deckenfresko, um 1765, Wien, Barockmus., Nr. 40 [Das Barockmuseum, 19342, Abb. 170]). Auf einer Altartafel Trogers im Wiener Barockmus. ist C., die ein schlafendes Kind auf dem Schoß hält, den Figuren der Fides und Spes untergeordnet (Himmelfahrt des hl. Nepomuk um 1750, M. Goering, Taf. 42f.). C. als Gottesliebe mit dem Attribut des brennenden Herzens ist in der Kunst der Renaissance und des Barock sehr selten. Genannt seien als Beispiele die Figur aus dem Fresko „Triumph der christlichen Tugend“ von Fr. J. Spiegler im Lindauer Damenstift (H. Ginter, Südwestdt. Kirchenmalerei des Barock, Augsb. 1930, S. 57. – Abb. 7) und die Plastik von J. A. Pfaffinger am Hochaltar der Salzburger Kollegienkirche, A. 18. Jh. (L. Pretzell, Salzb. Barockplastik, 1935, Taf. 52).

Zu den Abbildungen

1. London, B.M. (Add. 17738), Bibel von Floreffe, fol. 3 v: Miniatur zu Beginn des Buches Hiob. Maasschule um 1150. Phot. Mus.

2. Basel, Slg. Robert von Hirsch. Schmelzplatte vom Retabel des ehem. Remaclusaltars aus Stablo, um 1150 (vgl. RDK I 531 Abb. 2). Phot. Besitzer.

3. Nikolaus von Verdun, Klosterneuburger Altar, 1181. Schmelzplatte mit Zwickelfigur. Phot. Österr. Lichtbildstelle, Wien.

4. Köln, Wallraf-Richartz-Mus., Inv. Nr. 152. Christus und Caritas in einer Landschaft, Tafelbild, kölnisch um 1460. Phot. Bildarchiv Rhein. Mus., Köln.

5. Hans Peisser (um 1505 bis nach 1571), Caritas. Bronzeplakette, 2. V. 16. Jh. Berlin, D. M. Phot. Stoedtner 121 064.

6. Balthasar Permoser (1651–1732), Caritas aus dem Garten M. Dan. Pöppelmanns in Dresden, um 1700, Sandstein, Höhe 1.75 m. Zerstört 1944. Phot. Elis. Wehlitz, Dresden.

7. Frz. Jos. Spiegler (1691–1757), Deckenbild im Festsaal des Damenstifts in Lindau. 1736: Triumph der christlichen Tugend. Ausschnitt. Phot. Jeannine le Brun, Konstanz.

Literatur

1. Anders Nygren, Eros und Agape, Gestaltwandlungen der christlichen Liebe, I und II, Gütersloh 1930 und 1937. – 2. A. D. Sertillanges, La Charité, Paris 1913. – 3. Edgar Wind, Charity, The case history of a pattern. Journ. of the Warburg Institute I, 1938, 322ff. – 4. R. Freyhan, The evolution of the Caritas-figure in the 13th and 14th centuries. Journ. of the Warburg and Courtauld Inst. XI, 1948, 68ff. – 5. M. von Thadden, Die Ikonographie der Caritas in der Kunst des MA, Diss. Bonn 1951 (masch.). – 6. Didron, Ann. arch. 21, 1861, 5ff. – 7. Mâle II, 144ff.; III, 315ff. – 8. Künstle I, 156ff. – 9. van Marle, Iconographie II, 36ff. – 10. Molsdorf Nr. 1040, 1058. – 11. Buchberger II, 757ff.; VI, 558ff.

Verweise