Chastelaine von Vergi

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englisch: Chastelaine de Vergi; französisch: Châtelaine de Vergi; italienisch: Chastelaine de Vergi, madama di Verziero.


Hans Martin von Erffa (1952)

RDK III, 424–426


RDK III, 423, Abb. 1. Paris, 1. H. 14. Jh.
RDK III, 425, Abb. 2. Wien, 1. H. 14. Jh.

Die C. oder Schloßherrin von Vergi ist eine m.a. Versnovelle, die in Frankreich in der 2. H. 13. Jh. entstand (älteste Hs. von 1288) und Verbreitung über ganz Europa fand. Sie wurde ins Holländische, Deutsche und Italienische übersetzt und blieb bis ins 18. Jh. hinein in vielen Varianten lebendig; der Herausgeber [1] kennt 15 Texte aus dem 14.–16. Jh. Ihr Inhalt ist der Liebesroman der jungen Herrin des burgundischen Schlosses Vergi und eines Ritters am Hofe des Herzogs von Burgund. Ein Hündchen, von der C. dressiert, dient als Bote zu ihrem Liebhaber, der ihr strengstes Schweigen über ihr Verhältnis gelobt hat. Die Herzogin, ebenfalls zu dem Ritter in Liebe entbrannt, erreicht durch verschiedene Intrigen, daß der Ritter dem Herzog das Geheimnis seiner Liebe entdeckt. Dieser Bruch des Schweigegelöbnisses verursacht den Selbstmord zuerst der C., dann auch des Ritters, als er die Leiche seiner Geliebten findet. Der Herzog erfährt die Zusammenhänge, erschlägt daraufhin seine Gemahlin und nimmt das Kreuz. Über die zahlreichen Veränderungen, welche die Fabel im Lauf der Jahrhunderte erlebte, s. [1].

Diese, in ihrer Kürze und ihrem dramatischen Aufbau höchst eindrucksvolle Begebenheit hat, wohl besonders durch das ihr innewohnende tragische Element, die m.a. Profankunst mehrfach befruchtet. Nur zwei Hss. des Romans aus dem 14. Jh. sind illustriert und auch diese nur mit je einem Bild: dem Herzog, der hinter einem Busch die Liebenden beobachtet (Paris, Bibl. nat. nouv. acq. fr. 2136 und 4531).

Unabhängig von dieser Illustration gibt es eine Gruppe französischer elfenbeinerner Minnekästchen aus der 1. H 14. Jh., auf denen der Roman in breiter Form erzählt ist. Die Ähnlichkeit untereinander ist so groß, daß sie aus der gleichen Quelle stammen müssen. Der Deckel zeigt den Beginn der Erzählung in acht Szenen, zuweilen in Vierpässen; auf den Schmalseiten folgt die Entdeckung des Geheimnisses und das blutige Ende.

Elfenbeinerne Minnekästchen in: Paris, Louvre, Kat. Molinier Nr. 61 (Abb. 1); New York, Metropol.Mus., Stiftung P. Morgan; Mailand, Mus. Archeol.; London, B.M. (Kat. Dalton Nr. 367 u. Taf. 83–85); Wien, Slg. für Plastik und Kunstgewerbe im Kh. Mus. (Abb. 2; – s. auch E. v. Sacken, Kunstwerke und Geräte des MA u. d. Renss. in d. Ambraser Slg., Wien o. J. (1864–70), S. 12f. u. Taf. IV); Deckel eines Minnekästchens, Elfenbein, in Lyon, Slg. Claudius Côte (Kat. Taf. 20); Elfenbeintafeln von Minnekästchen in Florenz, Nat.Mus. (Kat. 1898 Nr. 117 S. 234) und ehem. Slg. Engel-Gros in Ripaille. Minnekästchen aus 2. H. 14. Jh. im Metropol.Mus. New York.

Eine Silberschüssel des Herzogs von Anjou zeigte ein Email mit der Darstellung eines sich an den Händen haltenden Paares, wobei ein Hündchen an dem Manne emporsprang [2 Bd. I S. 510]; auch diese Szene könnte dem Roman der C. entnommen sein. Als Illustration zu einer italienischen Version der C. entstand im 14. Jh. ein größerer Zyklus von Fresken im Palazzo Davizzi-Davanzati in Florenz [4; 5].

Zu den Abbildungen

1. Paris, Louvre, frz. Minnekästchen 1. H. 14. Jh., Elfenbein. H. 9,5 cm, Br. 16 cm. Rückansicht. Nach [2] Taf. 222.

2. Wien, Kh.Mus., Slg. für Plastik und Kunstgewerbe, frz. Minnekästchen 1. H. 14. Jh., Elfenbein. H. 6 cm, Br. 21,1 cm. Vorderansicht. Phot. Museum.

Literatur

1. La Chastelaine de Vergi, ed. Gaston Raynaud und L. Foulet, Paris 1921 (= Collection des classiques français du moyen-âge). – 2. Raymond Koechlin, Les ivoires gothiques français, Paris 1924, I 509–13; II 460–63. 3. Hans R. Hahnloser, Nachwort zu „Die Chastelaine von Vergi“, Nachdichtung von Maria Neußer, Zürich – Wien – Leipzig o. J., S. 74–84. – 4. Walter Bombe, Un roman français dans un palais florentin. Gazette des Beaux-Arts 53, 1911, II S. 231–42. – 5. Ders. in Florentiner Mitt. 2, 1912/17, S. 1–25.