Coronis
englisch: Coronis; französisch: Coronis; italienisch: Coronide.
Hans Martin von Erffa (1953)
RDK III, 862–866
I. Quellen, Fabel
C., Tochter des Phlegias, ist die Mutter des Äskulap. Ihre Geschichte ist in mehreren Varianten überliefert, deren wichtigste für uns die Fassung Ovids ist, welche auf Hesiod zurückgeht. Die übrigen siehe bei [1] und [2].
C. (auch Arsinoë genannt, Tochter des Lapithenkönigs Phlegias von Larissa in Thessalien) ist die Geliebte Apollos. Als sie ihn mit einem Gastfreund ihres Vaters, Ischys, betrügt, erfährt Apollo davon durch den Bericht seines Raben. Er nimmt Bogen und Köcher, eilt zu C. und durchbohrt ihr Herz mit einem Pfeil. C. teilt ihm sterbend mit, daß sie von ihm ein Kind erwartet. Apollo bereut seine Tat, sucht Heilkräuter und probiert vergebens die Geheimnisse seiner Arzneikunst; C. stirbt. Noch auf dem Scheiterhaufen, der die Leiche verbrennen soll, nimmt Apollo sein Kind (Äskulap) von ihr und übergibt es Chiron, um es aufzuziehen. Den ehemals weißen Raben aber verwandelt er im Zorn über dessen Schwatzhaftigkeit in einen Vogel mit schwarzem Gefieder (Metam. II, 531–50, 596 bis 632).
Mit dieser Erzählung verknüpft Ovid die Fabel von einer anderen Coronis, welche die Krähe dem Raben auf seinem Weg als Warnung mitteilt: sie, die Krähe (griech. κορώνη, mit C. oder Coronida gleichgesetzt), sei ursprünglich die Tochter des Königs Coroneus gewesen; als sie am Gestade des Meeres gewandelt sei, habe Neptun sie wegen ihrer Schönheit verfolgt, und nur durch Minervas Hilfe, die die Fliehende in eine Krähe verwandelt habe, sei sie gerettet worden. Als solche wurde sie der Begleitvogel Minervas, bis sie von dieser wegen ihrer Schwatzhaftigkeit (s. Erichthon) verstoßen und durch die Eule ersetzt worden sei (Metam. II, 569 bis 588).
Es ist also zwischen zwei C.-Fabeln zu unterscheiden, die sich auf zwei verschiedene Frauen beziehen; beider Geschichte ist aber bei Ovid ineinander verflochten, wobei die der Phlegiastochter die Rahmenerzählung bildet.
II. Darstellungen
Die illustrierten Ovidausgaben haben daher meist folgende Darstellungen: a) die Tötung der C. durch Apollo (aus der Rahmenfabel); b) die Verfolgung der C. durch Neptun, zugleich deren Verwandlung in eine Krähe (wegen der Abfolge im Text meist vorangestellt). An weiteren Darstellungen kommen vor: die Geburt des Äskulap aus dem Leib der toten Mutter; die Bestrafung des Raben durch Wandlung seines Gefieders (die eigentliche Metamorphose der Rahmenhandlung); das Gespräch zwischen Rabe und Krähe; die Verbrennung der Leiche C. (die beiden letzteren Darstellungen jedoch nur in Verbindung mit anderen Bildern).
a) Coronis, Tochter Phlegis’
Schon die illustrierten Hss. des Ovide moralisé enthalten die Tötung der C. durch Apollos Pfeil. Im Cod. Gothanus Membr. I 98 (oberital. 14. Jh.) erscheint Apollo zweimal: links berichtet der im Baum sitzende weiße Rabe ihm von der Untreue der C., rechts schießt er seinen Pfeil ab, der die unten stehende C. ins Herz trifft. In der frz. Hs. des 14. Jh. (Paris, Bibl. de l’Arsenal ms. 5069) werden der Fabel drei Bilder gewidmet: Minerva verstößt die Krähe C., Apollo tötet seine Geliebte, Apollo verwandelt den Raben. – Die Tötung der C. durch Apollo ist auch im Ovide moralisé in Lyon (Bibl. de la Ville, ms. 742) dargestellt: „Comment phebus occist s amye.“
Im Brügger Oviddruck des Colard Mansion von 1484 ist die C.-Fabel nicht illustriert. Die venezianischen Ovidausgaben, auch die erste italienische Übersetzung des Jac. de Leco von 1522, zeigen nur die später seltene Szene der Entbindung der auf einem Bett liegenden C.; auf dem danebenstehenden Baum sieht man Rabe und Krähe im Gespräch. Wenig folgenreich sind auch die derben Holzschnitte des Jörg Wickram in der 1545 bei Schöffer in Mainz erschienenen deutschen Ovidausgabe: auf dem mit „Coronis“ bezeichneten Blatt sieht man rechts C. auf der Flucht vor dem zielenden Apollo; zwischen beiden der (schwarze!) Rabe; links die tote C. auf dem Scheiterhaufen, davor Apollo mit dem Äskulapknaben, welchen er im Hintergrund rechts dem Chiron übergibt; auch hier wieder die beiden Vögel im Baum. Eine geringe Wirkung hat auch die Darstellung der Szene in dem nur die drei ersten Bücher umfassenden Lyoner Ovid von 1556: im Vordergrund Apollo, der die sterbende C. umarmt, während er oben in Wolken noch einmal erscheint, unter ihm auf der Erde Chiron mit dem Knaben im Arm.
Als außerordentlich folgenreich erweist sich die Komposition des Franzosen Bernard Salomon in seiner Lyoner Ovidausgabe von 1557 [3, Taf. XV]. Die Szene ist hier ganz auf die Haupthandlung konzentriert (Abb. 1): Apollo, den Raben an der Schulter, steht mit dem Bogen in der Hand, Köcher und Leier liegen am Boden; im Hintergrund die zu Tod getroffene C.
Diese Komposition übernimmt dann auch Virgil Solis (Frankfurt 1563 und spätere) mit leichten Veränderungen, der für viele deutsche und niederländische Ausgaben zum Vorbild wird (z. B. Leipzig 1582, 1596, 1650; Antwerpen 1615), wie auch der einflußreiche Antonio Tempesta, dessen erste Metamorphosen-Illustrationen kurz vor 1600 erschienen, und daran anschließend dessen französische Kopisten, vor allem Isaac Briot, Paris 1619 ss., und Crispin de Passe, Köln 1602 und 1607. Auch J. J. Sandrart wiederholt in seiner Apollo-C.-Szene (gest. v. Ch. Engelbrecht, Nürnberg 1698) im wesentlichen Salomons Komposition. Etwas bereichert wird die Szene nur durch den Scheiterhaufen im Hintergrund und die Entbindung mit Apollos Hilfe (z. B. in den Ovidausgaben Salzburg 1705 und Den Haag 1728). Doch noch bis tief ins 19. Jh. hinein kann man Salomons Wirkung verspüren, z. B. in einem italienischen Ovid mit Lithos von Ant. Zezon, Neapel 1840. Hendrik Goltzius stellt in seiner Ovidfolge (1589–90; Bartsch III S. 62f.) Apollo und C. als Liebespaar dar, in weiteren Bildern die Tötung der C. und die Übergabe des Knaben an Chiron. Goltzius’ Stich B. 34 diente als Vorlage für eine Silberschale von 1671 in Leeuwarden [3, S. 116 Anm. 1.].
Joh. Wilh. Baur († 1640) bringt, obwohl auch von Salomons Komposition abhängig, in die Apollo-C.-Erzählung den neuen Zug des Zorns Apollos auf den Raben (Wiener Ovidausgabe 1641, Blatt 21). Dessen Verwandlung in einen schwarzen Vogel wird von Séb. Le Clerc und Frç. Chauveau (Paris 1676) und den von ihnen abhängigen Stechern (z. B. Amsterdam, frz. Ausg. 1679; Augsburg 1694; Amsterdam, holl. Ausg. 1700) als einzige Illustration des ganzen C.-Mythus aufgenommen: Apollo, in einem Innenraum stehend, weist mit strafender Hand auf den am Boden sitzenden schwarzen Vogel. Spätere Kopisten Le Clercs verlegen die Szene ins Freie und zeigen im Hintergrund die verwundete C.
Außerhalb der illustrierten Ovidausgaben ist die Darstellung der Fabel selten; eine moralische Absicht war in ihr nur schwer bildhaft zu machen, zumal als schuldiger Teil der Rabe angesehen wurde. Aus dem MA sind noch die Illustrationen im Livre d’Othéa um 1400 zu nennen (Marburger Jb. 10, 1937, 136f.): die Tötung der C. (fol. 117 v) und die beiden Vögel im Baum (fol. 119).
Ein in mehreren Fassungen erhaltenes Bild Adam Elsheimers (London, Slg. Alec Martin; Corsham Court, Lord Methuan u. a.) ist erst jetzt als Darstellung der Apollo-C.-Erzählung erkannt worden (E. Holzinger, Elsheimers Realismus, Münchner Jb. III. F. 2, 1951, 218f.). Neben der tödlich getroffenen schwangeren C. bückt sich Apollo, um am Boden nach Kräutern zu suchen, während im Hintergrund bereits der Scheiterhaufen gerichtet wird.
b) Coronis, tochter Coroneus’
Die Verfolgung der Coroneustochter C. durch Neptun findet sich ebenfalls schon in den Hss. des Ovide moralisé. Im Cod. Gothanus Membr. I 98 sieht man den Meergott aus dem Wasser auftauchen und die sich wehrende C. ergreifen; in der oberen Bildhälfte spricht Minerva aus den Wolken zu der bereits halb zur Krähe verwandelten C. Die frühen Oviddrucke gehen auf diese Szene nicht ein. Erst in der Lyoner Ausgabe der Bücher I–III von 1556 erscheint nun die eigentliche Verwandlung: Neptun fährt, groß im Vordergrund, in seinem Meerwagen, während hinten C. enteilt, halb Mensch, halb Vogel. In den Wolken erscheint die helfende Minerva.
Auch hier erweist sich Bernard Salomon als der Erfinder der einfachsten und wirkungsreichsten Formel (Abb. 2), und von der Lyoner Ausgabe von 1557 an finden sich nun fast immer die C.-Neptun-Szene und die C.-Apollo-Szene nebeneinander als einzige Illustrationen der C.-Fabel: Salomon verzichtet auf Minerva und gibt den Meergott am Strand laufend wieder, hinter ihm im Wasser seine Meerrösser. Die rechte Bildhälfte füllt die davoneilende C., ein Zwitterwesen von in der Folge nun oft variierter Gestalt.
Über Virgil Solis und A. Tempesta findet diese Komposition, nur wenig verändert, ihren Weg in die meisten Ovidausgaben der einzelnen Länder. Bei Tempesta und seinen Folgern ist das Krähenhafte der C. Salomons zugunsten einer Frauengestalt mit Flügeln zurückgedrängt. H. Goltzius zeigt sich in seiner Folge von Salomon und Tempesta abhängig. In der Antwerpener Ovidausgabe von 1591 (Plantin-Moretus) schwebt C. ein zweitesmal als Krähe in der Luft. Bei Sandrart (Nürnberg 1698) fehlt die Szene. Doch läßt auch sie sich ins 19. Jh. hinein verfolgen (z. B. in den verbreiteten Stichen der schönen Pariser Ausgabe von 1767–71, von denen Kopien in der dreibändigen deutschen Ausgabe, Augsburg 1802, erschienen, sowie noch in dem erwähnten italienischen Ovid, Neapel 1840).
Ovidausgaben, die die Illustrationen der Metamorphosen buchweise in vielfigurige Titelkupfer zusammenfassen, haben die beiden Szenen unverändert in diese aufgenommen (Beispiele: Paris, Morelli, 1637; London 1724, 1751).
Zu den Abbildungen
1. und 2. Virgil Solis nach Bernard Salomon, Holzschnitte aus Ovids Metamorphosen, Frankfurt a. M. bei Sigm. Feyerabend 1563. (Abb. 1: Blatt 30; Abb. 2: Blatt 29). Phot. Verf.
Literatur
1. Roscher I 616–18, „Asklepios“ (Thraemer); II, 1387–90, „Koronis“ (1) und (2) (Stoll). – 2. Pauly-Wissowa II, 1, 1279f., „Arsinoë“ (18) (Thraemer); XI, 2, 1431–34, „Koronis“ I (Lackeit). – 3. M. D. Henkel, Illustrierte Ausgaben von Ovids Metamorphosen im 15., 16. und 17. Jh., Vorträge der Bibl. Warburg 1926–27, 58–144.
Verweise
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