Cybele

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englisch: Cybele; französisch: Cybèle; italienisch: Cibele.


Charlotte Steinbrucker (I) und Hans Martin von Erffa (II) (1953)

RDK III, 895–899


RDK III, 789, Abb. 2. Hans Kels, 1537.
RDK III, 895, Abb. 1. München, Clm. 14 271, 11. Jh.
RDK III, 897, Abb. 2. Giov. Marchiori, um 1750, Nymphenburg.

C. (griech. Kybele), die „Große Mutter“, ist die Mutter der Götter, Menschen, Tiere, Pflanzen und der Schätze im Innern der Erde, Symbol der lebenserzeugenden Kraft der Natur.

I. Verbreitung ihres Kults

Der C.-Kult nahm seinen Ausgang von Phrygien (besonders von der Stadt Pessinus), weshalb die Göttin auch die „Phrygierin“ hieß, und von Lydien, wo ihr Heiligtum zu Sardes war. Er verbreitete sich von da in ganz Kleinasien, vor allem in die Gegend des Idagebirges, Pergamon, wo das Heiligtum Megalesien hieß, und auf die Inseln. Als Schützerin der Stadt Pessinus wurde C. meistens mit der Mauerkrone dargestellt, die man auch, ebenso wie ihre andern Attribute, Ähren, Mohn, Blumen, Früchte und den mit Geräten ihres Dienstes geschmückten Baum, als Symbol der Fruchtbarkeit ansah. Die ältesten erhaltenen C.-Darstellungen, die aus E. 5. Jh. v. Chr. stammen, zeigen C. als kräftige Frau mit Unter- und Obergewand, einer Mauerkrone auf dem Kopf und dem Tympanum in der Hand, auf einem Thronsessel oder einem von Löwen gezogenen Wagen sitzend oder auf einem Löwen reitend. C. wurde als Göttermutter auch mit dem Schlüssel abgebildet, mit dem sie im Frühling die Erde auf- und im Winter zugeschlossen haben soll (W. Köhler. Die Schlüssel des Petrus. Arch. für Religionswiss. 8, 1905, 229). Der C.-Kult war mit wilden Tänzen, rauschender Musik und Selbstverstümmelungen ihrer Priester, der Galli und Korybanten, verbunden, die auch als Bettelpriester und Propheten umherzogen.

Im 5. Jh. v. Chr. wurde der C.-Kult nach Griechenland, hauptsächlich Athen, wo ihr Tempel Metroon genannt wurde, Theben, Korinth, Olympia, sowie nach Kreta und durch die Kolonien bis zum Schwarzen Meere und nach Rom verbreitet. Von der Verehrung der C. in Griechenland zeugen Statuen, Münzen und Reliefs (Zusammenstellung der Votivreliefs durch Conze, Arch. Ztg. 1880, S. 1–10). C. trägt den kurzärmligen Chiton und den großen Überwurf, dessen Zipfel über die linke Schulter herabhängt, an die Mauerkrone ist der Matronenschleier geknüpft, in den Händen hält sie Zepter und Tympanum, später eine Geißel aus Knöcheln und einen Lorbeerzweig, seltener ein Füllhorn. Häufig erscheint sie auf dem von Löwen gezogenen Wagen, auf einem oder zwei Löwen thronend, auch begleitet von ihrem Diener Attis. Neben C. verehrten die Griechen auch Rhea, Demeter, Dione, Gäa u. a. als Göttermutter. In Italien wurde C. in Rom seit 204 v. C. als magna mater verehrt, und der Kult von dort verbreitet; das Pantheon war ihr geweiht. Seit dem 2. Jh. v. Chr. entwickelte sich das Taurobolienopfer, eine Art Mysterium. Aus 2. H. 1. Jh. v. Chr. stammen die silbervergoldeten C.- und Attis-Schalen aus dem Silberfunde von Hildesheim, auf denen C. durch Mauerkrone und Tympanum gekennzeichnet ist; Attis trägt die phrygische Mütze, hinter ihm erscheint die Mondsichel. Von Rom aus wurde der C.-Kult über Gallien bis nach London, Salzburg und Wien und bis nach Afrika gebracht (Darstellungen in Luxemburg [Westdeutsche Zs. 19, 1900, 410], im W.R.M. Köln und in Karlsruhe).

II. Spätere Darstellungen

Unter dem Einfluß dieses verbreiteten C.-Kultes gelangte die Vorstellung von der Mutter der Erde auch in die Personifikationen der Erde in der frühchristlichen Kunst. Die Attribute, Füllhorn mit Früchten, ein oder zwei Kinder, unter den Tieren besonders Stier und Hirsch, gehen dann in die m.a. Ikonographie der Erde ein (Molsdorf Nr. 1147). Der antiken C.-Vorstellung entspricht schon eher eine Federzeichnung in der Regensburger Hs. Clm. 14 271 aus dem 11. Jh., auf welcher die „Mater deorum“ mit Zepter und Tympanum, von „Choribantes“ in Waffen begleitet, in einem von zwei Löwen gezogenen Wagen fährt (Abb. 1); doch bleibt diese Darstellung im MA vereinzelt.

Erst mit der Neuerweckung der antiken Götterwelt in der Renaissance erinnert man sich, wenn auch selten, wieder der römischen C. Die Darstellungen der Einholung des C.-Symbols in Rom durch Scipio in Verbindung mit der Anekdote vom Auflaufen des Schiffs im Tiber und seiner Freimachung durch die Vestalin Claudia (s. Sp. 788ff.) geben Anlaß zu verschiedenen Wiedergaben der Statue der C. In Mantegnas Triumph des Scipio ist ihre Büste mit der Stadtkrone geschmückt (London, Nat. Gall.), in Girolamo da Carpis Claudiabild in Rom (Gall. Corsini) trägt C. außer der Stadtkrone ein Zepter, das mit der Spitze nach unten weist. – Hans Kels stellt C. auf einem Brettstein in Wien (Sp. 790, Abb. 2) nackt, geflügelt, mit Zepter und einem Strahlenkranz um das Antlitz dar.

Nach antiker Weise gibt der Brügger Ovid des Colard Mansion von 1484 die Göttin C. mit der Beischrift „Cibeles“ wieder: der einrädrige Karren wird von einem Löwengespann gezogen, das von einem schwarzen und einem weißen Hahn begleitet ist. C. hält einen großen Schlüssel in der Hand und trägt die Mauerkrone in der Weise, daß ihrem turbanartigen Gebände drei Türme eingefügt sind (Kopie im Gegensinne in der „Bible des Poètes“, Paris bei Ant. Vérard, 1493, fol. 14). Ähnlich erscheint C. in Hans Wechtlins Virgilausgabe bei Grüninger, Straßburg 1502: in einem von Löwin und Löwe gezogenen geflochtenen Wagen sitzend, hält sie ein Lilienzepter und trägt eine umfangreiche Mauerkrone; ihren Wagen begleiten drei Korybanten mit Blumen und Trommel. – In der Sala della Dea Opi (= C.) im Palazzo Vecchio in Florenz nimmt C. auf dem Löwenwagen mit den Korybanten das Mittelbild der Decke ein. – Giulio Romano malte für den Palazzo del Thé ein Deckenbild mit der Szene, da C. den kleinen Memnon, Sohn von Tithonus und Aurora, in die Hände zweier Genien legt (Stich von Giorgio Ghisi, 1568). Dieses Bild erinnert an eine Darstellung im Ovide moralisé der Bibl. de la Ville in Lyon (Ms. 742, fol. 6 v; französ. 14. Jh.), auf welcher C., eine Frau ohne Attribute, einen Säugling einem sitzenden Mann (Saturn) darreicht.

Eine nicht sicher gedeutete Zeichnung Barth. Sprangers in Erlangen (Elfr. Bock, Die Zchgn. der U. B. Erlangen, Nr. 912; Bd. II, Taf. 224) stellt C. mit Minerva dar (letztere in Rüstung mit Schwert und Schild): C., nackt, nur mit der Mauerkrone mit lang wallendem Schleier, ist von Löwe und Hirsch begleitet; aus ihren Brüsten verspritzt sie ihre Milch. – Auch bei Vincenzo Cartari (Imagini degli Dei dell’Antichi, Padua 1615, S. 527) erscheint C. als Göttin der Fruchtbarkeit: vor der jungen Frau, die mit entblößtem Oberkörper inmitten von Putten mit Fruchtkörben sitzt, steht ein großer Globus. – Rubens malt, als Bild der Vereinigung von Erde und Wasser, das Beieinander von C. mit Neptun (auch als „Tigris und Überfluß“ gedeutet; Max Rooses, L’oeuvre de P. P. Rubens III, Antwerpen 1890, Taf. 211); hier sind der nackten C. Mauerkrone und Füllhorn als Attribute beigegeben.

Wieder ganz in antiker Form erscheint C. in der englischen Virgilübersetzung von F. Dryden mit Stichen des Rostockers Franz Cleyn (London 1658), doch sind ihr im Wagen vier Kinder mitgegeben. Auch Jan van Vianen stellt C. 1726 ganz in der Weise römischer Münzbilder dar (Eug. Droulers, Dict. des attributs, allégories, emblèmes et symboles, Turnhout 1950, Taf. geg. S. 56).

Thomas Regnaudin schuf 1678 für Versailles eine Frauenraubgruppe „Saturn raubt C.“ (heute in den Tuilerien; R. Wittkower im Warburg Journal 1, 1937–38, S. 316 u. Taf. 49 a), die aber später anders interpretiert wurde. Vereinzelt findet sich C. in der Barockzeit auch als Personifikation der Mutter Erde. Im Schloßpark Nymphenburg steht sie als alte Frau in königlicher Haltung, auf dem Kopf die Mauerkrone (Abb. 2). Eine Statue der C. schuf auch Fr. Wilh. Beyer um 1775 für den Schloßpark Schönbrunn (Thieme-Becker III, S. 569).

Zu den Abbildungen

1. München, St. Bibl., Clm. 14 271, fol. 11 v, Ausschnitt. Mater deorum mit dem Löwengespann und Korybanten, auf einem Blatt mit Darstellungen antiker Gottheiten. Federzeichnung auf Pergament. 11. Jh. Phot. Bibl.

2. Giovanni Marchiori (1696–1778), Marmorstatue der Cybele im Schloßpark zu Nymphenburg. Um 1750. Phot. Bayer. Schlösserverw., München.

Literatur

1. Aug. Baumeister, Denkmäler des klass. Altertums II, München-Leipzig 1889, 798–802. – 2. Roscher II, 1, 1638–72. – 3. Henri Graillot, Le culte de Cybèle, mère des dieux, à Rome et dans l’empire romain, Paris 1912 (= Bibl. des Ecoles Frç. d’Athènes et de Rome, fasc. 107). – 4. Pauly-Wissowa 11, 2250–98.

Verweise