Diamantquader

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englisch: Rustica in form of diamond; französisch: Bossage à pointe de diamant, facette de diamant; italienisch: Lavoro di quadro a punta di diamante.


Jürgen Christern (1954)

RDK III, 1424–1429


RDK III, 1425, Abb. 1. Ferrara, Palazzo dei Diamanti, beg. 1492/93.
RDK III, 1427, Abb. 2. Lübeck, Rathausvorbau, 1570-71.

I. Begriff, Bezeichnung

D. nennt man eine in der Renaissance als Sonderform der Rustizierung häufig vorkommende Art von Quadern, deren Oberfläche bei quadratischer Ansichtsfläche wie ein halbiertes Oktaeder gebildet ist; bei rechteckiger Form entsteht in der Mitte eine gratartige Kante. Die Spitzen bzw. Kanten treten flach oder stark heraus, entweder unmittelbar aus dem Spiegel oder nochmals von einer Gliederung, einem Randschlag oder dgl., umgeben.

Seinen Namen hat der D. durch seine Ähnlichkeit mit geschliffenen Diamanten. Serlio erwähnt ihn im Libro quarto d’architettura: „... quando ad imitation di diamante in tavola piana et quando con maggior rilievo ...“ (zit. nach der Ausg. Venedig 1566, S. 138). Er rechnet den D. zur opera rustica. Pieter Coecks Serlio-Übersetzung (Antwerpen 1542, Buch IV, Kap. 5, Fol. 15) hat seine Bezeichnung in die deutsche Sprache eingeführt: „danach umb noch mer zierlichayt willen, haben sy (= die Steinmetzen) im (= dem Quader) die kreutzung zůgefügt. Ander werckmeyster wollende contrafaiten geschnitten diamanten, haben die stain mit noch mer artikait auff dise weys gemachet.“

II. Verwendung

D. werden an Fassaden und Gebäuden aller Art verwendet, als Gesamt- wie auch als Einzelschmuck (z. B. bei Fenstern, Portalen, Gesimsen etc.). Darstellungen von D. kommen in der Graphik und in der Buchmalerei gelegentlich bei Architekturbildern (vgl. etwa P. Flötners Zeichnung eines Triumphbogens für den Einzug Karls V. in Nürnberg), aber auch als ornamentale Folie (vgl. hierfür das zeitlich vereinzelt stehende Beispiel im „Stundenbuch der Johanna von Navarra“, gest. 1572, fol. 184 und – als Schmuck eines Rahmens – fol. 114, Paris, Slg. Rothschild, 1. V. 15. Jh.) vor.

III. Herkunft, Verbreitung

Der D. ist eine Erfindung der Renaissance und kommt im letzten Viertel des Quattrocento in Italien auf. Flachgewölbte Bossen und nur markierte Diagonalen hat der D. am Sockel des Pal. Bevilacqua in Bologna (1481–84; Alb. Haupt, Palastarchitektur in Oberitalien und Toskana III, Berlin 1930, Taf. 20) und am Pal. Trecchi-Raimondi in Cremona (1496; Haupt III, Taf. 46); spitzig vortretende tetraedrische Bossen finden sich am Dogenpalast in Venedig (Fassade am Rio di Palazzo, nach 1483). Die D.-Form mit gratiger Kante zeigen z. B. die Obergeschosse des Pal. Bevilacqua (Haupt III, Taf. 20). Berühmt sind die Palazzi dei Diamanti in Ferrara (beg. 1492; Abb. 1) und in Verona (beg. 1582; Haupt II, Taf. 98), die ihre Namen von der ganz in D. rustizierten Fassade haben. In entsprechender Verwendung begegnen D. auch in der Villenarchitektur, vgl. den „Turm“ der Villa Valmarana Badoer in Cricoli (2. V. 16. Jh.; Giuseppe Mazzoni, Le Ville Venete, Treviso 19532, S. 347f. m. Abb.). Bei den zuletzt genannten Beispielen kommt es im Gegensatz zu der sonst üblichen Gliederung der Fassaden durch tektonische Elemente zu einer im Spiel von Licht und Schatten lebhaft flimmernden Belebung des sonst starren Wandgefüges.

Eine besondere Art, nämlich ein springende Facetten (gelegentlich als Rauhband bezeichnet) gibt es bei der Wasserpforte unterhalb des Ponte dei Sospiri am Dogenpalast in Venedig und in der Sockelzone des Pal. Gualdo in Vicenza (1523; Gius. Pettina, Vicenza [= Italia artistica 17], Bergamo 1905, Abb. S. 124).

Auch im Barock ist die Benutzung von D. geläufig, vor allem in Oberitalien; allerdings beschränkt sich nunmehr ihre Verwendung auf die Ausgestaltung von Sockelgeschossen (Venedig, Pal. Pesaro, von Bald. Longhena, 1679 beg.), Ecklisenen (Mailand, Pal. Annoni, von Franc. Maria Ricchini, 1631), Torrahmungen (Siena, Porta Camollia, von Aless. Casolani, 1604) usw. Im 18. Jh. kommen D. nicht mehr vor.

D. finden sich auch in Nordeuropa, besonders in Deutschland, haben aber nicht dieselbe hohe Bedeutung wie an den genannten italienischen Palästen. Sie überziehen die Fassade nicht vollständig; ihr Vorkommen – etwa seit M. 16. Jh. nachweisbar – bleibt vielmehr auch dort, wo D. in verhältnismäßig geschlossenem Verband auftreten (Rathäuser in Altenburg, 1562–64, Gera, nach 1573, und Lübeck, Vorbau 1570–71 [Abb. 2]; ferner Schloß Kronborg, Dänemark, Westfassade um 15 80–85: Vilh. Slomann, Smykke- og Juvelornamentik saerlig i Nordeurop. Renaissancekunst, Tidskr. f. Konstvetenskap 24, 1942, 53), auf die Sockelzonen beschränkt. Der Ottheinrichsbau des Heidelberger Schlosses (nach 1556) hat zwischen glattem Sockel und reich gegliederter Fassade eine Reihe von D., die gleichermaßen als unterste Ornamentzone wie als in D. aufgelöstes Profil des Sockels verstanden werden kann; auch sonst wird gelegentlich mit D. ein architektonisches Glied umschrieben (anstelle etwa eines Kämpfers steht der D. am Portal des Hauses Brotbänkengasse 29 in Danzig; am Portal des Neuen Baues in Straßburg, 1585 entstanden, sind die Pilaster mit queroblongen D. besetzt). Weitaus am häufigsten sind in Deutschland die D. als Schmuck von Archivolten und als Ziersteine verwendet worden. An Archivolten können sie in gleichförmiger Reihung auftreten, aber auch mit Tafelquadern alternierend (Würzburg, Alte Universität, 1583) oder in abwechselnd rechteckiger und quadratischer D.-Form (Gänsefurth, ehem. Schloß, Portal zum alten Schloßhof); daneben sind weitere Variationen möglich, vgl. Halle, Portal an der Waage (1573–81); Danzig, Langgarter Tor, Stadtseite (1628); Bernburg, Nienburger Str. 15, Haustor mit in plastische Rahmen eingelegten D. An Portalen und in der Kapelle der Wilhelmsburg in Schmalkalden (1581) hingegen treten D. vorwiegend als Ziersteine (Keilsteine in den Portalbögen) auf, eine Form, in der sie aufs engste mit dem Beschlagwerk verknüpft sind. Daß die Anwendung von D. in Deutschland oftmals nicht von diesem Ornamentstil getrennt werden kann, zeigt auch die Vorliebe für die Anbringung einzelner D., die fast immer einen Randschlag aufweisen. Vollends deutlich wird dieser Zusammenhang bei Denkmälern wie der Kellertüre des Schlosses Barntrup (1585; Alb. Neukirch, Hamelner Renss., Hameln 1950, Taf. 14, 1): hier sitzen die D. auf einem Beschlagwerk-Plättchen. Ähnlich ist das Vorkommen von D. an Chorgestühlen (Regensburg, Kartause Prüll, um 1605) und Kanzeln (Namedy bei Andernach, 1612; Inv. Rheinprov. 17, 2, S. 349, Abb. 283) zu erklären, wohingegen bei Verwendung von D. an Holztüren zumeist der Charakter der ältesten Verwendung von D. in der Architektur nachklingt (Portal der Abtei Mönchen-Gladbach, P. Klotzbach, Die schöne Haustüre am Niederrhein, Elberfeld 1925, Taf. 5, 2).

Auch in Deutschland läßt sich im 18. Jh. das Vorkommen von D. nicht mehr belegen. Im Zuge des Rückgriffs auf historische Stilformen taucht im 19. Jh. der D. gelegentlich wieder auf, z. B. München, Staatsbibliothek, 1832–42 von Friedrich Gärtner.

Zu den Abbildungen

1. Ferrara, Palazzo dei Diamanti. Biagio Rossetti (um 1447–1516) und Gabr. Frisoni. Beg. 1492/93. Phot. Alinari 10 807.

2. Lübeck, Laubenvorbau des Rathauses. 1570–71. Phot. Staatl. Bildstelle 3208, 1.

Verweise