Ehud und Eglon
englisch: Ehud and Eglon; französisch: Éhud et Églon; italienisch: Aod e Eglon.
Karl-August Wirth (1956)
RDK IV, 885–893
I. Quellen
Eglon, König der Moabiter, war einer der Unterdrücker Israels; durch den später zum Richteramt des jüdischen Volkes bestellten Ehud (Ayot, Aod) wurde diese Knechtschaft von Israel genommen (Richter 3, 12–30).
Der Krieg, den König Eglon gegen die Juden führte, wurde mit der Eroberung der „Palmenstadt“ (= Jericho) zu Ungunsten der Israeliten entschieden; die Niederlage, ein göttliches Strafgericht, brachte die Unterlegenen achtzehn Jahre unter das Joch der Moabiter. Dann aber erweckte auf das Bitten der Juden hin „der Herr ... ihnen einen Heiland“, den Linkshänder Ehud. Dieser wurde dazu ausersehen, Eglon ein Geschenk zu überbringen. Mit einem unter dem Mantel verborgenen Schwert begab sich Ehud zu Eglon und tötete ihn, als er unter dem Vorwand geheimer Botschaft mit dem König allein gelassen war. Da das zuvor hinausgewiesene Gefolge Eglons erst nach geraumer Zeit den Raum wieder zu betreten wagte, gelang es Ehud zu fliehen und ein Aufgebot seines Volkes zusammenzubringen. An dessen Spitze erkämpfte er einen vernichtenden Sieg über die verwirrten Moabiter und befreite die Juden aus der Unterjochung.
Eine Textvariante bietet der den Illustrationen des Queen Mary Psalters beigeschriebene Text (London, B.M. ms. roy. 2 B VII, fol. 30 v–31, A. 14 Jh.; G. Warner, Queen Mary’s Psalter, London 1912, S. 73f.).
Ausführlicher als in der Bibel sind Eglons Eigenschaften charakterisiert: das aus streitsüchtigen Aufwieglern und tapferen Rittern zusammengewürfelte Heer verstand er mit Tapferkeit und Umsicht zu führen; den besiegten Juden gegenüber zeigte er sich boshaft und tückisch. Sein Tod und damit die Befreiung der Juden konnte nur durch die List Ehuds herbeigeführt werden. Ehud hatte das beste Schwert, das er ausfindig machen konnte, als Geschenk für den Moabiterkönig ausersehen. Bevor er die Waffe übergab, überzeugte er den arglosen König von ihren hervorragenden Eigenschaften (vertu); um deretwillen gezieme es sich, dem König das Geschenk unter vier Augen zu zeigen. Eglon ging darauf ein und empfing das Schwert, das ihm jedoch Ehud wieder entriß und ihn damit durchbohrte.
Die Herkunft dieser Version war nicht zu ermitteln (Warner a.a.O., S. 11, spricht nur von der Verarbeitung a.t. Apokryphen bei den Texten der Hs.); manche Motive, wie z. B. das des „listigen“ Ehud, gemahnen an hoch-ma. Vorstellungen, ebenso die Unterscheidung der Krieger in Eglons Heer. Es erscheint im Hinblick auf die bildlichen Darstellungen bedeutsam, daß Varianten des biblischen Textes im MA geläufig waren: damit könnte vielleicht das überraschend häufige Abweichen der Schilderungen vom Bibelbericht erklärt werden.
II. Typologie
Für die Überlieferung des Themas ist seine Einbeziehung in die Typologie entscheidend. Weit mehr als die Hälfte aller Darstellungen der Ermordung Eglons durch Ehud finden sich in den großen typologischen Bilderhss. des MA.
Die Darstellungen des Themas innerhalb typologischer Zyklen wurde im 12. Jh. vorbereitet: dem historischen Bericht der Schriftquelle beigegebene Miniaturen weisen Inschriften, die der Deutung des Geschehens dienen, auf (so z. B. die Gumpertsbibel der Erlanger U.B., Abb. 1); die theologische Literatur bekundet eine neue Aufmerksamkeit für diese Perikope, die typologisch-lehrhaft oder auch als Zeugnis für die rettende Gnade Gottes interpretiert wurde („Qui populum servet, qui dextram conterat hostis: / Illa Dei pietas pro pube mittit Aoth“: Petrus von Riga, Aurora; Migne, P. L. 212, Sp. 31).
Für die um M. 13. Jh. redigierte Bible moralisée lag der Ansatzpunkt zur Deutung in der Linkshändigkeit Ehuds: da er Eglon mit dem in der Linken geführten Schwert tötete, deutet er auf den Weltenrichter hin, der die Verworfenen mit der linken Hand von sich weist, die Gerechten aber zu seiner Rechten versammelt (Oxford, Bodl. Libr. ms. 270b, fol. 105 v: A. de Laborde, La Bible moralisée, Paris 1911, Bd. 1 Taf. 105); die zwölf Richter Israels, deren einer Ehud war, sind in derselben Hs., fol. 123 v, den zwölf Aposteln gegenübergestellt (Ebd. Taf. 123). In der Armenbibel ist das Thema nicht behandelt worden. Die Einbeziehung in das Programm des Heilsspiegels gab die Veranlassung für die meisten Darstellungen im späteren MA. Hier figuriert Ehuds Tat (gemeinsam mit Benaja, der einen Löwen tötet, und Simsons Löwenkampf) als Antitypus für Christus als Sieger über die Dämonen [3, S. 222–25]. In der Concordantia caritatis ist Ehud, der Eglon Geschenke überbringt und ihn tötet, zusammengestellt mit Darstellungen der vor Joseph knieenden Ägypter (1. Mos. 41, 55) und zwei der Naturgeschichte entnommenen Themen, um als Praefiguration des Zeugnisses, das Johannes der Täufer von Christus ablegte („Alles Fleisch wird den Heiland Gottes sehen“, Lk. 3, 6), zu dienen (Temp. 8; vgl. RDK III 835/36).
III. Darstellungen
Die bildlichen Darstellungen nach Ri. 3, 12–30 behandeln folgende Ereignisse: die beiden Schlachten, deren Schilderung sich nicht von den üblichen Schlachtenbildern unterscheidet; Ehud ruft mit seiner Posaune die Juden zusammen (Abb. 2), ein sehr seltener Vorwurf, bemerkenswert nur dadurch, daß Ehud sein Signal nicht von einem Berge aus erschallen läßt (wie es die biblische Quelle überliefert); das vor Eglons Sommerlaube wartende Gefolge ist, zumal bei byzantinischen Darstellungen und bei Werken, die von diesen beeinflußt sind, gelegentlich abgebildet worden; am häufigsten ist die Szene mit der Ermordung Eglons anzutreffen.
Der Themenkreis wurde fast nie als selbständige Bildfolge behandelt. Zunächst begegnet uns die Ehud-Eglon-Szene in den reich illustrierten Oktateuchen der byzantinischen Buchmalerei (z. B. Oktateuch von Smyrna fol. 242, 11. Jh.: D.-C. Hesseling, Octateuque de Smyrne, Leiden 1909, Taf. 92, 318; Rom, Bibl. Vat. ms. gr. 746, fol. 473 v, und ms. gr. 747, fol. 239, beide 12. Jh.: [4]), seit dem 12. Jh. auch in abendländischen Bibelhss. (Erlangen, U.B., Gumpertsbibel fol. 70 v, vor 1195: Abb. 1; Bourges, Bibl. municipale ms. 3, fol. 68 v, 12. Jh.: [4]; vgl. ferner [1] S. 131 Anm. 5). Als Initial zum Liber Judicum scheint sie zuerst in England, wo das Thema eine gewisse Beliebtheit erlangte, dargestellt worden zu sein (Oxford, Bodl. Libr. Ms. Laud. misc. 752, fol. 87 V, 3. V. 12. Jh.: T. S. R. Boase, English Romanesque Illumination [= Bodleian Picture Books Nr. 1], Oxford 1951, Taf. 20 a). Seit dem 13. Jh. traten neben die Beispiele in der Bibelillustration solche in den typologischen Handschriften (s. II). Nach dem Vorbild dieser Werke sind dann die Darstellungen in den Heilsspiegelzyklen der Glasmalerei (z. B. Mülhausen, St. Stephan, 1. H. 14. Jh.: [2] Taf. 109), der Bildweberei (Wienhausen, 15. Jh.: Horst Appuhn, Kloster Wienhausen, Hamburg 1956, S. 52) und in den Frühdrucken (Achtnich S. 15) entstanden; auch für die Aufnahme von Ehud-Eglon-Illustrationen in weniger ausführlich bebilderte Bibeln der nach-ma. Zeit dürfte die Bedeutung, die das Thema innerhalb der ma. Typologie erlangt hatte, ausschlaggebend gewesen sein.
Als Beispiel für die byzantinischen Darstellungen sei die Miniatur des Smyrna-Oktateuchs (s. o.) genannt: die Bildmitte nimmt Eglons Palast ein, vor dessen verschlossener Türe links die Gruppe der hinausgewiesenen Höflinge steht; auf der entgegengesetzten Seite – wie der niedrige Zaun, der die Szene gegen den Vordergrund abschließt, vermuten läßt: in einem Garten des Palastes – ersticht Ehud den thronenden König.
In der Gumpertsbibel (Abb. 1) ist der Schauplatz der Handlung ebenfalls genauer angedeutet: im Inneren eines Hauses thront der Moabiterkönig; vor der verschlossenen Tür stehen drei gestikulierende Gestalten: „satrape“. Ehud ist durch eine zweite, offenstehende Tür eingetreten, überreicht Eglon mit der Rechten sein Geschenk, während er gleichzeitig mit der Linken den tödlichen Stoß mit dem Schwert führt; Beischrift: „leva necat levum dum placat dextera sevum.“ Bewahrte die Mehrzahl der hoch-ma. Beispiele durch die Anwesenheit der Höflinge wenigstens motivisch die Erinnerung an ältere, ausführlichere Schilderungen (s. z. B. die Oxforder Bible moralisée, s. o.), so erfolgte mit der Aufnahme des Themas in den Heilsspiegel in der 1. H. 14. Jh. eine fortan nur selten preisgegebene Konzentration auf die beiden Hauptfiguren Ehud und Eglon. Dieser Form der Darstellung unterwarfen sich die Miniatoren der voll illustrierten Bibelhss., auch dann, wenn die Ehud-Eglon-Szene nur eines von mehreren Bildern zu Ri. 3, 12–30 ist: vgl. z. B. die um 1250 wahrscheinlich in Paris illuminierte und um 1300 in Neapel (?) lateinisch textierte Bibel der Morgan Libr. New York (Ms. 638, fol 12; Abb. 2): der von rechts nach links fortschreitende Bildbericht beginnt mit der Ermordung Eglons in seinem Palaste, es folgen der zum Aufstand blasende Ehud, der sein Schwert in der Linken hält – nach dem biblischen Bericht ließ er es im Körper Eglons stecken! –, und schließlich der unwiderstehliche Ansturm der israelitischen Krieger. Selbst im Queen Mary Psalter mit seiner für unser Thema einzigartigen Breite der Erzählung (Eglons Sieg – die Juden werden in Gefangenschaft gebracht – Ehud bringt Eglon das Schwert als Geschenk – Ehud tötet Eglon – die Israeliten aus der Knechtschaft befreit: fol. 30 v–31: G. Warner a.a.O. Taf. 54f.) findet sich dieselbe Vereinfachung: die Höflinge sind nicht dargestellt.
Die Heilsspiegel - Illustrationen überlieferten mit großer Treue ein sehr einfaches Bildschema: der thronende Eglon wird von Ehud getötet. An Stelle des Schwertes benutzt Ehud bisweilen eine Lanze (Hs. aus Oberaltaich, München, Staatsbibl. Clm. 9716, 15. Jh.; niederdt. Heilsspiegel des 15. Jh. in Wolfenbüttel, L.B. Hs. Nr. 126 a: [3]). Mit der Linkshändigkeit Ehuds nahmen es die Darstellungen, zumal die des 15. Jh., oft nicht genau. Überraschender ist es schon, wenn Ehud von einem Manne begleitet ist (Miniatur des Lienhard von Kötz, Abb. 3), der gelegentlich als sein Schwert- oder Lanzenträger fungiert (Königsberg, Staatsbibl. Hs. S 18, dat. 1426: Begleiter mit erhobenem Schwert; Harburg, Fürstl. Oettingen-Wallersteinsche Bibl. Hs. I. 2. lat. fol. 24, dat. 1456, aus St. Mang in Füssen: Mann mit Lanze). Als Ort der Handlung finden sich: Burg (München, St.B. Cgm. 534, 15. Jh.), Tor und Mauer (Kopenhagen, Kgl. Bibl. Hs. Nr. 79, niederdt. um 1430, vielleicht aus Wisby: O. Heinertz in Niederdt. Jb. 39, 1913, 132ff.) sowie die in der biblischen Quelle genannte Sommerlaube (Berlin, Kk., Hs. 78. A. 12, um 1400: [3]; Paris, B.N. ms. fr. 6275: [2] Taf. 134). Eine dramatischere Vorstellung als die älteren Beispiele, bei denen Eglon meist unbeweglich thronend den Todesstoß empfängt, bieten die jüngeren: der König wirft in hilfloser Verzweiflung seine Arme empor (München, St.B. Clm. 146, fol. 32: [2] Taf. 58); Eglon ist vor dem Thron niedergesunken (Holzschnitt für die von PlantinMoretus geplante illustrierte Ausgabe des A.T., wohl um 1567; Abb. 4); der feiste Eglon sieht sich im Garten von Ehud überlistet, versucht vergebens zurückzueilen zu seinem Gefolge, das – seine Not nicht beachtend – unter einer Altane steht (Paris, B.N. ms. 6275, s. o.).
Während eine Variante, die durch das Fliehen Ehuds nach vollzogener Tat gekennzeichnet ist, mit einigen Beispielen belegt werden kann (Abb. 4; ferner London, B.M. Add. ms. 11 575, 15. Jh.: Ehud mit geschulterter Axt; die Hs. im Kk. Berlin, s. o. [3]), ist für die seltsame Formulierung des Themas in der aus St. Emmeram in Regensburg stammenden Hs. (München, St.B. Clm. 14 363: [3]) keine Parallele bekannt: König Eglon zählt Geld, Ehud tritt von hinten an ihn heran und stößt ihm sein Schwert in den Rücken. Diese kolorierte Federzchg. ist von so geringer Qualität, daß man die Erfindung des Motivs dem Zeichner kaum zutrauen möchte.
Die Gestaltung der Ehud-Eglon-Szene außerhalb von Heilsspiegelzyklen hält sich in der Regel innerhalb der Grenzen des auch dort üblichen.
Auf einer der seltenen Darstellungen des Themas in der Tafelmalerei, dem Gemälde Gabr. Mäleßkirchers auf der Rückseite eines Altarflügels, 1474–79 für Kloster Tegernsee geschaffen (jetzt im Bode-Mus. Berlin; Frdr. Winkler, Bln. Mus. 46, 1925, 40f.), scheinen verschiedene Bildquellen verarbeitet: der kriegerisch gerüstete Ehud ersticht Eglon, der in seinem, in einem Zelt aufgestellten Bett ruht. Krieger schlagen beiderseits die Zeltbahnen zurück.
Mit dem Ende des MA verlor das Thema jede Bedeutung. Es konnte in nach-ma. Zeit nur vereinzelt nachgewiesen werden. In der Bibelillustration zum Liber Judicum spielte es zunächst noch eine geringe, späterhin fast gar keine Rolle mehr; es wurde von der (im 17. Jh. gar als Heiligen angesehenen) Gestalt des Simson völlig verdrängt. Lediglich in den bilderreichen Bibeln des Barock kommt die Ehud-Eglon-Szene hie und da vor. In Christoph Weigels Biblia Ectypa (Augsburg 1695, Taf. 38) ist sie im üblichen Zweifigurentypus geschildert, der König bricht auf den Thronstufen zusammen. Bei Joh. Ulrich Kraus’ Historischer Bilder Bibel (Augsburg 1705, Taf. 41; Abb. 5) wurde das Thema zum Anlaß für eine vielfigurige Schilderung des Lebens vor dem Königspalast: Juden sind mit dem Heranschleppen ihrer Geschenke beschäftigt; vor aller Augen, auf der zum Eingang des Palastes führenden Freitreppe, empfängt der Moabiterkönig von Ehud den Todesstoß.
Zu den Abbildungen
1. Erlangen, U.B. Ms. 1 (Bibel aus dem Gumpertuskloster in Ansbach), fol. 70 v. Bayerisch, vor 1195. Nach [1] Taf. 37, Abb. 120.
2. New York, Morgan Libr. Ms. 638, fol. 12. Um 1250 in Paris gemalt, um 1300 in Italien (Neapel?) lat. textiert, persische und hebräische Marginalien nach-ma. (Schah Abbas von Persien; im 17. Jh. in jüd. Besitz). Nach Sidney S. Cockerell, M. Rh. James und Ch. J. Ffoulkes, A Book of Old Testament Ill. of the Middle of the 13th C, Cambridge 1927.
3. Lienhart von Kötz (1441–75 in Augsburg nachweisbar), Miniatur in einer Heilsspiegel-Hs. Sign. „lennhart vo(n) koecz der maller“, um 1450. Ehem. Kunsthandel. Fot. unbekannt.
4. Holzschnittillustration für eine von Plantin-Moretus geplante Ausgabe des A.T. 5,5 × 5,4 cm. Wahrsch. von Godefroid Ballain, um 1567. Nach Max Rooses, Het Oud en het Nieuw Testament, I (= Uitgaven van het Mus. Plantin-Moretus te Antwerpen), Antwerpen 1911, Taf. 142.
5. Joh. Ulrich Kraus, Kupferstich aus „Historische Bilder Bibel“ usw., Augsburg 1705, Teil 2, Kupfer 41. 11,8 × 16,1 cm. Fot. Verf.
Literatur
1. Swarzenski, Salzburg S. 131. – 2. Lutz-Perdrizet. – 3. Edgar Breitenbach, Speculum humanae salvationis (= Stud. z. dt. Kg. 272), Straßburg 1930. – 4. Princeton Index, Kopie der Bibl. Vat., Rom.
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