Einblattdruck, Einblattholzschnitt
englisch: Single cut, single print; französisch: Xylographie; italienisch: Stampa su foglio volante.
Hans Martin von Erffa (unter Verwendung von Hinweisen von Eberhard Schenk zu Schweinsberg und Peter Halm) (1956)
RDK IV, 971–978
(E.D. = Einblattdruck, E.H. = Einblattholzschnitt)
I. Begriffe
Einblattdruck (Einblattbilddruck) könnte an sich jedes einseitig in einem graphischen Verfahren oder mit Lettern bedruckte Blatt genannt werden; die Bezeichnung sagt weder über das Druckverfahren noch über das Alter Näheres aus. Die deutsche Kunstgeschichte bezeichnet jedoch im engeren Sinne den Einblattholzschnitt des 15. und 16. Jahrhunderts als E.D. Dabei wird zwischen allein vom Holzstock gedruckten, durch Letterndruck ergänzten und vom letzteren beherrschten Blättern begrifflich nicht unterschieden.
E.H. nennt man einen Holzschnitt, der nicht als Buchillustration, sondern als ein vom Buch unabhängiges Erzeugnis der Druckgraphik verwendet wurde. Dabei können E.H. auch in Folgen auftreten, indem mehrere E. H. gleichen Formats (auch in gleicher Umrahmung) sich durch inhaltlichen Bezug als zu einer größeren Einheit zusammengehörig erweisen (Apostelfolgen, Planeten u. dgl.). Es ist jedoch festzuhalten, daß die Grenzen zwischen E.H. und Buchillustration fließend sind: so erschienen z. B. Dürers Apokalypse und Marienleben als Folgen von E.H. wie in Buchform mit Text.
Mißverständlich sind die Bezeichnungen „Einzeldruck“ und „Einzelholzschnitt“, die zuweilen für E.D. und E.H. eintreten. Gemeint sind in solchen Fällen meist Einzelblätter im Gegensatz zu Blättern aus Folgen.
Im allgemeinen werden Flugblätter, Bilderbogen, Neujahrsblätter u. ä. infolge ihrer eigenständigen geschichtlichen Entwicklung und großen Verbreitung nicht mit unter die E.D. im engeren Sinne gezählt, obwohl sie als Sonderformen des E.D. gelten müssen. Gewisse Arten der Klein- und Gebrauchsgraphik wie Exlibris, Spielkarten u. dgl. können dagegen nicht mehr E.D. genannt werden.
Die im 17. und 18. Jh. sehr häufigen Blätter in Kupferstich, Radierung, Schabkunst, Holzschnitt und anderen graphischen Techniken werden allgemein nicht zu den E.D. gerechnet (s. auch Graphik).
II. Verwendung
Die ersten E.H. entstanden, als die eigentlichen Inkunabeln des Bilddrucks überhaupt, vermutlich im 14. Jh. und gewiß in großer Zahl seit der Frühzeit des 15. Jh. (zur Entstehungsgeschichte s. Graphik). Die Verbreitung des E. H. nahm im späteren 15. Jh. und namentlich im 16. Jh. einen kaum noch zu übersehenden Umfang an.
E.H. fanden vorwiegend auf viererlei Art Verwendung: 1) als Bild an der Wand, z) als in ein Buch eingeklebtes Bild, 3) als Sammelobjekt und Musterblatt, 4) für schmückende Zwecke.
1. Auf die Funktion des Bildes weist die besonders in der Frühzeit nur selten fehlende Farbigkeit der E.H. (Abb. 1, 2 u. 3). Damit übernahm der E.H. zum Teil die Aufgaben des Gemäldes; aus dieser Eigenschaft geht zweierlei hervor: die Bestimmung des E.H. für einen größeren Kreis von weniger Bemittelten – also eine soziale Funktion –, zugleich aber die Tatsache, daß die Tendenz zur privaten Andacht, die wir im Hausaltärchen wie im Stundenbuch vom 14. Jh. an wachsen sehen, bei der Entstehung und Verwendung des E.H. mitsprach; die Betonung der Gefühlswelt des einzelnen widerspricht dabei nicht dem sozialen Zug (s. auch Andachtsbild IV, RDK I 684–86, und Spamer, Andachtsbild).
Ein anschauliches Beispiel eines E.H. an der Wand bietet eine Kopie vom Mittelbild des Mérode-Altars (Abb. 3; vgl. Fierens-Gevaert, La peinture au Mus. ancien de Bruxelles, Brüssel 1923, Taf. 4).
2. Das Einkleben von E.H. in Bücher – und zwar auf Blätter des Buches wie vor allem auf die Innenseiten der Buchdeckel – war besonders bei den als kleine Andachtsbilder verwendeten E.H. üblich, vornehmlich natürlich für Bücher religiösen Inhalts. Die E.H. (aber auch Schrotblätter, Teigdrucke, Kupferstiche) dienten so als Ersatz von Miniaturen (Abb. 2).
3. Das Sammeln der E.H. erfolgte aus Freude am Bild – wegen des Gegenstandes oder der künstlerischen Formung – oder für den Bedarf des Werkstattbetriebs (Musterblätter für künstlerische und handwerkliche Arbeit). Als Sammelobjekte wurden die E.H. in Bücher gelegt oder in sog. Klebebände eingeklebt, später auch in Mappen verwahrt.
4. E.H. wurden auch in Schränke, Opferkästen, Truhen, in (oder auf den Deckel von) Kästchen zu profanem Gebrauch geklebt (Abb. 1), ferner an Möbel, Zimmerdecken, Kirchenbänke, Dorsale von Chorgestühlen u. dgl. [13]. Sie können so als Ersatz für einen materiell wertvolleren Schmuck dieser Gegenstände angesehen werden und sind zuweilen eigens für den betreffenden Zweck angefertigt worden.
Die Herstellung und der Vertrieb der E.D. lag in den Händen der Briefmaler (RDK II 1172ff.) und Formschneider (weshalb man auch von „Formschnitten“ spricht).
Im Verhältnis zur unübersehbaren Produktion von E.D. muß, trotz der genannten Sammlertätigkeit, mit großen Verlusten gerechnet werden, und zwar sowohl als Folge der Verwendungsarten der E.D. wie auch wegen des jeweiligen Stilwandels, besonders aber, wenn ikonographische Einwände erhoben wurden (Bilderfeindlichkeit in den protestantischen Gebieten!). Die Verluste werden auf das mindestens Zweihundertfache des noch Vorhandenen geschätzt. Die Erhaltung von auch nur zwei Abdrucken des gleichen Holzstocks ist selten; dagegen gibt es häufiger Varianten und Kopien einer Komposition, wobei allerdings eine bündige Entscheidung über die Filiation infolge der Lückenhaftigkeit der Erhaltung oft Schwierigkeiten macht.
Seit A. 16. Jh. lassen sich zwei Gruppen von E.H. unterscheiden:
a) Zur ersten gehören die von den großen Meistern geschaffenen E.H., künstlerische Höchstleistungen wie die Holzschnitte Dürers (Abb. 4) und Cranachs.
b) Zugleich bereitete sich eine bis M. 16. Jh. und darüber hinaus stark anschwellende, die Nachrichten- und Bildlust bescheidenerer Art befriedigende Produktion von hauptsächlich profanen Blättern vor (zu bedenken bleibt allerdings, daß die Erhaltungsumstände für profane Druckgraphik im allgemeinen ungünstiger waren als für religiöse, so daß auch für das 15. Jh. mit wesentlich größerer Produktion von E.H. profanen Inhalts gerechnet werden kann). Im Unterschied zu den Meisterholzschnitten (a) sind die E.H. dieser zweiten Gruppe mehr auf das Zusammenwirken von Bild und Text und auf die wieder auftretende Farbigkeit berechnet.
Der Flugblattcharakter herrscht vor. Auch die großen Meister schufen gelegentlich E.H., die durch ihren Inhalt der zweiten Gruppe zugerechnet werden können (Abb. 5).
Mit dem Ende des 16. Jh. sank der E.H. ab. Technisch wurde er immer mehr vom Kupferstich, später von der Radierung, im Nachrichtenwesen durch die „Neuen Zeitungen“ abgelöst und führte auf Jahrmärkten ein wenig geachtetes Dasein, ohne gänzlich auszusterben. Die Wiederbelebung des deutschen Holzschnittes im 19. Jh. ist mehr der Buchillustration als dem E.H. zugute gekommen, wenn es auch nicht an bedeutenden Einzelblättern wie Rethels „Tod als Freund“ – „Tod als Feind“ fehlt. Im allgemeinen jedoch blieb der E.H. im 19. Jh. eine weitgehend restaurative Angelegenheit. Erst seit A. 20. Jh. erlebte er einen starken neuen Aufschwung, der z. T. mit einer bewußten neuen Würdigung des älteren E.H. verbunden war.
Zu den Abbildungen
1. Zürich, S.L.M., Kästchendeckel mit eingeklebtem koloriertem Holzschnitt (Geburt Christi). Frankreich, A. 16. Jh. Fot. Mus. Nr. 46 305.
2. Nürnberg, Stadtbibl., hl. Katharina. Kolorierter Holzschnitt, eingeklebt im Band Cent. VI 43 n, Rahmengröße 19,1 × 12,4 cm. Nürnberg, um 1440. Nach [8] Taf. 2.
3. Brüssel, Mus. roy., Inv. Nr. 785, Mariä Verkündigung, Ausschnitt. Gem. auf Holz, Orig.Gr. des Ausschnitts ca. 11,4 × 8,6 cm. Alte Kopie nach dem Mittelbild des Mérode-Altars vom Meister von Flémalle, um 1410–20. Fot. A.C.L. 35 961.
4. Albrecht Dürer, Die Heilige Dreifaltigkeit (B. 122). Holzschnitt, 39,2 × 28,4 cm. 1511. Nach Otto Fischer, Dürers sämtliche Holzschnitte, Bln. 1938, Bl. 127.
5. Lukas Cranach, Aufruf des „Kaisers aller Hirschen“ (satirisch-kritischer lutherischer Text gegen den Regensburger Reichstag). Holzschnitt, 38,5 × 22,8 cm. Dat. 1532. Nach Geisberg, Einblattholzschnitt Nr. 633 (XII, 23).
Vgl. ferner die Abb. RDK I 349, 645 und 854; II 551f., 751f.; III 1363; IV 222, 810.
Literatur
1. Einblattdrucke des 15. Jh., hrsg. v. Paul Heitz, 100 Bde., Straßburg 1906–42. – 2. Schreiber, Manuel. – 3. Schreiber, Hdb. – 4. Hollstein, German Engr. – 5. Hollstein, Dutch Fl. Engr. – 6. Max Lehrs, Holzschnitte der 1. H. 15. Jh. im Kk. zu Berlin (= 7. Veröff. der Graph.Ges.), Bln. 1915. – 7. Campbell Dodgson, Woodcuts of the 15th C. in the Dept. of Prints and Drawings, British Mus., 2 Bde., London 1934–35. – 8. Martin Weinberger, Die Formschnitte des Katharinenklosters zu Nürnberg. Ein Versuch über die Gesch. des frühesten Nürnberger Holzschnittes, Mchn. 1925. – 9. Wilh. Molsdorf, Gruppierungsversuche im Bereiche des älteren Holzschnittes (= Stud. z. dt. Kg. 139), Straßburg 1911. – 10. Ders., Schrifteigentümlichkeiten auf älteren Holzschnitten als Hilfsmittel ihrer Gruppierung (= Stud. z. dt. Kg. 174), Straßburg 1914. – 11. Joh. Jahn, Beiträge zur Kenntnis der älteren Einblattdrucke (= Stud. z. dt. Kg. 252), Straßburg 1927. – 12. W. Cohn, Untersuchungen zur Gesch. des dt. Einblattholzschnittes im 2. Dr. 15. Jh. (= Stud. z. dt. Kg. 302), Straßburg 1934. – 13. Max Lehrs, Die dekorative Verwendung von Holzschnitten im 15. und 16. Jh., Jb. d. preuß. K.slgn. 29, 1908, 183–94. – 14. Edith Nockemann, Der Einblattholzschnitt des 15. Jh. u. s. Beziehung zum spät-ma. Volksleben, Diss. Köln, Bottrop 1940. – 15. Einblattdrucke des 15. Jh. Ein bibliograph. Verzeichnis, hrsg. v. d. Kommission f. d. Gesamtkatalog der Wiegendrucke (= Slg. bibliothekswiss. Arbeiten 35/ 36), Halle a. d. S. 1914.
16. Max Geisberg, Der deutsche Einblatt-Holzschnitt in der 1. H. 16. Jh., 41 Lfgn., Mchn. 1923–30. – 17. Bilderkatalog zu Max Geisberg, Der dt. Einblatt-Holzschnitt (usw.), hrsg. v. Hugo Schmidt, Mchn. 1930. – 18. Nederlandsche Houtsneden 1500 –1550, hrsg. v. W. Nijhoff, Den Haag 1931–39. – 19. Die fliegenden Blätter des 16. und 17. Jh. in sogenannten Einblatt-Drucken (Ulmer Stadtbibl.), hrsg. v. J. Scheible, Stg. 1850. – 20. H. Kloß, Publizistische Mittel in Einblattdrucken bis 1550, Diss. Berlin 1942.
Weitere Lit. s. Flugblatt, Graphik, Holzschnitt usw.
Verweise
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