Entkleidung Christi

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englisch: Disrobing of Christ; französisch: Dépouillement de Jésus-Christ; italienisch: Spogliazione di Cristo.


Karl-August Wirth (1961)

RDK V, 761–788


RDK V, 761, Abb. 1. Florenz, Mitte 11. Jh.
RDK V, 765, Abb. 2. Oxford, Mitte 13. Jh.
RDK V, 767, Abb. 3. Melk N.Ö., um 1255.
RDK V, 769, Abb. 4. London, 3. V. 13. Jh.
RDK V, 769, Abb. 5. ehem. Davenham, um 1260.
RDK V, 771, Abb. 6. New York, 1. Dr. 14. Jh.
RDK V, 773, Abb. 7. London, um 1325-35.
RDK V, 773, Abb. 8. Schaffhausen, um 1330.
RDK V, 775, Abb. 9. Köln, um 1420-30.
RDK V, 777, Abb. 10. Soest, um 1430-40.
RDK V, 777, Abb. 11. Stuttgart, um 1477.
RDK V, 781, Abb. 12. Holzschnitt, Ende 15. Jh.
RDK V, 783, Abb. 13. München, 17. Jh.
RDK V, 785, Abb. 14. Jos. Ant. Feuchtmayer, um 1757, Weildorf bei Salem.

I. Quellen

A. Neues Testament und Apokryphen

In dem Bericht der Evangelien über die Geschehnisse der Passionswoche ist zweimal von einer E. die Rede:

Christus „stand ... vom Abendmahl auf, legte seine Kleider ab und nahm einen Schurz und umgürtete sich“ (Joh. 13, 4). Diese E. vor der Fußwaschung ist in der bildenden Kunst so selten behandelt worden, daß sie hier unberücksichtigt bleiben kann (s. Fußwaschung).

Die zweite E. – im folgenden als E. vor der Verspottung bezeichnet – beschreibt der Passionsbericht des Matthäus (27, 27f.). Nachdem Christus gegeißelt worden war und Pilatus ihn zur Kreuzigung überantwortet hatte, „nahmen die Kriegsknechte des Landpflegers Jesum zu sich in das Richthaus ... und zogen ihn aus und legten ihm einen Purpurmantel an ...“ (es folgen Dornenkrönung und Verspottung Christi; in gleicher Reihenfolge erzählt Mk. 15, 16–18 diese Passionsereignisse, ohne eigens auf den Vorgang der E. hinzuweisen).

Nach der Verspottung mußte Christus den Spottmantel aus- und seine eigenen Kleider wieder anziehen (Mt. 27, 31; Mk. 15, 20). Im Gegensatz zu Mt. und Mk. erfolgten Verspottung und Dornenkrönung Christi nach Joh. 19, 2f. vor der Verurteilung Christi, aber ebenfalls in unmittelbarem Anschluß an die Geißelung.

Weitere E. sind indirekt aus den biblischen Passionsberichten zu erschließen bzw. wurden, diese ergänzend, allgemein angenommen:

Nachdem Christus ans Kreuz geschlagen worden war, teilten Kriegsknechte seine Kleider unter sich (so übereinstimmend Mt. 27, 35; Mk. 15, 24; Lk. 23, 34; Joh. 19, 23); es hat demnach eine E. vor der Kreuzigung stattgefunden. Im Nikodemusevangelium ist diese E. beschrieben: „Und als sie (Christus und die beiden Missetäter) an den (vorgeschriebenen) Ort kamen, entkleideten sie (die Juden) ihn und umgürteten ihn mit einem linnenen Schurz“ (Hennecke-Schneemelcher Bd. 1, S. 340; Tischendorf S. 361); weniger anschaulich ist im Petrusevangelium der E. gedacht: die Juden legten Christi Kleider vor dem aufgerichteten Kreuz nieder und teilten sie unter sich (Hennecke-Schneemelcher Bd. 1, S. 121).

Nach allgemeingültiger Auffassung wurde Christus nackt oder nur mit einem Lendentuch bekleidet gegeißelt: deshalb ist eine E. vor der Geißelung zu erschließen. Daß Mk. und Joh. der E. vor der Verspottung nicht gedenken, darf vielleicht darauf zurückgeführt werden, daß sie bereits vor der Geißelung eine E. annahmen; eine Entblößung nach dieser (vor der Verspottung) war dann nicht mehr erforderlich. Da die Bilder der E. vor der Geißelung, von seltenen Ausnahmen abgesehen, fast nur in vielszenigen Passionszyklen des Spät-MA vorkommen und dann in ihrer Bildform von Darstellungen der E. vor der Kreuzigung abhängig sind, können sie im folgenden gemeinsam mit diesen behandelt werden (s. u. II. C).

Die erforderliche Unterscheidung zwischen den verschiedenen E. während der Passion tritt nur zeitweise ikonographisch in Erscheinung: bereits von dem Zeitpunkt an, zu welchem E.-Bilder häufiger wurden, d. h. seit dem Spät-MA, bestehen in der Regel zwischen den Darstellungen aller E.-Themen kaum Unterschiede, und nur die jeweilige Einordnung in den Passionszyklus gestattet festzustellen, welches der E.-Themen illustriert werden soll. Für das Aufkommen von Schilderungen der E. vor der Verspottung und der E. vor der Kreuzigung waren jedoch verschiedene Gründe maßgebend; daraus erklärt es sich, daß sich die ältesten E.-Bilder z. T. erheblich voneinander unterscheiden. Es empfiehlt sich daher, die vor 1400 geschaffenen E.-Darstellungen getrennt nach ihren Themen zu betrachten (E. vor der Verspottung s. II. B. 1; E. vor der Kreuzigung s. II. B. 2); erst für die nach 1400 entstandenen Beispiele (II. C und D) erscheint diese Unterscheidung entbehrlich.

B. Exegese, Mystik, Typologie

Für die Entstehung von E.-Bildern und ihr Verständnis ist neben den biblischen und n.t.-apokryphen Erwähnungen der verschiedenen E. eine Reihe weiterer Beschreibungen und Deutungen von Belang.

a) Dadurch, daß man im MA die Strafe der Entkleidung in der Rechtsprechung für verschiedene Vergehen verhängte (Amira-Schwerin S. 66f.), war für den ma. Betrachter eines E.-Bildes unmittelbar deutlich, welche Demütigung die Entblößung für Christus war und daß dieser durch sie wie ein Verbrecher bestraft wurde. Da man zum Tode Verurteilte zu entkleiden pflegte, konnte das Bild der E. auch zur Veranschaulichung der Verurteilung Christi dienen, darin gewissen Schilderungen des Ecce homo (ostentatio Christi; s. RDK IV 674) vergleichbar.

b) Das Entblößen der Altäre (denudatio altarium) war früher nach jeder Meßfeier üblich, wurde später aber auf die Messe am Gründonnerstag beschränkt. Es soll – da der Altar ein Symbol Christi ist – die E. vor der Kreuzigung veranschaulichen (Sauer S. 167; Ludwig Eisenhofer, Grundriß der kath. Liturgik, Freiburg i. Br. 19262, S. 134). Während der denudatio altarium wurde Ps. 22 (21) gelesen, dessen 19. Vers („Sie teilten meine Kleider unter sich ...“) sich auf die indirekte biblische Schriftquelle der E. vor der Kreuzigung bezieht.

c) In den Betrachtungen über die Passion Christi spielen Beschreibungen der E. vor der Kreuzigung seit dem 12. Jh. eine Rolle. Der Vorgang wird hier breiter ausgesponnen und sein Verständnis in bestimmte Richtungen gelenkt. Im Hinblick auf die Ikonographie des Themas sind folgende Versionen von Bedeutung:

1. Maria berichtet, daß Christus nach seiner Ankunft auf der Hinrichtungsstätte sich selbst entkleidet habe („Et ipse filius meus veniens ibi exuit se personaliter vestibus suis“: Revelationes der hl. Birgitta I, 10 und IV, 70). Sie ist bei der E. zugegen und wird angesichts der ihrem Sohn angetanen Schmach von Schmerz überwältigt. Die E. wird aber nicht nur als ein Ereignis begriffen, das die Compassio Mariae erkennen läßt: Christus legt selbst seine Kleider ab und zeigt, indem er das zur Hinrichtung Erforderliche von sich aus besorgt, daß er freiwillig das heilspendende Opfer seines Kreuzestodes auf sich nimmt. Die Freiwilligkeit seiner Erlösungstat ist in der theologischen Literatur des Hoch-MA immer wieder betont worden.

2. Maria Magdalena bittet einen der Umstehenden, er möge dem entkleideten Christus den Liebesdienst erweisen und ihm ihren Schleier umhängen (Vita beate virginis Marie et salvatoris mundi, Anfang 13. Jh., Vers 5026ff.: ed. A. Vögtlin [= Bibl. d. Litt. Ver. Stg. 180], Tübingen 1888). Vielfach besorgt dies eine der hl. Frauen selbst, meist Maria Magdalena: um Christi Blöße zu bedecken „una de dominabus, quae erant ibi, projecit suum capitegium“ (Bonaventura, De s. Marci evang. sermo II, 4: Bonaventura, Opera omnia hrsg. v. P. David Fleming O.F.M., Quaracchi b. Florenz 1901, Bd. 9 S. 257). Im Hoch-MA wird dieses Motiv hauptsächlich in Verbindung mit der Kreuzannagelung, seltener der Kreuzerhebung, genannt, ging bald aber auch auf die E. über.

3. Meist hat man die Schleierszene mit Maria in Zusammenhang gebracht. Im „Dialogus beatae Mariae et Anselmi de passione Christi“, 12. Jh., beschreibt Maria die E. folgendermaßen: „Cum venissent ad locum Calvariae ignominiosissimum, ubi canes et aha morticina projiciebant, nudaverunt Jesum ... totaliter vestibus suis, et ego exanimis facta fui; tamen velamen capitis mei accipiens circumligavi lumbis suis“ (Migne, P.L. 159, Sp. 282). Ausführlicher ist der Bericht eines Autors aus dem 14. Jh., der mit Bedas Namen verbunden wurde (ebd. Bd. 94, Sp. 566): „Cogita quod usque ad locum Calvariae populus clamans venit, et tunc ibi videntibus omnibus, exspoliatur suis vestibus, et cum maximo dolore, quia vestis interior adhaerebat ei fortiter propter sanguinem flagellationis, et tunc apparuit corpus ejus, tam eleganter figuratum, totum cruentatum ... Sic totus nudus in cruce elevatur et extenditur. Sed mater ejus amantissima velum suum, quod habebat in capite suo, posuit circa eum plena anxietate, et involvit locum verecundum.“ Hier tritt neben das Compassio-Motiv die Schilderung der Pein, die das Entkleiden Christus verursachte: an die Stelle des seelischen Leides Christi über die ihm mit der E. angetane Schmach rückt der Hinweis auf körperlichen Schmerz. Die bei Betrachtungen über die Ikonographie der E. vielzitierte Beschreibung der Schleierszene in den „Meditationes vitae Christi“ des Pseudo-Bonaventura (Devotissimum opus passionis Christi meditationum; Ausg. Venedig 1512, fol. 41 v) sei hier nur erwähnt. Diese für die E.-Ikonographie des 14. Jh. in Italien so wichtige Schriftquelle ist im deutschen Sprachgebiet sehr spärlich überliefert; sie hat hier erst spät und nur mittelbar – durch ihre ausführliche Benutzung in der „Vita Iesu Christi redemptoris nostri“ des Ludolf von Sachsen 1377 (Ausg. Venedig 1572, fol. 468 v) – Bedeutung erlangt. In vielen deutschsprachigen Passionsspielen ist die Schleierszene berücksichtigt (z. B. in der Frankfurter Dirigierrolle; für Beispiele aus England s. John Sullivan, A Study of Themes of the Sacred Passion in the Medieval Cycle Plays, Washington 1943, S. 161f.).

d) Seit dem 13. Jh. sind E.-Bilder in typologischen Zusammenhängen nachweisbar.

In der Bible moralisée ist die E. vor der Kreuzigung der Schande Noahs, 1. Mos. 9, 21–23, gegenübergestellt (Abb. 2) und Harn als Vorbild der Christus entkleidenden Juden gedeutet. Für die E. vor der Verspottung (Abb. 4) und die dieser folgende Umkleidung sind Vergleiche aus dem kirchlichen Leben gezogen, wobei die weit ausgreifenden Deutungen auffallen: so wird von der Umkleidung gesagt, sie bedeute, „quod cum plenitudo gentium intraverit tunc omnis Israhel salvus fiet“ (London, B.M. ms. Harley 1527, fol. 57 v u. 58: [4] Bd. 3 Taf. 528f.). Die Erklärung für solche Moralisationen ist der Deutung zu entnehmen, die das Würfeln um Christi Rock fand: das Aufteilen der Kleider in vier Teile wird als Hinweis auf das Wirken der Kirche in den vier Teilen der Welt verstanden (ebd., Add. Ms. 18 719, fol. 270 v: [4] Bd. 4 Taf. 715). Die Auslegung knüpft – wie auch bei der E. vor der Verspottung und der Umkleidung nach dieser – nicht an den Vorgang des Würfeins bzw. Entkleidens an, sondern deutet das Gewand Christi symbolisch aus.

In dem unter heilsgeschichtlich-lehrhaften Gesichtspunkten zusammengestellten Heils-Spiegel ist keines der E.-Themen berücksichtigt worden.

Die jahrhundertelang gebräuchlichen typologischen Deutungen des Bildes der E. vor der Kreuzigung – die übrigen E.-Themen wurden nicht in die typologischen Bilderreihen aufgenommen – finden sich im 91. Temporale der Concordantia caritatis und in der München-Londoner Gruppe von Armenbibeln (RDK III 847/48; ebd. I 1081/82). In der Concordantia car. trat zu dem herkömmlichen Vergleich mit Noahs Schande die Entkleidung Josephs (1. Mos. 37, 23f.); diese Szene war ebenfalls schon in der Bible moralisée mit der Passion Christi in Verbindung gebracht worden: der blutige Rock Josephs weist dort auf die Geißelung hin [4, Bd. 1 Taf. 24]. Die genannte Armenbibelredaktion der 1. H. 15. Jh. führte zwei neue a.t. Präfigurationen ein: David tanzt nackt vor der Bundeslade (2. Sam. 6, 14); Achior wird entkleidet und gebunden (Judith 6); außerdem ist u. a. auf folgende Texte verwiesen: Ps. 22 (21), 19, s.o.; Jes. 58, 7; Hiob 1, 21. – Auch außerhalb der genannten typologischen Bilderreihen konnte Heider die Verwendung derselben a.t. Vorbilder im 14. Jh. nachweisen (vgl. Molsdorf Nr. 392f.). In den späteren Armenbibeln finden sich bisweilen Varianten, sie kommen durch Übernahme von Präfigurationen aus anderen typologischen Zusammenstellungen zustande (s. etwa Venedig, Bibl. Marciana ms. lat. Cl. 72, wo das Würfeln um Christi Rock und Josephs Entkleidung in Bezug gesetzt sind).

Während man zunächst in der E. vor allem die Schmach der Entblößung, im Spät-MA außerdem die Schmerzhaftigkeit des Vorgangs bedachte, sah man in der Neuzeit die Nacktheit Christi als das Wesentliche an. Diese Verlagerung des Bildverständnisses wurde durch die Deutungen der Nacktheit im ausgehenden MA vorbereitet (s. hierzu Nacktdarstellungen). Nacktheit erscheint hier u. a. als Zeichen der Caritas (vgl. etwa Gaz. des B.-A. 95 [42], 1953, S. 17, Abb.). Die E. entsühnt die Nacktheit der Stammeltern: während diese sich zu verbergen trachteten, als sie ihre sündige Nacktheit erkannten (1. Mos. 3, 8–10), offenbart die Nacktheit Christi dessen Sündelosigkeit (Jan David S.J., Paradisus Sponsi et Sponsae, Antwerpen 16182, Kap. 17, S. 66–69). Alphonso Palaeoto kommt in seinem Buch „Iesv Christi Crvcifixi Stigmata Sacrae Sindoni impressa“, Venedig 1606, mehrfach auf die Deutung der Nacktheit Christi und E. zu sprechen (S. 69, 84f.; s. a. S. 58). – Eine Zusammenstellung aller a.t. Vorbilder der E., die im Barock geläufig waren, bietet Hieronymus Lauretus (Sylva allegoriarum sacrae Scripturae, Köln 1701, S. 725f. unter „Nudus, Nudare“): „Nuditas Adae in paradiso designavit nuditatem Christi, qui pro nobis apparuit infirmus. Et ut ille fuit nudus in paradiso, ita Christus ut humanam tegeret nuditatem, nudus pependit in cruce (s. Kreuzigung). Nuditas etiam Noe nuditatem Christi in passione et cruce significat. Nuditas autem Job designavit Christum a sorde originalis peccati mundum. Designavit etiam quod Christus a synagogae carne prodiens conspicuus ad gentes prodiit, quam esset ab ipsa synagoga nudatus, sicut etiam Joseph reliquit pallium in manu dominae (1. Mos. 39, 12). Nuditatem Christi aspexerunt Judaei.“

Die prot. Theologie hat der E. vor der Kreuzigung nur hin und wieder gedacht (vgl. z. B. Joh. Arndt, Eintzelne Predigten Ueber Ausserordentliche Fälle, Anderer Theil, Hof 1737, S. 228ff.). In illustrierten Erbauungsbüchern, die sich mit der Passion beschäftigen, kommen gelegentlich E.-Darstellungen vor (so in Wolfg. Christoph Breßlers „Blut- und Liebesrosen oder andächtige Betrachtung der unergründlichen Liebe Jesu gegen die Menschen“, Nürnberg 1695; der E.-Kupferstich ist eine Übernahme aus der Passio Domini Nostri Iesv Christi des Christoph Weigel, Augsburg 1693). Einige Beispiele sind auch in den Bilderbibeln und den z. T. äußerst umfangreichen Passionszyklen des späten 17. und des frühen 18. Jh. enthalten.

II. Darstellungen

A. Allgemeines

Die weitaus meisten E.-Darstellungen sind Bestandteil von Bildzyklen der Passion Christi oder Stationsbilder des Kreuzweges. Sie gehen zumeist Schilderungen der Geißelung, der Verspottung und der Kreuzigung (oder einer Darstellung anderer Vorbereitungen zur Kreuzigung) voraus und sind als vorbereitendes Geschehen der ihnen folgenden Passionsereignisse verstanden. Aus diesem Grund kommen E.-Bilder gewöhnlich nur dann vor, wenn auch der mit einer E. eingeleitete Vorgang abgebildet wird. E.-Schilderungen verdanken also ihre Entstehung der Absicht, vom Ablauf der Passionsereignisse ein möglichst detailliertes Bild zu geben. Die Einschätzung der E. als Themen erzählenden Charakters wird indirekt auch dadurch bestätigt, daß bei der Reduktion der umfangreichen Passionsfolgen des Spät-MA am Anfang der Neuzeit die E. zu den als erste preisgegebenen Themen gehören.

Dieses für Spät-MA und Neuzeit charakteristische Verständnis der E.-Themen war jedoch nicht von Anfang an vorherrschend. Einer größeren Zahl gerade der älteren E.-Darstellungen ist mit dieser Erklärung nicht beizukommen, und auch das Vorhandensein von Altarbildern, auf denen allein die E. vor der Kreuzigung geschildert ist, weist darauf hin, daß E.-Themen nicht nur als Passionserzählung begriffen wurden.

Das gilt in erster Linie für diejenigen E.-Themen, die nicht unmittelbar auf dem Passionsbericht der Evangelisten beruhen, insbesondere für die E. vor der Kreuzigung. Darstellungen dieser E. haben sich in Frankreich nur auf dem Umweg über die Typologie eingebürgert und wurden dort erst geraume Zeit nachher dem Passionszyklus integriert. Selbst in Italien, wo die Hinwendung zum erzählenden E.-Bild bereits seit dem ausgehenden 13. Jh. für die ikonographische Entwicklung bestimmend wurde, ist das älteste derzeit bekannte E.-Bild heilsgeschichtlich motiviert.

Die E.-Schilderung der um 1260 in Bologna oder Padua illustrierten Bibel, die sich ehem. in der Slg. Dyson Perrins in Malvern befand (Abb. 5; Aukt.Kat. Sotheby & Co., „Illuminated Mss. of the Property of C. W. Dyson Perrins“, Teil 2, London 1959, S. 31f. Nr. 61, Taf. 11), fügt sich in eine Folge von Darstellungen aus dem Leben Jesu ein, die ihrerseits in Bezug gesetzt ist zu einem Zyklus, welcher die Ereignisse vom Beginn der Weltschöpfung bis zum Sündenfall der Stammeltern umfaßt. Mit diesem unter das Thema Sündenfall und Erlösung gestellten Programm wird der Prolog des Hieronymus und der Anfang von 1. Mos. illustriert. Die Aufnahme eines E.-Bildes in den nur sieben Szenen enthaltenden Leben-Jesu-Zyklus ist höchst bemerkenswert; es ist eines der drei Bilder, die der Schilderung der Passion zugebilligt wurden, und steht zwischen Gefangennahme und Kreuzigung. Auf der rechten Seite des Bildes ist das aufgerichtete Kreuz wiedergegeben, daneben ein Scherge mit geschultertem Hammer; links vom Kreuz steht Christus, ganz für sich allein und größer als die übrigen Figuren, und zieht seinen Rock aus, dahinter eine Soldatengruppe, deren Anführer einen Stab hält, das Beglaubigungszeichen für den zur Aufsicht bei der Hinrichtung Bestellten (vgl. dazu Amira-Schwerin S. 89f.). Der E.-Vorgang wird eigentümlich still und verhalten erzählt, Christus nicht mißhandelt, nicht einmal bedrängt.

Der Bildform der italienischen Miniatur ist es abzulesen, wie es zur Konzeption des Bildes kam: das Heilszeichen des Kreuzes und die freiwillige E. bestimmen die Darstellung und geben ihr eine Deutung, die über die bloße Wiedergabe des historischen E.-Vorgangs hinausweist. Die E. hat hier die Funktion, die Freiwilligkeit des heilbringenden Opfertodes Christi zu vergegenwärtigen. Dieses Bildverständnis macht begreiflich, wie es dazu kommen konnte, Altarbilder mit E.-Darstellungen zu schmücken (vgl. z. B. Öttingen, Annakapelle, südl. Seitenaltar: Inv. Bayern VII, 1, S. 365, Abb. 464).

Auch die Bemühungen, der E. vor der Überantwortung Christi an seine Henker bzw. der nicht immer von ihr zu unterscheidenden Umkleidung über das Erzählerische hinausgehende Bedeutung zu verleihen, sind mittels der künstlerischen Bildgestaltung verwirklicht worden. Wenn diese E. vor dem auf seinem Richterstuhl sitzenden Pilatus stattfindet (Abb. 8), wird die E.-Szene zum Bild der Verurteilung Christi umgedeutet (dementsprechend wird dann auch nicht regelmäßig der durch die E. eingeleitete Passionsvorgang geschildert).

Öfters, zumal in der Neuzeit, wurden vier Schergen auf E.-Bildern wiedergegeben. Diese Zahl ist nicht zufällig: bereits in den Apokryphen findet sich die Mitteilung, vier von den Juden gedungene Soldaten hätten Christus gegeißelt und gekreuzigt (Hennecke-Schneemelcher Bd. 1, S. 100), und in vielen Kommentaren wird diese Vorstellung erwähnt und gedeutet. Auch Christi Kleider werden unter vier Henkersknechte geteilt (s. o. Sp. 765). Die Abbildung der Vier ist somit nicht nur ausschmückender Erzählung zuliebe konzipiertes Motiv, sondern Hinweis auf die symbolische Deutung des E.-Geschehens. Bezeichnenderweise wurde das Motiv erst dann häufiger aufgegriffen, als das E.-Bild Gegenstand andächtiger Betrachtung geworden war: es kommt vielfach bei Stationsbildern des Kreuzweges vor.

Man hat also zwischen erzählenden, typologischen und exegetischen E.-Darstellungen zu unterscheiden. Diese Verschiedenheit kommt vielfach auch in der Bildform zum Ausdruck; außerdem ist sie in hohem Maße identisch mit der Einstellung der verschiedenen Kunstkreise zu den E.-Themen, wie die vor 1400 geschaffenen E.-Bilder (B. 1 und 2) bestätigen. Eine Nivellierung der Bildtraditionen erfolgte erst im Spät-MA (C). In der Neuzeit (D) galt das Interesse der bildenden Kunst, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nur noch der E. vor der Kreuzigung.

B. Vor 1400

1. Die ziemlich seltenen Darstellungen der E. vor der Verspottung Christi und die ihnen gewöhnlich sehr ähnlichen Bilder der Umkleidung Christi (Mt. 27, 31; Mk. 15, 20; zur Bedeutung des Kleidertauschs in der Rechtspflege s. Amira-Schwerin S. 78) gehen als einzige der verschiedenen E. während der Passion unmittelbar auf die Bibel zurück. Das mag der Grund sein, weshalb sie früher als die übrigen E.-Themen dargestellt wurden.

Die Schilderung dieser E.-Szenen beginnt im 11. Jh. mit einem Vorspiel: in byzantinischen Miniaturen wurde der Vorgang umschrieben, selbst jedoch nicht geschildert. In der Hs. Plut. VI. 23 der Bibl. Laurenziana zu Florenz ist auf fol. 58 v zwischen Mt. 27, 26 und 27, 27 ein Bildstreifen eingeschoben, der zwei Szenen enthält. Links scharen sich Kriegsknechte um Christus und fordern ihn auf, ins Richthaus zu gehen; Christus trägt hier seine eigenen Kleider. In der folgenden (der Verspottung vorausgehenden) Darstellung erscheint Christus im Spottmantel, seine Kleider sind beiseitegelegt oder werden gerade weggebracht (Abb. 1; vgl. ferner Paris, B.N. ms. gr. 74, Tetraevangelium, fol. 58: Henri Omont, Évangiles avec peintures byzantines du XIe s. [= B.N. Dépt. des Mss. 27/28], Paris 1909, Taf. 49, 2).

Die ältesten abendländischen Gestaltungen des Themas entstanden im 2. V. 13. Jh. in Frankreich. Für eine Gruppe schulmäßig zusammenhängender Hss. der Bible moralisée ist folgende Bildform zeitweise verbindlich gewesen: Christus steht in der Mitte einer Schar Kriegsknechte, die ihm den Mantel vom Leib reißen; unter dem Mantel trägt Christus ein Ärmelgewand, er wird also zunächst nicht nackt oder mit teilweise entblößtem Körper dargestellt (Abb. 4; für die eng verwandten Illustrationen von Mt. 27, 31 vgl. [4], Bd. 3 Taf. 529). Die drastische Erzählung des Geschehens wurde von einem französischen Elfenbeinschnitzer des 1. Dr. 14. Jh. noch überboten (Abb. 6): ein Scherge schickt sich an, dem zusammengebrochenen Christus das Gewand – den Spottmantel – herunterzureißen.

Auch außerhalb Frankreichs finden sich vereinzelt Bilder der E. vor der Verspottung. Sie unterscheiden sich von den älteren Beispielen dadurch, daß sie Christus mit einem Lendenschurz bekleidet und im Begriff, sich den Rock auszuziehen, abbilden – so wie es während des 14. Jh. für die meisten E.-Schilderungen üblich wurde. Die Kenntnis des Themas in Deutschland ist zuerst durch die nur in zeichnerischen Aufnahmen überlieferten frühgotischen Fresken in St. Cäcilien in Köln bezeugt (Clemen, Got. Mon. Mal. S. 136, Taf. 20f.). Eine Abwandlung des Passionsberichtes nach Joh. ist um 1330 mit einer Darstellung der Verurteilung Christi in Form eines Bildes der Umkleidung illustriert worden (Abb. 8; zwischen die beiden Sätze von Joh. 19, 14 ist folgender Text eingefügt: „si [die Kriegsknechte] zugen im [Christus] das seiden gewand [den Purpurmantel] ab vnd legten im sein eigenes gewand an. vnd fuerten in abe für die schranne“). – Das älteste bisher bekannt gewordene italienische Beispiel bietet eine Miniatur in einem bald nach 1300 in Bologna geschaffenen Graduale (Modena, Bibl. Estense ms. lat. 1005 [alt: α Q. 1. 1], fol. 158 v: Domenico Fava u. Mario Salmi, I mss. miniati della Bibl. Estense di Modena I, Florenz 1950, S. 24).

2. Wenn von der E. gesprochen wird, hat man im allgemeinen die E. vor der Kreuzigung vor Augen, das am häufigsten dargestellte und in der Überlieferung am längsten lebendige E.-Thema. Keines der erhaltenen Beispiele reicht über das 13. Jh. zurück, gleichgültig ob es sich um erzählende Darstellungen dieser E. in Passionszyklen (b) oder um typologische E.-Bilder (a) handelt. Zwischen den ältesten Schilderungen bestehen beträchtliche Unterschiede, die einerseits mit der Entstehung an verschiedenen Orten, der italienischen Vorliebe für erzählende Darstellungen und der französischen für typologische, andererseits durch das offensichtliche Fehlen von allgemein verbindlichen Bildformeln zu erklären sind.

a) Den aufschlußreichsten Beleg für die Einschätzung des Themas in Frankreich bietet die Bible moralisé e. In ihrer Bildfolge zum N.T. fehlt die E.; auf die Kreuztragung folgt sogleich die Kreuzigung, an die sich, dem biblischen Bericht gemäß, das Würfeln um Christi Rock anschließt: die indirekte Beschreibung der E. vor der Kreuzigung (s. Kreuzigung). Im Genesiszyklus dagegen hat die E., typologisch der Darstellung von Noahs Schande zugeordnet, von Anfang an einen festen Platz. Der Schilderung der E. in der Oxforder Hs. Bodl. 270b, fol. 10 – sie dürfte die älteste Bildform überliefern – ist zu entnehmen, daß damals kein bestimmter Bildtyp bekannt war: ein Kreuzigungsbild wird dadurch zu dem der E. umgewandelt, daß zwei Schergen dem bereits Gekreuzigten (!) das Tuch, das seine Blöße bedeckt, herunterreißen (Abb. 2). Spätere E.-Darstellungen in Bible-moralisée-Hss. – wie Paris, B.N. ms. lat. 9471, fol. 23, und ebd. ms. fr. 9561, fol. 14 ([4] Bd. 4 Taf. 771 u. 760) – konkretisierten den Bezug zu 1. Mos. 9, 21–23 dadurch, daß sie die E.-Schilderung mit derjenigen von Mt. 27, 34 verbanden: Christus setzt die Schale, die mit Galle vermischten Essig enthält, an den Mund, während ihm ein Henkersknecht von rückwärts den Mantel abstreift oder ihm den Lendenschurz anlegt.

In Deutschland scheinen Bilder der E. vor der Kreuzigung in typologischer Anordnung weniger bedeutsam für die Einbürgerung des Themas gewesen zu sein. Bis auf die Lilienfelder Hs. der Conc. car., M. 14. Jh., stammen alle erhaltenen typologischen E.-Darstellungen aus der Zeit nach 1400 und reflektieren in ihrer Bildform die im Spät-MA gebräuchlichen Bildtypen (s. u. C).

b) Vor 1400 entstandene erzählende Schilderungen der E. vor der Kreuzigung, die in mehrszenige Passionszyklen eingefügt sind, gehören bis auf wenige Ausnahmen der italienischen Kunst an, doch scheinen gerade die ältesten Beispiele aus England und Deutschland zu stammen: um 1220–40 stellte W. de Brailes die E. in dem besonders umfangreichen Passionszyklus eines Stundenbuches dar, das aus der Slg. Dyson Perrins (ms. 4, fol. 43 v: Sir George Warner, Descriptive Cat. of Illuminated Mss. in the Libr. of C. W. Dyson Perrins, Oxford 1920, Bd. 2 Taf. 5 c) ins B.M. gelangte. Das deutsche Beispiel in einer fränkischen Psalter-Hs. von etwa 1255 (Abb. 3) zeigt Christus, der bereits einige Sprossen auf der ans Kreuz gelehnten Leiter emporgestiegen ist; ein Herzutretender zieht ihm das Gewand ab. Die Verbindung des E.-Motivs mit der Darstellung der Kreuzbesteigung kommt auch bei einigen späteren Beispielen vor. Sie hat als Versuch zu gelten, das im byzantinischen Kunstkreis als Darstellung der Kreuzigungsvorbereitung geläufige Bild der Kreuzbesteigung um einen Hinweis auf die E. zu bereichern (in Byzanz unterblieben derartige Andeutungen auf die E.).

Die Reihe der italienischen Beispiele beginnt mit der besprochenen Miniatur in einer Bologneser oder Paduaner Bibel-Hs. (Abb. 5). Die für ihre Bildform bestimmenden Motive sind auch in den E.-Schilderungen der Folgezeit betont: stets ist das Kreuz beherrschend in die Bildmitte gerückt, die Krieger stehen abwartend hinter Christus, ein bärtiger Mann nimmt den Rock entgegen, den Christus über seine Unterarme streift (Perugia, Pin., Gem. von einem Nachfolger des Franziskusmeisters, gegen 1300: Kat. Giov. Cecchini 1932, S. 19; [9] Abb. 238). In dem E.-Bild der Pin. Bologna [9, Abb. 235] sind einige fortan häufig wiederkehrende Motive hinzugekommen: Maria und eine zweite hl. Frau, wohl Maria Magdalena, sind bei der E. zugegen; eine Leiter lehnt am Kreuz, und der von der Soldatengruppe hier allein übriggebliebene Krieger mit geschultertem Schwert weist Christus an, die Leiter zu besteigen. Auf diesem Bild zeigen sich bereits erste Ansätze der die E.-Ikonographie im 14. Jh. bestimmenden Tendenz, die E. anschaulicher und lebhafter zu schildern. Auf dem – wie viele der frühen italienischen E.-Darstellungen – in Bologna geschaffenen Gem. der Pin.Vat. (Nr. 102; [9] Abb. 237) ist das E.-Thema zum Anlaß genommen, das geschäftige Treiben auf der Hinrichtungsstätte durch Schilderung mehrerer gleichzeitig verrichteter Tätigkeiten anzudeuten: die hl. Frauen, zu denen sich Johannes gesellt, sind in Bezug zu Christus gebracht, ein Scherge lehnt die Leiter ans Kreuz (ehem. Mailand, Coll. Sessa, Gem.: Edward B. Garrison, Gaz. des B.-A. 88 [29], 1946, S. 326 Abb. 4) oder bereitet die Kreuzannagelung vor (ehem. New York, Slg. Griggs, jetzt in süddt. Priv.bes., Gem.: Ders., Riv. d’arte 26, 1950, S. 62 Abb. 1, und Ausst.Kat. „Frühe italienische Tafelmalerei“, Stuttgart 1950, Nr. 113); berittene Hauptleute erscheinen, und dem sich entkleidenden Christus assistieren zwei oder drei Henkersknechte. Bald greifen die hl. Frauen aktiv in das Geschehen ein: Maria hängt Christus ihren Schleier um (Neapel, Fresko in S.M. Donnaregina: [9] Abb. 239); auf einem Gem. aus dem Umkreis des Guido da Siena im Erzb.Mus. zu Utrecht (nicht Antwerpen, wie [5], S. 387, angibt) bedeckt Maria die Blöße ihres Sohnes mit ihrem Mantel und versucht, Christus vom Besteigen der Leiter zurückzuhalten, wobei sie mit einem Schergen ins Handgemenge gerät (Burl.Mag. 59, 1931, Taf. 3D n. S. 22). Den gleichen vergeblichen Versuch macht Maria auf einem E.-Bild, das sich ehem. im New Yorker Kunsthandel befand (E. B. Garrison, Gaz. des B.-A. 88 [29], 1946, S. 343 Abb. 27). Das Motiv wurde auf dem Utrechter Gem., dem Tafelbild in süddt. Priv.bes. (s. o.) und auf einem Fresko in Ascoli Piceno [5, Abb. 414] mit dem der Kreuzbesteigung verknüpft. Die Verbindung von E. und Kreuzannagelung zeigt ein Gem. in der Pin. zu Siena aus dem späteren 14. Jh. (Nr. 57; Enzo Carli, Guida della Pin. di Siena, Mailand 1958, S. 27; [5] Abb. 419). Immer mehr wurde die E.-Szene zu einem einzelnen Motiv innerhalb figurenreicher Darstellungen. Schon der Neapolitaner Freskant rückte die E. aus der Bildmitte, die er der Kreuzaufrichtung einräumte; gleichsam stellvertretend für das Kreuz Christi stellte er hinter der E.-Szene das riesige Kreuz des guten Schächers dar. Erst das E.-Bild auf der Predella des Ölbergaltars in der Ak. zu Florenz, das bald als Frühwerk des Lorenzo Monaco, bald als Arbeit von einem seiner Schüler bezeichnet wird (Abb. bei van Marle Bd. 9, S. 181), verzichtete auf die Wiedergabe des ganzen Kreuzes Christi: hier ist nur ein kleines Stück des Kreuzes, das ein Scherge einpflockt, sichtbar. Fra Angelico hat die E. gänzlich ohne Kreuz geschildert (Florenz, S.Marco: Commentari 7, 1956, S. 78ff., Taf. 29, 5 u. 30, 6). Bezeichnend für die Bedeutung des Kreuzes auf E.-Bildern ist die Tatsache, daß dieses bei E.-Schilderungen, die nicht in einen Passionszyklus eingeordnet sind, auch später fast nie fehlt. So hat ein in der Werkstatt des Francesco di Giorgio tätiger Gehilfe auf einem – als Altarbild verwendeten – E.-Bild im Vordergrund ein großes am Boden liegendes Kreuz abgebildet (Allen Stuart Weller, F.d.G., Chicago 1943, Abb. 102): es ist einerseits, wie die Beziehungslosigkeit der Darstellung zu dem Kreuz zeigt, ein für sich inhaltlich bedeutsames Motiv, andererseits aber dient es dazu, auf die folgende Kreuzannagelung hinzuweisen. Die erzählerischen und die interpretierenden Motive bilden eine unauflösbare Einheit.

Bis zum ausgehenden 14. Jh. wurde die E. vor der Kreuzigung in Deutschland nur sehr selten in Passionszyklen berücksichtigt. Daß dieser Befund nicht nur durch Denkmälerverluste bedingt ist, geht daraus hervor, daß auch in der Literatur dem E.-Thema relativ wenig Gewicht beigemessen wurde. Das um 1300 oder bald danach entstandene Gedicht „Die Erlösung“, in dem die einzelnen Passionsereignisse ausführlich behandelt sind, widmet der E. eine einzige Verszeile (ed. Friedr. Maurer [= Dt. Lit., Reihe Geistliche Dichtung des MA, Bd. 6], Lpz. 1934, S. 220 Vers 5203). Bestätigt wird diese Feststellung ferner dadurch, daß ein bemerkenswert großer Teil der deutschen E.-Schilderungen der 1. H. 15. Jh. des Themas als Nebenszene volkreicher Kalvarienbergdarstellungen gedenkt (Abb. 9 und 10).

C. Spät-MA

Die im Spät-MA, seit dem ausgehenden 14. Jh., häufigen deutschen E.-Bilder sind vorwiegend figurenreich. Auch dann, wenn es sich nur um kleine Täfelchen handelt, fehlen Maria und Johannes bzw. Johannes und die Gruppe hl. Frauen selten (so auf dem oberdt. Hausaltärchen vom Ende des 14. Jh. im G.N.M.: Kat. 1936, S. 140 Abb. 254; auf dem Gem. im Waisenhaus zu Bocholt: Inv. Westf. Stadt Bocholt S. 95 m. Abb.; auf dem Flügel des Passionsaltars aus der Werkstatt des Meisters von Liesborn im Städt. Mus. Dortmund, 3. V. 15. Jh.: Stange Bd. 6, S. 114, Abb. 81). Die hl. Personen stehen entweder tatenlos im Hintergrund oder auf der Seite des Bildes. Öfters finden sich auch Beispiele für das Eingreifen einer der hl. Frauen, wobei der Einfluß literarischer Beschreibungen des E.-Vorganges unverkennbar ist. Der Kölner Meister, der um 1420–30 das Kreuzigungsbild der Wasservass schuf (Abb. 9), schildert, wie eine der hl. Frauen dem bereits auf das am Boden liegende Kreuz genagelten Christus ihren Schleier umbindet. Das aus der Vita beate virg. Marie et salvatoris mundi bekannte Motiv (s. o.) griff der niedersächsische Maler des Wandbildes in der Soester Petrikirche auf (Abb. 10): Christus ist von drei Schergen umgeben, einer streift ihm das Gewand ab, ein zweiter speit ihn an und ein dritter hängt ihm ein Tuch um die Lenden, das er von Maria Magdalena empfangen hat; diese steht hinter der E.-Gruppe und nimmt – im Gegensatz zu ihren beiden Begleiterinnen – Anteil an dem E.-Geschehen. Als Beispiele für das Vorkommen der Schleierszene seien genannt: B.N.M., bayer. Gem. um 1470 (Kat. 1908, S. 5 Nr. 13 b); Karlsruhe, Kunsthalle, Gem. vom Meister der Karlsruher Passion, um M. 15. Jh. (Lilli Fischel, Die Karlsruher Passion und ihr Meister, Karlsruhe 1952, Abb. 7); Köln, W.R.M., Darstellung im Hintergrund eines westfälischen Anna-Selbdritt-Bildes, 4. V. 15. Jh. (Kat. 1939, S. 171 Abb. Nr. 151); Breslau, Elisabethkirche, Krappescher Altar, um 1500 (Heinz Braune u. Erich Wiese, Schlesische Mal. und Plastik des MA, Lpz. nach 1926, Nr. 101, Taf. 90). Die E.-Schilderung auf einer gemalten Tischplatte aus dem späten 15. Jh. im Österreichischen Mus. f. angewandte Kunst dient als Bild der Verurteilung Christi (Heinr. Kohlhaußen, Anz. G.N.M. 1936 bis 1939, S. 17f., Abb. 6).

Mit großer Regelmäßigkeit wurden die für die Wiedergabe Christi eingebürgerten Typen überliefert.

Schergen streifen Christus die Kleider über die Unterarme oder – viel seltener – über den Kopf (so Abb. 7; Gem. im G.N.M., s.o.; Wolfenbüttel, Hzg. August Bibl. ms. 69, 6a Aug. 2°, fol. 12: [6] Taf. 58; Berlin, Kk., Zchg. des Mair von Landshut, 1499: Walter Hugelshofer in: Beitr. z. G. d. dt. K. 1, S. 114, Abb. 81; vgl. ferner Leo Olschki, Mss. sur velin avec miniatures du Xe au XVIe s., 1910, S. 75 m. Abb.). Für E.-Bilder kölnisch-niederrheinischen und oberrheinischen Ursprungs scheint die Gestalt des Schergen, der Christus von rückwärts festhält, typisch zu sein (Heribert Reiners, Die Kölner Malerschule, M.-Gladbach 1925, Taf. 15, Abb. 55f. u. 97; Oberstammheim, Galluskapelle, Fresko des 14. Jh.: Stange Bd. 1, Abb. 57; Karlsruhe, s. o.). Bisweilen kehren für andere Passionsbilder charakteristische Motive auch bei der E. wieder, ohne daß damit die chronologische Einordnung des betreffenden E.-Bildes in den Passionszyklus präzisiert werden soll: ein Kriegsknecht preßt Christus die Dornenkrone auf das Haupt (Reiners a.a.O. Abb. 55; Scheuren Krs. Neuwied, Kapelle: Inv. Rheinprov. 16, 2, S. 391, Abb. 26 u. 352); von Bildern der Kreuztragung wurde der Christus in den Rücken stoßende Scherge übernommen; aus Bildern des Einzugs Christi in Jerusalem ist die Gestalt des Zuschauers, der, um die Vorgänge besser übersehen zu können, auf einen Baum geklettert ist, entlehnt (Karlsruhe); Christus schlagende und bespeiende Knechte sind zumal aus Darstellungen der Verspottung bekannt.

Alle diese Erweiterungen zielen darauf ab, die Schmach Christi und seine erbarmungswürdige Peinigung eindringlich zu veranschaulichen. Daß sie um der möglichst präzisen Schilderung des E.-Geschehens willen erfolgten, ist weniger wahrscheinlich: wo solche Konkretisierung am nächstliegenden wäre, in der Lokalisierung des Geschehens, ist sie jedenfalls weithin unterblieben. Wohl ließ man die E. im Freien vor sich gehen, aber nähere Hinweise auf die Hinrichtungsstätte finden sich fast nur dann, wenn die E. als Nebenszene der Kreuztragung (Gem. des Thoman Burgkmair in Burghausen: Ernst Buchner in: Beitr. z. G. d. dt. K. 2, S. 74 Abb. 57) oder der Kreuzigung (Abb. 9 und 10; Bocholt, s.o.) wiedergegeben ist.

Die E.-Bilder in der Graphik des 15. und A. 16. Jh. zeigen nur z.T. die gleichen ikonographischen Eigentümlichkeiten wie diejenigen in der Malerei. Diesen entsprechen in bezug auf Vielfigurigkeit und – bei den jüngeren Beispielen – Wiedergabe reicher ausgestalteter Landschaft Holzschnitte wie die 68. Figur in Kobergers Schatzbehalter, 1491 (Schramm, Frühdrucke Bd. 17, Abb. 384), Schäufeleins E.-Bild im Speculum passionis (Nürnberg 1507: Geisberg, Buchholzschnitt Bd. 2, Taf. 179) und Einblattdrucke (Paul Heitz [Hrsg.], Einblattdrucke des 15. Jh., Bd. 4 Nr. 3 und Bd. 55 Nr. 1). Die Masse der E.-Holzschnitte, die sich in Passionsfolgen, Zyklen des Lebens Jesu und in Erbauungsbüchern (besonders häufig im Zeitglöcklein des Bertholdus) findet, ist jedoch knapper in der Erzählung: zwei oder drei Schergen entkleiden Christus, weitere sind in der Regel nur dann abgebildet, wenn Maria und Johannes fehlen (Abb. 12). Die gelegentlich vorkommende Lokalisierung der E. vor der Geißelung und der Verspottung ins Freie dürfte auf den Austausch von Bildern der E. vor der Kreuzigung und solchen der E. bei vorausgegangenen Passionsereignissen zurückzuführen sein (so ist z. B. in den 1480 und 1486 bei Anton Sorg in Augsburg erschienenen Passionalen jeweils derselbe Druckstock für die zwischen Ecce homo und Kreuztragung eingefügte Umkleidung Christi und die E. vor der Kreuzigung benutzt worden: Schramm, Frühdrucke Bd. 4, Abb. 560 u. 2930). Voraussetzung für die wiederholte Verwendung desselben E.-Bildes in einer Passionsfolge war, alle auf eine bestimmte E.-Szene hindeutenden motivischen Details zu unterdrücken. Der beigefügten Gebete wegen seien ein süddt. Einblattholzschnitt aus der Zeit um 1500 (Heitz a.a.O. Bd. 98, Nr. 4) und das E.-Bild einer Kupferstichpassionsfolge im Stift Nonnberg bei Salzburg erwähnt (Inv. Österr. Bd. 7, S. 195, Abb. 277).

Der derbe Erzählstil, bei dem sich die Schilderung des Grausamen bis zur Karikatur steigern konnte, hat nur in den letzten Jahrzehnten des Spät-MA die Gestaltung der E.-Themen in nennenswertem Umfang beeinflußt; er blieb im wesentlichen auf derb-primitive Holzschnitte beschränkt. Kupferstiche mit E.-Darstellungen sind gemeinhin durch größeren Figurenreichtum ausgezeichnet. Für die Rekonstruktion der mit E.-Schilderungen versehenen Passionszyklen des früheren 15. Jh. kommt frühen Kupferstichen Bedeutung zu (vgl. Lehrs Bd. 2, Nr. 148, 200, 282; ebd. Bd. 3, Nr. 244). Besonders häufig hat der niederländische Monogrammist S das E.-Thema behandelt (Hollstein, Dutch Fl. Engr. Bd. 13, Nr. 57, 188 u. 204).

Darstellungen der E. in der Plastik sind im Spät-MA sehr selten (vgl. Westfalen 19, 1934, S. 363 u. Taf. 34 sowie S. 361 u. Taf. 32, 2, wo die E.-Schilderung unzutreffend gedeutet ist).

D. Neuzeit

In der Neuzeit sind Schilderungen der E. vor der Kreuzigung häufig. Bestimmend hierfür war die Aufnahme dieses Themas in den Kreuzwegzyklus. Meist erscheint die E. als zehntes Stationsbild ([8]; Ernst Kramer, Kreuzweg und Kalvarienberg [= Stud. z. dt. Kg. Heft 313], Kehl u. Straßburg 1957, S. 20–25; über die verschiedenen Redaktionen des Zyklus s. Kreuzweg). Die relativ große Zahl der für Kreuzwege geschaffenen E.-Bilder täuscht jedoch über die Bedeutung, die man dem Thema im allgemeinen zuwies. Aufschlußreicher in dieser Hinsicht sind die weniger genormten Passionsfolgen in Bilderbibeln und Erbauungsbüchern: hier konnten selbst umfangreichere Bilderreihen ohne Wiedergabe der E. auskommen. Die jahrhundertelange Wiederholung von Bildformeln, die zuerst in den knappen Schilderungen des Vorgangs in der spät-ma. Graphik vorkommen, bezeugt eher die geringe Anteilnahme an dem Thema als die Überzeugungskraft der eingebürgerten Bildtypen.

Auch größere Künstler übernahmen sie mit nur geringen Abwandlungen (Abb. 14); vgl. ferner die E.-Darstellungen aus dem Umkreis Rottenhammers (Slg. Grzimek, Ravensburg: Kat. „Europäische Meister von 1520–1640“, Privatdruck, S. 50); des Januarius Zick im Kreuzweg zu St. Ulrich in Augsburg (Adolf Feulner, Die chr. K. 16, 1920, 164); J. P. A. Wagners am Chorgestühl zu Ebrach; eines anonymen Meisters von etwa 1735 (Alex. Schnütgen, Zs. f. chr. K. 21, 1908, Sp. 225f., Taf. 9); als Beispiel für zahllose künstlerisch wenig anspruchsvolle E.-Bilder in Dorfkirchen: das Relief des 1746 geschaffenen Kreuzweges in der kath. Pfarrkirche zu Hergensweiler Krs. Lindau (Inv. Bayern VII, 4, S. 342, Abb. 285). In der Buchmalerei wurden die spät-ma. Bildtypen besonders genau wiederholt (so etwa im Kanonbild eines Pontifikale im Dommus. zu Chur, wohl süddt., um 1550: Inv. Schweiz 20, S. 192, Abb. 214; Dresden, Öffentl. Bibl. ms. A. 315, fol. 79, um 1600: Rob. Bruck, Die Malereien in den Hss. des Kgr. Sachsen, Dresden 1906, S. 418).

Neben den spät-ma. wurden Bildformeln überliefert, die im Verlaufe des 16. Jh. konzipiert waren. Es scheint, als ob dieses Jahrhundert das letzte gewesen sei, das der E.-Ikonographie neue Impulse vermittelte; ein Urteil hierüber läßt sich jedoch erst fällen, wenn die Kreuzwegzyklen gründlicher untersucht sind. Solange nur einzelne dieser Folgen im ganzen publiziert sind, ist ein Überblick über die E.-Ikonographie der Neuzeit unmöglich. Im folgenden ist daher versucht, die Neuerungen des 16. Jh. zu charakterisieren und deren Auswirkung anzudeuten.

Bei aller Verschiedenheit der Ergebnisse scheinen die für die E.-Ikonographie des 16. Jh. bestimmenden Tendenzen doch verwandt zu sein. Man war bemüht, die Darstellung der E. in die Form eines christologischen Andachtsbildes zu kleiden. Bildform und Bildverwendung bringen dies zum Ausdruck.

Der Flügelaltar des Cornelis Engelbrechtsz. im Leidener Museum, um 1510 (Friedländcr Bd. 10, S. 59f., Taf. 44), zeigt bei geschlossenem Zustand die Hinrichtungsstätte vor den Mauern der Stadt Jerusalem. Über beide Flügelseiten hinweg ist im Vordergrund, am Boden liegend, das Kreuz Christi wiedergegeben, das – wie oft bei E.-Bildern – T-förmig ist. In kontinuierlicher Darstellung sind zwei Szenen behandelt: links wird Christus von vier Schergen entkleidet, rechts sitzt er im Bildtyp des Christus im Elend im Kreise seiner Henker, deren einer ihm einen Becher mit Gallenessig zu trinken reicht. Bei der Reduktion der Bilderzählung wurden nicht nur die Krieger und Zuschauer, die in der vorangegangenen Zeit bei größeren E.-Bildern fast nie fehlten, geopfert, sondern auch die hl. Personen. Die beiden Szenen des Leidener Altars sind auf dem Mittelbild des um 1528 von Jean Bellegambe geschaffenen Altars in der Kath. zu Arras zu einer einzigen Szene zusammengezogen (C. Dehaisnes, La vie et l’oeuvre de J. B., Lille 1890, S. 154f., Taf. n. S. 156). Hauptfigur ist Christus im Elend, den zwei Henker entkleiden, während zwei weitere das Kreuz richten. Die Entblößung des sitzenden Christus nähert das E.-Bild Schilderungen der Verspottung Christi. Die E.-Darstellung gewinnt durch die Verknüpfung mit dem allbekannten Andachtsbildtypus des Christus im Elend einen neuen Akzent. Es versteht sich, daß diese Bildkonzeption der Verwendung als Kreuzwegstation sehr entgegenkam und vielfach wiederholt wurde (so z. B. in der ehem. Abteikirche zu Fürstenfeldbruck).

Bei den E.-Schilderungen, die für die Christusfigur einen Andachtsbildtypus aufgriffen und in Zusammenhang damit die Zahl der dargestellten Figuren stark einschränkten, ist die neue Tendenz der E.-Ikonographie deutlicher erkennbar als bei den vielfigurig-erzählenden, bei denen die Aufnahme weiterer Motive schließlich zur – inhaltlichen – Überwucherung des E.-Themas führte. Am deutlichsten ist dies bei dem figurenreichen Altarbild Grecos für den Salon de las vestiduras der Kath. zu Toledo, dem wohl berühmtesten E.-Bild überhaupt, geschehen (Halldor Soehner, Münchner Jb. III. F. 9/10, 1958/59, S. 178 Nr. 15).

Das Bild, für das Greco 1577 den Auftrag erhielt, war 1579 vollendet. Es stieß bei den Auftraggebern auf Widerspruch; die Einwendungen lassen erkennen, was man in den ersten Jahrzehnten nach der Gegenreformation von einem E.-Bild erwartete. Greco habe die Historie entstellt und Christus entwürdigt; die Köpfe über dem Haupt Christi empfand man als anstößig; die Gruppe der hl. Frauen solle in größerer Entfernung von Christus abgebildet werden, denn nach Mk. 15, 40 hätten die Frauen dem Geschehen „von ferne“ zugeschaut (Carl Justi, Der Greco in Toledo, in: Miscellaneen aus 3 Jhh. spanischer Kunstlebens Bd. 2, Bln. 1908, S. 230–35). War Grecos „ei Expolio“ auch in der E.-Ikonographie ohne Vorbild, so war es doch nichts weniger als willkürliche Auslegung des Themas. Die ungewöhnliche Bildform erscheint vielmehr als konsequente Folge des Bemühens, die Darstellung auf den Verwendungszweck abzustimmen. Greco schildert in einer an Bilder der Gefangennahme Christi erinnernden Art die Ankunft der zum Tode Verurteilten und der sie begleitenden Krieger auf der Hinrichtungsstätte, wo ein Scherge das Kreuz herrichtet, während ein anderer sich anschickt, Christus zu entkleiden. Ungewöhnlich für E.-Bilder ist die Gebärde Christi, die man von Darstellungen des Gebets am Ölberg zu kennen glaubt. Die Anordnung der hl. Personen in der linken unteren Bildecke gemahnt an Bilder der Kreuztragung. Die Anklänge an andere Passionsszenen haben offensichtlich den Sinn, aus dem erzählenden E.-Bild ein Andachtsbild zu machen, dessen Betrachter an den ganzen Passionsweg Christi bis zur Kreuzigung erinnert werden soll. Dies, die äußerliche Analogie zum priesterlichen Kleiderwechsel in der Sakristei und die religiöse Deutung des E.-Vorgangs als ersten Schritt zur Kreuzigung Christi, die der Priester anschließend am Altar (= Kalvarienberg) feiert (vgl. José María de Azcárate, L’iconografía de „El Expolio“ del Greco, Archivo espanol de arte 28, 1955, 189–97, bes. S. 190), macht Grecos Darstellung als Gem. eines Sakristeialtars sinnvoll: es ist nicht nur E.-Bild, sondern im umfassenderen Sinne ein der Vorbereitung des Celebrans auf die Meßfeier dienendes Andachtsbild (vgl. auch die zu den Vorbereitungsgebeten gehörende Textstelle Ps. 116 [114], 3).

Die Darstellung Grecos entfernt sich so weit von den üblichen Schilderungen des E.-Vorganges, daß sie in der E.-Ikonographie ohne Nachfolge blieb (Repliken: vgl. H. Soehner a.a.O. S. 238, Reg.). Die Ablösung des E.-Bildes durch verschiedene andere Passionsdarstellungen, in denen die E. nur als mehr oder weniger zentrales Bildmotiv erscheint, ist für die ikonographische Entwicklung charakteristisch. Der Vorgang wiederholt sich öfters in Fällen, wo nicht – wie beim Kreuzweg – die Norm der Bildfolge zu selbständigen E.-Darstellungen zwang. Die 1602 von Rubens für die römische Kirche S. Croce in Gerusalemme geschaffenen Passionsbilder sind eindrucksvolle Beispiele für die Übertragung des E.-Motivs auf andere Passionsszenen (die Gem. befinden sich heute in der Kapelle des Hospitals zu Grasse; Oldenbourg S. 2).

Aus dem Verlust an thematischer Eigenständigkeit des E.-Bildes erklärt sich z. T. auch die außerordentlich große Wirkung, die eine Komposition von Friedr. Sustris hatte (der Entwurf befand sich bis 1945 in der St. Graph. Slg. München). Christoph Schwarz griff ihn für ein wahrscheinlich zwischen 1579 und 1586 geschaffenes Hausaltärchen auf, das die sieben Fälle Christi schilderte (bis 1757 vollständig erhalten in Schleißheim, seit der damaligen Restauration einige Tafeln, darunter das E.-Bild, verschollen). J. Sadeler d. Ä. schuf nach diesem Altar 1589 die Kupferstiche der „Praecipua Passionis D.N. Iesv Christi mysteria“, die mindestens dreimal nachgestochen und bis ins 18. Jh. immer wieder kopiert wurden (München, St. Graph. Slg. Inv.Nr. 109 877; alle Angaben nach Heinr. Geißler, Chr. Schwarz, Diss. Freiburg 1960 [masch.]). Auf Grund dieser Kupferstiche wurde die E.-Komposition weithin bekannt und für E.-Bilder in Bildfolgen der sieben Fälle Christi und des Kreuzweges häufig benutzt (allein in der Münchner A. Pin. befinden sich drei Wiederholungen, Gem.-Kopien der Stichfolge aus aufgehobenen Klöstern, z. B. Abb. 13; vgl. ferner Gößweinstein Krs. Pegnitz, 1597 von Martin Schultheiß: Inv. Bayern VIII, 2, S. 260f., Abb. 177; Stroppendorf Krs. Tost-Gleiwitz, Schrotholzkirche, 1667/68: Inv.Schlesien V, 1, S. 220, Abb. 400; Oberdingolfing, um 1700: Inv. Bayern IV, 1, S. 123, Abb. 78; Öttingen, s.o.). Die Kombination des E.-Motivs mit Schilderungen des Niederwerfens Christi auf das Kreuz (= 6. Fall) führte zu einer besonders dramatischen Wiedergabe und, von der E.-Ikonographie her gesehen, zur Darstellung einer Art „Vorbereitung der Kreuzannagelung“, deren Verwendung als Stationsbild des Kreuzweges sich durch die enge motivische Verbindung mit den folgenden Stationsbildern empfahl. Christus liegt auf dem Kreuz am Boden und wendet seinen Blick jäh von den Peinigern weg zu dem Betrachter. Einer der Schergen zieht ihm hastig den Rock aus, zwei weitere mißhandeln ihn. Im Hintergrund, etwa in der Bildmitte, sind die hl. Personen abgebildet, die „von ferne“ das Geschehen verfolgen (Abb. 13). S. im übrigen sieben Fälle Christi und Kreuzweg. Im späteren 18. Jh. und vor allem im 19. Jh. pflegte man die E.-Szene weniger dramatisch zu schildern. Christus erscheint als stiller Dulder oder pathetisch Mitleid Heischender und von dem derben Zugriff der Schergen unberührt. Inwieweit diese Akzentuierung des E.-Bildes bereits im früheren 18. Jh. vorbereitet wurde, läßt sich derzeit noch nicht ausmachen. Zumal in prot. Erbauungsbüchern und Predigten – vgl. etwa Joh. Arndt a.a.O. (s. Sp. 768) – ist früh davon die Rede, daß „Gott ... uns Christum selbst ausziehen (muß) durch seine Gnade und den Hl. Geist“ und daß die Nacktheit das Kleid der Auferstehung und der Unsterblichkeit sei.

Zu den Abbildungen

1. Florenz, Bibl. Laurenziana ms. Plut. VI. 23, Tetraevangelium, fol. 58 v, Ill. zu Mt. 27, 27f. Byzanz, M. 11. Jh. Fot. Bibl.

2. Oxford, Bodl. ms. 270b, Bible moralisée, fol. 10. Paris, M. 13. Jh. Nach [4], Bd. 1 Taf. 10.

3. Melk, Stiftsbibl. ms. 1833, Psalter, fol. 47 v. Um 1255 in der Diözese Bamberg oder Eichstätt geschaffen. Nach H. Swarzenski, Hss. 13. Jh., Taf. 197 Abb. 1061.

4. London, B.M. Harley Ms. 1527, Bible moralisée, fol. 57 V. Paris, 3. V. 13. Jh. Nach [4], Bd. 3 Taf. 528.

5. Ehem. Davenham, Malvern, Slg. Dyson Perrins ms. 51, Bibel, fol. 3 v. Bologna oder Padua, um 1260. Nach Sir George Warner, Descriptive Cat. of Illuminated Mss. in the Libr. of C. W. Dyson Perrins, Oxford 1920, Taf. 53.

6. New York, Metrop.Mus. Inv.Nr. 17.190.205, Verspottung Christi und Entkleidung, Ausschnitt aus einem Elfenbeinpolyptychon (Gesamtabb.: Koechlin Bd. 3 Taf. 73). Frankreich, 1. Dr. 14. Jh. Fot. Mus. (Courtesy of the Metropolitan Mus. of Art, Gift of J. Pierpont Morgan, 1917).

7. London, B.M. Add. Ms. 47680, Bilderbibel, fol. 30 v. Um 1325–35. Nach William Owen Hassall, The Holkham Bible Picture Book, London 1954, fol. 30 v.

8. Schaffhausen, Stadtbibl. ms. gen. 8, fol. 238 v. Österreich, um 1330. Fot. Alfred Stange, Tutzing.

9. Köln, W. R. M. Inv.Nr. 65, Kreuzigungsbild der Familie Wasservass, Ausschnitt (Gesamtabb.: H. Reiners a.a.O. Taf. 16). Gem. a. Holz, Ges.Gr. 1,28 × 1,76 m. Aus St. Columba in Köln. Köln, um 1420–30. Fot. Mus.

10. Soest, Petrikirche, Ausschnitt aus dem Kreuzigungsbild am südl. Mittelpfeiler (Gesamtabb.: Dorothea Kluge, Gotische Wandmal. in Westfalen 1290–1530, Münster i. W. 1959, Abb. 55). Tempera, Ges.Gr. 1,86 × 1,65 m. Niedersachsen, um 1430–40. Fot. L.A. f. Dpfl., Münster i. W.

11. Stuttgart, Württ. St.Gal. Inv.Nr. 1122. Gem. a. Lwd. über Holz, 1,255 × 0,57 m. Flügel eines Passionsaltars. Wohl Augsburg (sog. Meister v. 1477). Fot. Mus.

12. Entkleidung Christi vor der Kreuzigung. Holzschnitt, 8,8 × 6,6 cm. Niederlande, Ende 15. Jh. Nach P. Heitz a.a.O. Bd. 12, Nr. 14.

13. München, Bayer. St.Gem.Sign. Inv.Nr. 7349/4368. Gem. a. Holz, 42 × 28 cm. Süddt., 17. Jh.; Kopie nach dem Kupferstich von Christoph Schwarz (Entw.) und Joh. Sadeler d. Ä. (Ausf.) in „Praecipua Passionis D.N. Iesv Christi mysteria“, Mchn. 1589. Fot. Mus.

14. Jos. Ant. Feuchtmayer, 10. Station des Kreuzweges in der Pfarrkirche zu Weildorf b. Salem. Holzrelief, gefaßt. Um 1757. Fot. Lore Hamacher, Konstanz.

Literatur

1. X. Barbier de Montault, L’influence de St. Bonaventura sur l’art italien, Rev. de l’art chrétien 1889, 84ff. – 2. Mrs. Jameson (= Anna Brownell Murphy) u. Lady Elisabeth Eastlake, The Hist. of Our Lord Bd. 2, London 18902, S. 126f. – 3. Mâle III (1908), S. 75–91. – 4. Laborde, Bible moralisée. – 5. Gabriel Millet, Recherches sur l’iconographie de l’Évangile etc., Paris 1916 (Neudruck 1960), S. 380–95. – 6. Cornell S. 304f. – 7. Raphael Ligtenberg O. F. M., Rondom de Meditationes Vitae Christi van den Pseudo-Bonaventura, Studia Catholica 3, 1927, 229ff. – 8. Künstle I, S. 445. – 9. Sandberg-Vavalà S. 278–85. – 10. Olga Koseleff, Die Ikonographie der Passionsmomente zwischen der Kreuztragung und dem Tode Christi, Het Gildeboek 17, 1934, 34ff. – 11. Achtnich S. 38. – 12. Elisabeth Schürer-von Witzleben, Der dt. Passionsaltar, Diss. Mchn. 1953 (masch.). – 13. Réau II, 2, S. 471f. – 14. Princeton Index, Kopie der Bibl. Vat. Rom.

S. a. Kreuzweg und Passion Christi.

Verweise