Eselsritt
englisch: Riding the ass; französisch: Chevauchée de l'âne, asinade, assouade; italienisch: Somaro.
Volker Plagemann (1967)
RDK V, 1529–1536
I. Begriff
Der E. ist eine Schandstrafe, die in verschiedenen Epochen und Ländern bei unterschiedlichen Vergehen – allein oder zusammen mit anderen Strafen – verhängt wurde; ihr Vollzug wandelte sich im Laufe der Jahrhunderte.
II. Geschichte
Als erster bezeugt Plutarch den E. als Strafe (Moralia, Quaest. Graecae 2): Ehebrecherinnen in Kyme wurden nach Ausstellung auf dem Markt auf einem Esel reitend durch die Stadt geführt; sie waren als ὀνοβάτες fortan ehrlos ([2] S. 138 Anm. 14; auch in Indien soll der E. Strafe für Ehebrecherinnen gewesen sein: Aug. Wilh. Schlegel, Indische Bibl. 2, 1824, 273).
In Byzanz gehörte der E. zum Schandzug, der bei bestimmten Vergehen der Hauptstrafe vorausging (zahlreiche Belege bei Ph. Koukoules [5]): die Bevölkerung wurde zusammengeläutet, der Straffällige gebunden und durch die Stadt geführt (ausnahmsweise durch die ganze Provinz). Ehebrecherinnen (ebd. S. 188f.), Diebe, Glücksspieler, Knaben- und Mädchenschänder, Brandstifter, Schläger usw., aber auch verurteilte Soldaten, Revolutionäre, Usurpatoren und gestürzte Kaiser wurden davon betroffen, schließlich sogar – nach 1453 belegt – schlechte Schüler (ebd. S. 191f.).
Der oströmische Brauch ist seit dem 13. Jh. auch im Abendland nachzuweisen (vgl. dazu F. J. Dölger [2], S. 223f. und, für die These einer Übernahme in Zusammenhang mit den Kreuzzügen, Ant. Mailly [1]): um 1275 ließen die Venezianer den Patriarchen von Aquileja, der ihre Feinde unterstützt hatte, rücklings auf einem Maulesel durch die Stadt reiten [1, S. 4]. Ob aus sprichwörtlichen Formulierungen, wie sie Grimm, Bd. 3 Sp. 1146, unter E. anführt, auf die Strafpraxis zurückgeschlossen werden darf, ist unsicher (ein Holzschnitt des Matthias Apiarius, 1. H. 16. Jh., zeigt einen gesattelten Esel mit einer Unterschrift, die auf ein Sprichwort hinweist: „Ein Sprichwort was vor alten zyten / Das gäch lüt solten Esel ryten. / Darumb ist diser Esel grüst / Eim jeden der gächzornig ist / ...“: H. Kasser, Zwei Blätter aus der Berner Druckerei des M. Ap., Anz. f. schweizer. Alt.kde. N.F. 7, 1905/06, 33ff., Abb. 26). Im Spät-MA jedenfalls war der E. als Strafe für Ehebruch in Italien und Frankreich bekannt (Jac. Grimm, Dt. Rechtsaltertümer, Lpz. 19224, Bd. 2 S. 319). Im 16. Jh. war er in Hessen, wahrscheinlich auch andernorts, Strafe für Frauen, die ihren Mann geschlagen hatten, und wurde außerdem über Ehebrecherinnen und Meineidige verhängt (ebd. S. 318).
Wahrscheinlich mußten schon zur gleichen Zeit unfolgsame Schüler den Esel reiten [1, S. 3 Anm. 3]. Spätestens im 17. Jh. spielte der E. auch im Militärstrafrecht eine Rolle; Simplicius Simplizissimus hatte als Soldat verbotenerweise Karpfen gefischt, „sobald es aber der Obrist innen wurde, muste ich den Esel davor reiten“ (Grimm, Bd. 3 Sp. 1146). Besonders lange scheint der E. als Strafe für Ehedelikte in England üblich gewesen zu sein (Felix Liebrecht, Zur Volkskde., Heilbronn 1879, S. 386f.); noch im frühen 19. Jh. wurde in Lancashire das vom E. abgeleitete „Riding stang“ bei Ehebruch für beide Geschlechter ausgesprochen (ebd.). Auch in Rom kannte man im 19. Jh. noch die Schandstrafe des E. (Abb. 3).
Plutarchs Bericht sorgte dafür, daß der E. auch dort, wo er in der Strafpraxis weniger bekannt war, als Sühne für Ehebrecher galt. Die Ausbreitung des literarischen Wissens vom E. förderten außer den seit dem 15. und 16. Jh. zahlreichen Plutarch-Ausgaben (Wilh. von Christ und Wilh. Schmid, Gesch. der griech. Lit. [= Hdb. der Altertumswiss. VII], Mchn. 19206 [Nachdruck 1959], 2. Teil, Bd. 1 S. 532ff.) verschiedene Exzerpte in vielgelesenen Büchern: Erasmus von Rotterdam z. B. zitiert die Stelle in seinen Adagien – in der Ausg. Amsterdam 1663, S. 251, ist die „Onobatis“ unter den „Improbi“ verzeichnet; in Laurentius Beyerlinck, Magnum Theatrum Vitae Humanae, Lyon 1678, Bd. 1 S. 121, ist sie unter „Poenae adulterii variae apud varias gentes“ aufgeführt.
III. Strafvollzug
Wo es Esel als Haustiere gab, fand der E. auf einem lebenden Tier statt; in anderen Ländern hielt man entweder eigens für den Strafvollzug einen Esel – so in Hessen-Darmstadt, wo die Herren von Frankenstein ein „Eselslehen“ innehatten (Otto Gierke, Der Humor im dt. Recht, Bln. 1871, S. 53 Anm. 183, mit weiteren Belegen) – oder ersetzte das Tier – seit dem 17. Jh. – durch ein Gerät, den sog. „Schandesel“. Die Schandesel sind fast immer grob zusammengezimmerte Holzgestelle auf vier, oft überhöhten Beinen und haben eine Schwanzquaste und einen Kopf mit Eselsohren (Beispiele bei [3], S. 125, Taf. 72). Mit dem Gebrauch der Schandesel hörte der E. auf, ein Umritt zu sein. Das Gerät stand in den Städten auf den Markt- oder Hauptplätzen, in den Kasernen neben dem Wachhaus und in den Schulen im Klassenzimmer.
Vgl. Mich. Wenings Kupferstich „Der Marckh zu München“ (Abb. 2), eine Ansicht des Prinzipalmarktes zu Münster i. W. von 1716 [3, S. 124] oder die des Hauptplatzes von Rothenburg o. d. T. von 1762 [1]; einige Beispiele für die Aufstellung von Schandeseln für die Militärjustiz bei Emil Ermatinger, Dt. Kultur im Zeitalter der Aufklärung (= Hdb. der Kulturgesch.), Potsdam 1935, Abb. 87, und Eugen Wohlhaupter, Beitr. zur rechtlichen Volkskde., Nordelbingen 16, 1940, 144; ein von dem Holzschnitt des Apiarius (s.o.) abhängiges Blatt des 17. Jh. stellt einen zum E. gesattelten Esel dar (Beischrift: „... eben also wann die Jugend / nicht will lernen Kunst und Tugend / Träget sie vor ihren Lohn / Einen Eselskopf davon / ...“: Kasser a.a.O. Abb. 27); eine Kupferstichtafel in „Wahrheit ohne Schminke oder Deutschlands Elementarschullehrer von einem Württemberg. Dorf-Schulmeister“, Nürnberg 1825, zeigt einen Schüler auf einem Schandesel (Franz Koch, Dt. Kultur des Idealismus [= Hdb. der Kulturgesch.], Potsdam 1935, Taf. 10).
Seit dem 17. Jh. gab es auch sog. „Schandmasken“ für kleinere Vergehen, Hauben mit Eselsohren [3, S. 130 Abb. 7 k].
IV. Bildliche Darstellungen
Bildliche Darstellungen des E. sind in drei Gruppen zu scheiden: die erste besteht aus Schilderungen des E. im Strafvollzug (Abb. 3), die zweite aus Illustrationen zu Plutarchs Bericht (s. o.); die dritte machen Bilder aus, in denen – in Kenntnis der durch den E. gesühnten Vergehen – das Motiv des E. mit übertragener Bedeutung verwendet wird, als Mittel ikonographischer Charakterisierung im Bereich der Allegorie oder als satirisches Bildmotiv der Karikatur. Oft ist es nicht mit Sicherheit zu entscheiden, ob das Motiv mit Anspielung auf die Rechtspraxis konzipiert oder ob eine bereits vorhandene Darstellung, ihrer eingedenk, erklärt wurde.
Eine Illustration im Stuttgarter Passionale, zwischen 1110/20 und 1162, stellt lt. Beischrift die hl. „Pelagia Peccatrix“ dar, die vor ihrer Bekehrung Schauspielerin, Tänzerin und Hure war, danach aber ein gottesfürchtiges Leben in Mönchskleidern führte (A. SS. Jun. II. [1867] S. 158 A/B: „... eadem Pelagia, ex insigni scorto in sanctam Monastriam mutata...“; Buchberger Bd. 83, Sp. 245): die Heilige reitet in weltlichen Gewändern lauteschlagend auf einem Esel. Das Motiv des E. könnte auf die Schande des Lebenswandels der Pelagia hinweisen; es ist jedoch nicht auszuschließen, daß man auf die antiken Schauspieler-Einritte hinweisen wollte, von denen man aus der literarischen Überlieferung wußte (Belege bei Rud. Egger, Röm. Antike und frühes Christentum Bd. 2, Klagenfurt 1963, S. 364f.).
Das Bild der personifizierten Trägheit (Acedia), die auf einem Esel reitet, gehört ursprünglich in die Reihe auf Tieren sitzender Laster, und der Esel dient ihr als Reittier, weil er faul und träge sein soll (s. Esel, Sp. 1508ff.). Vom späten 15. Jh. an findet man jedoch ähnliche Darstellungen, die nicht in Verbindung mit Bilderreihen von (Haupt-)Lastern stehen und außerdem durch weitere Motive und – vor allem – Beischriften zu erkennen geben, daß sie mit Anspielung auf die Strafe des E. entworfen wurden.
Ein Nürnberger Holzschnitt (Horst Woldemar Janson, Apes and Ape Lore, London 1952, Taf. 36b) zeigt eine Frau, die auf einen Esel gebunden ist, den ein Affe führt. Beischriften ist zu entnehmen, wer – im Gegensatz zu der Frau – der Strafe des E. entgehen kann: „Quis potest carnem suam odio habere / Quis potest naturam in bono stabilire / Quis potest naturam vincere / Quis potest celum acquirere“; ferner lassen sie zu, in der Reiterin eine Buhlerin oder Ehebrecherin zu sehen (Abb. 1 ; andere Deutungen: Valerian von Loga, Jb. d. preuß. K.slgn. 16, 1895,239: „vielleicht Carnalitas oder Gula“; H. W. Janson a.a.O. S. 204: „Dame Folly“). – Ein Kupferstich aus dem Umkreis des Spielkartenmeisters parodiert eine vornehme Jägerin. Der Spruchbandtext charakterisiert ihren erotischen Mutwillen: „Eynen Esel reyden ich wan ich wil / eyn gauch dat is myn federspil / Da myt fangen ich naren und äffen vyl“ (ebd. Taf. 36 c; S. 204f.: „Dame Folly“). – Der Holzschnitt „Von Buolschafft“ in Seb. Brants „Narrenschiff“, Basel 1494 (ebd. Abb. a. S. 205), stellt „frow Venus“ als geflügelte Frau dar, die Männer mit Narrenkappen oder in Klerikergewändern an einem Seil hält; hinter ihr erscheint der Tod als Skelett, vor ihr ein nackter, geflügelter Knabe mit Pfeil und Bogen, ein Affe und ein Esel. Der Esel könnte eine Anspielung auf den E. als Strafe für „Buolschafft“ sein. – Das Motiv des E. wird vielleicht in einem Bild in der Gal. Franz’ I. in Fontainebleau gestreift; es stellt nach einer Fabel des Nicander von Colophon „La fontaine de Jouvence“ dar; ein nacktes Mädchen, die „ewige Jugend“, sitzt auf dem Rücken eines Esels und gibt sich einem schwanenähnlichen Drachen hin (Erwin Panofsky, Gaz. des B.-A. 52 [100], 1958, 148, Abb. 41).
In satirischen Bildkommentaren zu geschichtlichen Ereignissen ist das Motiv des E. in der Neuzeit mehrfach nachzuweisen. Ein illustriertes Flugblatt von 1631 stellt den Leichenzug der Kontribution dar: katholische Würdenträger, die das Volk durch Kontributionen bedrückt haben, ziehen in den Höllenschlund; der päpstliche Nuntius reitet auf einem Esel (Hermann Wäscher, Das deutsche illustrierte Flugblatt, Bd. 1, o. O. 1955, Taf. 69, S. 27). Zwei Wiener Flugblätter v. J. 1684 zeigen „Des Türkischen Groß Vizirs Cara Mustapha Bassa Zuruck-Marsch von Wien nach Constantinopel“ und „Den elenden und schimpflichen Abzug des Türkischen Groß-Vezirs aus der Christenheit und des Türkischen Hofes und der krumm- und lahmgehauenen Türken Klags-Geschrei über den so elend geführten Feldzug“: Kara Mustapha reitet auf einem Esel mit der jammernden türkischen Armee in Konstantinopel ein [1, S. 5]. Auch auf einer Karikatur des Francesco Agnelli wird der Großwesir als Eselsreiter diffamiert („Il Gran Visire, che ritorna a Costantinopoli per la perdita della Battaglia apresso Belgrado il 16 Agosto 1717“: Ed. Fuchs, Die Karikatur der europäischen Völker, Bln. o. J.2, Abb. 108). – Ein anonymer Karikaturist läßt „den tollen Jacobiner“ Marat den „Weg zum Tempel der Unsterblichkeit“ auf einem Esel reiten (ebd. Abb. 139). – Eine französische Karikatur auf Preußen und Österreicher v. J. 1793 verknüpft die Vorstellung vom schimpflichen Eselsritt mit einer Don Quichote-Paraphrase: der Österreicher reitet auf der Rosinante, der Preuße auf dem Esel des Sancho Pansa (ebd. Abb. 147). Eine anonyme Lithographie, März 1849, Karikatur auf die „Kaiserdeputation“ des Frankfurter Parlaments, variiert Goethes Erlkönig: Dahlmann, der Führer der „Kaiserpartei“, reitet auf einem Esel durch Nacht und Wind und hält ein kaiserliches Kind im Arm (Hermann Wäscher, Das deutsche illustrierte Flugblatt, Bd. 2, o. O. 1956, Taf. 44, S. 33). – Ob auf Darstellungen wie Abb. 4 der Gedanke an den Schimpf des E. in harmloser Weise weiterlebt, muß offenbleiben.
Zu den Abbildungen
1. Eselsreiterin. Holzschnitt, 21,4 × 13,7 cm. Berlin, Stiftung Preuß. Kulturbes., Kk., Inv.Nr. 665–115. Nürnberg, 4. V. 15. Jh. Fot. Mus.
2. Mich. Wening, Schandesel, Ausschnitt aus „Der Marckh zu München“. Kupferstich, Ausschnitt 7,4 × 6,3 cm. Ill. aus „Historico-Topographica Descriptio, Das ist: Beschreibung deß Churfuͤrsten- vnd Hertzogthums Ober- vnd Nidern Bayrn ..., Erster Thail, Das Renntambt Muͤnchen“, Mchn. 1701, Kupfer M 3. Nach Gertrud Stetter, M. W., Mchn. 1964, Taf. 3.
3. Eselsritt in Rom. Radierung unbek. Größe. Rom, Gab. Naz. delle Stampe. Rom 1. V. 19. Jh. Nach Ant. Martini, Arti mestieri e fede nella Roma dei Papi (= Roma cristiana, 13), Bologna 1965, Abb. 93.
4. Neujahrsblatt (?). Kolorierter Kupferstich, 5,8 × 8,7 cm. München, K.handel (1966). Wohl süddt., 1. Dr. 19. Jh. Fot. RDK.
Literatur
1. Ant. Maily, Der Hernalser E., Wiener Zs. für Volkskde. 32, 1927, 1–5. – 2. Franz Jos. Dölger, Ne quis adulter, Antike und Christentum 3, 1932, 138 Anm. 14 und 223f. (mit weiterer Lit.). – 3. Wilhelm Funk, Alte dt. Rechtsmale, Bremen und Bln. 1940. – 4. Amira-Schwerin S. 27 und 110 (mit weiterer Lit.). – 5. Phédon Koukoules, ΗΔΙΑΠΟΜΠΕΥΣΙΣ, in: „Vie et civilisation byzantines“ Bd. 3, Athen 1949, S. 184–208. – 6. K. S. Kramer, Art. „Eselreiten“ in: Handwb. zur dt. Rechtsgesch. Bd. 1, Bln. 1967, S. 1015 (mit weiterer Lit.).
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