Estompe
englisch: Stump; französisch: Estompe; italienisch: Sfumine, sfumino.
Irmgard Wirth (1968)
RDK VI, 104–106
I. Begriff, Herkunft des Wortes
Als E. bezeichnet man einen Wischer aus Papier oder Leder, der beim Zeichnen mit Stift, Kohle, Kreide, Rötel, Pastellfarben und Graphitpulver verwendet wird.
Das Wort ist aus dem Französischen entlehnt, die Herkunft von frz. estompe wird jedoch unterschiedlich angegeben.
Diderot-d’Alembert [6] verwendet im Art. „Estomber“, wo die gleiche Sache auch „estouper“ (= étouper) genannt ist, das Substantiv estompe, sagt aber nichts über die Herkunft des Wortes; diese erklärt sich aus der Gleichsetzung mit estouper = „mit Werg zustopfen“. Jombert [4] leitet E. ab von ital. stompare oder stoppare (was dem frz. étouper entspricht), moderne frz. Lexika neigen dazu, das Wort von dem dt. Adjektiv „stumpf“ herzuleiten [12].
II. Beschaffenheit
Über die Beschaffenheit (und Anwendung) der E. finden sich in verschiedenen Abhandlungen über die Methode des Zeichnens seit der 2. H. 17. Jh. genauere Angaben; allerdings ist oft nicht die E. im engeren Sinne, sondern allgemein ein Stofflappen zum Wischen von Zeichnungen gemeint.
Ein frühes schriftliches Zeugnis ist das um 1604 entstandene Lehrgedicht des Karel van Mander [1]: „Ihr sollt wischen, d. h. die Kreide mit Baumwolle vertreiben oder die schummerigen Feinheiten herausarbeiten, ohne die Schraffuren gleich mit zu vertreiben“; an anderer Stelle spricht er genauer von einem Baumwollstift: die Baumwolle wurde in einen Federkiel gesteckt.
Die E. im eigentlichen Sinn, das annähernd rollen- oder stiftförmig fest zusammengedrehte, an einem Ende oder an zwei spitz zulaufende Material, erwähnt Goeree, dessen Anweisung zur Zeichenkunst zweimal aus dem Holländischen ins Deutsche übersetzt wurde, 1669 von Phil. von Zesen [2 a] und 1678 von Joh. Langen [2 b].
In der älteren Ausg. heißt es: „Wan man Bildnusse zeichnet, so vertuscht und vertreibt man wohl die ekken der Erhobenheiten ein wenig: und hierzu kan man an stat der tücher oder Baumwolle ein stüklein von demselben Grundpapiere nehmen, und dichte zusammen wukkelen, doch also, daß es unten scharf zulauft, als eine deute. Hiermit kan man sehr füglich die kanten, welche zu hart anstoßen, wegnehmen, und gleichsam schmältzen machen ...“ Es wird also bereits eng gerolltes Papier verwendet. 1687 bemerkt Gautier de Nismes [3] außerdem, daß das Papier an den Enden nicht mit der Schere abzuschneiden sei, da es in dem mit der Hand abgerissenen, faserigen (also stumpfen) Zustand viel eher als eine Art Pinsel wirken könne; so spricht auch Preißler [5] von „stumpfspitzig“, Jombert [4] von „émoussé“. Oft wird ein Ende der E. zum Wischen, das andere zum Wegnehmen überschüssiger Farbteile verwendet.
Im 18. Jh. bringt eine Anzahl Traktate zur Zeichenkunst Hinweise auf die Wichtigkeit der E., die jedesmal genau beschrieben wird.
In der Ausg. Paris 1740 von Jomberts Traktat [4] wird zuerst neben Baumwolle, Leinen und Papier die E. aus gerolltem, weichem, mit einem Faden umwickelten (oder auch zugenähten) Gemsleder erwähnt (Abb.); auch später wird neben Lösch- oder Zeichenpapier stets Leder aller Art empfohlen. Daneben taucht immer wieder der Hinweis auf die Baumwoll- oder Leinenläppchen auf, nicht zuletzt aber wird – besonders für das Pastellzeichnen – der Finger als ausgezeichneter Wischer angesehen (so noch 1892 bei Cassagne [10]; s. a. [12]).
Abweichungen von der gebräuchlichen E. sind u. a. der feine, steife Hutfilz, der zu langen, an den Enden zugespitzten Streifen geschnitten und dann wie Pinselborsten in ein Holz gesteckt wird, oder die als E. für Miniaturen verwendeten feinen Korkstängchen.
III. Anwendung
Über die Anfänge des Gebrauchs der E. ist nichts Sicheres festzustellen. Zum Wischen, wie es das 1 5. und 16. Jh. zur Hervorhebung plastischer Teile in bescheidenem Umfang, besonders bei Kreide, kannte, hat sicher zunächst der Finger genügt; man wird aber auch schon weiche Baumwoll- oder Leinenläppchen genommen haben. Die zugespitzte, gerollte E. scheint nach den bisher bekannten Quellen erst im 17. Jh. aufgekommen zu sein, vielleicht erst in der 2. H., als die ersten Akademien mit ihrem Lehrbetrieb um eine schulmäßige Ausbildung der jungen Künstler bemüht waren. Seither diente die E. zum Vertreiben von Stift, Kreide, Kohle und Rötel. Harte Konturen sollten dadurch gemildert, Schattenpartien herausgearbeitet, die plastische oder malerische Wirkung gesteigert werden.
Im 18. Jh. war der Gebrauch der nun als unerläßlich angesehenen E. am meisten verbreitet. Sie diente jetzt nicht mehr allein dazu, die Härten der Zeichnung geschmeidig zu machen, sondern auch zum breitflächigen Auftragen bereits gepulverter Farben (Kreide, Rötel, später auch Graphitpulver), um unter Preisgabe jeden Konturs rein malerische Wirkungen zu erzielen (manière d’estomper oder faire de la sausse, eine Methode, die nicht lange geübt wurde).
Daß die Anwendung der in Frankreich viel gebrauchten E. ebenso in Deutschland für wichtig erachtet wurde, geht u. a. aus einem Urteil Chodowieckis hervor: in einem Brief an die Gfn. Christiane von Solms-Laubach bemängelt er an einer ihm zur Begutachtung eingesandten Zeichnung, eine Einzelheit sei „zu wenig estompiert“.
Auch im 19. Jh. blieb die E. in Deutschland in Gebrauch. Menzel rät seinem jungen Freunde, dem späteren Maler C. Arnold, in einem Brief vom 23. 4. 1847 mit allem Nachdruck, daß und wie er die E. zu verwenden habe. Besonders in seiner Spätzeit war sie für Menzels zeichnerisches Schaffen von Wichtigkeit.
In der modernen Zeichenkunst ist die E. so gut wie bedeutungslos.
Zur Abbildung
E. aus Gemsleder. Um 1740. Nach [11], S. 185 Abb. 65.
Literatur
Quellen: 1. Rud. Hoecker, Das Lehrgedicht des Karel van Mander (= Quellenstudien zur holl. Kg., Bd. 8), Den Haag 1916, S. 58/59 und 62/63. – 2. Willem Goeree, Inleyding tot de allgemeene Teykenkonst, Middelburg 1668 (für weitere Ausg. s. Schlosser Magnino S. 644). – 2 a. desgl., dt. Übers. von Phil. von Zesen: Wilh. Goerer, Anweisung zu der Practica oder Handlung der allgemeinen Mahler-Kunst ..., Hamburg 1669, S. 52. – 2 b. desgl., dt. Übers. von Joh. Langen, Hamburg 1678, S. 108f. und 144. – 3. Hubert Gautier de Nismes, L’Art de Laver, Lyon 1687, S. 23f. – 4. Charles-Antoine Jombert, Nouvelle Méthode pour apprendre à dessiner sans maître, Paris 17402, S. 36 (weitere vermehrte, z. T. – auch im Titel – veränderte Ausg.: Paris 1755, S. 62f., 65f. und 67; Paris 1773, S. 23 und 27). – 5. Joh. Dan. Preißler, Die durch Theorie erfundene Practic, oder gründlich verfasste Reguln, derer man sich als einer Anleitung zu berühmter Künstlere Zeichen-Wercken bestens bedienen kann, Nürnberg 1731 u. ö. (4. Teil, Nürnberg 1757, vgl. Abschnitt „Von der Manier in Schatten und Licht“). – 6. Diderot-d’Alembert Bd. 5, S. 1008. – 7. Chrn. Ludolph Reinhold, Das Studium der Zeichenkunst und Mahlerey für Anfänger, Göttingen und Gotha 1773, S. 93. – 8. Gg. Christ. Günther, Praktische Anweisung zur Pastellmahlerey für Liebhaber und Maler..., Nürnberg 1762; neue vermehrte Aufl. Nürnberg und Lpz. 1792, S. 7f., 31 und 55. – 9. Ferd. Landerer, Gründliche Anleitung Situations-Plane zu zeichnen, Wien 1805, S. 8. – 10. A. Cassagne, Guide pratique pour les différents genres du dessin, Paris 1892, S. 19f. 11. Jos. Meder, Die Handzchg. Ihre Technik und Entwicklung, Wien 19232, S. 112, 117, 129, 134, 147, 185 und 579f. – 12. Larousse du XXe s. Bd. 3 (1930), S. 294.
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