Füllung
englisch: Panel; französisch: Panneau; italienisch: Spechio.
Georg Himmelheber (2014)
RDK X, 1169–1175
I. Definition
Unter F. versteht man eine Platte aus Holz, die von einem oft erhöhten Rahmen umgeben und Teil einer schreinerischen Konstruktion ist. Um bei größeren Flächen, wie etwa bei Türen aller Art, bei den Seiten- oder auch Rückwänden von Möbeln, bei Decken und Vertäfelungen den Gefahren des „Arbeitens“ des Holzes kraft seiner hydroskopischen Struktur – z. B. das Schwinden, Quellen, Reißen – zu begegnen, löst man diese Flächen in einer Rahmenkonstruktion mit einer oder mehreren F. auf. Diese können frei von Ornament oder dekoriert sein.
II. Konstruktion
Die F., ein dünnes Brett, wird beim Zusammenbau des Rahmens, der an seinen Innenkanten mit einer Nut versehen ist, in diese eingeschoben, aber nicht eingeleimt, so daß sich die F. im Rahmen bewegen und damit den klimatischen Bedingungen folgen kann ([[:Datei:RDK_Füllung_1.jpg|Abb. 1). Der Rahmen kann auch mit einem Falz versehen sein, so daß die F. nach dem Zusammenbau des Rahmens von hinten eingelegt und durch angenagelte kleine Leisten gehalten wird (Abb. 2a). Meistens ist die F. stärker als die Nut und wird daher im schlichtesten Fall auf der Rückseite leicht schräg angehobelt (Abb. 2b). Ist diese sichtbar, kann die F. abgefälzt sein (Abb. 2c). Abfälzung kann jedoch auch auf der Vorderseite erfolgen, die erhöhte Fläche kann geschmückt sein, z. B. durch Faltwerk oder durch die verschiedenartigsten, auch eigens aufgelegten Zierformen (Abb. 2d). Es kommen auch doppelte und ggf. auf den Außenseiten gestaltete F. vor (Abb. 2, 3 und 4). Die F. kann aus ästhetischen Gründen auch über den Rahmen vorstehen, man spricht dann von einer „überplatteten F.“ (Abb. 2f). Die Rahmen sind zumeist zur F. hin mehr oder weniger profiliert (Abb. 3). Sollen große ebene Flächen bei furnierten Möbeln erzeugt werden, müssen die F. eingeleimt werden. Die Fläche ist dann zwar nur bedingt vor dem Reißen, aber vor dem Verwinden geschützt (Abb. 2g).
Erst nach der Erfindung des sog. „Absperrens“ konnte man auf die Rahmen-F.-Konstruktion verzichten, da man auf die aus verleimten Brettern bestehende Fläche auf beiden Seiten quer zur Faser verlaufendes starkes Furnier aufleimte.
III. Geschichte
Eingenutete F. gab es im Altertum in Ägypten schon zur Zeit des Mittleren Reichs an Fensterläden sowie an Mobiliar.
Beisp.: kleine Schränke, Schmuck- und Schminkkästchen, Stuhllehnen, Kopfstücken, von Bettgestellen sowie an späten Kultschränken (Ausgrabungen der dt. Orientges. in Abuzir 1902–1904, Bd. III, Lpz. 1905, S. 3, Abb. 3, S. 64, Abb. 122; Jb. des Dt. Arch. Inst. 20, 1905, S. 5, Abb. 4; [1] S. 34ff.; [3] Bd. 15, Abb. 354 und 362; [4] Abb. 39, 380f., 390).
Giebeltruhen und zweitürige Schränke und Türblätter mit F. aus der klassischen Antike sind von Nachbildungen in Terrakotta und aus Darstellungen und Beschreibungen bekannt (Vasenbilder, Mosaiken, Fresken: [4] Abb. 385f., 388, 399, 419f., 585, 611 und 660).
Vitruv beschrieb die Konstruktion des Rahmens mit F. bei Türflügeln, wobei es ihm besonders auf das Verhältnis von Rahmenfriesen („scapi“, „impages“) und F. („tympanum“) ankam (De architectura, lib. IV, cap. 6: Zehn Bücher über Archit., hg. von Curt Fensterbusch, Darmstadt 1964, S. 192–195). F. aus Tannenholz in Türen erwähnte Plinius (Naturalis historia, lib. XVI, cap. 225: ed. König, Bd. 16, S. 140); Beisp. dafür sind in Pompeji erhalten (Amedeo Maiuri, La Villa dei Misteri, Rom 1947, S. 50, Abb. 12). Aus hellenistischer Zeit sind vier hölzerne Schränke erhalten, deren Türen F. aufweisen ([1] Abb. 3 und 5f.).
Erhalten sind Beispiele für F. seit der Spätantike.
In die Nut eingearbeitete F. gibt es an den Holztüren aus S. Ambrogio in Mailand, E. 4. Jh. ([2] S. 63, Nr. 102 und Abb. 102), S. Sabina in Rom, zw. 431 und 433 (Gisela Jeremias, Die Holztür der Basilika S. Sabina in Rom, Tüb. 1980 [Bilderhh. des Dt. Arch. Inst., Rom, 7]), Hara Sitt Barbara in Kairo, E. 5. oder A. 6. Jh. (Abb. 4; [2] Suppl.bd. 1, 1977, S. 252, Nr. 286), und aus der Marienkirche des Katharinenklosters auf dem Sinai, M. 6. Jh. (George H. Forsyth, The Monastery of S. Catherine at Mount Sinai ..., Dumbarton Oaks Papers 22, 1968, S. 10, Abb. 7–11). Gleiches gilt auch für die in Nuten eingearbeiteten F. an der Elfenbeinkathedra des Erzb. Maximian (546–556) in Ravenna, deren Enstehungsort umstritten ist (Ägypten oder Ravenna oder Konstantinopel: [2] S. 88f., Nr. 226–235, Abb. 226–235). Die Darst. eines Giebelschrankes (Vivarium, 2. H. 6. Jh., oder Jarrow-Wearmouth, um 700) im sog. Cod. Amiatinus zeigt an den geöffneten Türen deutlich sichtbar eingenutete Füllungen, wobei sogar die Gehrungen der Querfriese eingezeichnet sind (Florenz, BML, cod. Amiatinus 1, fol. 5r; Reiner Sörries, Chr.-antike Buchmal. im Überblick, Wiesb. 1993, Bd. 1, S. 37, Bd. 2, Taf. 15). Vermutlich einer der letzten Belege für die zumindest in Rom lange tradierten spätantiken Herstellungsmethoden ist der von Papst Leo III. (795–816) gestiftete zweigeschossige Schrank aus der Altarmensa der Capella Sancta Sanctorum, dessen vier Türen mit eingearbeiteten F. versehen sind ([7] Abb. 83f.).
Im MA sind Konstruktionen mit Rahmen und F. vor dem 13. Jh. nur bei Tafelbildern bekannt, z. B. bei der Tafel aus St. Walpurgis in Soest, 2. H. 12. Jh. (Münster, Westf. L.mus.), dann auch bei den Wormser Tafeln, um 1260 (Darmstadt, Hess. L.mus.): Werner Ehlich, Bilderrahmen von der Antike bis zur Romantik, Dresden 1979, S. 156–158 und 164f.; Das Aschaffenburger Tafelbild, Mchn. 1997 (Arbeitshh. des Bayer. LA für Dpfl., Bd. 89), S. 42f., Abb. 1 und 3 sowie Taf. I–IV.
Das früheste erhaltene dt. Beisp. für eingenutete F. an einem Möbel ist der zum Altar umgearbeitete ehemalige Sitz vom A. 13. Jh. im Dom zu Minden (Horst Appuhn, Beitr. zur Gesch. des Herrschersitzes im MA, III, Aachener K.bll. 1988/1989, S. 53–72). Dasselbe Konstruktionsprinzip wurde auch bei der zurückgesetzten F. an der Vorderseite des Mittelteils des Retabels in Loccum, um 1245 (1845 verändert; Uvo Hölscher, Kloster Loccum, Hann. und Lpz. 1913, S. 50, Abb. 13; Volker Grube, Der Reliquienschrein in der Klosterkirche zu Loccum. Unters. zur Kg., zur Restaurierungsgesch., zur Technologie und zum Erhaltungszustand, Diplomarbeit FH Hildesheim/Holzminden/Göttingen 2001 [masch.]) und am Schrein des Retabels in Cismar, A. 14. Jh., angewandt (Markus Freitag u. a., Zs. für K.technologie und Konservierung 9, 1995, S. 270, mit Abb.).
Seit A. 15. Jh. gibt es Konstruktionen mit F. bei Bilderrahmen häufiger. Die F. – die Bildfläche – ist dabei immer in die Nut des Rahmens eingeleimt, damit der Kreidegrund einheitlich Rahmen und F. überziehen kann. Diese ist damit zwar nur gegen das Verwinden gesichert, die Tafeln, wichtig vor allem bei Flügelretabeln, verlieren dadurch aber an Gewicht (vgl. Hamburg, K.halle, Petri-Altar des Meisters Bertram, um 1380; Darmstadt, Hess. L.mus., Friedberger Altar, um 1370/1380; Berlin, StMPK, Gem. gal., Vera Icon, Westf., um 1400, u. a.: Irmtraud Schmidt, Der got. Bilderrahmen in Dtld. und den Niederl., Diss. Freiburg i. Br. 1954 [Masch.]). Dekorierte F. sind seit dem 15. Jh. auch im Kanzelbau nachweisbar, z. B. zeigen die Brüstungsfelder der Kanzel in der ev. Pfarrk. in Lorch, Ostalbkr., dat. 1449, Darst. der Kirchenväter in Linienschnittechnik: Karl Halbauer, Predigstül. Die spätgot. Kanzeln im württembergischen Neckargebiet bis zur Einführung der Reformation, Stg. 1997 (Veröffn. der Komm. für gesch. Landeskde. in Bad.-Württ., R. B, Bd. 132), Nr. 19.
Das früheste datierte deutsche Möbel mit F. in den Türen ist ein zweigeschossiger Schrank von 1449 aus Wertheim (Karlsruhe, Bad. L.mus.; [7] Abb. 238). Ab jetzt blieb die Rahmen-F.-Konstruktion wichtigstes technisches Element im Möbelbau bis zur Erfindung von Sperrholz und Spanplatte im 20. Jh.
Im Lauf der Jhh. gab es unterschiedliche Formen der F.: An gotischen Möbeln kann diese entweder plan – ggf. durch edleres Holz oder durch Intarsien ausgezeichnet – oder mit Schnitzerei bzw. Faltwerk, versehen sein ([7] Abb. 236–250 und 264–283). In Norddeutschland gab es während Renaissance und Manierismus ornamentale oder figürliche Schnitzereien an den F. von Möbeln, an den süddeutschen Fassadenschränken wurden den eingeleimten F. Rahmenformen vorgelegt ([5] Abb. 485–494). Zu Beginn des 17. Jh. entstanden nach niederl. Vorbild die sog. Kissenfüllungen, vielfach profilierte Bossen, die anfangs rechteckig ausgeführt, dann oval, mit Spitzen und zahlreichen Verkröpfungen versehen wurden (ebd., Abb. 497–521). Nur aus kräftigen Profilen bestehen die F. der „Frankfurter“ Schränke (ebd., Abb. 548–556). Im späten 18. Jh. ist die F. der Gesamtform des Möbels untergeordnet, kann im Umriß vielfach geschweift sein, kann eigene, den Rahmen begleitende Profilierung (Abb. 5) oder Schmuck durch Schnitzerei oder Marketerie erhalten oder ganz unverziert bleiben.
Bei vollständig mit Marketerie überzogenen Flächen bleibt die Konstruktion mit eingeleimten F. technisches Grundprinzip, damit das Holz sich nicht verziehen kann. Dies gilt auch für die Möbel des Empire und Biedermeier, bei denen die F. vollständig hinter dem die ganze F. überziehenden Furnier verborgen ist.
Zu den Abbildungen
1. Schemazeichnung. Nach: Adolf G. Schneck, Das Möbel als Gebrauchsgegenstand, Bd. 1, Stg. 1941, S. 22.
2a-g. Zchg. des Verf.
3. Kupferstich. Nach: [6] Taf. 7.
4. Rekonstruktionszchg. Nach: Enc. universale dell’arte, Bd. 3, Ven.-Rom 1958, Sp. 790.
5. Kupferstich. Nach: [6] Taf. 23, Fig. 5.
Literatur
1. Erich G. Budde, Armarium und Κιβωτός. Ein Beitr. zur Gesch. des antiken Mobiliars, Würzb. 1940. – 2. Wolfgang Fritz Volbach, Frühchr. K. ..., Mchn. 1958. – 3. Propyläen-Kg., Neuaufl. – 4. G. M. A. Richter, The Furniture of the Greeks, Etruscans and Romans, Ld. 1966. – 5. Kreisel-Himmelheber, Möbel, Bd. I. – 6. Jacques André Roubo, L’art du menuisier, T. I, Paris 1769 (Ndr. Paris 1976). – 7. Franz Windisch-Graetz, Möbel Europas, Bd. 1, Mchn. 1982.
Verweise
Empfohlene Zitierweise: Himmelheber, Georg , Füllung, in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. X (2014), Sp. 1169–1175; in: RDK Labor, URL: <https://www.rdklabor.de/w/?oldid=82613> [14.09.2024]
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