Flötenglas

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englisch: Flute glass, champagne flute; französisch: Flûte; italienisch: Calice à flûte.


Pieter C. Ritsema van Eck (2001)

RDK IX, 1348–1352


RDK IX, 1349, Abb. 1. Giovanni Maggi, 1604, Florenz.
RDK IX, 1351, Abb. 2. Amsterdam, 1593.
RDK IX, 1351, Abb. 3. Amsterdam, 2. H. 17. Jh.
RDK IX, 1351, Abb. 4. Amsterdam, um 1660.
RDK IX, 1351, Abb. 5. Dresden, um 1733/1740.

Das F., auch kurz Flöte genannt, ist ein hohes, schlankes, zum Fuß hin zulaufendes Trinkglas mit kurzem Stiel, das auf unterschiedliche Weise seine Form erhalten haben kann.

Das Wort ist übertragen vom gleichnamigen Musikinstrument, dessen Benennungen vom altfranz. „fleute“ abgeleitet wird (Kluge-Mitzka, neu bearb. von Elmar Seebold u.a., Bln. 221980, S. 223), und kommt in verschiedenen Schreibweisen vor als flute, floute, fleute, floyte, fleyte, fleuste (vgl. Trésor de la langue franç., Bd. 8, Paris 1980, S. 1008f.).

J.J. Starter dichtete in einem Hochzeitslied in seinem „Friesche lust-hof“, Amst. 1627: „Elck moet heut hier setten, Om stijf te trompeten, Op een geladen Fluyt, Vol goede Rhijnsche buyt ...“; über die Anspielung auf die Potenz des Bräutigams hinaus erfährt man aus diese Zeilen etwas über den Gebrauch des F., in diesem Fall für (weißen) Rheinwein. Philipp von Zesen zählte in seiner „Beschreibung von Amsterdam“, Amst. 1664, auf: „Allda siehet man gleserne flöhten, röhre, pokäle, krüge, schüsselen, schalen und was man sonst erdenken kan“ (S. 126).

Aus den vielen Abbildungen auf Gemälden läßt sich im übrigen ableiten, daß das F. ein Weinglas sowohl für rote als auch für weiße Weine war; vgl. Schützenstücke (z. B. Bartholomeus van Helst, Die Feier des Westfälischen Friedens 1648: All the paintings of the Rijksmus. in Amsterdam, Amst. 1976, S. 268), Genrebilder (Dirck Hals, Gesellschaft im Freien, 1627: ebd. S. 255) und Stilleben (z. B. von Cornelis de Heem, Stilleben mit Früchten: Den Haag, Mauritshuis, Inv.nr. 50). - Im 19. Jh. trank man auch Schaumwein aus F. (vgl. Grimm Bd. 3 Sp. 1824, aus dem J. 1818).

Es ist unsicher, ob das F. in Italien aufkam oder gleichzeitig, im späten 16. Jh., in Italien und in den Niederlanden. Möglicherweise geht die Form auf das etwas niedrigere Kelchglas mit trichterförmiger Schale zurück [1, S. 114f.]. Giovanni Maggi gab ein F. aus der Sammlung des Kardinals Francesco Maria del Monte wieder in seiner 1604 zusammengestellten „Bichierografia“ (Abb. 1). Ein italienisches F. vergleichbarer Form gibt es in der Slg. des Rijksmus. Amsterdam. Der sehr kurze Stiel besteht aus einem hohlen, gerippten Nodus zwischen zwei Scheiben. Das Glas hat alle Kennzeichen des frühen italienischen „cristallo“, die helle und nahezu farblose Glasmasse ist dünn geblasen [2, S. 41 Nr. 42].

F. waren in Italien allem Anschein nach kaum in Gebrauch, sondern wurden für die Ausfuhr hergestellt; vgl. eine entsprechende Bemerkung von Richard Lassels, The Voyage of Italy..., Ld. 21697 (Rosa Barovier Mentasti, Il vetro veneziano, Mail. 1988, S. 199).

In den Niederlanden hergestellt ist ein F. aus der gleichen Zeit, ebenfalls in der Slg. des Rijksmus. Amsterdam (Abb. 2; [4] S. 22f. Nr. 4). Es trägt Diamantgravur und ist 1592 datiert.

Das Glas ist für frühe Façon-de-Venise-Produktion in den Niederlanden charakteristisch, die in Antwerpen, Middelburg und Amsterdam konzentriert war. Die Glasmasse ist von graubrauner Farbe. Der hohle Stiel ist in die Form geblasen, mit Mascarons von Löwenköpfen zwischen Ringen aus aneinandergereihten blasigen Zungen und zeigt Reste von aufgelegter Vergoldung. Der Rand des Kelches ist abgesetzt mit einem Streifen von in der Glasmasse mitgeblasenem Blattgold. Bei einem Vergleich mit dem italienischen F. fällt auf, daß das niederländische Exemplar größer, dicker und weniger verfeinert ist. Der Kelch ist relativ weit, die Wand leicht gekrümmt.

Aus der frühen Form des F. wurde das bekannte niederländische F. mit hohlem Balusterstiel entwickelt (Abb. 3), das vor allem in der 2. H. 17. Jh. sehr beliebt war. Die Höhe dieser F. schwankt zwischen etwa 35 cm und über 40 cm. Der Kelch hat eine völlig gerade Wandung und lädt weniger weit aus als bei den frühen F. Neben den populären Balusterformen des Stiels kommen auch andere Stiele vor, die bei Kelchgläsern à la Façon-de-Venise gebräuchlich sind: gedrehte Fäden, Flügelansätze [3, S. 221f. Nr. 48.5-6], Seepferdchen, stilisierte Löwen oder Schlangengläser (vgl. Flügelglas). Selten sind F. mit gerippter Wandung [3, S. 216 Nr. 47.9].

Das F. eignete sich hervorragend für die niederländische Diamantgravur. So verwendete der Monogrammist CM, wohl der bekannteste, von etwa 1645 bis 1665 tätige Diamantreißer, für das berühmte Kinderbildnis des Statthalters Wilhelm III. von Oranien (1650-1702) ein F. mit Balusterstiel (Abb. 4).

In Deutschland griffen spätestens A. 18. Jh. Glashütten die Herstellung von F. auf und produzierten solche manchmal in größerer Anzahl.

Nach Umfang und Qualität der Produktion sind an erster Stelle Glashütten in Sachsen zu nennen, die seit A. 18. Jh. F. herstellten. Die Gläser tragen Dekor mit Schliff, Matt- und Klarschnitt und haben des öfteren einen Deckel (Abb. 5; Sabine Baumgärtner, Sächsisches

Glas. Die Glashütten und ihre Erzeugnisse, Wiesb. 1977 [Veröffn. zur Gesch. des Glases und der Glashütten in Dtld. ..., Bd. 4], S. 76-81; Gisela Haase, Sächsisches Glas, Lpz. 1988, Kat.nr. 169-172, 176f. 179-199). F. waren in Sachsen u.a. als Preise ausgesetzt bei Festschießen (ebd. Kat. Nr. 200f.). - Der Altmündener Hütte unter Maximilian Fremei, 1706-1710, werden F. in den Staatl. K.slgn. Kassel zugewiesen (Franz-Adrian Dreier, Glask. in Hessen-Kassel, Kassel 1968, Abb. 65). - In das Rheinland, insbesondere nach Köln lokalisierte F. der 2. H. 17. Jh. dürften eher niederländischer Herkunft sein (Beisp. Kat. „Glas“, Düsseldorf 1966 [Kat. des K.mus. D., Bd. 1], S. 97 Nr. 292; Kat. „Glas“, Köln 21973 [Kat. des Kgwb.mus. Köln, Bd. 1], Nr. 320f.).

Zu schlichten F. aus der 1. H. 19. Jh. als Gebrauchsgläsern: Thomas Drexel, Gebrauchsglas, Mchn. 21983, Abb. 242f.

Zu den Abbildungen

1. Giovanni Maggi, F. Federzeichnung. Florenz, Uffizien, Gab. dei Disegni. 1604. Foto Rijksmus. Amsterdam nach Faks.ausg., ed. Paola Barocchi, Flor. 1977, Bd. 2 Bl. 273.

2. Amsterdam, Rijksmus., Inv.nr. R.B. K. 16 094, bräunliches F. mit Diamantgravur mit Familienwappen Stegemans und De Quade, 32 cm h., Dm. 9,4 cm. Niederlande, dat. 1593. Foto Mus.

3. Amsterdam, Rijksmus., Inv.nr. 18 933, gräuliches F. mit balusterförmigem Stiel, 41,3 cm h., Dm. 11,3 cm. Niederlande, 2. H. 17. Jh. Foto Mus.

4. Amsterdam, Rijksmus., Inv.nr. N. M. 8040, F. mit Diamantgravur des Monogrammisten CM, Kinderbildnis des späteren Statthalters Wilhelm III. von Oranien, 32,4 cm h., Dm. 11,4 cm. Um 1660. Foto Mus.

5. Dresden, Mus. für Khw., Inv.nr. 12 868, farbloses F., Schliff, Matt- und Klarschnitt, Rubinfadeneinlage, 27,8 cm h. Dresden, 1733/1740. Foto Dt. Fotothek, Dresden.

Literatur

1. Anna-Elisabeth Liederwald, Niederl. Glasformen des 17. Jh., Diss. Freiburg i. Br. 1964. - 2. Pieter C. Ritsema van Eck und Henrica M. Zijlstra-Zweens, Glass in the Rijksmus., Bd. 1 Zwolle 1993 (Cat. of the applied arts in the Rijksmus. Amsterdam, 2-I). - 3. Harold E. Henkes, Glass zonder glans, Rott. 1994. - 4. P. C. Ritsema van Eck, Glass in the Rijksmus., Bd. 2, Zwolle 1995 (Cat. ..., 2-II).

Verweise