Äsop

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englisch: Aesop; französisch: Esope; italienisch: Esopo.


Johannes Bolten (1936)

RDK I, 1142–1145


RDK I, 1143, Abb. 1. Titelblatt der Ulmer Äsop-Ausgabe von 1476.
RDK I, 1143, Abb. 2. Miniatur aus der Adamar Hs., 11. Jh., Leiden.
RDK I, 1145, Abb. 3. Holzschnitt aus der Ulmer Äsop-Ausgabe von 1476.

I. Äsop ist nach der Überlieferung der Verfasser einer griechischen Fabelsammlung. Geschichtlich ist seine Gestalt nicht greifbar. Nach den antiken Lebensbeschreibungen, wie sie auch noch die Ulmer Ä.-Ausgabe [4] wiederholt, war Ä. ein aus Phrygien gebürtiger Sklave des Xanthus in Samos. Er war von ungestaltem Körperwuchs und besonders verunziert durch einen Buckel (vgl. das Titelbild zur Ulmer Ä.-Ausgabe von 1476; Abb. 1). Ein Priester der Isis bittet für Ä., und die Göttin begabt ihn mit Weisheit und Schärfe der Zunge. Nachdem er dem Volk von Samos das Wunderzeichen von einem Adler und einem Ring gedeutet hat, erlangt er die Freiheit und wird als Gesandter zum König Krösus geschickt, der ihn in hohen Ehren hält. In der Folgezeit durchzieht Ä. die verschiedensten Länder und gibt dem Volk mancherlei Lehre in Fabeln und Gleichnissen. In Delphi fühlen sich die Bewohner durch seine Lehre beleidigt und töten ihn, indem sie ihn von einem Felsen hinabstürzen.

II. Die Fabeln des Ä. sind seit dem 6. Jh. v. Chr. bekannt. Durch den griechischen Fabeldichter Babrios (um 200 n. Chr.) wurden die Ä.-Fabeln in griechische und durch Phaidrus (1. Jh. n. Chr.) und Avian (um 400 n. Chr.) in lateinische Verse gesetzt. In dieser Form wurden sie bis ins hohe Mittelalter hinein allgemeines Lehrgut der Schulen. Daß sie auch in der christlichen Moralerziehung, z. B. in den Predigten, eine große Rolle spielten, berichtet uns der Dominikaner Vinzenz von Beauvais [4 S. 6]. Die Vita des Abtes Gauzlin († 1039) von Fleury a. d. Loire gibt an, daß im Refektorium des Klosters Fabeln des Ä. gemalt waren (Schlosser, Quellenbuch S. 187f.). Auch in der Bildhauerkunst, insbesondere in der Architekturplastik, aber auch an Chorgestühlen usw. sind einzelne Ä.-Fabeln immer wieder dargestellt worden (vgl. Tierfabel).

III. Von den Ausgaben der Ä.-Fabeln interessieren in diesem Zusammenhang nur die illustrierten. Es hat viel Wahrscheinlichkeit für sich, daß die Ä.-Illustration im 5. oder 6. Jh. n. Chr. ihre erste Formulierung gefunden hat [4 S. 16]. Jedenfalls erscheinen in den illuminierten Handschriften des Mittelalters besonders häufig Bilder zu Ä. und Terenz (vgl. Paul Lehmann, Fuldaer Studien, Sitzungsber. d. Bayr. Akad. d. Wiss., phil.-hist. Kl. 1927, 2. Abh., S. 15). Die ältesten uns bekannten sind die aus dem 11. Jh. stammende Adamar Hs. (cod. Voss. lat. oct. 15) der Leidener Universitätsbibl. (Abb. 2), der Lyoner Ysopet (cod. lugd. 57) und der Pariser Ysopet (Bibl. Nat. ms. fr. 1594), beide aus dem 13. Jh., die Trierer Hs. 1108 und die Münchener Hs. clm. 4409, beide aus dem 15. Jh. Im Jahre 1349 gab der Berner Dominikaner Ulrich Boner Äsopsches Fabelmaterial mit Illustrationen heraus. Von der Beliebtheit der Ä.-Fabeln im Mittelalter zeugt das Bücherverzeichnis des Diebolt Lauber in Hagenau; unter den 39 Schriften wird auch der Ä. aufgezählt (vgl. Rudolf Kautzsch, Die deutsche Illustration, Leipzig 1904, S. 48). Der Buchdruck führt seit dem 15. Jh. die Hss.-Illustration durch Holzschnittabbildungen weiter. 1461 gibt der Drucker Albrecht Pfister in Bamberg seiner Fabelsammlung „Der Edelstein“ einige Holzschnitte mit Fabelbildern nach Ä. bei. Wirkliches Volksgut wurden die Ä.-Fabeln durch das Werk des Ulmer Arztes Heinrich Steinhöwel. Er gab 1476 „Buch und Leben des hochberühmten Fabeldichters Aesopi“ im Verlag von Johann Zainer in Ulm heraus (Abb. 1 u. 3). Dem lateinischen Text ist eine deutsche Prosaübersetzung beigegeben. Über die 195 dem Text beigefügten lebensvollen Holzschnitte und deren unbekannten Meister vgl. Worringer [4 S. 9ff.]. Die Ulmer Ausgabe blieb – besonders in ihren Illustrationen – vorbildlich für alle ihre zahlreichen unmittelbaren und mittelbaren Nachdrucke (vgl. Schramm, Frühdrucke).

Zu den Abbildungen

1. Buch und Leben des hochberühmten Fabeldichters Aesopi, Ulm 1476, Titelbild. Nach R. Muther, Deutsche Buchillustration der Gothik und Frührenaissance, Leipzig und München 1894, Bd. 2, Abb. 42 2. Fabeln des Äsop. Miniatur aus der Adamar Hs. des 11. Jh., Leiden, Univ.-Bibl., cod. Voss. lat. oct. 15. Nach Worringer [4 Tafel].

3. Der Fuchs und die Trauben. Holzschnitt der Ulmer Ä.-Ausgabe von 1476. Nach Worringer [4].

Literatur

1. Pauly-Wissowa 6, Sp. 1731ff. 2. G. Thiele, De antiquorum libris pictis, Marburg 1897, S. 36ff.: De Aesopiarum fabularum picturis. 3. (Über die Überlieferungsgeschichte der Aesopia) Wilh. Schmid u. Otto Stählin, Geschichte der griechischen Literatur 1. T., 1. Bd., München 1929, S. 672ff., bes. 682 u. 683, in: Hdb. d. Altertumswiss., 7. Abt., 1. T., 1. Bd. 4. Wilhelm Worringer, Buch und Leben des hochberühmten Fabeldichters Äsopi, München 1925. 5. Ernst Weil, Der Ulmer Holzschnitt im 15. Jh., Berlin 1923, bes. S. 31f. u. S. 34ff. 6. (betr. Ä.-Bibliographie) Gesamtkatalog der Wiegendrucke, Bd. 1, Leipzig 1925, Sp. 127-203.