Abendmahl
englisch: Communion, last supper; französisch: Cène; italienisch: Cena, ultima cena, eucaristia.
Karl Möller (1933)
RDK I, 28–44
I. Die historische Szene
1. Überlieferung und Bedeutung
Über die historische Szene, das Mahl Christi und seiner Jünger am Vorabend der Passion, berichtet die Bibel in Matth. 26, 17–30, Mark. 14, 12–26, Luk. 22, 7–38, Joh. 13 –17, besonders 13, 21–30, und 1. Kor. 11, 23–25. Danach handelt es sich vor allein um dreierlei: a) um das Passahmahl, zugleich ein Abschiedsmahl für Christus und die Apostel, b) um die Ankündigung des Verrats und Kennzeichnung des Verräters, und c) um die Einsetzung des A.-Sakraments. Die einzelnen Berichte stimmen nicht völlig überein. Bei Johannes fehlt die Einsetzung des Sakraments, bei Lukas die Kennzeichnung des Verräters. Die Art der Kennzeichnung ist bei Matthäus und Markus anders als bei Johannes; und dieser steuert außer der Fußwaschung, die hier außer Betracht bleibt, noch einige besondere Züge bei (s. unten). Paulus berichtet nur die Austeilung von Brot und Wein.
In der bildenden Kunst kommen von Anfang an alle 3 Momente vor: es gibt Darstellungen des Mahls und der Unterredung der Teilnehmer, solche, die auf das Sakrament hindeuten, und solche, die die Ankündigung des Verrats und die Kennzeichnung des Verräters zum Gegenstand haben. Gewöhnlich wird das erste Moment mit einem der beiden andern verbunden; nicht selten werden aber auch die beiden zuletzt genannten vereinigt. Weitaus am häufigsten wird das Verratsmoment dargestellt; und auch dann, wenn gleichzeitig an das Sakrament erinnert wird, pflegt die Kennzeichnung des Verräters den breitesten Raum einzunehmen.
Trotzdem zielen dabei Ort und Zusammenhang der Darstellung zuweilen auf das sakramentale Moment. So werden in der Armenbibel der Mannaregen und Melchisedek als Typen beigefügt, oder Beischriften erfüllen eine entsprechende Aufgabe, z. B. „Se cibat ipse cibus“ (Cornell, B. P., S. 29). Andern Darstellungen gibt ihr Platz eine ähnliche Note. Das gilt besonders für die Bilder an protestantischen Altären. Manchmal fehlt sogar trotz solchen Zusammenhangs jeder Hinweis auf das Sakrament, wie etwa in einigen Armenbibeln (München, Slg. Rosenthal, u. Clm. 8201: Cornell, B. P., Taf. A u. 35) und auf einer Patene von St. Peter in Salzburg (um 1200; Braun, Meisterwerke II, Abb. 60). Die einzelnen Momente dürfen also nicht immer ganz scharf voneinander geschieden werden. Das A. ist vielmehr – zum mindesten in Fällen der besprochenen Art – als eine Einheit aufzufassen, deren Schwerpunkt in der Einsetzung des Sakraments liegt, gleichviel, welches Moment gerade am deutlichsten zum Ausdruck kommt. Darüber hinaus gilt die Darreichung des Bissens, die den Verräter bezeichnet, oft zugleich als Spendung des Sakraments (s. unten).
Die einzelnen Berichte der Bibel werden noch weniger deutlich unterschieden. Vielmehr treten gewöhnlich Motive aus mehreren Quellen zusammen. Trotz der verschiedenen Abschnitte der Szene und der nicht einheitlichen Berichte ist aber naturgemäß eine große Anzahl von Bildmotiven allen Darstellungen gemeinsam.
2. die Szene im allgemeinen
Die Szene im allgemeinen. Die ältesten erhaltenen A.-Bilder entstammen dem 5. oder 6. Jh. Es sind 2 Reliefs, ein nicht eindeutiges auf einem Elfenbein-Buchdeckel im Domschatz zu Mailand (Nr. 51, Garrucci, Taf. 455), das des Zusammenhangs wegen auch als Hochzeit zu Kana angesprochen wird [6], und eins an einer der Ziboriumsäulen in S. Marco zu Venedig. Die geringen und nicht ganz sicheren literarischen Überlieferungen über Darstellungen dieses Gegenstands reichen nicht viel weiter zurück [2, Bd. 14]. Die vorkonstantinische Zeit begnügt sich mit symbolischen Andeutungen. Nördlich der Alpen ist die Szene zuerst im Evangeliar von S. Médard zu Soissons aus dem frühen 9. Jh. belegt (Paris, Bibl. Nat., Ms. lat. 8850: Goldschmidt, Buchmalerei I, Taf. 33 rechts oben am Rand; nach [6], die Hochzeit zu Kana). Wir treffen sie hier zunächst besonders in Psaltern (zu Ps. 40, 10; Jesus verweist bei Joh. 13, 18 auf diese Stelle) und in Sakramentarien, seit dem 11. Jh. auch häufiger in Evangeliaren, an Altären, in deren räumlicher Umgebung und in Passionszyklen aller Art. Im 17. und frühen 18. Jh. bildet das A. einen fast unerläßlichen Bestandteil protestantischer Altäre.
Die frühchristliche Kunst folgt in ihren A.-Bildern z. T. den Bräuchen des antiken Gastmahls (Abb. 1). Die Tischgenossen sind auf dem Sigma um einen halbkreisförmigen Tisch gelagert. Christus hat den Ehrenplatz an der linken Ecke inne (vom Beschauer aus gesehen), der zugleich der Platz des Gastgebers ist. Die Apostel liegen an der gebogenen Rückseite. Die Vorderseite bleibt frei; von hier aus wurden nach antikem Brauch die Speisen auf- und abgetragen. Petrus nimmt im Cod. Ross. (Abb. 1) den 2. Ehrenplatz ein, den an der rechten Ecke; Johannes – ein Greis – liegt neben Christus, und Judas befindet sich inmitten der übrigen Apostel, Jesus schräg gegenüber. Das Mosaik von S. Apollinare Nuovo in Ravenna verläßt diese Rangordnung und setzt Judas, vermutlich allein aus künstlerischen Gründen, an die rechte Ecke; Petrus liegt neben Christus.
Daneben kommt im Evangeliar des Corpus-Christi-College zu Cambridge (Nr. 286; Palaeographical Society, Facsimiles of manuscripts and inscriptions, vol. II, Taf. 34) eine runde Tafel vor; die Teilnehmer sitzen, und Christus hat seinen Platz hinten in der Mitte. Andere Bilder geben dem A. die Form einer kirchlichen A.-Feier nach damaligem Ritus. Diese bleiben hier außer Betracht, weil sie für die nordische Ikonographie ohne Bedeutung geblieben sind.
Im frühen Mittelalter ersetzen die italienischen und byzantinischen Bilder dem Zeitgebrauch entsprechend auch am Halbkreistisch das Liegen durch Sitzen. Doch wirkt der ältere Brauch, besonders in der Figur Christi, noch lange nach. Die Apostel werden gewöhnlich vollzählig abgebildet. Judas befindet sich im Chludoff-Psalter und verwandten Denkmälern wieder an der rechten Ecke; sonst wird dieser Platz aber für Petrus Tradition, während Judas inmitten der übrigen Tischgenossen sitzt. Die abendliche Stunde der Mahlzeit wird fast stets durch einen Leuchter angedeutet. Im übrigen lebt der altchristliche Bildtyp in Byzanz und Italien unverändert fort.
Die abendländische Kunst des frühen Mittelalters verändert ihn stärker. Auch hier gilt, was über das Sitzen gesagt wurde (Abb. 2). Die antike Tischform wird zum Vollrund umgedeutet, das häufig als Spitzoval wiedergegeben wird (Abb. 2). Die klassische Form taucht daneben nur noch ganz vereinzelt auf, wohl immer unter byzantinischem Einfluß. Zugleich lebt hier und da die runde Tafel mit zentraler Anordnung des Christus fort (Abb. 3). Seit dem 10. Jh. wird auch der lange Rechtecktisch benutzt, zum erstenmal im Evangeliar des Prager Domschatzes (nordfranz., 1. H. 10. Jh.: Swarzenski, Regensburger Buchmalerei, S. 85). In Italien und im Osten ist diese Form nur vereinzelt und etwas später zu beobachten.
Für Christus wird allmählich der Platz in der Mitte der Rückseite allgemein die Regel (Abb. 6ff., 4; hier ist sonderbarerweise statt des Tisches nur das Tischtuch gegeben). Judas, der gewöhnlich von der Nimbierung ausgeschlossen bleibt, wird meistens – bedeutungsvoll abgesondert – an die sonst leere Vorderseite gesetzt, zuerst in Fuldaer Miniaturen des späten 10. Jh. Ganz vereinzelt kommt dies auch ungefähr gleichzeitig in Byzanz und Italien vor: im Evangeliar Gr. 21 der öffentlichen Bibliothek zu Petersburg und in einem zerstörten Wandgemälde von S. Sebastiano in Polveriera zu Rom. Doch sitzt Judas dort, während er in Deutschland vor Christus steht oder heranschreitet. Erst später wird er hier auch sitzend, knieend oder auf der Erde hockend abgebildet (Abb. 2, 5, 7ff.).
Johannes erscheint bald als Greis, bald als Jüngling und hat fast stets den Platz neben Christus inne. Seit 1000 legt er nach Joh. 13, 25 nicht selten seinen Kopf an die Brust oder Schulter des Herrn (Abb. 5ff.). Vorher geschieht dies schon einmal im Evangeliar des Prager Domschatzes (s. oben; über das angeblich ältere Wandgemälde in Ferentillo [2, Bd. 14, S. 192] s. Haseloff, Cod. Ross., S. 97). In den Fuldaer Bildern des 10. Jh. neigt sich Johannes nur zu Christus hinüber. Der Chludoff-Psalter und andere byzantinische Denkmäler ungefähr der gleichen Zeit drücken das Verhältnis zwischen beiden Personen in anderer Weise aus. Literarisch hat Dobbert [2, Bd. 14, S. 181] das Christus-Johannes-Motiv bereits mehrfach bei Ambrosius nachgewiesen. Petrus sitzt an der andern Seite des Herrn (Abb. 4, 7ff.), oder, wenn Christus noch den Eckplatz einnimmt, als zweiter neben Johannes (Abb. 5; Cim. 57, Abb. 2, vertauscht die beiden); nur noch ganz vereinzelt wird er an die rechte Ecke gesetzt. Zuweilen stehen einige Apostel aufwartend abseits von der Tafel (Abb. 2).
Die Zahl der Apostel wird jetzt und auch späterhin häufig aus kompositionellen Gründen verringert, gelegentlich in sehr starkem Maße. Am Naumburger Lettner sind es 5, im Evangeliar von S. Médard (s. oben) und auf einem Kelch der Pfarrkirche zu Naugard (um 1300) nur 3. In diesem Fall ist eine klare Scheidung zwischen dem A. und dem Mahl zu Emmaus nicht immer möglich. Daß nur Judas geflissentlich fortgelassen wird, scheint nicht vorzukommen. Denn nach Auffassung der Kirche nahm auch er an der Einsetzung des Sakraments teil [2, Bd. 14, S. 185; Bd. 18, S. 375]. Der Leuchter bleibt im Abendland ziemlich selten.
Der neue Bildtyp, der formt allmählich die antike Tischordnung völlig verdrängt, behauptet sich ohne tiefgehende Veränderungen durch das hohe und späte Mittelalter bis ins 18. Jh. Seit dem 12. Jh. kommt außer dem runden und rechteckigen Tisch vereinzelt ein gebogen hufeisenförmiger vor (Tragaltar aus Stablo: Braun, Meisterwerke I, 49; Grubenschmelzplatte im Domschatz zu Hildesheim: Inv. Hannover II, 4 A, Taf. 12; Bogenfeld in Charlieu: Kingsley Porter, Roman. Sculpture, Taf. 110, trotz des Judas im Vordergrund auch als Hochzeit zu Kana gedeutet). Von der gleichen Zeit an wird das Anschmiegen des Johannes an die Brust des Herrn für die Dauer des Mittelalters fast unentbehrlich. Es erfährt eine Weiterbildung; denn der Jünger, der jetzt nur noch als Jüngling erscheint, wird nun häufig schlafend dargestellt, weil man seine Stellung mißversteht (Abb. 7, 9ff.); gelegentlich sitzt er auf dem Schoße des Herrn. Sachs [4, S. 109] weist – allerdings späte – literarische Parallelen für das Schlafen nach.
Judas wird seit dem späten Mittelalter weniger schroff abgesondert. Er sitzt mehr an der Ecke des Tisches, oder es werden auch andere Apostel an die Vorderseite gerückt. Später ist er nicht selten sogar mitten unter den übrigen Tischgenossen zu treffen (Abb. 10ff.). Seit dem späten 12. Jh. wird er durch besondere Häßlichkeit ausgezeichnet (Abb. 7). Von der Wende des 14. bis ins 18. Jh. hinein dient ein Beutel als weiteres Kennzeichen für ihn. Er trägt ihn bald an einer Schnur um den Hals oder am Gürtel (Abb. 11), bald attributhaft in der Hand, wobei er ihn gewöhnlich zu verbergen sucht (Abb. 10, 13ff.); dies ist häufiger, besonders in nachmittelalterlicher Zeit. Im ersten Fall wird man an die gemeinsame Kasse der Apostel, die er verwaltete (Joh. 12, 6 u. 13, 29), im zweiten mehr an den Verräterlohn zu denken haben. In nachmittelalterlicher Zeit hat Judas vereinzelt einen Hund bei sich (Altar der Nikolaikirche zu Spandau, 1582; ein Relief im Dom zu Kolberg, um 1700). Vielleicht ist die attributhafte Bedeutung, die er dort anscheinend hat, aus genrehafter Verwendung von der Art wie in Duttenstedt (Abb. 13) abzuleiten. Sachs [4, S. 119] sieht die Quelle im Passionsspiel und nennt eine Belegstelle des frühen 16. Jh.; er meint, das Tier habe dort ursprünglich nur zur Belustigung der Zuschauer gedient.
Der Wildunger Altar (Abb. 11) bezeichnet der Bibel entgegen einen der Apostel durch Nimbusinschrift als Paulus; sein Kopftyp kommt in A. des späten Mittelalters häufiger vor. Die Zwölfzahl der Apostel wird seit dieser Zeit fast stets innegehalten. Nicht selten wird der Tischgesellschaft ein Wirt oder Diener zur Aufwartung beigegeben (Abb. 12). Am Altar in Mühlberg bedient einmal der Stifter (1569; Inv. Prov. Sachsen 29, Tafel neben S. 146). Auch für den „großen, gepflasterten Saal“, in dem das Mahl stattfindet (Mark. 14, 15; Luk. 22, 12), erwacht das Interesse. Einzelne protestantische Bilder des 16. und 17. Jh. fügen Luther und andere Reformatoren der Tafelrunde hinzu (Altar der Kirche in Strehla, 1605: Inv. Sachsen 28, Taf. 18) oder sie geben einigen der Apostel deren Gestalt (Altar der Kirche in Rheinsberg, 1574: Inv. Brandenburg I, 3, Abb. 198, und Ampfurth, um 1575, Inv. Prov. Sachsen 31, Abb. 6).
3. die Einsetzung des Sakraments
An die Bedeutung der Szene als Einsetzung des A.-Sakraments erinnern einesteils die Geräte und Speisen auf dem Tisch. In den frühesten Darstellungen sind es 1 oder 2 Fische und einige Brote. Diese Zusammenstellung, auch die häufige Zahl von 2 Fischen, erinnert an Mahldarstellungen in den Katakomben, die unter der wunderbaren Speisung der 5000 das A. versinnbildlichen [3]. Bis um 1500 kommt der Fisch immer wieder vor. Sehr früh ist auch der Kelch schon anzutreffen, zuerst im Evangeliar des Corpus-Christi-College in Cambridge (s. oben). Das Brot erhält späterhin nicht selten die Gestalt der Hostie. Auf einem Tafelbild in Braunschweig aus dem Beginn 15. Jh. (Herzog Anton-Ulrich-Mus., Nr.8a; Heise, Norddeutsche Tafelmalerei, Abb. 41) liegt vor Christus auf dem Tisch ein quadratisches weißes Tuch, wohl ein Corporale, mit einem Häufchen von Hostien darauf. Die Armenbibel kennt eine ähnliche Anordnung (Wolfenbüttel, Landesbibl., Cod. Aug. 69, 6; Cornell, Taf. 58). Ein A.-Relief aus der Kirche zu Voigtehagen bei Treptow an der Rega (um 1700, jetzt in der Slg. des Christl.-Arch. Seminars der Universität Greifswald) zeigt statt dessen einen Teller mit Oblaten. Nicht wenige Darstellungen, auch in nachmittelalterlicher Zeit, beschränken sich auf dies Gerät, um die Einsetzung des Sakraments anzudeuten.
Andere bilden die Handlung selbst ab, zuerst das Evangeliar in Cambridge. Christus hält hier ein Brot in der Hand und segnet es. Ein Kelch steht vor ihm. Anderswo finden wir nur den Segensgestus, eine Zeigegebärde oder das Halten von Brot oder Kelch. Im Sakramentar von Marmoutier (Abb. 3) reicht Christus mit der einen Hand das Brot, mit der andern den Kelch an die Jünger, in anderen Darstellungen nur Kelch oder Brot. Auf einem Buchdeckel des 9. oder 10. Jh. im Deutschen Mus. Berlin (Kat. Volbach, Taf. 22; Goldschmidt I, Nr. 124) halten 2 Jünger knieend je ein Gefäß in der Hand. Alle diese Gebärden bleiben bis ins 18. Jh. gebräuchlich (Abb. 14).
4. die Kennzeichnung des Verräters
Über die Kennzeichnung des Verräters berichten, wie schon gesagt, die Evangelisten nicht einheitlich. Nach Matthäus und Markus taucht Christus mit Judas zugleich in die Schüssel; nach Johannes reicht er diesem einen Bissen. Bei Lukas fehlt dieser Umstand überhaupt. Johannes fügt noch hinzu, daß nach dem Genuß des Bissens Satan in den Verräter gefahren sei und daß dieser das Mahl bald verladen habe. Die ältesten Bilder folgen Matthäus, indem sie Judas die Hand nach der Schüssel ausstrecken oder darin eintauchen lassen (Abb. 1). In Byzanz bleibt dies das übliche. Auch dem Abendland ist diese Darstellungsweise nicht fremd (Abb. 2). Sie wird hier meistens dadurch noch deutlicher gemacht, daß Christus die gleichen Bewegungen ausführt wie der Verräter.
Die Gebärde des Judas erfährt mitunter eine sinnbildliche Vertiefung, indem seine Hand zugleich nach dem Fisch greift, dem Christussymbol, das sich in der Schüssel befindet. Dies ist besonders auf byzantinischen Bildern zu beobachten. In Frankreich (und Spanien) wird der symbolische Charakter der Geste im 12. Jh. noch stärker herausgearbeitet und der ursprüngliche Sinn geht ihr verloren: die Bezeichnung des Verräters geschieht gleichzeitig außerdem nach dem Johannestext, und der Fisch befindet sich oft nicht mehr in der Schüssel, sondern nur in Judas’ Hand. In Toulouse, Dijon, Beaucaire, S. Juan de la Peña (Kingsley Porter, s. oben, Taf. 471, 136, 1292 u. 543), unter den Glasfenstern des 13. Jh. in Bourges (Martin et Cahier, Monographie de la Cath. de B. I, Paris 1841ff.), in Rouen [1, S. 331] und vielleicht auch an St. Germain-des-Prés in Paris [1, S. 324] gibt es Darstellungen dieser Art. Der Klosterneuburger Altar (Abb. 7) spitzt den Gedanken besonders zu; Judas ist hier bemüht, den Fisch wie ein Dieb zu verstecken. Konrad von Soest benutzt dasselbe Motiv (Abb. 11).
Neben dem Matthäustext benutzt das Abendland seit ottonischer Zeit den des Johannes: Christus und Judas strecken gegeneinander die Hände aus, oder Christus gibt Judas einen Bissen in die Hand oder in den Mund (Abb. 5ff.). Seit dem 12. Jh. herrscht dies Motiv in Deutschland fast ausschließlich. Ein Blatt in der Holzschnittpassion des Urs Graf (ed. Worringer, Taf. 9) und das Altarbild in Mühlberg (s. oben) sind seltene Beispiele aus späterer Zeit, die sich noch an Matthäus anschließen. Zuweilen wird die Auffassung des Matthäus mit der Johannes’ vermengt (Naumburg, Lettner). Manchmal steckt Judas sich den Bissen selbst in den Mund. Seit dem 12. Jh. fliegt nicht selten der Teufel dem Verräter hinter dem Bissen in den Mund (Abb. 8). Hier und da hat er die Gestalt eines Vogels oder einer Fliege (Abb. 12). Auch Ekkehard hat das Teufelsmotiv schon in den Tituli für den Mainzer Dom benutzt (Schlosser, Quellenbuch, Nr. 27). Der Abgang des Verräters wird nur ganz selten dargestellt (Goldschmidt, Elfenbeinskulpturen II, 87; Veit Stoß, Relief in St. Sebald in Nürnberg).
Die Bezeichnung des Verräters durch den Bissen gilt zahlreichen Kirchenschriftstellern frühchristlicher und mittelalterlicher Zeit zugleich als Darreichung des Sakraments [2, Bd. 18, S. 375]. Auch die Kunst kennt diese Auffassung. Sie kommt in sehr mannigfacher Weise zum Ausdruck. Im St. Galler Antiphonar (Abb. 4) und auf dem Melker Tragaltar (Goldschmidt, Elfenbeinskulpturen II, 104) hält Judas zum Empfang des Bissens die linke Hand unter die hohle rechte, wie es als Kommunionsritus für die morgenländische Kirche literarisch belegt ist (Cyrill von Jerusalem, Catech. 23, 21f.; Kanon 101 der trullanischen Synode von 692). Vielleicht ist auch die Handhaltung im Göttinger Sakramentar des 10. Jh. so gemeint. Den gleichen Gestus verwendet schon der Cod. Ross. bei der Kommunion der Jünger. Die Darreichung des Bissens in den Mund entspricht einem etwas jüngeren abendländischen Ritus (Gregorius Magnus, Dialog 3, 3; Kanon 2 der Synode zu Rouen, M. 7. Jh.). Doch sind wohl nicht alle Darstellungen mit dieser Gebärde rituell gedacht. Wenn Judas ferner, wie im Bernward-Evangeliar (Abb. 5), kniet, so ist das vielleicht in ähnlichem Sinne zu deuten. Auch das rote Tuch, mit dem er dort die Hand bedeckt, dürfte trotz seiner Farbe rituelle Bedeutung haben. Bei der Kommunion im Cod. Ross. (Abb. 1) bedecken sich ebenfalls einige Apostel die Hände. Caesarius von Arles (469–542, Sermo 252, Migne P. L., 39, 2168: nitida linteamina) und die Synode von Auxerre (Kanon 36 u. 42) machen diesen Brauch zur Vorschrift, allerdings nur für Frauen. Eine ähnliche Darstellung aus dem 12. Jh. gibt es in Pistoja (Kingsley Porter, Taf. 199). Im Psalter Nr. 3 der Stuttgarter Landesbibl. hält Christus in der Linken zugleich einen Kelch bereit, während er den Bissen verabfolgt. Im Wiener Liutold-Evangeliar segnet er dem Verräter einen Kelch, den dieser vor sich hat (Swarzenski, Salzburger Malerei, Abb. 269). Im späten Mittelalter erscheint der Bissen nicht selten als Hostie.
Außer den Gesten zur Bezeichnung des Verräters wird das Hin- und Herfragen der Apostel nach der Verratsankündigung zu den verschiedenen Zeiten mit wechselnder Deutlichkeit ausgedrückt. In nachmittelalterlicher Zeit – seit Lionardo – spielt es eine besondere Rolle.
5. die Passahfeier
Die Charakterisierung des Mahles als Passahfeier ist verhältnismäßig jungen Datums. Sie geschieht nur durch ein Passahlamm auf dem Tisch. Der Melker Tragaltar (s. oben) und das Altomünsterer Perikopenbuch (Clm. 2939: Bange, Bayr. Malerschule, Taf. 58) scheinen ganz vereinzelte frühe Beispiele zu sein. Mit größerer Regelmäßigkeit ist das gebratene Lamm erst seit dem 15. Jh. (Wildunger Altar, Abb. 11) abgebildet worden. Gebärden des Essens sind seit dem 11. Jh. zu beobachten (Abb. 6).
II. Alttestamentliche Vorbilder
Schon die Frühzeit der Typologie hat auch für das A. alttestamentliche Vorbilder aufgesucht. Der Klosterneuburger Altar gibt ihm Melchisedeks Gastfreundschaft und das Manna in der Urne bei. Diese Typen werden bis über das Mittelalter hinaus am häufigsten gebraucht, nur daß statt des Mannas in der Urne später der Mannaregen gezeigt wird, beispielsweise in Mühlberg (s. oben). Melchisedek wird ungefähr gleichzeitig mit dem Klosterneuburger Altar von den Laudes Sanctae crucis in ähnlicher Weise herangezogen (Boeckler, Regensburg-Prüfeninger Buchmalerei, S. 35). Im 13. Jh. bringt ein Kölner Gewölbegemälde in S. Maria Lyskirchen das Gastmahl des Ahasver (Clemen, Roman. Monumentalmalerei, S. 572), ein Glasgemälde in München-Gladbach die Einsetzung des Passahmahles (Inv. Rheinprovinz III, 4, S. 32). Der A.-Altar des Dirk Bouts in Löwen (Friedländer III, Abb. 18ff.) gibt einmal 4 Typen zugleich: den Mannaregen, Melchisedek, das Passahmahl und noch dazu Elias’ Speisung in der Wüste. In der erwähnten Handschrift von S. Médard in Soissons steht dem A. die Hochzeit zu Kana gegenüber. Der Duttenstedter Altar (Abb. 13) fügt Abrahams Opfer und die eherne Schlange bei, eigentlich Vorbilder der Kreuzigung.
III. Die Spendung des A.-Sakraments nach lutherischem Ritus
Die Feier des hl. A. (Nachtmahls, Herrenmahls) nach lutherischem Ritus wird vereinzelt an mittel- und norddeutschen Altären abgebildet. Die Darstellung kommt M. 16. Jh. in Sachsen auf. Der Altaraufsatz in Penig von 1564 scheint das älteste Beispiel zu sein (Abb. 15). In Mühlberg (Abb. 16) und Zabeltitz (bei Großenhain) stehen Pfarrer und Diakon (dieser noch in Albe und Kasel) an den Ecken des Altars; vor ihnen knieen Gläubige, und weitere drängen herbei, um links vom Pfarrer das Brot, rechts vom Diakon den Kelch zu empfangen. Unter den Gläubigen befinden sich Stifter. Münstermann teilt in Hohenkirchen die Darstellung in 2 Bilder; an die Altarecken schließen sich hier kurze Kniebänke; links spendet der Pfarrer das Brot, rechts den Kelch. In Penig (Abb. 15) und Schloß Rochsburg (bei Rochlitz, Sachsen) steht Christus selbst an der Stelle des Pfarrers. In ganz ähnlicher Weise wie die Altäre in Mühlberg und Zabeltitz behandelt schon ein Holzschnitt aus dem Umkreis Cranachs das Thema (abgebildet bei Henne am Rhyn, Kulturgesch. d. deutsch. Volkes II, S. 16). Hier teilen Luther und Hus das Sakrament aus. Cranach selbst macht in der Wittenberger Schloßkirche die Tauf- und Beichthandlung zum Gegenstand von Altarbildern (Abb. im Art. Altarretabel, prot.).
Darstellungen des A.-Empfangs nach katholischem Ritus s. unter Kommunion.
Zu den Abbildungen
1. Codex Rossanensis, 5. Jh., nach der Ausg. von Arthur Haseloff, Berlin u. Leipzig 1898.
2. München, Staatsbibl., Clm. 4452 (Cim. 57: Perikopenbuch Kaiser Heinrichs II.), Reichenau, um 1000. Phot. Bibl.
3. Autun, Stadtbibl., 19 bis, Sakramentar des Raganaldus, 9. Jh. Nach Wilh. Köhler, Die karoling. Miniaturen I, Berlin 1930.
4. St. Gallen, Stiftsbibl., Cod. 390/91, St. Gallen, um 1000. Nach A. Merton, Die Buchmalerei in St. Gallen, Leipzig 1912.
5. Hildesheim, Domschatz, Bernward-Evangeliar, um 1000. Nach Stephan Beissel, Des hl. Bernward Evangelienbuch im Domschatz zu Hildesheim, Hildesheim 1891.
6. Köln, St. Maria im Kapitol, Holztür, M. 11. Jh. Nach Rich. Hamann, Die Holztür der Pfarrkirche zu St. Maria im Kapitol, Marburg 1926.
7. Klosterneuburg, Stiftskirche, Schmelzplatte von Nikolaus v. Verdun, E. 12. Jh. Phot. Senatspräsident Binder, Wien.
8. München, Staatsbibl., Clm. 16 002, Perikopenbuch aus Passau, 2. H. 12. Jh. Nach Georg Swarzenski, Die Salzburger Malerei, Leipzig 1908.
9. Straßburg, Münster, Tympanon d. mittl. Westportals, um 1280. Phot. Kunstgeschichtl. Seminar Marburg.
10. Nürnberg, St. Lorenz, Terrakottagruppe, Anf. 15. Jh. Phot. Christof Müller Nachf. Nürnberg.
11. Niederwildungen, Pfarrkirche, Flügelaltar von Konrad v. Soest, 1404. Phot. Dr. F. Stoedtner, Berlin.
12. Jörg Ratgeb, Stuttgart, Gemäldegalerie, 1517. Nach Adama van Scheltema, Über die Entwicklung der Abendmahlsdarstellung ..., Leipzig 1912.
13. Duttenstedt (Braunschweig), Kirche, Altar, um 1600. Phot. Herzog Anton-Ulrich-Mus., Braunschweig.
14. Polling (Oberbayern), Stiftskirche, Tabernakeltür am Hochaltar, M. 18. Jh. Phot. Dr. F. Stoedtner, Berlin.
15. Penig (Sachsen), Stadtkirche, Altar, 1564: Spendung des Abendmahls durch Christus. Phot. Sächs. Landesamt f. Denkmalpflege, Dresden.
16. Mühlberg a. Elbe (Prov. Sachsen), Klosterkirche, Altar, 1569: Austeilung des Abendmahls nach luth. Ritus. Phot. Staatl. Bildstelle, Berlin.
Literatur
1. Eduard Dobbert, Die Darstellung des A. durch die byzant. K.; Jb. f. Kw., hrsg. v. A. v. Zahn, 4, 1871. 2. Ders., Das A. Christi in der bildenden K. bis gegen den Schluß des 14. Jh., Rep. f. Kw. 13, 14, 15, 18, 1890–95. 3. Joseph Wilpert, Die Malereien d. Katakomben Roms, Freiburg i. Br. 1903, Kap. 15. 4. Curt Sachs, Beiträge zur Entwicklungsg. der dt. A.-Darstellungen, Rep. f. Kw. 30, 1907. 5. Joseph Wilpert, Die röm. Mosaiken u. Malereien der kirchl. Bauten v. 4. bis 13. Jh., Bd. II, Freiburg i. Br. 1916, S. 845ff. 6. Gabriel Millet, Recherches sur l’iconographie de l’Evangile aux XIVe, XVe et XVIe siècles d’après les monuments de Mistra, de la Macedonie et du Mont-Athos, Bibliothèque des Ecoles françaises d’Athènes et de Rome, 109, Paris 1916. 7. Karl Künstle, Ikonographie der christl. K., I, Freiburg i. Br. 1928. Zum Kommunionsritus: 8. Franz Xaver Kraus, Real-Encyklopädie der christl. Alterthümer I, Freiburg i. B. 1882, 315. 9. Fernand Cabrol et Henri Leclerq, Dictionnaire d’Archéologie chrétienne et de Liturgie, III 2, Paris 1914, 2427.
Verweise
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