Allerheiligen

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englisch: All Saints; französisch: Toussaint; italienisch: Ognissanti.


Heinrich Feurstein (1934)

RDK I, 365–374


RDK I, 365, Abb. 1. Göttingen, Univ.-Bibl. cod. theol. 231.
RDK I, 367, Abb. 2. Salzburg, St. Peter, Cod. a. XII, 7.
RDK I, 369, Abb. 3. Jakob Cornelis van Oostsanen, Kassel.
RDK I, 371, Abb. 4. Klaus Berg. Odense (Dänemark).

I. A. in der Liturgie

A. ist ein auf den 1. November fallender Festtag der kath. Kirche. Da aus rituellen Gründen nur ganz wenige Heilige an einem Tag gefeiert werden können, machte sich bei der wachsenden Zahl der Heiligen schon nach Ablauf der ersten christlichen Jahrhunderte das Bedürfnis geltend, einen Kalendertag für eine zusammenfassende Feier aller Heiligen vorzusehen. Das A.-Fest erwuchs also nicht organisch aus dem Kirchenjahr, sondern erhielt durch positive Anordnung seine Stelle an einem bestimmten Tag des Jahres nach Art der andern Heiligenfeste. Da die memoria im Sinn eines öffentlichen Kultes zunächst nur den Blutzeugen (Märtyrern) galt, war zunächst ein Fest aller heiligen Märtyrer zu erwarten, deren Zahl in den opferreichen Christenverfolgungen der Zeit nach Decius – Cyprian (de mortal. 26) spricht von einem innumerabilis martyrum populus – erheblich angewachsen war. Dazu kam der biblische (Eph. 1, 20ff.) und spekulativ langsam wachsende Gedanke des corpus Christi mysticum und der communio sanctorum, der mystischen Verbundenheit aller begnadeten Menschen.

Die ersten Ansätze des A.-Festes zeigen sich in Antiochia, der drittgrößten Stadt des römischen Imperiums, die viele Märtyrer aufzuweisen hatte. Schon Chrysostomus hielt hier als Presbyter an der alten Kirche Ende des 4. Jh. seine Homilie auf alle hl. Märtyrer, und zwar am ersten Sonntag nach Pfingsten, an dem in Antiochia dieses Fest gefeiert wurde. Die stadtrömische Geburtsstätte des Festes ist das Pantheon. Den Anstoß gab die Schenkung dieser riesigen Rotunde, die, seit 200 Jahren geschlossen, dem Verfall entgegenging, durch den oströmischen Kaiser Phokas an Papst Bonifaz IV., der sie zu einer christlichen Kirche umschuf. Die zahlreichen Götterstatuen, die die Wandnischen geziert hatten, führten sinngemäß zur Wahl des Titels B. Mariae semper virginis et omnium martyrum (S. Maria ad martyres). Der Kirchweihtag (13. Mai 609 oder 610) wurde der erste stadtrömische Gedächtnistag aller hl. Märtyrer.

Die Ausweitung des Festgedankens zu seinem heutigen Umfang geschah unter Gregor III. (731–41), der in St. Peter, wohl durch das antike Beispiel angeregt, einen Nebenraum dem Erlöser, seiner hl. Mutter, allen Aposteln, Märtyrern, Bekennern und allen vollkommenen Gerechten weihte, die auf dem Erdkreis entschlafen sind. Hier mündet zum ersten Mal der Begriff Bekenner (confessores), der die hl. Asketen und Bischöfe umfaßte, die, ohne Blutzeugen zu werden, ihren Glauben förmlich oder durch ihr hl. Leben bekannten, in die sich weitende Bezeichnung A. ein. Die Ansicht A. Baumstarks, daß die Verehrung der confessores schon im 3. Jh. einsetzt, erhält jedenfalls keine Stütze im Kanon der Messe, an dem noch im 6. Jh. redigiert wurde, und der nur Märtyrernamen enthält.

Gregor IV. (827–44) verlegte das vom Volk rasch aufgenommene Pantheonfest des 13. Mai angeblich aus Gründen der besseren Verpflegung der zahlreichen Festbesucher auf den 1. November und gilt daher als Schöpfer des A.-Festes von heute. Wenn es richtig ist, was Ado (martyrol. Kal. Nov.) und Sigebert von Gembloux (Chron. ad. an. 835) berichten, führte Ludwig der Fromme das Fest 835 im ganzen fränkischen Reiche ein, und damit war seine Einsetzung im gesamten Abendland gesichert. Sixtus IV. (1471 bis 1484) zeichnete es durch eine Oktavfeier aus. In der Legenda Aurea findet sich zunächst die übliche Reihe der Apostel, Märtyrer, Bekenner und Jungfrauen. Ikonographisch von Einfluß dagegen war sichtlich die Legende von dem Küster von St. Peter in Rom, der in einer Vision neben den genannten vier Chören von Heiligen noch einen Chor der Patriarchen und Propheten sieht. Von diesen fünf Chören werden drei von den Psychopompen Maria, Joh. dem Täufer und St. Peter angeführt [6/7].

II. A. in der Ikonographie des Mittelalters

Das A.-Bild erwächst, wenigstens im Abendland, aus der apokalyptischen Grundlage (vor allem Kap. 5. u. 7, sodann 19. u. 22) und dem Gedanken der communio sanctorum, also dem Heiligenkult. Für die frühesten Darstellungen des Motivs ergab sich, zumal die spekulative Durchdringung des Begriffs der communio sanctorum erst verhältnismäßig spät einsetzt, eine willkommene Vorlage in der Apokalypse, und zwar in der Anbetung der 24 Ältesten (Apok. 5, 6ff.), in denen man die Vertreter der in die Glorie eingegangenen Gerechten sah. Doch überwiegt thematisch bei diesen ältesten aus der Geheimen Offenbarung geschöpften Darstellungen der Rex Gloriae bzw. die Majestas Domini (meist symbolisch in der Gestalt des Lammes), und die 24 Ältesten bzw. Apostel mit Maria sind als Beiwerk zu werten. Diese frühesten Darstellungen (in S. Cosma e Damiano, S. Pudenziana, S. Maria Maggiore) sind also bei der christozentrischen Einstellung dieser Zeit nicht ohne weiteres als A.-Motive anzusehen. Greifbar wird die Beziehung zum A.-Gedanken eigentlich erst, entsprechend der geschilderten liturgischen Entwicklung, in der 2. Hälfte des 1. Jahrtausends, zuerst in den Heiligenprozessionen an den Wänden von S. Apollinare nuovo in Ravenna (6. Jh.) und in dem karolingischen Sakramentar von Udine (Udine, Bibl. capitol. 76 V [8]), wo je 5 Reihen nimbierter Heiligen das Lamm und die Kirche flankieren; ganz ähnlich ein Fuldaer Sakramentar des 10. Jh. in Göttingen (Univ.-Bibl. cod. theol. 231, ed. Gregor Richter 1912; Abb. 1). Hier scheint im Gegensatz zu dem in der altchristlichen Kunst bevorzugten 5. Kap. der Apokalypse das 7. Kap. mit der Anbetung des Lammes durch Vertreter aus allen Stämmen, Nationen und Sprachen, das in die Liturgie des A.-Festes einging, als Vorlage gedient zu haben.

In der Folgezeit sind die Heiligen mit dem Lamme in der Glorie für die bebilderten Sakramentarien und Missalien am A.-Fest gebräuchlich; auch im Antiphonar von St. Peter in Salzburg (um 1160/70; Abb. 2) wird das A.-Bild vom Lamm zwischen Johannes und Maria bekrönt; darunter thront jedoch in überragender Größe und als beherrschender Mittelpunkt Christus in der von Engeln getragenen Mandorla. Die Monumentalmalerei des 12. Jh. (Regensburg, A.-Kapelle beim Dom [Inv. Bayern II, 22 S. 218]; Prüfening [Inv. Bayern II, 20 S. 187ff.]; Schwarzrheindorf Der Name des Attributs „[Person“ enthält das ungültige Zeichen „[“, das nicht hierfür verwendet werden kann., Rom. Mon. Mal. S. 344ff.]; Goslar, Neuwerkskirche [Inv. Hannover II, 1/2 S. 94]) ersetzt dann allgemein das Lamm durch den verklärten Christus oder durch Christus auf dem Schoß der Muttergottes, während Maria oder die Kirche oder beide zugleich als Psychopompen auftreten. Gelegentlich (in Prüfening) erscheint auch die Kirche selbst als zusammenfassendes Symbol der Unio Sanctorum im Kranze der Heiligen. (So noch 1473 in Bietigheim in Württemberg.) Im übrigen dringt das apokalyptische Lamm immer wieder durch bis in die Tage der Renaissance, am großartigsten auf dem Genter Altar der Brüder van Eyck aus dem Jahre 1432, dessen festliches Mittelstück ein sprechendes A.-Bild ist. Die Verbreiterung des Festgedankens auf den beiden inneren Flügelpaaren geht jedoch nicht, wie Rudolf Günther [3] glaubt, auf die Hymnenliteratur zurück, sondern erklärt sich aus dem Amtscharakter und dem Namenspatronat des Bestellers, des Genter Bürgermeisters Jodokus Vyd. Daher die hl. Vorsteher und Regenten (justi judices) und die hl. Pilger (Jodokus war hochverehrter Pilgerpatron), und diesen bedeutungsverwandt die hl. Ritter (Christi milites, vgl. die Idee des miles christianus bei Erasmus-Dürer) und die hl. Einsiedler. Stammeltern (die O. Seeck, Abh. d. Ges. d. Wiss. zu Göttingen II, Phil.-Hist. Kl. N. F. III, 1, 1899 S. 1ff. als fremd empfindet) und Mariä Verkündigung erklären sich aus Einflüssen des speculum humanae salvationis. Das Lamm erscheint auch auf dem Bilde Schäuffeleins von 1538 im Deutschen Mus. Berlin. In Drachs Heilsspiegel der 1480er Jahre findet sich ein A.-Bild mit Maria thronend neben Christus und der Beschriftung „das hymelrich wirt bedütet“, das dem Kupferstich Schongauers (B. 71) verwandt ist. Dürer hat sein klassisches A.-Bild mit dem sog. Gnadenstuhl als Mittelstück 1511 für die Kapelle der Zwölfbruderschaft zu allen Heiligen in Nürnberg geschaffen (mit M. Thausing, Dürer Bd. 2, Leipzig 1884, S. 30ff. gegen Künstle I S. 230, der das Bild als Anbetung der Dreifaltigkeit deutet, vgl. dazu J. Braun, Liturg. Handlexikon, Regensburg 19242, S. 12). Auch Jak. Corn. van Oostsanen stellt in einem Gemälde von 1523 (Kassel; Abb. 3) unzweideutig A. dar, obwohl er den Gnadenstuhl durch eine thronende Dreifaltigkeit ersetzt. Im Mittelstück des großen Schnitzaltars von Klaus Berg in Odense (Dänemark; Abb. 4) ist das A.-Thema mit Motiven des Lebensbaums und des Rosenkranzbildes vereinigt (s. u.). Dagegen ist Raffaels Disputa kein A.-Bild (mit Künstle I S. 155f. gegen Kraus-Sauer [2]), sondern schildert, wie der Name sagt, die spekulative Durchdringung des Offenbarungsstoffes (die inspirierten Träger in der oberen durch die Theologie aller Zeiten in der unteren Zone). – Die Wahl der einzelnen Heiligen beruht häufig auf örtlichen und persönlichen Beziehungen (so Alexander, Eventius und Theodulus auf der A.-Darstellung der Flügel des Ulmer Wengenaltars).

A.-Bilder im uneigentlichen Sinn sind 1. die Weltgerichtsdarstellungen, 2. die Paradiesesbilder, die wesentlich den Teilgedanken der wunschlosen Seligkeit und der mystischen Vermählung pflegen (typisches Bild um 1420 im Städelschen Institut, Frankfurt a. M.), 3. die Rosenkranzbilder mit der Darstellung von Heiligengruppen, die aus der von dem Dominikaner Alanus de Rupe (gest. 1475) empfohlenen Übung fließen, dem Rosenkranze die Anrufung seiner Schutzheiligen anzuschließen [4]. Es gab neben dem freudenreichen und schmerzhaften Rosenkranz christologischen Inhalts den von der Hl. Jungfrau und allen Heiligen. Diese fälschlich so genannten A.-Darstellungen, in Wirklichkeit Rosenkranzbilder, scheinen um 1500 vor allem von Nürnberg auszustrahlen, dessen Graphik stark von diesem Motiv erfüllt ist. Zu dieser Gruppe gehört u. a. das bekannte Altarbild Burgkmairs in Augsburg von 1507, der Auhauser Altar Schäuffeleins, die Bilder im Bayerischen Nationalmus. Nr. 75, in Schleißheim Nr. 3108, in Donaueschingen Nr. 69–71 und der sog. Schaffneraltar im Chorumgang des Augsburger Domes. 4. Die Portalzyklen der gotischen Dome (typisches Beispiel Straßburg), weil hier die Heiligen lediglich im Rahmen einer Darstellung der Heilsgeschichte auftreten. 5. Die Darstellungen des Lebensbrunnens (J. van Eyck im Prado; Beginenkirche in Gent) mit der Ergießung der fons aquae vivae über die gesamte erlöste Menschheit.

III. A. in der Ikonographie des 16.–18. Jh.

Die Darstellungen des 16.–18. Jh. bringen keine neue Note in das Konzert der bekannten Einzelheiten des Motivs. Sie sind im wesentlichen über das Allerheiligenbild Dürers und die (falsch aufgefaßte) Disputa Raffaels nicht hinausgediehen. Die Allerheiligenbilder der Barockzeit zumal, die zum Teil in virtuosem Aufbau des Bildgefüges zu höchster Wirkung gesteigert werden, bieten ikonographisch nichts neues.

Zu den Abbildungen

1. Göttingen, Univ.-Bibl., cod. theol. 231: Fuldaer Sakramentar, 10. Jh. Phot. Bibl.

2. Salzburg, Stift St. Peter, cod. a. XII, 7: Antiphonar um 1160/70. Phot. Prof. Dr. Swarzenski, Frankfurt a. M.

3. Jak. Corn. van Oostsanen, Flügelaltar, 1523. Kassel, Gemäldegalerie. Phot. Gal.

4. Odense (Dänemark), St. Knudskirche, Mittelstück des Altarschreins von Klaus Berg, um 1520. Nach Francis Beckett, Altartavier i Danmark, Kopenhagen 1897.

Literatur

1. K. Ad. Heinr. Kellner, Heortologie, Freiburg i. Br. 19113. 2. F. X. Kraus - Jos. Sauer, Geschichte der christlichen Kunst, Freiburg i. Br. 1896 bis 1908, II, 1 S. 438; II, 2 S. 417. 3. Rud. Günther, Der Genter Altar und die Allerheiligenliturgie (Stud. über christl. Denkmäler 15), Leipzig 1923. 4. St. Beissel, Marienverehrung I S. 561ff. 5. Künstle I S. 559 (hier auch die weitere Literatur). 6. Legenda aurea, ed. Th. Graesse, Breslau 18903, S. 718ff. 7. Legenda aurea, dt. von Richard Benz, II, Jena 1921, S. 223. 8. Adalb. Ebner, Quellen u. Forschungen zur Gesch. u. Kg. des Missale Romanum, Freiburg 1896, S. 59 u. 266.