Almanach
englisch: Almanack; französisch: Almanach; italienisch: Almanacco.
Erich v. Rath (1934)
RDK I, 375–380
Almanach (aus dem Franz. almanach, mittellatein. almanachus, früher aus dem Arab. abgeleitet, neuerdings aus dem ägypt.-griech. ἀλμενιχιαϰά).
I. In der 2. H. 15. Jh. bürgert sich in Deutschland das Wort A. als Bezeichnung für die auf ein Blatt gedruckten, für ein Jahr berechneten Plakat- oder Wandkalender ein. Der erhaltene Bestand, meist nur als Makulatur in Einbänden auf uns gekommen, stellt zwar nur einen geringen Bruchteil des ehemals Vorhandenen dar, ist aber doch so beträchtlich (das Verzeichnis der Einblattdrucke zählt 411 A. auf), daß Inhalt, Ausstattung, bildlicher Schmuck und Hauptproduktionsstätten dieser Wandkalender mit einiger Deutlichkeit erkennbar sind. Neben den Zeitangaben bilden den Hauptinhalt der meist deutschsprachigen Kalender Ratschläge und Vorschriften für die gesundheitliche Lebenshaltung, die, einer Zeitströmung entsprechend, vielfach von astrologischen Vorstellungen beherrscht werden. Die ältesten Kalender sind noch völlig schmucklos. Erst Günther Zainer, der Erstdrucker Augsburgs, hat in seinem deutschen Kalender auf das Jahr 1472 den Anfang des Textes mit Initiale, Randverzierung und Spruchband mit Neujahrsglückwunsch ausgestattet (Abb. Heitz-Haebler [5] Nr. 5). Diese Neujahrsglückwünsche, deren Spruchbänder sich anfänglich aus der Initiale entwickeln, später über oder unter den Text gesetzt werden, sind eine höchst charakteristische Beigabe der A.: man kann an ihrer immer reicheren künstlerischen Ausgestaltung die Entwicklung des Buchornaments in einem kleinen Ausschnitt durch das Jahrhundert verfolgen.
Neben Augsburg, wo auch die späteren Drucker – Bämler, Sorg, Schoensperger, Ratdolt u. a. – die Tradition des Kalenderdrucks pflegen und weiterentwickeln, tritt schon Ende 1473 Ulm. Wenn auch Johann Zainer, der Drucker der ersten Ulmer A., von seinem Augsburger Verwandten in Inhalt und Druckanordnung abhängig ist, so übertrifft er ihn doch weit durch den ornamentalen und bildlichen Schmuck, mit dem er seine offenbar auch als geschäftliche Empfehlung geschaffenen Kalender ausgestattet hat. Schon den ältesten darunter, auf das Jahr 1474 (Abb. 1), ziert die schöne Narrenranke des Boccaccio-Meisters nebst großer Initiale mit Anbetung der Hl. Jungfrau und Spruchband. Auch verschiedene spätere Kalender seiner Offizin zeichnen sich durch geschmackvolle und reiche Ausstattung aus (z. B. der A. auf 1489: Schramm V, Abb. 415) und haben anderen Druckern, wie Konrad Fyner in Urach (1482) und Johann Reger in Ulm (1491) als Vorbild gedient (Schramm IX, Taf. 52, bzw. V, Taf. 78; hier irrtümlich Zainer zugeschrieben, s. G. W. [2] 1463). Zu den künstlerisch wertvollsten Blättern, die überhaupt in dieser Art geschaffen worden sind, gehört der leider nur fragmentarisch erhaltene A. auf das Jahr 1483, den Peter Drach in Speyer gedruckt hat. Die Kopfleiste zeigt die Darstellung eines Gartens, in dem ein junges Paar, an einem Brunnen sitzend, Neujahrswünsche austauscht, während der nach Monaten angeordnete Text Initialen mit der Geburt Christi und Bildern der ländlichen Beschäftigungen aufweist (Abb. 2). Der Schmuck des Kalenders wird wohl mit Recht dem Meister des Hausbuchs zugeschrieben, der für die gleiche Offizin die Bilder des Spiegels menschlicher Behaltnis (um 1481–82, Hain Nr. 14935) geliefert hatte. Unter den Produktionsstätten der 90er Jahre verdienen Hervorhebung Straßburg, Nürnberg und Leipzig, wo Johann Grüninger, Peter Wagner und Konrad Kachelofen ihre Kalender teils mit religiösen, teils mit astrologischen und medizinischen Bildern ausgestattet haben.
Im ganzen nimmt die Zahl der gedruckten Einblattkalender bis 1500 eher zu als ab; sie erstreckt sich jedoch, soweit wir feststellen können, fast ausschließlich auf Deutschland und die damals mit ihm vereinigten Länder. Bis jetzt hat sich nur ein einziger A., auf das Jahr 1492, in lateinischer Sprache gefunden, der wahrscheinlich in Frankreich, vielleicht in Rouen, gedruckt worden ist (Einblattdrucke [1] 262, G. W. [2] 1464). In welchem Umfang sich dieser Brauch, zum neuen Jahr Wandkalender herzustellen und zu verschenken, im 16. Jh. fortsetzt, ist bei dem Mangel an ausreichenden bibliographischen Hilfsmitteln nicht mit Sicherheit anzugeben. Aus dem 1. V. 16. Jh. konnte Weller [3] wenigstens einige illustrierte A. anführen; und daß auch weiterhin Einblattkalender gedruckt worden sind, geht aus der Tatsache hervor, daß für das Jahr 1567 nicht weniger als 10 verschiedene, teils in Augsburg, teils in Zürich gedruckte A. in einem Einband aufgefunden worden sind.
II. Seit dem Ende des 17. Jh. wird in Frankreich die Bezeichnung A. auch auf Jahreskalender in Buchform ausgedehnt, die neben dem Kalender Angaben über Messen und Märkte, höfische Feste, die Genealogie des Herrscherhauses u. a. enthielten (A. ... où sont marqués les jours de foires, les fêtes ..., Paris 1683-99; A. royal ..., Paris 1700ff.). Der Schmuck dieser kleinen Bücher beschränkt sich zunächst auf den Einband. Erst seit M. 18. Jh. werden ihnen auch Dichtungen, kleine Erzählungen und vor allem sehr reizvolle gestochene Illustrationen von Quevedo, Desrais, Dorgez, Gravelot u. a. beigefügt, die sie zu einem geschätzten Sammelgegenstand gemacht haben.
In Deutschland, dessen Buchillustration in dieser Epoche stark unter dem Einfluß Frankreichs steht, wurde der illustrierte A. von dort übernommen. Seit den 70er Jahren des 18. Jh. ist eine Fülle reich ausgestatteter A., Kalender und Taschenbücher erschienen, deren bildlicher Schmuck von den besten Stechern der Zeit, Berger, Meil und vor allem Chodowiecki, herrührt. Chodowiecki, dessen Kunst gegenüber größeren Aufgaben oft versagt, hat in den kleinen Monatsbildern und Illustrationsfolgen zu A. und Kalendern (z. B. Folge zu Lessings Minna von Barnhelm, Almanac généalog. de l’Académie de Berlin 1770) sein Bestes gegeben. Zu Anf. 19. Jh. kann man in Deutschland geradezu von einer A.-Mode, sogar von einem „A.-Unwesen“ sprechen. Bis in die 40er Jahre erstreckt sich die Massenpublikation verschiedenartigster, meist belletristischer A. Doch geht die Qualität der Illustrationen besonders seit dem Eindringen des Stahlstichs ständig zurück.
Zu den Abbildungen
1. München, Staatsbibl., A. von 1474, Ulm, Johann Zainer. Höhe des Originals 44 cm. Nach Schramm, Bilderschmuck V, Taf. 18.
2. Braunschweig, Staatsbibl., A. von 1483, Speyer, Peter Drach. Kopfleiste. Nach Schramm, Bilderschmuck XVI, Taf. 2, Abb. 10.
Literatur
I. Einblattdrucke. 1. Einblattdrucke d. 15. Jh., hrsg. von der Komm. f. d. Gesamtkatalog d. Wiegendrucke, Halle 1914. 2. Gesamtkatalog d. Wiegendrucke II, Leipzig 1926. 3. Emil Weller, Repertorium typographicum, Nördlingen 1864, Suppl. ebd. 1874. 4. Paul Heitz, Neujahrswünsche d. 15. Jh. (Drucke u. Holzschnitte d. 15. u. 16. Jh. in getreuer Nachbildung, Bd. 3), Straßburg 19002. 5. Paul Heitz u. Konr. Haebler, Hundert Kalender-Inkunabeln, Straßburg 1905. 6. W. L. Schreiber, Manuel V, 1, S. 28ff. 7. Karl Schottenloher, Flugblatt u. Zeitung, Bibl. f. K.- u. Antiquitätensammler, Bd. 21, Berlin 1922, S. 35ff.
II. Buch-A. 8. John Grand-Carteret, Les almanachs français, Paris 1896. 9. Felix Meunié, Bibliographie de quelques almanachs français des XVIIIe et XIXe siècles, Paris 1906. 10. Savigny de Moncorps, Almanachs illustres du XVIIIe siècle, Paris 1909. 11. Anton Schlossar, Taschenbücher u. A., Zs. f. Bücherfreunde, Jg. 3, 1899–1900, Bd. 1, S. 49ff., u. Bd. 2, S. 298ff.
Empfohlene Zitierweise: Rath, Erich von , Almanach, in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. I (1934), Sp. 375–380; in: RDK Labor, URL: <https://www.rdklabor.de/w/?oldid=89218> [05.04.2022]
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