Almemor

Aus RDK Labor
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englisch: Almemor; französisch: Almemor; italienisch: Almemor.


Rudolf Hallo († 26. 1. 1933) (1934)

RDK I, 384–387


RDK I, 385, Abb. 1. Albrecht Altdorfer.
RDK I, 385, Abb. 2. Memmelsdorf (Unterfranken).
RDK I, 385, Abb. 3. Memmelsdorf (Unterfranken).

Almemor (von arab. al minbar = Pult) oder Bema (griech. βῆμα = Rednerbühne) nennt man die zur Inneneinrichtung jeder Synagoge gehörige stationäre Erhöhung mit Lesepult, von der herab die Schriftverlesung stattfindet. Die arabische Bezeichnung für die alttestamentliche „Holzkanzel“ begegnet seit dem 12. Jh. Um 1400 taucht bei deutschen Rabbinern vorübergehend der Name „Altar“ auf.

Der A. geht auf das Neh. 8, 4 erwähnte Vorlesepodium oder Migdal Ez des Esra zurück und findet sich bereits in den Synagogen des Altertums. Seine Stellung im Synagogeninnern ist umkämpft. Zumeist steht er in der Mitte des Gebäudes (Abb. 1-3), in neuerer Zeit jedoch rückt er in zunehmendem Maße gegen den Hl. Schrein an der Ostwand (Aron Ha-Kodesch) vor (vgl. Seesen, Inv. Braunschweig V, S. 338) und wird gelegentlich mit diesem und dem Predigtpult des Rabbiners zu einer chorartigen Anlage zusammengezogen. Die Anordnung in der Mitte hat die traditionell-religiösen Begründungen für sich, die Stellung nahe beim Schrein mehr praktische.

In der Form lassen sich für das deutsche Gebiet 3 Hauptgruppen unterscheiden; sie fallen zugleich annähernd mit 3 Zeitstufen und ebensovielen Kultursphären zusammen. Die älteste, romanisch-innerdeutsche Form (Alt - Worms, Regensburg vor 1519, Abb. 1) ist die des fast geschlossenen, freistehend in den Synagogenraum hineingesetzten würfelförmigen Einbaus mit einem Treppenzugang, massiver Brüstung, in Arkaturen aufgelöster Oberwand und schwerem Abschlußgebälk. Die 2. Form, die der Spätgotik und Renaissance, ist vornehmlich ostdeutsch (Prag, Krakau) und wird gekennzeichnet durch die über den A. gesetzte lichte schmiedeeiserne Gitterhaube. Die 3., seit dem 18. Jh. herrschende Form ist die eines durch Geländer umhegten Podiums mit einem Pulttisch nach dem Schrein hin (Hofgeismar, Sulzbach, Memmelsdorf, Abb. 2, 3). Sie ist entwicklungsgeschichtlich wohl eine Rückbildung der holländischen Gestaltung, wie sie von Amsterdam her namentlich Berlin und Frankfurt um 1710 aufnahmen. Deren Charakteristikum ist die weitestmögliche Abschließung des A. nach außen durch übermannshohe geschlossene Wandflächen bei völliger Offenhaltung nach oben hin. Mischformen der 3. Art und des im außerdeutschen Osten beheimateten Baldachintyps, der die herabgezogenen Gewölbe der Synagogendecke auf sich zieht und stützt, sind Estraden, bei denen Innensäulen des Gesamtraums als Eckpfosten des A. dienen, so daß der A. architektonisch gebunden erscheint (Erdmannrode in Hessen-Nasau, auch Ellrich bei Nordhausen). Korrespondierend mit dem aufwärts unverschlossenen A. der 3. Stufe ist gelegentlich der Plafond als Sternenhimmel ausgemalt (Beverungen) oder kalottenförmig zur Kuppel eingestülpt (Volkmarsen). Eine Fremdform im deutschen Gebiet ist die in den ausgemalten „polnischen“ Barocksynagogen Frankens vor allem auftauchende hölzerne A.-Laube. (Vgl. die aus Kirchheim stammende Synagogeneinrichtung im Museum zu Würzburg [Inv. Bayern III, 3 S. 80ff.].)

Im Grundriß ist der A. frei. Das Viereck überwiegt, doch kommen auch Vieleck (Abb. 2-3) und Oval (Gelnhausen) vor. An Fläche ist der A. von dem nach Miniaturen erschließbaren mittelalterlichen (frühen) Stadium an bis heute zunehmend größer geworden, an Höhe hat er dagegen abgenommen. Darin kommt zum Ausdruck, daß er früher als Vorlesepult und Predigtkanzel diente, mithin einem hohen Kultusfunktionär vorbehalten war, später aber nur noch der Verlesung gewidmet war, bei der eine ganze Gruppe von Gemeindeangehörigen assistierte. So sind auch an die Stelle eines steilen, oft gebrochen geführten Treppenaufgangs 2 rechts und links symmetrisch einschneidende (in Alt-Frankfurt diagonal gelegte) Aufgänge getreten, die ein prozessionsartiges Überqueren des A. gestatten.

Zum A. gehört der Schulchan, ein Tischpult, auf dem eine Paramentendecke liegt, die mit dem Schreinvorhang harmoniert [7]. Eine Hängeampel über dem A. oder Lichtarme zu seiten des Pults erhellen den Stand. Die Bank an der Innenseite der A.-Rückwand dient vielfach als Truhe für die Wimpelbänder. Vor der Vorderseite des A. stand häufig die künstlerisch reiche Beschneidungsbank.

Im Aufbau spiegelt der A. die jeweilige Stilform der Synagoge selbst. Eigenartige Ornamente oder Symboldarstellungen kommen ihm nicht zu. – Soziologisch scheidet der A. die Gemeinde in drastischer Weise. Die „hinter dem A.“ Plazierten sind die Geringeren.

Zu den Abbildungen

1. Inneres der Synagoge in Regensburg, vor 1519. Radierung von Albrecht Altdorfer (B. 63, Schm. 70).

2. Inneres der Synagoge in Memmelsdorf (Unterfranken), um 1720. Phot. Bayer. Landesamt f. Denkmalspflege, München.

3. Grundriß der Synagoge in Memmelsdorf (Unterfranken), um 1720. Nach Inv. Bayern III, 15 (Bez.-Amt Ebern), Fig. 123.

Literatur

1. Heinrich Frauberger, Über Bau u. Ausschmückung alter Synagogen, Mitt. d. Ges. z. Erforsch. jüd. K.-Denkmäler, Nr. 2, Frankfurt a. M. 1901. 2. Alfred Grotte, Deutsche, böhmische u. polnische Synagogentypen vom 11. bis Anf. 19. Jh., Mitt. d. Ges. z. Erforschung jüd. K.-Denkmäler, Nr. 7/8, Frankfurt a. M. o. J. (1915). 3. Fritz Epstein, Kultusbauten u. Kultusgegenstände in d. Provinz Hessen, Notizbl. d. Ges. z. Erforschung jüd. K.-Denkmäler, Nr. 6, Frankfurt a. M., 1906, S. 1ff. 4. Rich. Krautheimer, M.a. Synagogen, Berlin 1927. 5. Rahel Wischnitzer-Bernstein in: Encyclopaedia Judaica II, Berlin 1928, Sp. 374ff. 6. Rud. Hallo, Jüd. Volks-K. in Hessen, Kassel 1928. 7. Ders., Jüd. K. aus Hessen u. Nassau, Berlin 1933.