Anrichte

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englisch: Dresser, buffet, sideboard; französisch: Dressoir, crédence; italienisch: Buffet, credenza.


Adolf Feulner (1935)

RDK I, 716–720


RDK I, 717, Abb. 1. Mailänder Stundenbuch, um 1440.
RDK I, 717, Abb. 2. Schatzbehalter, Nürnberg, 1491.
RDK I, 719, Abb. 3. Berlin, Schloßmuseum, um 1500.
RDK I, 719, Abb. 4. München, Bayer. Nat.-Museum, um 1550.

Unter A. fassen wir hier verschiedene Bezeichnungen des gleichen Zweckes zusammen; andererseits beschränken wir uns auf den mittelalterlichen Typus und sein Fortleben, weil für die späteren Stilperioden sich andere Bezeichnungen eingebürgert haben. Diese Bezeichnungen sind 1. Kredenz: der Tisch, auf dem das Tischgerät, die credenza, angerichtet wurde. 2. Dressoir (von franz. dresser); das mittellateinische drisorium ist in den deutschen Sprachgebrauch als Trisor (Trisur) übergegangen und bis zum 18. Jh. geblieben. 3. Büfett. 4. Stollenschrank, nach der Form des Schrankes auf Stollen (s. u.). Diese vier Bezeichnungen werden für das gleiche Möbel, den ursprünglich tischartigen Träger der Speisen und des Tafelgeschirrs, ohne Unterschied gebraucht. In der wissenschaftlichen Literatur ist für das mittelalterliche Möbel die Bezeichnung Dressoir, für das Renaissancemöbel die Bezeichnung Stollenschrank üblich.

Die A. ist ein Möbel der entwickelten Kultur. Als Hausmöbel ist sie erst seit der Spätgotik im Gebrauch. Ihre Heimat ist Burgund oder Frankreich, woher auch die Bezeichnung dressoir übernommen wurde. (Sie kommt zuerst in einer Kölner Zunftvorschrift von 1492 als tritzoir vor.) Die A. diente zum Verwahren des Tischgeräts und zum Aufstellen des prunkvollen Geschirrs und wurde im höfischen Mobiliar der Spätgotik ein repräsentatives Luxusmöbel, das immer größer und prunkvoller ausgestattet wurde, dessen Form sogar durch Vorschriften der Etikette geregelt wurde. Bei festlichen Gelegenheiten konnte auch ein improvisiertes, staffelförmiges Gestell, das mit Stoff verkleidet wurde, als Kredenz dienen. Es ist wahrscheinlich, daß es im hohen Mittelalter Vorläufer gehabt hat. Ein Kastentischchen mit Stellbrettern in rundbogiger Öffnung kommt auf einem Kapitell in Vézelay vor (Abb. bei Viollet-Le-Duc [5] S. 87). Die älteste Abbildung des spätmittelalterlichen Möbels findet sich auf dem Bild der Wochenstube der Heures de Milan von 1416 (Mailand, Principe Trivulzio), die Hubert van Eyck zugeschrieben werden. Es hat hier schon die offene Form eines Kastentisches mit einer Tür an der Vorderseite und mit Stellbrett unten zwischen den einfachen Vierkantfüßen (Stollen). Von da ab fehlt es selten auf burgundischen, französischen und norddeutschen Interieurbildern. Die gleiche einfache Form findet sich auf kölnischen Bildern (Geburt Mariä vom Meister des Marienlebens in München). Die reichere Form mit Rückwand und abschließendem Baldachin sehen wir auf französischen und burgundischen Miniaturen häufig (verschiedene Beispiele in den Heures de Milan, Abb. 1 und [2], S. XXX, in den Miniaturen des Loyset Liedet u. a.), auf deutschen Bildern selten (St. Lucas von Heinrich Dünwegge in Münster). Das Verbreitungsgebiet der offenen Form des Stollenschranks reichte von Nordfrankreich bis Westfalen. Im südlichen Deutschland ist die offene Form selten. Sie erscheint auf Bildern nur ausnahmsweise, z. B. auf dem Altar in Lichtental bei Baden-Baden. Öfter kommt hier die geschlossene Kastenform vor, die hohe Anrichte, ein zweigeschossiger, zwei- oder viertüriger Kredenzschrank, so im Nürnberger Schatzbehalter 1491 (Abb. 2), auf dem Bilde der Verkündigung von Ulrich Apt in der Augsburger Galerie (Nr. 5 573) und im Ulrichswunder Holbeins d. Ä. 1512 (ebd.). Noch mehr Ausnahme ist er auf italienischen Bildern.

Die erhaltenen Beispiele gehören der Spätzeit an. Von niederländischen Möbeln ist zu nennen der vierseitige Stollenschrank aus Alkmaar (um 1500, in Amsterdam, Rijksmuseum). Die reicheren Möbel mit Baldachinen und Schubladen (in der Wallace-Collection in London, im Musée Steen in Antwerpen) haben viele Ergänzungen. Das Rheinland kennt Stollenschränke mit abgeschrägten Ecken (Erkerschränke). Ein gut erhaltenes Beispiel mit Maßwerkfüllungen und durchbrochenen Ornamenten der Zeit um 1500 im Schloßmuseum Berlin (Abb. 3). Vermutlich dienten im Gebiet der nördlichen Gotik auch die halbhohen Schränke mit zwei oder vier Türen (zwei größere unten, zwei kleinere oben) als A. (Möbel in Brügge, Hospice St. Jans u. a. O.).

In der Renaissancezeit hat sich die offene Form der A. in Frankreich, in der Westschweiz, in England, in Deutschland am Rhein und in Westfalen erhalten. Wir können hier nur die deutschen Möbel erwähnen. Die A. ist jetzt in der Regel ein Wandmöbel. Der Aufbau ist ähnlich geblieben wie in der Gotik. Der meist kubische, selten polygone Kasten mit drei Feldern, bei den schmalen Schränken mit Mitteltürchen, bei den breiten mit zwei Seitentüren, ruht auf vier Pfosten, von denen die vorderen reicher geschnitzt sind, entsprechend dem ornamentalen Schnitzdekor der Felder. Unter den Türchen sitzen eine (das ist die Regel) oder zwei Schubladen. Unten ist zwischen die Füße ein Stellbrett gespannt. Bei den kleinen, polygonen Möbeln ist das Stellbrett zu einem polygonen Sockel ausgebaut (Beispiele im Kunstgewerbemuseum Köln, Schloßmuseum Berlin, Nat.-Museum München, Abb. 4). Im späten 16. Jh. ist die offene Form verschwunden; 1564 wurde sie noch in Münster als Meisterarbeit erlaubt. Sie wurde ersetzt durch die geschlossene Kastenform mit unregelmäßig verteilten Feldern, mit Türchen oder Klapptür, und durch den Überbauschrank (Kredenzschrank). Auf das Nachleben der geschlossenen Form in später Zeit gehen wir hier nicht ein (vgl. Büfett).

Zu den Abbildungen

1. Miniatur aus den Heures de Milan, Flandern, um 1440. Nach Hulin de Loo, Heures de Milan, Brüssel 1911.

2. Schatzbehalter oder Schrein der wahren Reichthümer des Heils und ewiger Seeligkeit, Nürnberg 1491, 86. Figur. Süddeutsche A. der Spätgotik.

3. Berlin, Schloß-Mus., Rhein. Stollenschrank (Erkerschrank), geschnitzt und bemalt, um 1500. H. 1,41 m, Br. 1,47 m. Phot. Mus.

4. München, Bayer. Nat.-Mus., Kölner Stollenschrank aus Eiche, um 1550. H. 1,32 m, Br. 0,88 m. Phot. Mus.

Literatur

1. Adolf Feulner, K.-Gesch. des Möbels, Berlin 19303. 2. Otto v. Falke, Deutsche Möbel des Mittelalters und der Renaissance, Stuttgart 1924. 3. Moritz Heyne, Das deutsche Wohnungswesen, Leipzig 1899. 4. Fritz Hellwag, Die Geschichte des deutschen Tischlerhandwerks, Berlin 1924. 5. E. Viollet-Le-Duc, Dictionnaire raisonné du mobilier français I, Paris l872.

Verweise