Armut

Aus RDK Labor
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englisch: Poverty; französisch: Pauvreté; italienisch: Povertà.


Liselotte Stauch (1936)

RDK I, 1113–1116


RDK I, 1115, Hans Holbein d. J., ehem. Wandgemälde im Londoner Stalhof, 1532/33

Das Ideal der freiwilligen A. als Reaktion auf die verderblichen Einflüsse des Reichtums hat in der Menschheitsgeschichte immer eine Rolle gespielt. Für das Christentum wurde es von besonderer Bedeutung; von Christus in zweifacher Hinsicht als Weg zur Seligkeit gewiesen – als A. im Geiste, d. h. einfacher, gottergebener Sinn (Matth. 5, 3; s. Demut, Humilitas und Seligkeiten) und als A. an irdischen Gütern (Worte Christi zum reichen Jüngling, Matth. 19, 21; Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus, Luk. 16, 19) – durch sein Leben verwirklicht, von den christlichen Urgemeinden und den Anachoreten nachgelebt, wurde die A. für das abendländische Mönchstum entscheidend durch die Regel des hl. Benedikt, der sie in beiden Formen forderte: „... neque aliquid habere proprium, nullam omnino rem, neque codicem, neque tabulas, neque graphium sed nihil omnino: quippe quibus nec corpora sua, nec voluntas licet habere in propria potestate ...“ (Migne P. L. 66 Sp. 551f.). Obwohl Gedanken über die A. bei den Kirchenvätern einen großen Raum einnehmen (Migne P. L. Index Bd. 3 Sp. 725ff.), obwohl sie als Tugend Christi und Mariae gerühmt wird (Migne P. L. Index Bd. 2 Sp. 464, 522) und Honorius von Autun im Speculum ecclesiae bei der Beschreibung der zum Himmel führenden Tugendleiter (vgl. Sp. 347 Abb. 2) unter den 15 Tugenden die „paupertas voluntaria“ nennt (Migne P. L. 172 Sp. 869ff.), ist sie doch in die Tugendzyklen der Kathedralplastik des 12. und 13. Jh. nur in der Form der humilitas eingedrungen. Wenn an den Archivolten des Nordportals der Westfassade von Laon (zw. 1190 u. 1200) unter den kämpfenden Tugend-Laster-Paaren Caritas erscheint, die einer Gestalt ein Kleid reicht (Lucien Broche, La cathédrale de Laon, Paris 1926, S. 66), so ist mit dieser Gestalt weder eine Tugend noch ein Laster gemeint, sondern die Beischrift „Paup“ ist (Male II S. 128) als „Pauper“ zu ergänzen. Die Darstellung der Tugend A. in der bildenden Kunst ist erst eine Folge des Lehrens und Wirkens des hl. Franziskus von Assisi (1182-1226), der das Ideal der A. neu belebte und ihm in der mystischen Vorstellung seiner Vermählung mit Frau A. einen bildhaften Ausdruck verlieh. Für die zahlreichen Darstellungen der A. im Zusammenhang mit dem Heiligen s. Hl. Franz von Assisi. Außerhalb dieses Kreises ist sie selten. Am Grabmal des hl. Augustin in Pavia (zw. 1350 u. 1380) ist sie neben den theologischen und den Kardinaltugenden, neben Theologie, Sanftmut, Keuschheit und Gehorsam dargestellt als Frau mit Schleier und Krone, einen Olivenzweig (Friede) in der Rechten, in der Linken eine Palme (Sieg) und zwei an die Hand gebundene Täfelchen (?) (Defendente Sacchi, L’ arca di Sant’ Agostino, Pavia 1832, S. 9, Abb. Taf. III Fig. 1).

Den Gesinnungswandel der Neuzeit zeigt die Auffassung, in der die A. seit dem 16. Jh. dargestellt wird. A. ist nun nicht mehr das höchste Gut wie bei Franziskus, sondern ein Unglück, das durch Dummheit und Faulheit verschuldet wird, zu Elend und Lüge führt und durch Fleiß und Mäßigung abgewendet wird. Diese Gedanken kleidete Holbein d. J. in die seit Petrarcas „Trionfi“ übliche allegorische Form des Triumphes, als Mahnung für die Kaufleute des Stalhofes in London, für die er 1532/33 den Triumph der A. neben dem des Reichtums malte (Abb.). „ΠΕΝΙΑ“ eine abgemagerte, alte Frau sitzt in einem elenden Wagen auf einem Bündel Stroh, hinter ihr „Infortunium“, die dem Wagen folgenden Armen, darunter „Mendicitas“ und „Miseria“ schlagend. Vor der A. sitzt „Industria“, die, von „Usus“ und „Memoria“ unterstützt, Arbeitswerkzeuge an die Armen verteilt. Der von zwei Ochsen „Negligentia“ und „Pigritia“ und zwei Eseln „Stupiditas“ und „Ignavia“ gezogene Wagen wird von der vertrauensvoll zum Himmel blickenden „Spes“ gelenkt. Neben den Tieren schreiten vier weibliche Gestalten: „Moderatio“ treibt mit einer Peitsche „Stupiditas“ an, „Diligentia“ führt „Ignavia“, „Sollicitudo“ den Ochsen „Negligentia“ und „Labor“ mit dem Spaten „Pigritia“. – Der Triumph der A. auf einer Plakette, die auf einen Stich des Hieron. Cock nach Marten Heemskerk zurückgeht (u. a. in Berlin, Kat. Bange Nr. 1487), zeigt „Inopia“ auf elendem Wagen mit ihrem Gefolge von „Timor“, „Humilitas“ (interessant auch der Bedeutungswandel von Humilitas), „Patientia“, „Servitus“ und „Fragilitas“.

Ein zweiter Typus, der das ausschließlich Negative der A. betont, ist der, den z. B. Serpotta für seine Statue für S. Francesco in Palermo benutzte (Mâle IV, Abb. 236). Es ist darin die A., die den Höhenflug des genialen Menschen hemmt, in einer Frau verkörpert, deren eine geflügelte Hand nach oben weist, während die andere mit einem daran gebundenen Stein beschwert herabhängt – ein ungeheurer Abiland zu der Gedankenwelt des hl. Franz, für dessen Kirche die Statue angefertigt wurde. Das Gekünstelte und Ausgeklügelte dieser Allegorie wird durch ihre Herkunft aus humanistischer Gelehrsamkeit erklärt. Sie entstammt der gelehrten Hieroglyphik und Emblematik, einer Pseudowissenschaft, mit der sich auch in Deutschland die erlauchtesten Geister befaßten. Andrea Alciati hatte in seinem von Jörg Breu illustrierten Werke „Emblemata“ eine Hieroglyphe der „Hypnerotomachia Polifili“ des Francesco Colonna (1499) auf die A. umgedeutet, und dieser Typus fand über die Ikonologien – allegorische Handbücher zum Gebrauch für die Künstler – des Cesare Ripa und seiner zahlreichen Nachfolger Eingang in die bildende Kunst [2]. Eine allegorische Gegenüberstellung des Reichtums und der A. findet sich als Niederschlag der gleichzeitigen sozial-revolutionären Stimmung in zahlreichen deutschen und niederländischen Kupferstichen des 16. Jh. [3].

Zur Abbildung

Hans Holbein d. J., Triumph der A., Wandgemälde, ehemals im Festsaal des Stalhofes zu London, 1532/33. Kopie von Jan de Bischop im Brit. Mus., London. Nach Klassiker der Kunst 20 S. 177.

Literatur

1. Michael von Dmitrewski, Die christliche freiwillige A. vom Ursprung der Kirche bis zum 12. Jh., Abh. zur mittl. u. neueren Gesch., hrsg. v. Below, Finke, Meinecke, 1913. 2. Ludwig Volkmann, Bilderschriften der Renaissance, Leipzig 1923, Abb. 34, 87, 93, 103, 104. 3. van Marle, Iconographie II S. 353ff.

Verweise