Atelierbildnis

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englisch: Picture of a studio; französisch: Portrait d'atelier; italienisch: Ritratto di pittore nello studio, studio del pittore, interno dello studio del pittore.


Kurt Karl Eberlein (1937)

RDK I, 1175–1179


RDK I, 1175, Abb. 1. Gerard Terborch (1617-81), Das Maleratelier.
RDK I, 1177, Abb. 2. F. A. Tischbein (?), Selbstbildnis im Atelier, c. 1790.
RDK I, 1177, Abb. 3. G. F. Kersting, C. D. Friedrich im Atelier, 1811.

Das Atelier wächst im Bildnis aus Fläche, Wand, Raumschatten erst spät an Stelle der Beiwerk- und Stillebensymbolik als Freiraum, Charakterdeutung und Seelenspiegel heraus. Je mehr der Künstler als Brustbild und Vorgrund im oder am Fenster in die Folie der Raumtiefe zurücktritt, um so mehr wächst das Raumbild um ihn herum zum Raumporträt, in dem er schließlich als Kleinfigur, als Frontal-, Seiten- oder Rückenfigur west und lebt. Alle diese Atelierbildnisse gehören mit ihrer germanischen Stubenstimmung – den genrehaften Hieronymus-Eligius-Geldwechslerbildern verwandt – der Nordkultur zu und werden besonders den naturnahen Kulturepochen bürgerlicher Wirtschaftsgruppen entsprechen, weshalb das A. auch mit dem holländischen Kunstproblem des 17., 18., 19. Jh. zusammengeht. Daß es soziologisch ein ergiebiges Material liefert (Arbeitsraum, Licht, Möbel, Gerät, Kleidung, Besucher u. a.) ist selbstverständlich, aber nicht genügend beachtet, so daß es endlich eine eigene umfassende Forschung verdiente.

I. Lukasbildnis

Abgesehen von vereinzelten Ausnahmen erscheint das Atelier als überwirkliche Raumkomposition meist ohne Selbstbildnis, doch oft schon mit dem helfenden „Knecht“ in den St. Lukastafeln, wie sie von den Lukasgilden den Zunftaltären gestiftet wurden (R. van der Weyden-München, L. Blondeel-Brügge, M. de Vos-Antwerpen, F. Floris-Antwerpen u. a., vgl. [4]). Pleydenwurffs Lukas vom früher sog. Peringsdörffer Altar in Nürnberg (Sp. 1171 Abb. 1) gibt vielleicht ein Selbstbildnis und scheint auch im Raum trotz des Assistenzcharakters, schon bildnishaft zu sein.

II. Selbstbildnis

Von den Lukasbildern weist der Weg zum holländisch-profanen Werkstattbild, das als Selbstbildnis den Raum mit dem Künstler porträtiert und als zeitgeschichtliche Bildquelle wie als künstlerisches Selbstbekenntnis bedeutend ist. Wir unterscheiden in diesen Arbeitsbildern typologisch das Selbstbildnis ohne Knecht (Dou-Dresden), mit Knecht (Ostade, Sp. 1173/74 Abb. 2), mit Modell (de Gelder-Frankfurt, Vermeer-Wien, Mieris-Dresden, Houbraken-Amsterdam), mit Modell und Schülern (Ryckart III-Paris), mit Modell und Besuchern (Craesbeek-Paris, Berck-Heyde-Petersburg). Einen Sonderfall bieten die im Schloß gemalten „Meninas“ des Velasquez im Prado. In Deutschland erscheint nach ersten Ansätzen des Mittelalters erst wieder im Barock das Atelierselbstbildnis und am reinsten in den holländisierenden Bildern des 18. Jh. und wieder in der Romantik in Bildern „in niederländischem Geschmack“, der in der Folge überall da wieder auftritt, wo letzte Reste niederländischer Tradition aufleben (P. J. Horemans, J. Fehrmann, J. F. A. Tischbein, J. Juncker, J. J. Dorner d. Ä., D. Chodowiecki, F. T. Georgi, G. F. Kersting, E. Speckter, F. Moosbrugger u. a. bis zu Trübner, Boecklin, Stuck, Kalckreuth und Malern der Gegenwart. Der Einfluß der Dänen (Juel, Dalsgaard, Larsen u. a.) scheint mir fühlbar zu sein, besonders bei Kersting, der 1811 durch seine „Malerstuben“ berühmt wurde (Abb. 3), Boucher und Hogarth mögen Frankreich und England vertreten. Als spätes Beispiel einer „allégorie réelle“ ist Courbets „atelier“ (1855) zu nennen, die den französischen „hommage“-Bildern zugehört. – Ein A. besonderer Art stellt ein Gemälde Ösers im Weimarer Museum dar: Es zeigt Goudt bei der Anfertigung eines Kupferstichs nach einem Gemälde von Elsheimer, das im Original in das Ösersche Bild eingesetzt ist (Staedel-Jb. 3/4, 1924 S. 87). Ein eigener Sonderfall ist ferner das plastische A. in dem kleinen Relief des Chr. L. Lücke (1733).

III. Kollegenbildnis

Das Kollegenbildnis als A. beginnt mit P. Breughel d. Ä. (Federzeichnung Albertina), wird zuweilen satirisch (Dusart, Federzeichnung in Amsterdam), lebt mit dem Barock auf (Horemans, Juncker u. a.), blüht in der Romantik (Kerstings Friedrichbilder, Abb. 3, und Kügelgenbild) und lebt im 19. Jh. fort: Vogel v. Vogelstein (David d’Angers [5]), S. Dahl (J. C. C. Dahl), v. Reutern (C. F. Sohn), Hasenclever (J. W. Preyer), Rorbye (Lorentzen), Charlemont (Makart), Löfftz (Unbekannter), Pohle (C. Peschel, L. Richter), Temple (W. Unger), Besnard (Unbekannter Kupferstecher) usw. bis in die Gegenwart.

IV. Werkstattbildnis ohne Mensch

Selten ist das Werkstattbildnis ohne Mensch, das als Fensterbildnis den Maler indirekt darstellt als genius loci (Friedrich, Carus, Milde, Alt u. a.).

V. Schulbildnis

Kunstgeschichtlich wichtig sind die Schulbilder, die den Schul- und Lehrbetrieb in Schilderkammer, Malschule, Atelier, Akademie porträtieren: Ryckart III, Sweerts, Rembrandtschüler (Federzeichnung Weimar), Terwesten (Akademie Berlin), Pohlke (Zeichensaal Berlin), Danhauser (Schüleratelier), Cocheran (Davidschule), Doerr (Atelier Bonnat [5]), Baschkirtschew (Académie Julian). Man beachte besonders die italienischen Malschulen: A. Veneziano (Accademia di Bacchio Brandin, Stich 1531), F. Alberti (Römische Malerakademie, Stich um 1600), C. Werner, L. W. Passini, A. Romado, H. Stahl (Atelier Venedig) u. a.

VI. Lehrbildnis

Schließlich sind die Lehrbilder der Kunstlehre zu beachten wie Dürers Holzschnitt des Glastafelzeichners (vgl. auch den Netzzeichner, Sp. 281/82 Abb. 3) oder Bosses Radierung des Netzrahmenzeichners u. a., die eine Zeichenmethode durch ein Atelierbildnis illustrieren.

Zu den Abbildungen

1. Gerard Terborch (1617-81), Das Maleratelier. Heidelberg, Kurpfälz. Mus. Phot. Mus.

2. J. F. A. Tischbein(?), Selbstbildnis im Atelier, ca. 1790. Berlin, Nat.-Gal. Phot. Mus.

3. Georg Friedr. Kersting, Der Maler C. D. Friedrich im Atelier, 1811. Hamburg, Kunsthalle. Phot. Franz Rompel, Hamburg.

Literatur

1. Wilh. Waetzoldt, Die Kunst des Porträts, Leipzig 1908. 2. Georg Biermann, Deutsches Barock und Rokoko Bd. 1, Leipzig 1924. 3. Jos. Meder, Die Handzeichnung, ihre Technik und Entwicklung, Wien 19232. 4. Dorothee Klein, St. Lukas als Maler der Maria, Berlin 1933. 5. Katalog der deutschen Jahrhundert-Ausstellung Berlin 1906 (Ausstellung deutscher Kunst aus der Zeit von 1775 bis 1875, Bd. 2), München 1906.