Baumeisterbildnis
englisch: Portrait of an architect; französisch: Portrait d'architecte; italienisch: Ritratto dell'architetto.
Kurt Gerstenberg (1938)
RDK II, 96–100
Erst um die Wende des 12. und 13. Jh., kurz nachdem der Name des Baumeisters gelegentlich in einer Bauinschrift (Sp. 34ff.) genannt wird, setzt das B. ein. Der Mann, den der Affe laust, an der Zwerggalerie des Wormser Domes um 1180, durch das Winkelmaß in der Hand als Baumeister bezeichnet, gehört zu den ältesten Beispielen, die in der Romanik spärlich und an versteckter Stelle bleiben. Erst die Gotik bringt neue Wertung der Künstlerpersönlichkeit, erwachtes Persönlichkeitsbewußtsein und Familiensinn, wie er durch Vererbung der Meisterwürde in der Hütte gesteigert wurde. Die Kragsteinbüsten unter der Sterngalerie des Münsterturms in Freiburg, mindestens stilistisch familienähnlich, stellen eine Werkmeistersippe dar, darunter vielleicht den 1308 erwähnten Meister Gerhard, der den oberen Turmteil baute (O. Schmitt, Gotische Skulpturen des Freiburger Münsters, Bd. I, 1926, Taf. 92ff.). Hier wie bei dem ganzfigurigen Konsolträger, dem Meister Bonensac, im Dom zu Magdeburg oder den beiden Konsolfiguren an der inneren Westwand des Regensburger Doms können Zweifel bleiben, ob es sich um B. handelt, weil die Attribute fehlen. Kirchenmodelle tragen in Deutschland meist weltliche oder geistliche Stifter. Nur der Baumeister Henrich von Sampach 1382 in St. Marien zu Mühlhausen i. Th. hat auf seinem Grabstein ein Kirchenmodell neben sich (Abb. 2). Auch bei dem Gründungsrelief des Ulmer Münsters, entstanden rund dreißig Jahre nach der Grundsteinlegung 1377, halten der Bürgermeister Konrad Karg und seine Frau das Modell angefaßt, das der Baumeister, also ein Parler, gebückt aufhockt, womit ihm Last und Verantwortung des Baus sinnfällig aufgebürdet werden (Sp. 45 Abb. 6). Die Doppeltätigkeit als Baumeister und Bildhauer wird durch den Steinmetzhammer, meist die Spitzfleche, betont. Mit diesem Hauptwerkzeug entsteigt der Baumeister seinem Sarg unter den Seligen auf dem Weltgerichtstympanon des Rottweiler Kapellenturms um 1340. Das gleiche Attribut auf dem Grabstein des Johannes Lapicida in Mittenwald † 1380, der in einer Kreuzigungsdarstellung kniet. Ebenso tragen den Hammer der Laienbruder Baumeister Berthold um 1425 in Maulbronn und der Baumeister in der Pfarrkirche zu Neumarkt (Oberpfalz), beides Konsolfiguren. Mit dem Steinmetzschlägel ist z. B. die Konsolbüste eines jugendlichen Meisters in Amorsbrunn bei Amorbach (2. H. 15. Jh.) charakterisiert. Das eigentliche Hauptattribut aber des entwerfenden und leitenden Baumeisters ist der Zirkel. Schon der Mönchbaumeister Pruder Diemar erscheint mit riesigem Zirkel unter dem Kapitell um 1270 in der Dominikanerkirche zu Regensburg (Abb. 1). Hans Augstaindreyer, Erbauer der Stiftskirche zu Tübingen, überliefert sein Brustbild mit Zirkel auf einer Wappentafel, die ein knieender Engel hält. Am Ende der Gotik stehen die ausdrucksvollen Bildnisse Meister Pilgrams in St. Stefan zu Wien, mit Zirkel und Richtscheit unter dem Orgelfuß, nur mit dem Zirkel unter der Kanzel. In der Gruppe gemalter B. sind die mit Zirkel am häufigsten, manche nicht benennbar; durch Inschriften bezeichnet Nikolaus Eseler d. Ä. und d. J., die 1444-99 die Georgskirche in Dinkelsbühl bauten (Die Eseler von Alzey, Zs. f. Gesch. d. Oberrheins 1922). Inschriftlich oder doch baugeschichtlich gesichert sind die Bildnisse etlicher deutscher Baumeister des 14. und 15. Jh.: Peter Parler in Prag, Konrad von Einbeck in Halle, Peter Hasperger in Tamsweg, Hans von Mingolsheim in Heilbronn, Konrad Kuen und Nikolaus von Büren im Kölner Dom, Ulrich von Ensingen in Straßburg, Hans Stetheimer an St. Martin in Landshut, Hans Spryß in Pforzheim, Mattheus Böblinger in Ulm, Hans Bock in Frickenhausen, Hans Paur in Eichstätt, Jörg Gankofer in München, Hans Niesenberger in Basel und Freiburg i. Br., Ruman Fäsch in Thann im Elsaß und Peter Pfister in Bern. Bei der weitverzweigten Familie der Parler und den von ihrer Kunst berührten Meistern wird die Büste die beliebteste plastische Darstellungsform des B. Mit der Büste wird das B. zur repräsentativen Äußerung eines Standes, dessen Wert und Würde sich an öffentlicher Stelle bekunden darf. Mehr noch: die Prager Anordnung im Triforium, die die beiden Baumeister in gleichberechtigter Stellung mit den Mitgliedern des königlichen Hauses, den drei Bischöfen und fünf Baudirektoren (um 1380) setzt, zeigt den Königshof zum Musenhof reiner Renaissancegesinnung erhoben. Nordischer, metaphysischer ist die Einreihung des B. in die Gruppe anbetender Kreatur, die die Himmelsmutter, Heilige und Getier mit dem Baumeister Ulrich von Ensingen in aufstaunender, wie gebannter Schau am Oktogon des Straßburger Münsters um 1415 vereinigt. Im Chor des Berner Münsters um 1515 zeigt sich das jenseitsverbundene Weltanschauungssystem am vollkommensten durchdacht: an allen 95 Knotenpunkten des Netzgewölbes befinden sich Schlußsteine mit plastischen Brustbildern, von der Dreieinigkeit an über die Propheten, Apostel und Heiligen bis zu dem Baumeister Peter Pfister und seinen Mitarbeitern: der Baumeister ist in den himmlischen Hofstaat aufgenommen. Die Renaissance hat den Architekten wieder auf die Erde gestellt. Auf dem Relief im Jagdschloß Grunewald um 1545 zecht Kurfürst Joachim II. mit den Baumeistern Kaspar Theiß und Kunz Buntschuh. Beim Einzelbildnis ist im 16. Jh. der Zirkel Ausweis für den schöpferischen Baugeist. So bei Georg Beer vom Lusthaus in Stuttgart (Schloßmuseum), Nickel Hofmann am Torturm des Stadtgottesackers in Halle, Caspar Vogt am südwestlichen Treppenturm des Schlosses in Dresden. Mit Zirkel und Zollstock erscheinen Wolf Blechschmidt in Pirna (Abb. 3), Hans Böringer im Freiburger Münster und Konrad Krebs auf dem prächtigen Grabstein im Schloß Hartenfels bei Torgau. Nur Wolf Waldberger, Baumeister und Steinmetz, wählt den Schlägel als Abzeichen am Klösterle-Portal 1586 in Nördlingen. Seit der 2. H. 16. Jh. wird das B. entsprechend der allgemeinen Bildnisauffassung meist als Dreiviertelfigur gegeben. Im 17. Jh. verhindern der Dreißigjährige Krieg und die nachfolgende Überschwemmung Deutschlands mit ausländischen Architekten eine weitere Entfaltung des deutschen B. Erst der Spätbarock bringt neuen Schwung in der pathetischen Bildnisauffassung wie vor allem in der Einordnung des B. in neue großartige Zusammenhänge (Abb. 4). Auf einer höheren Entwicklungsstufe bricht wieder durch, was die deutsche Gotik als letzte reife Frucht hervorgetrieben hatte. In den Himmel und Erde verbindenden allegorischen Epopöen, wie sie auf den Deckengemälden Kirchenschiffe, Festsäle und Treppenhäuser überspannen, erhält auch der Baumeister, der die Räume für diese Ruhmesfeiern schuf, den ihm gebührenden Platz.
(Eine zusammenfassende Darstellung des B. als Veröffentlichung des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft wird von dem Unterzeichneten vorbereitet.)
Zu den Abbildungen
1. Regensburg, Dominikanerkirche, Konsolfigur „Pruder Diemar“, um 1270. Phot. Bayer. Landesamt f. Denkmalpflege, München.
2. Mühlhausen i. Th., Marienkirche, Grabstein des Baumeisters Henrich von Sampach, † 1382. Phot. Staatl. Bildstelle Berlin.
3. Pirna, Bürgerhaus Niedere Burgstr. 1, Bildnis des Baumeisters und Eigentümers Wolf Blechschmidt, 1540. Phot. Sächs. Landesamt, Dresden.
4. M. Fr. Kleinert, Bildnis Balthasar Neumanns, 1727. Schloß Werneck b. Würzburg. Nach Lohmeyer.
Empfohlene Zitierweise: Gerstenberg, Kurt , Baumeisterbildnis, in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. II (1938), Sp. 96–100; in: RDK Labor, URL: <https://www.rdklabor.de/w/?oldid=88617> [04.04.2022]
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