Befestigungsbaukunst (Kriegsbaukunst, Verteidigungsbaukunst, Wehrbaukunst)
englisch: Fortification; französisch: Travaux de fortification; italienisch: Arte delle fortificazione, architettura militare.
Karl Heinz Clasen (1938)
RDK II, 172–174
B. dient dazu, den von der Natur so wenig verteidigungsfähig geschaffenen Körper des Menschen und alles, was im weiteren Sinne zum menschlichen Dasein gehört, gegen feindliche Angriffe zu schützen. Sie wird demnach durch zwei variable Komponenten bestimmt: die durch Kampfmethoden und Waffen zum Ausdruck gebrachte Angriffstüchtigkeit des Feindes und die Fähigkeit des Verteidigers, diesen Angriffsweisen Gleichwertiges zu seinem Schutze entgegenzustellen.
Von dem im Einzelkampf als Schutz verwendeten Schild ging man zur Deckung in Schlachtordnungen, wie Schildburg, Phalanx oder Quadre, d. h. zur Runddeckung über, indem man durch zweckmäßigen Zusammenschluß der Deckungsmittel dem Gegner den Angriff auf den menschlichen Körper von allen Seiten her erschwerte.
Aber erst die an den Ort gebundene Verteidigung brachte eine volle Ausnutzung des Deckungsprinzips und damit die Entstehung architektonischer Dauerformen. In der Wagenburg, bei der die Wanderwagen zu einem schützenden Bering um den Lagerplatz herum zusammengeschlossen wurden, mag man die ersten Anfänge der Verfestigung sehen. Zunächst genügte dem zu verteidigenden Platz eine Abschnürung durch Gräben, die dem Gegner die Annäherung erschwerten, und eine Brustwehr aus Holzplanken, Erd- oder Steinwällen für die Deckung der Verteidiger.
Diese Befestigungsweise der Vor- und Frühgeschichte, die in der Hauptsache in Volks- oder Gemeinschaftsburgen für ganze Stämme und Volksgruppen neben gelegentlichen Einzelbefestigungen bestand, darf man sich jedoch nicht unmonumental vorstellen. Zweifellos wurden mit primitivem Material wie Holz, Erde, unbehauenen Steinen mitunter recht stattliche architektonische Wirkungen hervorgerufen.
Doch erst unter Einwirkung eines anderen Verteidigungsprinzips, der Überhöhung, die ihre deutlichste Verkörperung im Turm findet, und bei gleichzeitiger Anwendung des kunstvolleren Mauerbaus konnten nennenswerte architektonische Formen entstehen. Wenn der Verteidiger eine erhöhte Aufstellung wählte, Mauern aufführte und erst auf ihrer Höhe eine Körperdeckung anlegte, schützte er ein breiteres Hintergelände und etwa vorhandene Wohngebäude, entzog sich selbst wirkungsvoller dem Angriff und erlangte durch bessere Sicht einen Vorteil. Durch Ausnutzung der Schwerkraft konnte man den Angreifer überdies von oben her aus vorgebauten Erkern oder Zinnenkränzen mit Öffnungen im Boden, sog. Werfscharten (Machicoulis) ohne Preisgabe des eigenen Körpers beobachten und bekämpfen. – Zum Zweck der Körperdeckung sind wichtige Einzelformen entstanden. Um den Kopf zu schützen und doch zugleich eine Handhabung der Schießwaffen zu ermöglichen, schuf man den Zinnenkranz mit seinem regelmäßigen Wechsel von Zinnen und Zinnenlücken. Durchbrechung der Mauer mit kleinen Öffnungen ergab die Wehrfenster oder, wenn sie schmaler ausfielen, die Schießscharten.
Alle diese Verteidigungsprinzipien finden ihre Anwendung und Ausbildung in der im Mittelalter wichtigsten Einzelbefestigung, der Burg, und in der Stadtbefestigung, die aber erst im späteren Mittelalter größere Bedeutung gewann. Während des ganzen Mittelalters spielt außerdem als dritte Befestigungsform die Wehrkirche eine bedeutende Rolle.
Die Prinzipien der Deckung und der Überhöhung erfuhren eine vollständige Abwandlung, als sich mit der Erfindung der Feuerwaffen im 14. Jh. und ihrer Anwendung im 15. Jh. die Angriffsweise grundlegend veränderte. Der horizontale und viel stärker durchschlagende Schuß der Feuergeschütze verlangte als Gegenwirkung Masse und nicht Höhe. So entstehen die Erdschüttungen der Bastionärbefestigungen (RDK I, Sp. 1508ff.) und im 16. Jh. der neue Typus der Festung, später die Mauer- und Betonmasse moderner Forts. In neuerer Zeit wandelt sich der Befestigungsbau von zunächst noch monumentalen Formen immer mehr zu reinen Graben- und Erdbefestigungen, bei denen nur noch Einzelheiten, wie die Tore, künstlerische Bedeutung erhalten, bis mit dem 20. Jh. die B. baulichen Charakter fast völlig verliert und in allerjüngster Zeit der Wehrbau ganz unter der Erde verschwindet.
Literatur und Abbildungen s. Bastion und Burg.
Verweise
Empfohlene Zitierweise: Clasen, Karl Heinz , Befestigungsbaukunst (Kriegsbaukunst, Verteidigungsbaukunst, Wehrbaukunst), in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. II (1938), Sp. 172–174; in: RDK Labor, URL: <https://www.rdklabor.de/w/?oldid=88582> [04.04.2022]
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