Beischlag
englisch: flight of front-steps, perron; französisch: Perron, estrade; italienisch: scalinata.
Carl Schellenberg (1938)
RDK II, 214–219
Als B. bezeichnet man allgemein einen Gebäudeteil, der „einem aufgeschlagenen Gebäude neben beigeschlagen wird“. Im Bereich der kunstgeschichtlichen Forschung interessieren von den Anbauten, die unter diesen Begriff fallen, nur die als Sitze ausgebildeten Wangen der drei- bis vierstufigen Freitreppe vor dem Hause, weil allein bei ihnen die Sachbedeutung sich in besonderer künstlerischer Form ausdrückt. Die geographische Verbreitung [7] dieter Komposition aus Treppe und Sitzbank vor dem Hause, wohin die Treppe, um Raum zu gewinnen, verlegt war, beschränkt sich auf Norddeutschland und den Teil des Ostseeraumes, der unter deutschem Einfluß stand [19]. Sie kommen gelegentlich auch außerhalb dieses Gebietes vor, so in Minden (Am Markt 5); auch auf einem süddeutschen Lindenholzrelief in Berlin (vgl. Bange, Kleinplastik der dt. Renaissance, München-Florenz 1928, Taf. 47) sind im Hintergrund B. sichtbar.
B. sind urkundlich seit dem E. 14. Jh. (für Lübeck 1333 ein bisclagh) nachzuweisen; zum Bau der ältesten wurde Eichenholz verwendet, aber schon im 15. Jh. benutzte man Sandstein und Muschelkalk. Damals wurde die klassische Form des B. geschaffen, dessen hohe stelenartige Pfosten an der Stirnseite straßenwärts, wie auf dem linken Flügel des Lukasaltar in der Jakobikirche zu Hamburg, eine Hauptzier der gotischen Fassaden bildeten (Abb. 1 und 3). Über dem manchmal schlicht gehaltenen, häufig aber mit reicher Bildhauerarbeit geschmückten Unterteil dieser Lehnsteine erhob sich, durch eine Halseinschnürung abgesetzt, das Kopfstück mit eingemeißelten Wappen oder Hausmarken. Zu den größten B. gehören die 3-4 m hohen Steinwangen des Adam von Düren von der Rittersaaltreppe des Kopenhagener Schlosses (1503, Kopenhagen, Nationalmus.). Ungewöhnlich sind die schönen Bronze-B. des Meisters der Lübecker Steinmadonnen vor dem Lübecker Rathaus. Für Lüneburg ist festgestellt, daß Form und Schmuckanordnung der B.-Pfosten zurückgehen auf die Denksteine, die den in der Ursulanacht 1371 gefallenen Ratsmännern errichtet waren. Aber auch in Mecklenburg zeigen Denksteine, wie z. B. der für einen im Jahre 1391 erschlagenen Wismarer Bürger auf dem Acker des Everstorfer Forsthofes in der Nähe von Grevesmühlen gesetzte, die Form der B.-Pfosten vorgebildet. Was die Sitzgelegenheit selbst anbetriftt, so wurde die Bank keineswegs immer mit einer Rückenlehne ausgestattet; war ein „Sissels“, wie die alte Bezeichnung dafür lautet, vorhanden, so bestand es entweder aus Eisenstangen mit Messingknöpfen oder aus reicherer Schmiedearbeit. Von dem Zubehör des B. sind ferner noch die eisernen Ringe an den Pfosten zu erwähnen, an die Gäste bei kurzer Rast ihre Pferde banden.
Um das Blickfeld des Sitzenden zu vergrößern, wurden im 16. Jh. die Lehnsteine verkürzt. Man verzichtete zunächst auf das Kopfstück und begnügte sich am Ende des Jh. mit einem dicken vierkantigen Pfosten, der an den äußeren Seiten mit Ornamenten bedeckt war.
Gleichzeitig entwickelte sich in Danzig am Renaissancebürgerhause die monumentale Form des B., die nur in Danzig [7. 14-18] und in einigen andern Städten des deutschen Ostens (Elbing) vorkommt (Abb. 2 u. 5). An Stelle des bescheidenen Platzes von der Breite des Hauseingangs wurde eine Plattform, zu der eine steinerne Freitreppe hinaufführt, vor die ganze Fassade gelegt. Für die künstlerische Betätigung bedeuteten die Brüstungen dieser an italienische Loggien erinnernden und wohl auf niederländische Anregungen zurückgehenden B. einen erheblichen Raumgewinn; sie wurden meistens reich mit Bildhauerarbeit ausgestattet. Der älteste bekannt gewordene B. vom Danziger Typ trug das Datum 1591, während erst im Jahre 1597 eine Willkür des Rats die B. ausdrücklich erlaubte. Daß aber auch in Danzig die kleinen B. bekannt waren, schließen wir aus den gegen die Anlage von B. gerichteten Verboten früherer Zeit, die mit der Beanspruchung öffentlichen Bodens und der Behinderung des Verkehrs begründet sind. Wie weit die B. ausladen durften, regelten übrigens die für alle Ausbauten geltenden Speermaße, das sind aus dem quergelegten Speer eines berittenen Mannes entwickelte Normalmaße, die wir z. B. im hamburgischen Stadtbuch von 1603 verzeichnet finden; sie wurden angedeutet durch Ecksteine, die auch als Prellsteine dienten und häufig durch Ketten oder Stangen verbunden waren.
Die B. verloren ihre Bedeutung, den fehlenden Garten zu ersetzen, als die Wohlhabenden, erfüllt von dem neuen Naturgefühl, im Sommer auf ihre Gärten zogen, wie es in Hamburg während des 16. Jh. Mode wurde; sie dienten später nur noch in den Gegenden des bürgerlichen Kleinbetriebes zum Aufenthalt im Freien. Schon im 18. Jh. (Abb. 4) waren B. etwas Besonderes, so daß Richey [5] behaupten konnte, sie seien charakteristisch für Brauerben. Wenn nun die Wangen der Freitreppen vor dem Hause, im Zusammenhang mit ihren volutenartigen Aufrollungen an der Stirnseite, leicht geschwungen gebildet wurden, so ist das ein Beweis, daß die B. nicht mehr zum Sitzen dienten und kein lebendiges Glied des Hausorganismus mehr waren, als sie im 19. Jh. dem Straßenverkehr zum Opfer fielen.
Zu den Abbildungen
1. Hinrik Bornemann, Gastmahl zu Emmaus, Innenseite des linken Flügels vom Lukasaltar in der Jakobikirche, Hamburg, 1499. Phot. F. Rompel, Hamburg.
2. Danzig, Frauengasse. Phot. Stadtmus. Danzig.
3. Hamburg, Mus. f. Hamburg. Gesch., Beischlagwange vom Amtshause der Reitendiener. Meister Francke nahestehend, Hamburg um 1430. Phot. Mus.
4. Hamburg, Herrlichkeit 64, um 1700. Nach alter Vorlage.
5. Danzig, Frauengasse 6, 18. Jh. Phot. Staatl. Bildstelle Berlin.
Literatur
1. Jak. Grimm, Deutsches Wörterbuch I, Leipzig 1854, S. 1391. 2. Matth. Lexer, Mittelhochdtsch. Hdwb. I, Leipzig 1872, S. 285. 3. Karl Schiller - Aug. Lübben, Mittelniederdtsch. Wörterb. I, Bremen 1875, S. 340. 4. Otto Mensing, Schlesw.-Holst. Wörterb. I, Neumünster 1927, S. 361/62. 5. Mich. Richey, Idioticon Hamburgense, Hamburg 1755, S. 257 58. 6. Moritz Heyne, Das Deutsche Wohnungswesen, Leipzig 1899, S. 208, 216, 229. 7. Peter Oberg, Der Beischlag des deutschen Bürgerhauses, Danzig 1935. 8. Martin Gensler, Hamburger „Beischläge“ aus dem 14., 15., 16. Jh., Mitt. d. Ver. f. Hamb. Gesch. I, 1878, S. 137ff. 9. H. W. C. Hübbe, Straßen, Flethe, Speermaße, Vorsetzen, Lauben u. dgl., Mitt. d. Ver. f. Hamb. Gesch. 21, 1901/02, S. 459ff. 10. Alfr. Lichtwark, Der Beischlag, Jb. d. Ges. Hamburg. K.freunde 1897, S. 49ff. 11. W. Melhop, Alt-Hamburgische Bauweise, Hamburg 1908. 12. A. Erbe u. Chr. Rank, Das Hamburger Bürgerhaus, Hamburg 1911. 13. Ernst Finder, Hamburgisches Bürgertum in der Vergangenheit, Hamburg 1930. 14. Aug. Grisebach, Danzig, Leipzig 1908. 15. Arthur Lindner, Danzig, Leipzig 1913. 16. Erich Keyser, Die Stadt Danzig, Stuttgart 1925. 17. Ders., Danzig, Berlin 1928. 18. Georg Cuny, Danzigs K. u. Kultur, Frankfurt a. M. 1910. 19. Wilhelm Neumann, Riga und Reval, Leipzig 1908, S. 52/54, Abb. 30. 20. Franz A. Krüger, Beischläge in Lüneburg, Jahresber. des Mus. Ver. f. d. Fürstentum Lüneburg 1899/1901, S. 67ff., und Lüneburger Mus. Bl. I, 2, 1907, S. 34ff. 21. Hans Graeven, Das Strebkatzenziehen auf einer Lüneburger Beischlagwange, Hannov. Gesch. Bl. 5, 1902, S. 241ff. 22. Weißstein, Mittelalterl. Wangensteine, Denkmalpflege IX, 1907, S. 41ff.
Empfohlene Zitierweise: Schellenberg, Carl , Beischlag, in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. II (1938), Sp. 214–219; in: RDK Labor, URL: <https://www.rdklabor.de/w/?oldid=88985> [05.04.2022]
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