Blindenheilung
englisch: Christ healing the blind; französisch: Guérison des aveugles; italienisch: Guarigione dei ciechi.
Hans Feldbusch (1942)
RDK II, 909–913
B. = Blinder. B.H. = Blindenheilung.
I. Begriff
Sämtliche Evangelien erwähnen B.H. durch Christus. Matthäus kennt drei B.H.: I. Heilung von zwei B. nach der Erweckung der Tochter des Jairus (Mt. 9, 27–31). 2. Die Heilung zweier B. beim Aufbruch aus Jericho (Mt. 20, 29–34). 3. Unmittelbar nach der Vertreibung der Händler aus dem Tempel kommen B. und Lahme zu Christus und werden geheilt (Mt. 21, 14). Markus berichtet von zwei B.H.: 1. Christus heilt einen B. in Bethsaida (Mk. 8, 22–26). 2. Beim Verlassen Jerichos heilt er den blinden Bartimäus (Mk. 10, 46–52). Lukas erzählt von der Heilung eines blinden Bettlers beim Einzug Christi in Jericho (Lk. 18, 35–43). Matthäus 20, 29ff., Markus 10, 46ff. und Lukas 18, 35ff. liegt wohl ein und dasselbe Ereignis zugrunde, wenn auch Matthäus von zwei B., Markus und Lukas nur von einem B. sprechen. Die bei Johannes (9, 1–7) erwähnte B.H. kommt bei den Synoptikern nicht vor: Christus heilt einen Blindgeborenen durch Bestreichung der Augen mit einem Brei aus Erde und Speichel. Der B. wäscht sich darauf am Teich Siloe und wird geheilt.
II. Darstellugen
A. Antike
Wie viele andere Wunder Christi ist auch die B.H. in der altchristl. Kunst sehr oft dargestellt worden, sowohl in der Plastik wie in der Malerei und in der Kleinkunst. Diesen Beispielen liegt meist der Johannesbericht zugrunde. Oft wird die Stelle in zwei Szenen aufgelöst: Christus bestreicht die Augen des Blindgeborenen, und der B. wäscht sich am Teiche Siloe. In anderen Fällen läßt sich jedoch nicht mit Sicherheit entscheiden, welche von den Erzählungen der Synoptiker illustriert wird.
Weitaus am häufigsten erscheint die B.H. in der Sarkophagplastik (Sp. 128, Abb. 2; Wilpert, Sarc. passim; Oskar Wulff, Altchristliche und byzantinische Kunst, Bd. 1, Hdb. d. Kw., passim). Der B., der gewöhnlich eine ungegürtete Tunika trägt, sich auf einen Stock stützt oder die Arme flehend ausstreckt, ist erheblich kleiner als Christus. Dieser berührt oder bestreicht mit einem oder zwei Fingern seine Augen. Auch die Heilung zweier B. kommt in der Sarkophagplastik vor [2]. Ähnlich sind die Darstellungen auf Werken der Kleinkunst: Kannen bei Cabrol-Leclercq [1, Abb. 1157] und im Mus. zu St. Germain-en-Laye, um 400, und Elfenbeinschnitzereien: sog. Lipsanothek zu Brescia, M. 4. Jh., und Maximianskathedra in Ravenna, M. 6 Jh., wo Christus in der Linken ein Kreuz hält. – In den Katakomben (Wilpert, Katakomben I, S. 54 und 220) wie in den kirchlichen Malereien und Mosaiken (Wilpert, Mos. u. Mal. II, S. 812) ist die B.H. seltener. Das Bruchstück des Sinope-Evangeliars (Paris, B.N., Suppl.grec 1286) nimmt Matth. 20, 29ff. zum Vorwurf; Christus, von vier Aposteln begleitet, berührt die Augen der ihm entgegeneilenden B. Der Codex Rossanensis bezieht im Anschluß an Johannes zum ersten Male den Teich Siloe in die Szene ein. Weitere altchristl. Darstellungen erwähnen das Dittochaeum des Prudentius (4. Jh.) und die Gemäldetituli der Anthologia Latina (5. Jh.; Schlosser, Quellenbuch, S. 8 u. 31).
B. Frühes MA
Die früh-m.a. Darstellungen folgen zunächst der altchristl. Tradition. Von Wandgemälden sind zu nennen Reichenau-Oberzell (um 1000) nach Johannes (Schlosser, Schriftquellen, S. 331) und ein untergegangenes Fresko im Mainzer Dom (Schlosser, Quellenbuch, S. 177). Die Bernwardsäule in Hildesheim bringt unter ihren 28 Szenen aus dem Leben Christi zwei B.H. nach Matthäus 20, 29ff. und Johannes 9, I ff. Das gleiche gilt vom Egbertkodex (Trier, Stadtbibl.); von drei Aposteln begleitet, wendet sich Christus dem am Wegrand sitzenden blinden Bettler zu (Abb. 1); die Johannes-Stelle wird durch Hinzufügung des aquaeductus Syloae charakterisiert (Abb. 2). Noch figurenreicher ausgestattet ist das Evangeliar Ottos III. (Clm. 4453), wo die Szene vor dem Stadttor von Jericho spielt. Auch das Echternacher Evangeliar in Gotha bringt sowohl die Heilung des Blindgeborenen wie die B.H. von Jericho. Das Perikopenbuch Heinrichs III. aus Echternach (Bremen, Stadtbibl.) illustriert Markus 10, 46ff. und folgt im Typus den B.H. der griech. Evangeliare. Dem Egbertkodex entspricht die B.H. im Echternacher Perikopenbuch der Bibl. Roy. zu Brüssel. Das Goldene Evangeliar Heinrichs III. im Escorial (ed. Alb. Boeckler, Berlin 1933, Taf. 84) schildert die B.H. von Bethsaida und stellt die Menge mit dar, auf deren Bitten Christus den B. heilt. Schließlich bringt ein Evangeliar aus Mainz (um 1260, Aschaffenburg, Schloßbibl., Nr. 13) wieder zwei B.H., die erste Szene in Verbindung mit der Heilung eines Stummen, die zweite die Heilung des Blindgeborenen (Abb. 3). Allgemein tritt an Stelle des Teiches Siloe ein Brunnen, bei dem das Wasser einem auf einer Säule stehenden Tier entspringt.
C. Spätes MA und neuere Zeit
Im späteren MA tritt die Darstellung der B.H. wie der anderen Wunder Christi zugunsten von Szenen aus der Jugend und Passion Christi, aus dem Marienleben und der Heiligenlegende zurück. Auch Erbauungsbücher wie die Armenbibel (RDK I, Sp. 1072ff.) und der Heilsspiegel kennen die B.H. nicht. Dagegen reiht die Concordantia caritatis des Ulrich von Lilienfeld die B.H. in ihren typologischen Zyklus ein. Der B.H. nach Markus oder Lukas werden die Heilung des Vaters des Tobias und der Prophet Jonathan, der bei der Verfolgung der Feinde vom Pfeil getroffen wird, gegenübergestellt; die Heilung des Blindgeborenen wird verbunden mit der Heilung des blinden Knaben durch Eliseus und des Paulus durch Ananias. Ein Glasgemälde im südlichen Seitenschiff des Straßburger Münsters (um 1300) illustriert die Lukasstelle und vereinigt zwei unmittelbar aufeinanderfolgende Ereignisse, die B.H. und Zachäus im Feigenbaum. Auch das sog. Speculum-Fenster der Münchner Frauenkirche von 1480, das in einigen Szenen auf den Heilsspiegel zurückgeht, hat ganz im Gegensatz zu diesem die B.H. aufgenommen (nach Markus oder Lukas; Abb. 4).
In der nach-m.a. Kunst erscheint die B.H. fast nur mehr in der Bibelillustration. Die historische Bilderbibel des Johann Ulrich Krauß bringt z. B. drei B.H. nach Matthäus, Markus und Johannes (Augsburg 1702, Taf. 150, 158, 169), aber nur als Nebenszenen, wenn auch in weitläufig erzählender Darstellung. Lukas van Leyden hat die B.H. als Thema zu einem Altarbild genommen (1531, Petersburg, Eremitage; Ernst Heidrich, Altniederländische Malerei, Jena 1910, Abb. 153); inmitten einer riesigen Zuschauermenge wird der B. von einem Knaben zu Christus geführt. Rembrandt, der das seit der Renaissance beliebt gewordene Thema der alttestamentlichen B.H. (Tobias heilt seinen Vater) mehrfach dargestellt hat, nahm auch die Heilung des Blindgeborenen zum Vorwurf einer Zeichnung (Rotterdam, Mus. Boymans) und einer Radierung (B. 94).
Zu den Abbildungen
1. u 2. Trier, Stadtbibl., cod. 24: Egbertkodex, fol. 31 u. 50, Heilung des Blinden und Heilung des Blindgeborenen. Reichenau, um 980. Marburger Photos.
3. Aschaffenburg, Schloßbibl. 13: Evangeliar aus Mainz, Heilung des Blindgeborenen. Um 1260. Phot. Haus der Rheinischen Heimat, Köln.
4. München, Frauenkirche, Speculumfenster, Heilung des Blinden. Um 1480. Marburger Photo.
Literatur
1. Cabrol-Leclercq I, 2, Sp. 3230ff. („Aveugles“). 2. Detzel I, S. 295ff. 3. Künstle I, S. 392.
Verweise
Empfohlene Zitierweise: Feldbusch, Hans , Blindenheilung, in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. II (1942), Sp. 909–913; in: RDK Labor, URL: <https://www.rdklabor.de/w/?oldid=89130> [04.04.2022]
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