Brüstung

Aus RDK Labor
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englisch: Balustrade, open parapet, breastwork; französisch: Balustrade, parapet; italienisch: Parapetto, balaustrata, ringhiera.


Hans Feldbusch (1947)

RDK II, 1329–1333


RDK I, 1423, Abb. 4. Molsheim (Elsaß), 16. Jh.
RDK I, 1423, Abb. 5. Passau, Neue Bischöfl. Residenz, 1770/71.
RDK II, 209, Abb. 5. Wertheim am Main, 1472ff.
RDK II, 1331, Abb. 1. Plassenburg, zw. 1559 u. 1569.
RDK II, 1331, Abb. 2. Karlsruhe, 1807-15.
RDK II, 1333, Abb. 3. Freudenstadt, 1604-08.

I. Begriff

Als B. bezeichnet man ganz allgemein jede in der Regel bis zur Brusthöhe oder halben Menschenhöhe reichende Einfriedigung eines erhöhten Platzes oder die Abgrenzung einer Maueröffnung aus Stein oder Holz. Sie kommt massiv oder durchbrochen bei Altanen, Baikonen, Loggien, Fenstern, Treppen, Emporen, Kanzeln, Lettnern, Brücken, Lauf- und Wehrgängen vor. Die gegen Fernkampfwaffen Schutz bietende B. des Burgen- und Festungsbaues heißt auch Brustwehr. Hat die Brustwehr Zinnenabschluß, spricht man von Zinnen-B. Die Statik nennt das Mauerwerk zwischen zwei übereinanderliegenden Fensterreihen auch B.-Mauerwerk oder B.-Feld und das in Höhe der Fenster-B. umlaufende Gesims B.-Gesims. Von der durchbrochenen B. unterscheidet sich die Balustrade durch ausschließliche Verwendung von Balustern oder Docken, das Geländer durch seine meist weniger massive, durchweg Holz oder Eisen verarbeitende Ausführung (B.-Geländer, B.-Gitter).

II. Geschichte

A. Antike

Der antike Wehrbau bekrönt Wall- und Stadtmauern mit einer Zinnen-B. Die römischen Stadtmauern hatten wie die griechischen und etruskischen etwa 1 m hohe zinnenbekrönte Brustwehren. Die B. waren mit vorspringenden Platten abgedeckt und vom aufsteigenden Mauerwerk häufig durch ein vorstehendes rechteckiges Band getrennt. Abgerundete Steine von antiken Mauer-B. wurden in Regensburg, Mainz, Wimpfen und Trier gefunden. B.-Geländer bei antiken Brücken bestanden in der Regel aus glatten, massiven Steinplatten oder aus einer Folge von Postamenten (Pfosten) mit zwischengestellten Platten.

In der altchristlichen und byzantinischen Kunst bemächtigen sich Dekorationslust und Symbolik der B.-Platten. Weinranken, Kreisbogennetz, Christusmonogramm und Kreuz, Tierfabel- und Tierkampfszenen schmücken die B. der Altarschranken, Ambonen und Kanzeln, gesprengte Palmetten, Flechtbänder, Trauben und Efeuranken bilden ihre Rahmen. Beispiele solcher B.-Platten befinden sich in Rom, Ravenna (S. Vitale, S. Apollinare Nuovo), Venedig (S. Marco); das K.F.M. Berlin bewahrt koptische B.-Platten und eine aus Konstantinopel (s. auch Ambo, RDK I, Sp. 627ff.).

B. MA und Renaissance

Im frühen und hohen MA wurden nur die B. der Altarschranken (RDK I, Sp. 602ff.), Ambonen (RDK I, Sp. 627ff.), Kanzeln (vgl. RDK I, Sp. 188, Abb. 1) und Lettner dekorativ ausgestattet. Sie bestanden fast ausnahmslos aus Sockel, Pfosten mit dazwischengestellten durchbrochenen oder undurchbrochenen Füllungen oder aus einer Folge von Pfosten oder Säulchen und einer gebälkartigen Deckplatte. – Die staufische Zeit behandelt die Außen-B., Fenster- und Zwerggalerie-B. als Schmuckglied: rechteckige oder quadratische Füllungen, meist mit dunklen Schieferplatten ausgelegt, gliedern diese „Platten-B.“. Sie zieren vornehmlich die Bauten des rheinischen Übergangsstils und laufen als breite Friese um die Ostteile dieser Kirchen herum: Platten-B. finden sich an den Ostbauten der Kölner Kirchen St. Gereon (2. H. 12.Jh.), Groß St. Martin (um 1200) und St. Aposteln (um 1200); weitere gute Beispiele bieten der Chor der ehemaligen Klosterkirche in Lonnig (1. V. 13. Jh.), Chor und Osttürme der Abteikirche in Brauweiler (um 1205) u. a.

Überaus reiche Entfaltungsmöglichkeiten werden der B. schließlich von der Gotik geboten. Pfosten-B. (Köln, Magdeburg) oder Maßwerk-B. (Straßburg, Freiburg) umziehen als Bekrönung des Dachgesimses den ganzen Baukörper oder schließen die jeweils in Geschoßhöhe laufenden Galerien der Fassaden und Türme ab. Bei den Pfosten-B. werden die Pfosten durch Spitzbögen miteinander verbunden. Die Maßwerk-B. setzt zwischen Pfosten oder Postamente maßwerkartig durchbrochene Platten (RDK I, Sp. 954, Abb. 13; II, Sp. 209, Abb. 5) oder Platten mit Blendmaßwerk, wobei die Form des Maßwerks wie bei Fenstern und Wimpergen von der jeweiligen Stilstufe und Richtung geprägt wird. Die Dach-B. spannt sich zwischen die Fialen und Streben und bildet die Schutzvorrichtung für einen Gang, der zur Begehung des Daches wie auch als Wasserrinne dient. Mitunter wird die über dem Gesims der Seitenschiffdächer verlaufende B. an der Westfassade weitergeführt und um die Strebepfeiler herum verkröpft (Straßburg; Regensburg, Dom) und so die Horizontale im Gesamtbau besonders stark akzentuiert. Backsteinkirchen erinnern sich an die Festungsbaukunst und übernehmen von ihr die Zinnen-B. (Danzig, Marienkirche; Stendal, St. Marien; s. Zinne).

Säulchen-, Pfosten- und Maßwerk-B. schmücken in gleicher Weise Innenräume und Ausstattungsgegenstände der Kirchen (Lettner in der Marienkirche zu Gelnhausen, um 1240, mit Säulchen-B. und Blendarkatur; RDK I, Sp. 485, Abb. 18; Lettner im Dom zu Meißen, 2. H. 13. Jh., mit Blendmaßwerk. Weitere Beispiele: RDK I, Sp. 411, Abb. 1; 486, Abb. 19; 951/52, Abb. 11). Im Gegensatz zu anderen gotischen Kathedralbauten erhielt das Triforium des Veitsdomes in Prag eine reiche Maßwerk-B. (2. H. 14. Jh.), die zwischen die aufgehenden Dienste eingespannt ist. Die B. des Umgangs im Chor der Lorenzkirche zu Nürnberg (1445 bis 1472) verkröpft sich um die Wanddienste. Maßwerk-B. bleiben das späte MA hindurch bis weit in die Renaissance hinein als Emporen-B., B. von Orgelbühnen, Sänger- und Musikchören gewichtiges Dekorationselement im Kircheninnern (s. Empore). Im 16. Jh. findet, bisweilen im Verein mit Maßwerkfüllungen, auch die Docke Verwendung. Bei den B. der Orgel- und Seitenschiffemporen der Liebfrauenkirche in Halle a. d. Saale (1554) werden den die Maßwerkfelder trennenden Pfosten Docken vorgelegt. Ein schönes Beispiel inniger Verbindung von Docke und Maßwerk liefert d;e kleine B. vom Mittelerker des Remters im Breslauer Rathaus (um 1500). Spät- und nach-m.a. Profanbauten, Rathäuser und Bürgerhäuser, geben der B. mit ihren Baikonen (RDK I, Sp. 1418ff.), Erkern und Galerien neue Entfaltungsmöglichkeiten. Die Maßwerk-B. (Rathaus in Molsheim i. E., RDK I, Sp. 1423, Abb. 4) oder durchbrochene B. mit Renaissanceelementen (Rathaus in Heilbronn, Vorbau, um 1600) muß dabei häufiger der massiven, d. h. nicht durchbrochenen B., deren Platten Reliefschmuck tragen und zwischen Postamente eingespannt sind, weichen (B. der Hofarkaden der Plassenburg bei Kulmbach, 1559–69, Abb. 1; Rathausvorhalle in Köln, 1569–73; Hof des Pellerhauses in Nürnberg, 1605: massive Platten mit Reliefs neben durchbrochenen; die Fenster-B. der Fassade verwenden Docke und Blendmaßwerk). Mit Elias Holls Augsburger Rathausbau (1615–20) scheint sich die Docke die beherrschende Stellung gesichert zu haben, die sie den Barock hindurch innehat.

C. Barock und Klassizismus

Im ausgehenden 17. und im 18. Jh. tritt die steinerne Außen-B. (Balkon-B. am Rathausturm in Bamberg 1744–56; Balkon-B. vom Mittelpavillon des Südflügels des kurfürstlichen Palais in Trier, 1754–68; Balkon-B. der bischöflichen Residenz in Passau, RDK I, Sp. 1424, Abb. 5; Brücken-B. Sp. 1228ff.) hinter dem geschwungenen oder korbartig ausgebauchten schmiedeeisernen B.-Geländer zurück. Form und Ornament der B. gehen im Barock eng zusammen (Balkon-B. vom Statthalterpalais in Erfurt, 1713; Dach-B. der Fassade im Ehrenhof der Würzburger Residenz, um 1740), um im Rokoko zu völliger Einheit zu verschmelzen (Oratorien-B. im Chor der Stiftskirche zur Alten Kapelle in Regensburg, um 1750; B. der Orgelempore der Wallfahrtskirche in Ettal, um 1755). Im allgemeinen gibt der barocke Kirchenraum der ausschließlich Docken verwendenden Balustrade den Vorrang. Die Schutzvorrichtungen der Galerien in barocken Bibliotheksräumen (s. RDK I, Sp. 518ff.) fallen in der Mehrzahl wegen ihrer wenig massiven, Holz verarbeitenden Art eher unter den Begriff Geländer. Im prot. Kirchenbau war die Empore gleich mit Beginn einer spezifisch prot. Raumgestaltung zu besonderer Bedeutung gelangt. Die langgestreckten B., meist massive Holz-B., bieten gerne einer breitangelegten Bibelerzählung Raum (Freudenstadt, Stadtkirche: B. mit Stuckreliefs biblischer Szenen, 1604–08, Abb. 3; Eisenach, Gottesackerkirche, B. mit gemalten Bibelszenen, 1692–97; Karlsruhe, Ev. Stadtkirche, 1807–15, Abb. 2), häufiger noch begnügen sie sich mit äußerst sparsamer Dekoration oder sind ganz ohne Schmuck (Hamburg, Michaeliskirche, 1751–62; Potsdam, Garnisonkirche 1731–35). – Bauten des Klassizismus bevorzugen wieder die Balustrade (München, Alte Pinakothek, Südfassade, 1826–36) oder das B.-Gitter (Mainz, Schloß, Sp. 131/32, Abb. 19; Ingolstadt, Festungswerke, 1830); es kommen jedoch auch massive steinerne B. vor (Potsdam, Neue Hauptwache, 1797; Befreiungshalle bei Kelheim, 1848–63).

Zu den Abbildungen

1. Plassenburg bei Kulmbach, Hof mit Arkaden. Erb. zw. 1559 und 1569. Phot. Dr. Wiedemann, Hildesheim – Dt. Kunstverlag, Berlin.

2. Karlsruhe, evang. Stadtkirche, erb. 1807–15 von Friedrich Weinbrenner. Inneres mit Emporen. Phot. Prof. Dr. E. W. Grashoff, Köln.

3. Freudenstadt im Schwarzwald, evang. Stadtkirche, Emporen mit Reliefs von Gerhard Schmidt. 1604 bis 1608. Phot. C. Fiedler, Freudenstadt.

Literatur

1. Viollet-le-Duc, Architecture II, S. 67ff. (balustrade). 2. Lex. d. Baukunst I, S. 656. 3. Franz Ewerbeck u. Ed. Schmitt, Einfriedigungen, Brüstungen und Geländer; Balkone, Altane und Erker, in Hdb. d. Architektur III, 2, 2. Darmstadt 1891.

Verweise