Brautmystik

Aus RDK Labor
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englisch: bridal mysticisme; französisch: Mysticisme nuptial; italienisch: sposalizio (simbolico).


Otto Gillen (1942)

RDK II, 1130–1134


RDK II, 1131, Abb. 1. Holzschnitt, 3. V. 15. Jh. Berlin.
RDK II, 1133, Abb. 2. Guteneck, um 1440.

Der Gedanke der mystischen Verlobung oder Vermählung hat seinen stärksten Niederschlag in der Vermählung Christi mit der Kirche bzw. Maria gefunden (vgl. Sp. 1110ff.). Neben dieser „Gemeinschaftsmystik“ macht sich bereits in den Schriften der Nonnenmystikerinnen des 13. Jh. eine mehr individuelle Auffassung geltend, die mit dem Ausgang des MA entschieden die Vorherrschaft erlangt. Die individuelle B. beherrscht nicht nur in Deutschland, sondern auch im Spanien des 16. Jh. und in Italien und Frankreich die mystische Literatur und bleibt über Luther („Von der Freiheit eines Christenmenschen“, T. 1, 1520: Die dritte unvergleichliche Gnade des Glaubens ist die, daß sie die Seele vereinigt mit Christo, als eine Braut mit ihrem Bräutigam), Angelus Silesius und die Pietisten bis in die Neuzeit hinein lebendig.

Nach kirchlicher Tradition findet der Gedanke der Verlobung mit Christus auf jede gottgeweihte Jungfrau Anwendung; der Ring, den die Ordensfrauen tragen, ist das Symbol ihres geistigen Brautschaftsverhältnisses mit Christus, wie es die liturgische Begleitformel bei der Ansteckung des Ringes zum Ausdruck bringt. Schließlich wird jede Seele im Gnadenstand der Vermählung mit Christus gewürdigt, ihr Verhältnis zur Gottheit und die Grade ihrer Einswerdung bilden den wesentlichen Inhalt der Mystik. Auf einem Holzschnitt aus dem 3. V. 15. Jh. wird das Verhältnis des Christus-Bräutigams und der liebenden Seele durch die Darstellung begleitende Inschriften erläutert (Abb. 1). Ein von Hans Georg Asam geschaffenes Fresko unter der Orgelempore der Abteikirche zu Benediktbeuren bringt die innige Lebensgemeinschaft der tugendhaften Seele mit Gott im Gleichnis der Verlobung zum Ausdruck: die Gottheit naht sich dem Menschen und steckt ihm einen Ring an den Finger. Am häufigsten hat die individuelle B. am Ausgang des MA in den Beispielen der hl. Agnes und vorzüglich der hl. Katharina von Alexandrien Ausdruck gefunden. Nach der Legenda aurea (ed. Rich. Benz I, Sp. 174) sagte Agnes zu einem Bewerber mit Bezug auf ihren himmlischen Bräutigam Christus: „Er hat ein Ringlein an meine rechte Hand gegeben ...“. Als künstlerischer Niederschlag darf eine Silberstatuette im Domschatz zu Münster gelten, wo Agnes dem an ihr emporspringenden Lamm – hier Attribut und zugleich apokalyptisches Lamm, also Christussymbol – einen Ring entgegenhält (Braun, Tracht und Attribute, Sp. 48 mit Abb. 13, Sp. 50). – Sehr viel häufiger ist der Gedanke der B. in Verbindung mit der hl. Katharina dargestellt [3]. Auch für die mystische Verlobung der hl. Katharina kann auf die Legenda aurea (ed. Rich. Benz II, Sp. 445 u. 447) verwiesen werden: „Wisse“, sagt Katharina zum Kaiser, „ich habe mich Christo gegeben zu einer Braut, der ist mein Ruhm und meine Liebe, meine Süßigkeit und mein Ergötzen, von des Liebe mag mich weder Schmeicheln noch Pein scheiden ... Denn er ist mein Gott, mein Geliebter, mein Hirt und mein einiger Bräutigam.“ – Das Sposalizio der hl. Katharina erscheint zuerst in der italienischen Trecento-Malerei. Ein Bild des Barnaba da Siena im Mus. zu Boston (van Marle II, S. 293) zeigt Christus als Mann, wie er Katharina den Ring reicht. Diese Auffassung ist ungewöhnlich. In der Regel findet die Verlobung mit dem auf dem Schoß der Mutter sitzenden Jesusknaben statt (Triptychon in der Art des Luca di Tommè in der Pinak. zu Perugia, van Marle II, S. 482; Gemälde des Lorenzo Veneziano von 1358 in der Akad. Venedig, van Marle, IV, S. 49), und frühzeitig gesellen sich zu dieser Gruppe Engel oder andere Heilige. Auch die ältesten deutschen Darstellungen der Verlobung der hl. Katharina gehen in das 14. Jh. zurück. In einem Glasfenster des Erfurter Doms von etwa 1370/80 (Inv. Prov. Sachsen I, Taf. 16) steht Katharina vor der Muttergottes und empfängt vom Kind den Ring; Begleitfiguren fehlen, wie auch noch am Altar der Allerheiligenkapelle in Klein-Schwarzlohe, B. A. Schwabach, von 1419/20 (Nürnberger Malerei von 1350–1450, Nürnberg 1932, Taf. 71) und selbst noch in der bekannten Tafel des Hans Pleydenwurff vom Landauer Altar im G.N.M. Nürnberg, wo die Szene in einen Wohnraum verlegt ist. Sonst wird es seit der Frühzeit des 15. Jh. üblich, der Verlobungsgruppe weitere Heilige gewissermaßen als Brautzeugen beizugeben: Tafelbild in Stift Heiligenkreuz (Inv. Österreich 19, S. 204), A. 15. Jh.; Predella in Guteneck (B.A. Eggenfelden, Nied.-Bayern, Abb. 2), um 1440, Nothelferaltar um 1440 in der Heiligkreuzkirche zu Nürnberg (Nürnberger Malerei von 1350–1450, Taf. 121); niederländische Holzschnitte der 1. H. 15. Jh. (Curt Glaser, Gotische Holzschnitte, Berlin o. J. [1923], Taf. 44 und 49). Spätere Beispiele: Mittelbild des Altars der hl. Sippe im W.R.M. Köln, mehrere Gemälde von Lucas Cranach d. Ä. (Friedländer-Rosenberg Nr. 18, 35, 36, 79, 115); Bild aus der Werkstatt des Barent van Orley im Kgl. Mus. zu Brüssel. Auch in nach-m.a. Zeit wird die Verlobung der hl. Katharina noch dargestellt (Rubens, Altarbild der Augustinerkirche in Antwerpen, Gemälde in Berliner P.B., Schulbild in Philadelphia). – Das Motiv der mystischen Vermählung ist schließlich auch auf Katharina von Siena übertragen, aber anscheinend nur in der italienischen Kunst (Fra Bartolommeo, Borgognone u. a.) dargestellt worden.

Zu den Abbildungen

1. Berlin, Kk., kolorierter Holzschnitt: Christus und die Seele. Überschriften für die untere Reihe: 1. Niemant mir die tochter weck, Das man si mir nit erschreck. Ich schläff zů dir in vsserkait Und wach zů dir in Innekait. 2. Nim̅ lieb vo mir ain trāk d’mine, Es enbrint dir hetz mut vn sine. Din mine trank ich nim vo dir, Wan myn gemut gantz stat zu tir. 3. Ich fluhe mit alle mine sinen Vnd kan dir nit entrinnen. Du fluchst ve’r ich löf dir nach, Zu dir lieb ist mir gach. 4. Laß ab gar din zuversicht, Ich birg mich du videst mich nit. Kinder halffent alle rechen, Ob ich min lieb muge sehen. (Überschriften für die obere Reihe fehlen.) 3. V. 15. Jh. Nach Paul Kristeller, Holzschnitte im Kgl. Kupferstichkabinett zu Berlin, R. 2, Berlin 1915, Nr. 179, Taf. 93.

2. Guteneck (B. A. Eggenfelden, Nied.-Bayern), Gruppe einer Predella: Verlobung der hl. Katharina und die Hl. Margareta, Dorothea und Barbara. Um 1440, Phot. Bayr. Landesamt f. Denkmalpflege, München.

Literatur

1. Buchberger II, Sp. 532, hier auch weitere Lit. – 2. Rud. Günther, Die Bilder des Genter und Isenheimer Altars, T. 2: Die Brautmystik im Mittelbild des Isenheimer Altars, Leipzig 1924. – 3. Jos. Sauer, Das Sposalizio der hl. Katharina von Alexandrien. Festschr. f. Friedr. Schneider, Freiburg i. B. 1906, S. 339ff. – 4. Künstle II. – Vgl. auch die Lit. zum Art. Braut-Bräutigam, Sp. 1124.