Caduceus
englisch: Caduceus; französisch: Caducée; italienisch: Caduceo.
Hans Martin von Erffa (1952)
RDK III, 303–308
I. Name und Begriff
Der C. (lat. caduceus aus griech. κηρύκειον), auch Merkur-, Herold- oder Schlangenstab genannt, ist in seiner heute üblichen Form ein Stab, der von zwei symmetrisch verschlungenen, einander die Köpfe zukehrenden Schlangen umwunden ist und am oberen Ende einen Knauf und zwei Flügel trägt (Abb. 2). Die ursprüngliche Form zeigt den glatten Stab bekrönt von einem oder zwei Ringen und einem oben offenen Halbring (Abb. 1), woraus erst in der griechischen Kunst sich Schlangenleiber bildeten. Über die vielen Zwischenformen s. [6].
II. Altertum
Der C. tritt schon um 3000 v. C. im Zweistromland auf, wahrscheinlich als Fruchtbarkeitssymbol, als welches er in einigen Varianten noch heute bei den indischen Drawida gilt [8]. Er ist neben anderen vorderasiatischen Völkern vor allem den Phöniziern bekannt als siderisches Symbol und Attribut der Astarte [2; 3]. Die Frage, wann und warum der C. zum Attribut des Hermes wird, hängt eng mit der Herkunft des Hermes überhaupt zusammen (s. Merkur). Mit dem Hermeskult tritt er in die griechische Mythologie ein.
Das griechische Kerykeion – bei Homer noch als Rhabdos bezeichnet (II. 24, 343; Od. 5, 47; 24, 3) – wird als Attribut des Götterboten Hermes Abzeichen der Heroldswürde und des Boten überhaupt; damit wird es auch Attribut der Iris. Es gilt dann aber weiterhin auch als Zeichen der Herrscherwürde [6 Sp. 332].
Schon in früher Zeit, vielleicht in Erinnerung an ältere, siderische Bedeutungen, hat der Schlangenstab aber die Nebenbedeutung als Glücks- und Zauberstab. So wird er – noch in Griechenland – zum Friedenssymbol, zum Attribut der Eirene wie der Nike, und als solches auch von den Römern übernommen. Die praktische Verwendung als Friedenszeichen durch die Römer ist erwiesen, eiserne und erzene C. sind gefunden ([6; 7]; s. a. Frdr. Crome in: Mitt. d. Dt. Archäol. Inst. in Athen 63/64, 1938/39, 117). Seit Mitte 3. Jh. v. C. wird fast immer ein Flügelpaar am C. angebracht; dies geschieht in Anlehnung an Hut und Schuhe des Götterboten, in dessen Hand der C. trotz allem am häufigsten ist.
Nachdem der C. schon auf italischen Bronzemünzen in Vertretung des Merkur aufgetreten war, wird er in der Kaiserzeit ein nicht seltenes Münzbild – entsprechend der gewandelten Bedeutung Merkurs, der nun hauptsächlich Handels- und Verkehrsgott und Reisegeleiter ist. Von zwei verschlungenen Händen gehalten, oft in Verbindung mit Ähren, bedeutet der C. auf Münzen wohl den durch die Kaiser heraufgeführten Wohlstand. So verknüpft sich der eigentliche Sinn des C. mit dem des Füllhorns und anderer Attribute der Fortuna (s. E. Samter in Röm. Mitt. 10, 1895, 93f.). Folgerichtig erscheint dann der C. auf Kaisermünzen auch in den Händen der Felicitas. Auch der Gottkaiser selbst trat zuweilen mit dem C. in der Öffentlichkeit auf. (A. Alföldi, Insignien und Tracht der röm. Kaiser. Röm. Mitt. 50, 1935, 122). Da Merkur auch ein Planetengott ist, kann der C. als sein Vertreter auf astrologischen Gemmen auftreten, wie ja vielleicht das Planetenzeichen ☿ nur ein vereinfachter C. ist (W. Gundel in „Die Sterne“ 13, 1933, 95).
III. Mittelalter
Im Christentum ist die Bedeutung des C. gering. Das vereinzelte Auftreten in der Katakombenmalerei (Kallixt - Katak., 1. H. 4. Jh.; Cabrol II, 2, Sp. 1546), wo eine Gazelle mit dem C. dargestellt ist, ist noch nicht gedeutet. In der christlichen Symbolik findet der C. keinen Platz. Er erscheint daher im MA nur im astrologischen Zusammenhang.
In den Hss. der Aratea, in denen die Tradition der antiken Planetenbilder weiterläuft (W. Gundel in Pauly-Wissowa XX 2183), bleibt auch der C., zuweilen allerdings als einfacher Stab gebildet, Attribut des Planeten Merkur; so zeigt die Merkurbüste in der Germanicus-Hs. in Leiden, Cod. Voss. 79 fol. 80 v, einen schwarzgoldenen C. (Gg. Thiele, Antike Himmelsbilder, Berlin 1898, S. 131 Abb. 56).
Dagegen hat in den Scotus-Hss. Merkur in seiner Eigenschaft als Schreiber meist ein Buch (V. Stegmann im Handwörterbuch des Aberglaubens 7, Bln.-Lpz. 1935/36, 270f.). Häufiger wird die Darstellung des Planeten Merkur mit dem C. indessen erst wieder um M. 15. Jh. Da das Sternbild der Jungfrau als das Taghaus des Merkur gilt, erhält es ebenfalls den C. als Attribut (Abb. 1).
Das von R. Kautzsch (Rep. f. Kw. 20, 1897, 36) bekanntgemachte Ms. astron. 1 fol. der Kasseler Landesbibl., das 1445 in Passau entstand, enthält auf fol. 52 a eine Darstellung des Merkur und seiner Kinder; der Planet erscheint hier mit zwei zum Stab zusammengedrehten Schlangen in der Rechten, während die Linke den Geldbeutel und ein Banner mit dem Bild des Fuchses hält. C. und Beutel zeigt auch das Merkurbild einer astronomischen Hs. im Städt. Mus. Erfurt, um 1460, sowie fol. 72 r der Hs. Nr. 8 aus dem Besitz der Schermar in Ulm, 3. Dr. 15. Jh. (A. Hauber, Planetenkinderbilder und Sternbilder, Stud. z. dt. Kg. 194, Straßburg 1916, Taf. 29). Ähnlich ist Merkur wiedergegeben auf fol. 271 r und 320 r der Hs. M. d. 2 der Tübinger Univ.Bibl., um 1470. Die Merkurdarstellungen zu Pferde, die sich im Hausbuch, aber auch schon im Göttinger „Bellifortis“ des Konrad Kyeser von 1405 finden, haben den C. nicht.
Unter den Frühdrucken sei das Poeticon astronomicon des Hyginus, 1482 in Venedig bei Erhard Ratdolt, hervorgehoben. Hier trägt der von Adlern auf einem Wagen gezogene Planet Merkur einen Stab, der von zwei Schlangen umwunden ist, während die Jungfrau in der Rechten die sonst übliche Spica, in der Linken dagegen einen C. älterer Form hält (Abb. 1).
Seit E. 15. Jh. hat dann die antike Vorstellung wieder die Alleinherrschaft. Merkur wird als Planet kaum jemals ohne den C. dargestellt (Planetenbüsten im Vat. gr. 1087, fol. 301 v; Mitt. Dr. Hans Gundel).
IV. Neuzeit
Erst seit der Renaissance kann sich die Vielfalt der Bedeutungen, die der C. in der Spätantike erlebt hatte, wieder voll entfalten. Seine häufigste Verwendung findet er naturgemäß in der Hand Merkurs. Als Symbol des Handels oder der Wohlfahrt überhaupt wird der C. im Zeitalter des Merkantilismus zu einem der verbreitetsten Abzeichen. Man trägt ihn als Schmuckstück, in Verbindung mit anderen Merkurattributen (etwa dem Hahn in einem Barockanhänger der Wiener Schatzkammer; Qu. Leitner 1870/73 S. 8), oder auch allein (Abb. 2). Er tritt als Künstlersignet auf (Jacopo de Barbari) und wird schließlich Attribut für eine Anzahl Personifikationen von erfreulichen oder glückverheißenden Zuständen, wie Abundantia (RDK I 107 Abb. 2), Fortuna, Pax, aber auch für weniger naheliegende, wie z. B. Rhetorik (Knipping I S. 48), Eintracht, Sicherheit. Auch in der Hand von Ceres und Venus sieht man ihn aus verwandten Gründen. So wird der C. in der Barockzeit nachgerade zum Talisman. Erst seit dem Klassizismus ist er wieder fast ausschließlich dem Götterboten vorbehalten.
Zu den Abbildungen
1. C. J. Hyginus, Poeticon astronomicon, Venedig bei Erhard Ratdolt 1482. Sternbild der Jungfrau, Holzschnitt, Orig.Gr. 9.2 cm.
2. Franz Anton Bustelli (1723–63), Büste des Grafen Sigmund von Haimhausen, 1761. Nymphenburger Porzellanmanufaktur. Lebensgroß. München, B. N. M. Phot. Mus.
Literatur
1. Ludw. Preller, Der Hermesstab, Philologus 1, 1846, 516ff. – 2. Ludw. Müller, Hermes Stavens Oprindelse, Kopenhagen 1865. – 3.
Otto Adalb. Hoffmann, Hermes und Kerykeion, Marburg 1890. – 4. Carl von Amira, Der Stab in der germanischen Rechtssymbolik, München 1909. – 5. R. Boetzkes, Das Kerykeion, Diss. Gießen 1913. – 6. Ders., Artikel „Kerykeion“ in Pauly-Wissowa XI, 330ff. – 7. E. Samter, Artikel „Caduceus“ ebd. III 1170f. – 8. F. J. M. de Waele, The Magic staff or rod in Graeco-Italian antiquity, Gent 1927, 212f. – 9. J. Boulnois, Le caducée et la symbolique dravidienne indo-méditerranéenne, Paris 1939, 45ff., 164ff. – 10. Frdr. Focke, Szepter und Krummstab. Festgabe für Alois Fuchs, Paderborn 1950, 340ff.
Empfohlene Zitierweise: Erffa, Hans Martin von , Caduceus, in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. III (1952), Sp. 303–308; in: RDK Labor, URL: <https://www.rdklabor.de/w/?oldid=92577> [05.04.2022]
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