Chalzedon
englisch: Chalcedony; französisch: Chalcédoine; italienisch: Calcedonia.
Hellmuth Bethe (1952)
RDK III, 410–414
Chalzedon, nach der antiken Handelsstadt Kalchēdon gegenüber Byzanz am Bosporus, ist ein in die Gruppe der Quarzminerale gehöriger, durchscheinender bis schwach durchsichtiger Halbedelstein von feinsplittrigem Bruch und zäher faseriger Struktur; er ist im Gegensatz zu dem ähnlich zusammengesetzten, aber streifigbunten Achat einheitlich gefärbt und zwar vorwiegend hellgrau, gelb oder bläulich (natürlicher fleisch- bis blutroter C. = Karneol, nicht durchscheinender C. = Jaspis). Die Hauptvorkommen des C. sind in Island, Grönland, Sibirien, Syrien, Indien, Uruguay und Südbrasilien (die einst ausgebeuteten Fundstätten in Sachsen, Schlesien und Böhmen spielen keine Rolle mehr). Hauptverarbeitungsort in Deutschland ist Idar-Oberstein. C. wurde ursprünglich mit Hilfe des Rades bearbeitet („geschnitten“) und dann poliert (Theophilus Presbyter, Buch III, Kap. 94 [W. Theobald, Technik des Kunsthandwerks im 10. Jh., Berlin 1933, S. 174], beschreibt den Schnitt mit der Säge, das Schleifen und Polieren). Neuerdings ist das Schleifen ebenso wie das Färben („Beizen“) von C. sehr verbreitet.
Schon im frühen Altertum war C. bekannt. Die Ägypter Stellten aus ihm Schmuck (Perlen, Anhänger, Skarabäen) her, die Babylonier, Assyrer und Perser gravierte Zylindergemmen, die Paläolithiker und Neolithiker Werkzeuge. In Griechenland war C. seit mykenischer Zeit neben anderen Halbedelsteinen das bevorzugte Material für Gemmen. An ihm entwickelte sich, besonders im 5. und 4. Jh., der Steinschnitt zu hoher Blüte. Im kaiserlichen Rom wurden Kameen, Büsten und Medusenmasken aus C. geschnitten. Eine römische C.-Statuette, ein 10,2 cm hohes Frauenfigürchen, gelangte von dem Fundort – Weiden bei Köln – ins Berliner Antiquarium (Abb. 1).
Im Mittelalter begegnet C., von dem in der Apokalypse (21, 19) als dem dritten Grundstein der Mauer des Himmlischen Jerusalem gesprochen wird, vereinzelt bei kirchlichen Goldschmiedearbeiten.
Mensaplatte aus grünem C. im Arnulfziborium der Schatzkammer der Reichen Kapelle in München, westfränkisch um 893 (F. Haeberlein, Amtl. Führer 1939 Nr. 4); Mittelstein des zweiten Gertrudiskreuzes im Welfenschatz, niedersächsisch um 1040 (Der Welfenschatz, Frankf. 1930, Taf. 9); Kuppa eines byzant. Henkelkelches im Schatz von S. Marco in Venedig, 10.–12. Jh. (Braun, Altargerät S. 63 u. Abb. 9); Mensaplatte eines Regensburger Tragaltars A. 13. Jh. in der Reichen Kapelle (Haeberlein a. a. O. Nr. 7); Fußplatte vom Gehäuse einer Sebastianstatuette im Halleschen Heiltum, um 1520 (Halm-Berliner 1931 Taf. 122).
C., der als Schutz gegen moralische Anfechtung galt, war im MA weiterhin das beliebteste Material für Kameen (Mitt. Prof H. Wentzel). Beispiele: Kopfbild im Brit. Mus., London, 13. Jh. (Festschr. O. Schmitt, Stuttg. 1951, S. 153 Abb. 9); Michaelskamee am Karlskreuz im Prager Domschatz, montiert nach 1354 (Inv. Böhmen 24, II, 1, Abb. 31 a).
In der ital. Renaissance erlebt der Steinschnitt in C. unter dem Eindruck von Funden antiker Gemmen und Kameen eine neue Blüte. In Süddeutschland entsteht um 1550 ein Kameenbildnis Herzog Albrechts von Bayern aus C. (Wien, Kh. Mus.; Fr. Eichler u. E. Kris, Die Kameen im Kh. Mus., Wien 1927, Nr. 407, Taf. 58). Um 1560 verwendet der Nürnberger Goldschmied Caspar Widmann einen aus C. geschnittenen Löwen als Griff einer profanen Silberschale ([4] II Taf. 3 oben). Zwei hervorragend schöne C.-Schalen mit goldemaillierter Fassung besaß Erzherzog Ferdinand von Tirol auf Schloß Ambras (Abb. 2 und 3). Um 1595 schnitt der Mailänder Ant. Miseroni in Prag ein Brustbild Kaiser Rudolfs II. in C. (Eichler-Kris a. a. O. Nr. 301, Taf. 62). Im 17. und 18. Jh. dient C. in Deutschland vielfach als Material für kunstvoll in Edelmetall gefaßte Gefäße..
Allein das Grüne Gewölbe enthielt eine Stattliche Anzahl solcher Stücke. Genannt seien ein Kugelgefäß in goldemaillierter Fassung, deutsch M. 17. Jh. ([4] III Taf. 13 rechts), eine ovale Schale mit reichem plastischen Zierat, deutsch M. oder E. 17. Jh. ([4] II Taf. 51 rechts), eine runde Deckelschale, zum Obeliscus Augustalis gehörig ([4] III Taf. 46 links) und die im 1. Drittel 18. Jh. gefertigten Prunkschalen Joh. Melchior Dinglingers ([4] III Taf. 49 Mitte, 50 und 54; zur letzteren s. auch W. Holzhausen, Das Bad der Diana, Kunstbrief, Berlin o. J.). Dinglinger, dem Dresdner Hofgoldschmied Augusts des Starken, kam der verwendete „schwebendleichte“ C. offenbar besonders entgegen.
Im Zuge der Auswertung in Sachsen vorhandener Halbedelsteine ließ etwa gleichzeitig im 1. Jahrzehnt 18. Jh. der Erfinder des Meißner Porzellans, Joh. Friedrich Böttger, Schalen, Dosen, Tassen u. dgl. aus C. herstellen (Beispiele ehemals im Grünen Gewölbe). Ein aus dem Linckschen Naturalienkabinett in Leipzig überkommener Trinkbecher und ein Miniatur-Kegelspiel des 18. Jh. haben sich im Mus. Waldenburg/Sa. erhalten. Kleinplastische Arbeiten deutscher Kunsthandwerker des 17. und 18. Jh. in C. sind selten.
Der Steinschneider Christoph Labhart schnitt 1680 in Kassel einen nicht mehr nachweisbaren Cupido in C. (Rud. Hallo, Hess. Kristall- u. Steinschnitt des Barock, Altes Kunsthandwerk, Wien 1928, S. 181). Um 1700 entstand das Reliefbildnis des Landgrafen Carl von Hessen unter Verwendung von Stücken aus C. auf Achatgrund (Kopenhagen, Schloß Rosenborg). In Augsburg belegte man A. 18. Jh. zwei Deckelpokale mit antiken bzw. antikisierenden Kameen aus C. ([4] II Taf. 67). J. C. Dorsch in Nürnberg schnitt A. 18. Jh. Gemmen mit Bildnissen von Päpsten und dt. Kaisern (ehemals Dresden, Grünes Gewölbe). An außerdeutschen Beispielen sind anzuführen: eine C.-Schale auf goldenem Schaft und Fuß, italienisch A. 17. Jh. ([4] III Taf. 28) und eine C.-Schale in goldemaillierter Fassung, Amsterdam A. 18. Jh. ([4] III Taf. 33). In der 2. H. 18. Jh. und 1. H. 19. Jh. war die Nachbildung antiker Gemmen u. a. in C. eine Spezialität der tirolisch-italienischen Steinschneidefamilie Pichler. Der Wiener Salomon Phil. Abraham schnitt um 1790 ein Bildnis Kaiser Leopolds II. in C. (Eichler-Kris a. a. O. Nr. 594, Taf. 75).
Seit M. 19. Jh. genügt C. dekorativen Zwecken. Einer gewissen Beliebtheit erfreut er sich noch bei Amuletten, Petschaften und Monatssteinen (C. ist der Monatsstein für Juni).
Im indischen Kulturkreis galt C. als „Milchstein“ für heilig, in China wurde er in der Mingzeit und unter den Mandschu-Dynastien hoch geschätzt.
In Venedig wurde C. im 16. Jh. in Glas nachgebildet; neuerdings imitiert man ihn industriell in Zelluloid und Galalith.
Zu den Abbildungen
1. Berlin, ehem. Staatl. Museen, Chalzedonstatuette aus Weiden bei Köln, römisch 1. Jh. n. C. Höhe 10.2 cm. Phot. Staatl. Mus. (vgl. Gerda Bruns, Schatzkammer der Antike, Berlin 1946, S. 33).
2. Wien, Kh.Mus., Slg. für Plastik und Kunstgewerbe, Inv. Nr. 1665. Schale aus Schloß Ambras, Chalzedon mit Goldemaillefassung, Dm. 12,3 cm. Wien, Kaiserliche Hofwerkstatt um 1600. Phot. Mus.
3. Wien, Kh.Mus., Slg. für Plastik und Kunstgewerbe, Inv. Nr. 1771. Schale aus Schloß Ambras, Chalzedon mit Goldemailfassung, Dm. 15 cm. Italienisch (Mailand?) 2. H. 16. Jh. Phot. Mus.
Literatur
1. A. Eppler, Edelsteine und Schmucksteine, Leipzig 19342, S. 284ff. – 2. Handwörterbuch der Naturwissenschaften, Jena 19332, VIII 1092ff. – 3. Adolf Furtwängler, Die antiken Gemmen III, Lpz. 1900, S. 384ff. – 4. Jean Louis Sponsel, Das Grüne Gewölbe zu Dresden, 4 Bde., Lpz. 1925–1932. – 5. Das Grüne Gewölbe zu Dresden, Führer, Dresden 19372.
Empfohlene Zitierweise: Bethe, Hellmuth , Chalzedon, in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. III (1952), Sp. 410–414; in: RDK Labor, URL: <https://www.rdklabor.de/w/?oldid=89220> [04.04.2022]
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