Chor
englisch: Choir; französisch: Chur; italienisch: Coro.
Ernst Gall (1952)
RDK III, 488–513
I. Begriff
C. heißt schon bei Homer der Tanzplatz, aber auch der Reigen und der zugehörige Gesang. Während heute C. gewöhnlich eine Gemeinschaft von Sängern bezeichnet, hatte das Wort im kirchlich-liturgischen Leben des MA seine alte Doppelbedeutung bewahrt, indem es außer dem Sängerchor auch den Ort in der Kirche (vgl. Regula s. Benedicti, cap. 43 und 63) bezeichnete, der für die singenden Kleriker bestimmt war: „chorus psallentium“. So hieß zunächst nur der Platz, der in Mönchs-, Stifts- und Domkirchen zum gemeinsamen Gottesdienst und Chorgebet vor dem Hochaltar oder einem anderen bedeutsamen Altar bestimmt war. Seit dem späteren MA (etwa von M. 14. Jh. ab) wurde gelegentlich das gesamte Altarhaus mit allen seinen Nebenräumen C. genannt, was von den Stiftskirchen auch auf die Pfarrkirchen übertragen wurde, namentlich wenn ihr Altarraum mit einem Chorgestühl für mehrere gemeinsam den Gottesdienst feiernde Geistliche versehen war. Hieraus entwickelte sich dann der mißverständliche und zu vielen Irrtümern Anlaß gebende Brauch, mit C. auch den Altarraum jeder, sogar der kleinsten Kirche und Kapelle zu bezeichnen. – Außerdem wird im übertragenen Sinne auch der für den Sängerchor auf einer Empore bestimmte Raum oder sogar die ganze Orgelempore C. genannt; vielfach handelt es sich auch um ehemalige Oratorien; ferner heißt die für die Nonnen in Nonnenklöstern bestimmte Empore auch Nonnenchor; die großen Seitenemporen in den rheinischen Emporenbauten und in spätgotischen Hallenkirchen (z. B. Annaberg, Halle a. S.) wurden auch als „Mannchor“ bezeichnet.
Das MA unterschied bei Stiftskirchen sehr genau zwischen dem „chorus“ und dem „sanctuarium“ oder „presbiterium“, das auch „cancellum“ (von den umschließenden cancelli = Schranken) hieß (vgl. aus A. 13. Jh. Gervasii Cantuariensis tractatus, Schlosser, Quellenbuch S. 252; aus dem 14. Jh. Gesta abb. Trudonensium, ebd. S. 242). Im 14. Jh. wurde dann in den Bauinschriften der Pfarrkirchen von Gmünd und Freiburg (vgl. O. Schmitt, Das Heiligkreuzmünster in Schwäb. Gmünd, Stuttgart 1951, S. 32 und Fr. Kempf, Das Freiburger Münster, Freiburg 1926, S. 69) chorus ganz allgemein für das gesamte Altarhaus der Kirchen gebraucht, während die Inschrift in Schulpforta 1251 noch vom sanctuarium sprach (Inv. Prov. Sachsen 26, S. 70); auch in Aufzeichnungen des 15. Jh. schließt chorus das sanctuarium begrifflich mit ein (z. B. Hee autem reliquie continentur in principali altari, quod est in choro, Notae dedicationum S. Paulini Treverensis; Lehmann-Brockhaus, Schriftquellen I, Nr. 1463). Nichtsdestoweniger blieb das Bewußtsein des liturgischen Unterschieds zwischen Chor und Sanktuarium bis ins späte 18. Jh. lebendig (der Grundriß des Straßburger Münsters 1643 bezeichnete die Vierung richtig als Chor und den Altarraum als Sanctum Sanctorum; der Plan der Stiftskirche St. Martin in Tours von Jacquemin 1779 unterscheidet choeur und sanctuaire); erst im 19. Jh. setzte eine Verwirrung der Begriffe ein, indem das eigentliche Sanktuarium vor der Apsis z. T. als „Vorchor“, oder „Chorquadrat“ oder „Chorhals“ bezeichnet wurde. Im wesentlichen richtig war aber noch die Definition, die Viollet-le-Duc, Architecture Bd. III, S. 226 gab.
II. Hauptformen
Für die Lage und Ausbildung des C. ist die liturgische Bestimmung der Kirche, sowie die Stellung und Zahl der Altäre von wesentlicher Bedeutung, ebenso die Anzahl der am Chordienst teilnehmenden Kleriker und ihre Verteilung hinter oder vor dem Altar, endlich der mehr oder minder repräsentative Charakter, der dem Chordienst beigemessen wurde.
A. Altchristliche Zeit
Die altchristliche Gemeindekirche kannte noch keinen architektonisch betonten C., allenfalls umgrenzten niedrige Schranken die schola cantorum vor dem Altar.
In der altchristlichen Basilika, die bis zum 6. Jh. nur einen Altar kannte (ein Brauch, der in der griechischen Kirche beibehalten wurde), stand der Altar meist unmittelbar oder in geringer Entfernung (bedingt durch die Grabanlage des Titelheiligen) vor der Apsis (Tribuna): Beispiele bieten die alte Petersbasilika (RDK I 1199/1200, Abb. 2), S. Pietro in vincoli, S. Prassede und S. Sabina in Rom; seltener war die Stellung inmitten der Apsis, wie sie in Ravenna und häufig in Nordafrika (z. B. in Lambesis und Tigzirt) sowie im ö Syrien vorkommt. Die höher gestellten Geistlichen hatten ihre Plätze (subsellia) mit dem Bischof, dessen Kathedra (s. Bischofsstuhl RDK II 808ff.) im Scheitel der Apsis stand, hinter dem Altar, während der Sängerchor (auch schola cantorum genannt) vor dem Altar stand; niedrige feste Schranken, die seinen Platz aus dem Gemeinderaum aussonderten, sind in Rom erst aus späterer Zeit erhalten und wohl auch ursprünglich nicht überall üblich gewesen; vgl. die (1914–19 und 1936 rest.) Kirche S. Sabina in Rom mit Schranken des 9. Jh., die entsprechende Einrichtung der unter Paschalis II. (1099–1118) erneuerten Basilika S. Clemente (Abb. 1), schließlich die ebenfalls im 12. Jh. erneuerte Kirche S. Maria in Cosmedin (1894–99 rest.). Eine bedeutsame Modifikation ergab sich bei größeren Bauten mit zahlreichem Klerus. Hier wurde die Anlage eines Querhauses zwischen Apsis und Schiff erforderlich, der Altar behielt seinen Platz vor der Apsis oder stand nahe dem Bogen, der das Querhaus vom Schiff trennte, wie in der Lateransbasilika und in S. Paolo fuori le mura; in solchen Bauten bot wohl das Querhaus neben dem Platz zur Aufstellung der Opfertische auch den nötigen Raum für den C., der den Altar umgab. Gut gesichert ist eine entsprechende Anordnung in der großen von Kaiser Arkadius (395–408) erbauten Basilika der Menasstadt (Abb. 2), wo der Altar unter einem Ciborium inmitten des breiten dreischiffigen Querhauses und in der Längsachse des ebenfalls dreischiffigen Langhauses am Platze der bei späteren Bauten sog. Vierung stand, umgeben vom schrankenumschlossenen C., während zwischen ihm und der Apsis das stufengetragene Berna mit der Kathedra und den Priestersubsellien sich erhob (vgl. C. M. Kaufmann, Die Menasstadt, Leipzig 1910). Kleinasiatische kreuzförmige Bauten in Kappadokien (z. B. Panagia von Tomarza, Kizil Kiliseh von Siwri Hissar, vgl. H. Rott, Kleinasiatische Denkmäler, Leipzig 1908, S. 180 und S. 276) kannten bereits Vierungstürme, und auch mehrfach sonst stoßen wir dort auf Bauten mit ausgeschiedener Vierung, wodurch eine monumentale Betonung des Sanktuariums gegeben war, auch wenn der Altar nicht inmitten der Vierung stand, was nicht allzu häufig der Fall gewesen sein dürfte. Überall war der Altar durch mehrere Stufen über das Niveau des Schiffes erhoben, gewöhnlich auch die ganze Apsis, namentlich wenn eine durch einen ringförmigen Gang zugängliche Konfessio unter ihr angelegt war (z. B. Ravenna, S. Apollinare in Classe). Die altchristliche Kirche ist durchaus noch Gemeindekirche, das Sanktuarium ist zwar als Ziel der gesamten Anlage klar hervorgehoben, aber kaum abgesondert; vor allem ist ein eigentlicher C. noch nicht vorhanden, der Bau als Ganzes somit ohne betont hierarchischen Charakter.
B. Früh-MA
Erst in den bedeutenderen Mönchskirchen wurde – nachweisbar seit E. 8. Jh. –, nachdem es üblich geworden war, mehrere Altäre in den größeren Kirchen aufzustellen, mit der Anlage eines eigenen rechteckigen und meist halbrund in einer Apsis geschlossenen Sanktuariums für den Hochaltar auch ein gesonderter „chorus psallentium“ für den Mönchskonvent gechaffen. Er lag, durch Stufen vom Sanktuarium geschieden, bei größeren Bauten mit Querhaus in der Vierung, die innen durch Pfeiler und Bogen klar umgrenzt sowie mit hohen Schranken versehen als Kernzelle das Raumgefüge bestimmte und außen gewöhnlich durch einen hohen Vierungsturm oder eine Turmgruppe hervorgehoben war; dem entsprach auf der Gegenseite vielfach eine zweite Turmanlage mit Chor und Altarapsis oder einem Chor im Obergeschoß über einer Eingangshalle. Die zahlreichen Nebenaltäre, die zunächst freistehend im Langhaus verteilt waren (vgl. den Plan von St. Gallen, Abb. 3, sowie RDK II 253/4 Abb. 10), erhielten allmählich ebenfalls einander bestimmter zugeordnete Plätze, indem die für den Konvent und den Chordienst wichtigsten Altäre an den C. herangezogen und um den Hochaltar in nunmehr auch architektonisch wohldurchdachter Form gruppiert wurden. Sie bekamen eigene Kapellen („Chorkapellen“), meist mit apsidalem Schluß: man ordnete sie an der Längsleite des Querhauses, eine neben der anderen (vgl. Reims, St. Rémy, Abb. 4), oder staffelförmig beiderseits des Sanktuariums (vgl. Châteaumeillant, Abb. 5), oder in Form des Chorumgangs mit Kapellenkranz (vgl. Tours, St. Martin, Abb. 6). Für diese reifen Lösungen, die alle ihre vollendetste Form in Frankreich gefunden haben, lassen sich in zahlreichen frühen Kryptenanlagen, bei denen es darauf ankam, in der Nähe des Heiligengrabes mehrere Altäre anzuordnen, Vorstufen feststellen (vgl. St. Philibert-de-Grandlieu; St. Pierre in Flavigny, Abb. 7), die klar zeigen, daß den oben genannten verschiedenen Raumgruppierungen das gleiche liturgische Bedürfnis zugrunde lag. Ferner knüpfte man an Formen des Zentralbaues an, unter denen sich besonders der Dreikonchenplan mit oder ohne Umgang als fruchtbare Lösung erwies (vgl. Köln, St. Maria im Kapitol und St. Aposteln); Zentralbaugedanken anderer Art bestimmten den Bau der sog. Westwerke (s. unten), in denen Eingangshalle, oberer C. und Stifterempore eine besonders monumentale Verbindung eingingen. Während sich neben dem Langhaus der altchristlichen Basiliken häufig zahlreiche Kapellen (meist Mausoleen) finden als Zeichen des regen Anteils der Gemeinden am kirchlichen Leben (vgl. den Plan der Petersbasilika zu Rom, RDK I 1199/1200 Abb. 2, und den Plan von S. Sebastiano in Rom bei F. W. Deichmann, Frühchristliche Kirchen in Rom, Basel 1948, Plan 3), und im späteren MA die Kapellenanbauten an den Langhäusern sich häuften, kannte das frühe MA derartige Kapellengruppierungen nur am C., wo sie die Basis eines stufenförmig geordneten Aufbaus bis zum hochragenden Vierungsturm bilden, das Ganze ein höchst eindrucksvolles Bild des die früh-m.a. Periode beherrschenden hierarchischen Gedankens und seines Herrschaftsanspruchs. Die Gewohnheit, aus Vierung und C. eine liturgische und architektonische Einheit monumentaler Prägung zu bilden, die sich durch ihre Lage über einer hohen Krypta meist als besonders erhobener Raum auszeichnete, wurde von größeren Stifts- und Domkirchen übernommen. Zu besonders klarer und straff geordneter Formung, die Doppelchöre nicht kannte, auf die Anlage von Krypten verzichtete und C. wie Altarraum nur durch einige Stufen erhöhte, gelangte sie in den Kirchen der Cluniazenser und Hirsauer (Abb. 9). Bei den Zisterziensern, die aus ihren Kirchen Laien so gut wie ausschlossen, war auch das bauliche Schaffen dem Geiste strenger Reform unterworfen: neben dem Streben nach schlichtester Klarheit der Form mußte das Verbot der Türme für die damalige Zeit als besonders charakteristische Absage an die äußere Betonung hierarchischer Ansprüche erscheinen.
Der Plan von St. Gallen, um 820 (Abb. 3), überliefert als ältestes authentisches Dokument den Grundriß des C. in einer früh-m.a. deutschen Klosterkirche. Die wesentlichen Neuerungen gegenüber der altchristlichen Form sind: 1) die Anlage eines erhöht über einer Krypta gelegenen und über das Querhaus nach O vortretenden rechteckigen Sanktuariums, in dem der Hochaltar steht, während ein zweiter Altar in der ö sich anschließenden Apsis und zwei weitere rechts und links vom Aufgang zum Sanktuarium Platz gefunden haben; 2) der chorus psallentium, d. h. der Mönchskonvent, nimmt im Querhaus die Vierung ein, er ist also von dem höher gelegenen Sanktuarium klar geschieden und von den Querhausarmen sowie vom Langhaus durch Schranken abgesondert; 3) da die quadratische Vierung offenbar für die Abmessungen der ganzen Kirche eine Art Maßeinheit bildete, erhielt der C. eine durchaus neue Bedeutung, er ist Herzstück der Mönchskirche geworden; 4) ein zweiter ebenfalls durch Schranken abgegrenzter „chorus“ – aber ohne Querhaus und somit minder betont – befindet sich am W-Ende des Mittelschiffs vor einem in einer erhöhten W-Apsis aufgestellten Altar. Die wohldurchdachte Anordnung ist aus dem neuen Geiste des abendländischen benediktinischen Mönchtums geboren, in dem unzweifelhaft der Adel eine führende Stellung einnahm. Von dem geplanten Aufriß des Baues wissen wir nichts Näheres, dagegen zeigt die erhaltene Ansicht des etwas älteren, zwischen 790–99 erbauten, grundsätzlich nah verwandten Klosters von Centula (St. Riquier, Abb. 8) hohe Turmbauten über den Chören, also auch im Außenbau eine monumentale Betonung derjenigen Teile des Kirchenbaues, die dem geistlichen Bauherrn hervorhebenswert erschienen: das waren nicht die Altarräume, sondern die Chöre, in denen ununterbrochen das Lob Gottes erschallte, denn fraglos befand sich in Centula der Platz des C. vor dem ö Hauptaltar unter dem O-Turm; der zweite lag unter dem W-Turm im Obergeschoß erhöht über der w Eingangshalle; außerdem wird noch ein dritter im O-Teil des Mittelschiffs am Kreuzaltar („passio“) erwähnt, wie ja auch im Plan von St. Gallen im Mittelschiff noch Schranken einen Platz vor der Vierung abgrenzen, entsprechend der späteren Ordnung des chorus minor der Cluniazenser und Hirsauer.
Die Klosterkirchen von Centula und St. Gallen vertreten den westfränkischen Typus der Frühzeit, dem in vereinfachter Form ohne w Altarhaus auch der Bau Hatto’s I auf der Reichenau mit dem C. in der Vierung vor dem hier zweiapsidal schließenden Sanktuarium folgte. In St. Gallen entstand der zweite C. an der W-Seite, weil man eine bis dahin gesonderte Peterskapelle mit der Hauptkirche zu einem Bau verband. Ebenso sprechen die Quellen für Centula fast wie von zwei verschiedenen Kirchen („ecclesia S. Salvatoris“ für den W-Bau und „basilica S. Richarii“ für den O-Bau), die das Langhaus als „vestibulum“ verband. „Vestibulum“ hieß auch schon der quergelagerte Verbindungsbau zwischen den beiden ältesten Kultbauten in Aquileja, über denen sich der spätere Einheitsbau des Doms erhob. Alle älteren Klöster und Domstifte von einiger Bedeutung hatten ursprünglich mehrere Kirchen (vgl. Jean Hubert, L’art préroman, Paris 1938, S. 39ff.), ihre Vereinigung zu einem größeren Bau vollzog sich schrittweise. Da die verschiedenen Kirchen oder Kapellen auch unterschiedlichen Zwecken gedient hatten, vereinte auch der spätere Einheitsbau mehrere liturgische Funktionen, so daß z. B. der Pfarr- oder Laiendienst jetzt außer dem Kreuzaltar vor den Schranken des eigentlichen C. noch einen besonderen, auch architektonisch ausgezeichneten Altar zugewiesen erhielt. Auch das zeigt der Plan von St. Gallen, denn er weist auf den für die Laien bestimmten Zugang an der W-Seite ausdrücklich hin; entsprechend berichten die Quellen für Centula (vgl. Schlosser, Schriftquellen, S. 262) von den Laiengottesdiensten im W-Bau, während der ö Hochaltar ausschließlich dem Mönchskonvent diente.
Somit wäre bei allen doppelchörigen Anlagen zwischen dem Hauptchor für den Stiftskonvent und dem Gegenchor zu unterscheiden, der in Verbindung mit dem Kult eines besonders verehrungswürdigen Heiligen örtlich verschiedene Aufgaben erfüllte. Gegebenenfalls wurde hier auch – natürlich außerhalb des nur der Geistlichkeit vorbehaltenen Altarraums und C. – hochgestellten Persönlichkeiten oder den Stiftern ein Platz auf einer Empore oder in anderer Weise eingeräumt, um dem Gottesdienst beizuwohnen: die Kaiserlogen in Corvey und in der Maastrichter Servatiuskirche (vgl. Wilh. Rave in Westfalen 22, 1937, S. 49ff.) sowie der Stiftschor in Maria-Laach bieten gute Beispiele dafür, während der Stiftschor in Naumburg anscheinend Bittgottesdiensten für das Seelenheil der Stifter diente, nachdem im ursprünglichen Bau wohl im West-C. auch ein besonderer Platz für die Stifter selbst vorgesehen war; bei alledem wird auch der germanische Begriff der Eigenkirche eine wesentliche Rolle gespielt haben. Im O-Teil des Karolingischen Reiches waren noch längere Zeit einfachere Bauformen üblich, ohne Querhaus und ohne den zweiten C. Die später erfolgende Umgestaltung von Bauten wie Corvey, Fulda und St. Emmeram in Regensburg spricht eine sehr beredte Sprache. Der Mönchskonvent hatte in allen diesen Bauten zunächst sicherlich im O-Teil des querschifflosen Langhauses seinen Platz, jedenfalls zeigt der alte überlieferte Grundriß von Corvey (mit niedrigen seitlichen Anbauten, die kein Querhaus darstellen, wo also auch die Vierung noch fehlt; Effmann, Corvey, Taf. 5 Abb. 1), eine klare Trennung von Sanktuarium und C., vor dessen w Schranke (ähnlich Centula und St. Gallen) der Kreuzaltar stand. Später erhielten diese Bauten große Erweiterungen: Corvey ähnlich Centula einen hochgelegenen C. über der w Eingangshalle mit Emporen und Turmbau, Fulda und Regensburg ein w Querhaus, hier die Chöre über einer Krypta, aber mit verschiedener Richtung; in Fulda lag der Altarraum wie in St. Gallen in der W-Apsis, der C. vor ihm in der Vierung; in Regensburg wurde umgekehrt der Altar auf erhöhtem Podium in das Querhaus hineingebaut, während der C. hinter ihm lag und demgemäß auch gerade schloß (dies auch die in den hochgelegenen Westwerks-C. übliche Orientierung). So zeigt diese Zeit des Werdens sehr mannigfaltige Bildungen. In Fulda wurde unter Umkehrung der bisherigen Richtung der neue große W-Bau mit dem langen Querhaus Hauptchor für den Mönchskonvent, deshalb wurde die Königskapelle ö vor der O-Apsis erbaut.
Auch bei mehreren Domkirchen hat der W-Bau mit dem C. in der Vierung des Querhauses und einem entsprechenden Sanktuarium dem Gottesdienst des Domkapitels gedient, während der ö Altarraum ohne Querhaus dann vornehmlich dem Pfarrdienst bestimmt gewesen sein dürfte. Deutlich weist ein Plan des Mainzer Doms aus M. 18. Jh. darauf hin (Inv. Hessen, Dom Mainz, Text-Bd. Abb. 1), nach welchem in der O-Apsis ein „altare S. Cruris parochiale“ stand, das „altare summum“ dagegen im W-Bau, und zwar bis 1683 in der Tiefe des den Altarraum bildenden Trikonchos, der C. des Domkapitels aber in der von Schranken umschlossenen Vierung; die gegenwärtige Stellung des Chorgestühls im Trikonchos stellt eine barocke Veränderung dar. Ebenso erklärt sich in den rom. Domkirchen von Augsburg, Regensburg und Bamberg (Abb. 10, 11) das w Querhaus aus der C.-Anlage des Domkapitels in der zugehörigen Vierung, denn die Querhausarme boten Platz für die erforderlichen Nebenaltäre und vermittelten auch den Zugang zum schrankenumschlossenen C. vom Kapitelsaal und Kreuzgang oder von der bischöflichen Residenz. Die Portale, die in Mainz beiderseits der O-Apsis entsprechend den beiden Portalen an der W-Apsis in St. Gallen angeordnet sind, finden sich auch in Augsburg und Bamberg; sie sind offenbar als Zugänge für die Laien angelegt. In Bamberg mögen dabei noch andere Rücksichten maßgebend gewesen sein; anscheinend ist der Bamberger Ost-C. als eine Art Königschor angesehen worden, wobei zu beachten ist, daß der König als geweihtes Mitglied des Domkapitels im C. seinen Sitz hatte, die Anlage einer besonderen Empore sich also erübrigte (Corvey mit dem Westwerk war Mönchskirche!). Als in Augsburg eigene Pfarrkirchen erbaut waren, konnte sich das Domkapitel einen neuen repräsentativen C. im O bauen (in Münster war vermutlich im Gegensatz zu der bisherigen Forschung die Entwicklung eine analoge). Die gewöhnliche Anordnung mit dem C. des Domkapitels in der Vierung eines ö Querhauses und dem Pfarraltar oder dem Altar eines besonders verehrten zweiten Heiligen entweder in einer W-Apsis (wie z. B. in Worms) oder in einem turmgekrönten W-Werk (wie z. B. in Hildesheim) bedeutet prinzipiell nichts anderes; schließlich finden sich auch schon früh Dombauten mit dem C. in der ö Vierung ohne Altarraum im W (z. B. Würzburg, Straßburg, Speyer, Metz, Konstanz, Bremen, Brandenburg), auch wurden namentlich in Frankreich ältere W-Bauten dieser Art frühzeitig aufgegeben (z. B. in Reims). Sehr selten aber sind C.-Anlagen ohne Querhaus, sie repräsentieren einen zurückgebliebenen Typ: hier erheben sich C. und Altarraum gemeinsam über einer Krypta, sind aber doch deutlich durch Stufen getrennt (Freising, Seckau, Chur, eine ursprünglich nicht geplante Querhausbildung in Gurk). In diesen Fällen ist der Turm oder ein Turmpaar gewöhnlich an der w Eingangsseite angeordnet. In Oberstenfeld hat die querschiffslose Frauenstiftskirche nachträglich (Matt einer älteren Apsis) einen O-Turm erhalten, der sich über dem Altarraum erhebt, während der C. sich über einer hohen Krypta weit ins Mittelschiff erstreckt. Hier ist der Typus des bei ländlichen Pfarrkirchen sehr häufigen Turms über dem Altarraum gegeben, der gewöhnlich „Chorturm“ genannt wird (bei städt. Pfarrkirchen selten, ein Beispiel in Weinsberg). Die Annahme, daß ein solcher Turm sich auch über dem Altarraum des alten Straßburger Münsters erhoben hätte, ist unzureichend begründet. Bei doppelchörigen Stiftskirchen ist entweder die w Altarapsis mit einem W-Turm überbaut (wie in Reichenau, Mittelzell) oder zwei Türme flankieren die Apsis (wie in Hersfeld), falls nicht eine reichere Turmgruppierung der des Ost-C. angeglichen (wie in Hildesheim, St. Michael) oder kontrastierend gegenübergestellt wurde (wie in Maria Laach oder bei dem Wormser Dom), was von der Anlage eines zweiten Querhauses mitbeeinflußt wurde und einen den älteren W-Werken (Centula, Corvey) ähnlichen Eindruck erweckt. Die Turmgruppierung am Ost-C. als Haupt-C. ist örtlich sehr verschieden durchgebildet worden, meist mit Vierungsturm, doch konnte er auch fehlen; dann genügten flankierende Türme am Querhaus, über den Kreuzarmen, in den Ecken der Vierung oder am Altarraum.
Die wenigen Domkirchen, die zwei Querhäuser aufweisen (Lüttich, Verdun) sind schwerlich Bauten einheitlicher Planung. Doppelte Querhäuser mit doppelten Chören finden sich anscheinend nur in einigen großen Klosterkirchen der Frühzeit; St. Michael in Hildesheim bietet das beste Beispiel, wo die enge liturgische und damit auch bauliche Zusammengehörigkeit von Querhaus und C. durch die doppelgeschossigen Emporeanlagen („Engelschöre“) an den Stirnseiten der Querhausarme besonders anschaulich wird. Doppelte C.-Anlagen sind in Klosterkirchen seit Centula und St. Gallen nichts Ungewöhnliches, das zweite Querhaus im W vertrat wohl das karolingische W-Werk in modernerer Form: in der w Eingangshalle von Centula – dort „cripta“ genannt! – war Angilbert beerdigt, in Hildesheim war die große W-Krypta als Gruft Bernwards bestimmt, beide waren die Klostergründer.
Die einzige Ausnahme eines einheitlichen Raumes für C. und Altar in einem hoch über einer Krypta gelegenen Langbau ö der Vierung bietet die Hersfelder Klosterkirche. Sonst ist bei allen bedeutenderen Kloster-, Stifts- und Domkirchen des frühen MA die Vierung der Ort des C.; sie war es auch im Speyrer Dom, denn der jetzt dort aufgestellte Hochaltar stand ehemals in der Apsis (die Annahme des rheinischen Inv., daß in der Trierer Matthiaskirche der Hochaltar ehemals in der Vierung seinen Platz gehabt hätte, ist zweifellos ein Irrtum). Klar kommt das insbesondere zum Ausdruck in denjenigen Klosterkirchen, die unter dem Einfluß der Hirsauer Bewegung standen (Abb. 9). Wenn es auch keine Hirsauer „Bauschule“ gegeben hat, um so lebendiger strahlte Hirsau einen Geist der klaren Ordnung aus, der auch das bauliche Programm als solches bestimmte, ohne daß in den tatsächlich ausgeführten Bauten, die vielfach lokalen Eigenarten folgten, alle Einzelheiten genau übereinstimmen. Aber festgelegt war die Stellung des „Chorus maior“ in der Vierung und des „Chorus minor“ in den O-Jochen des Langhauses. Auch die Zisterzienser befolgten eine ähnliche Regelung, doch ist hier im Grunde genommen die ganze Kirche von der Vierung bis zu den wenigen w Jochen des Langhauses nichts als C., eingeteilt in den ö Mönchs-C. und den w KonversenC., von denen der erstere durch hohe Schranken abgeschlossen war.
C. Hoch-MA
Als im späteren Mittelalter Bürgertum und Bettelorden auch dem baulichen Schaffen neue Ziele steckten, wurde in den Dom- und Stiftskirchen nach dem Vorbild der französischen Kathedralen des späten 12. Jh. der C. aus der Vierung, die mit dem Querhaus der Gemeinde überlassen wurde, verlegt und mit dem Sanktuarium zu einem langgestreckten einheitlichen Raum verbunden, in dem der Altarplatz nur noch durch wenige Stufen vom C. getrennt war. Von der Vierung oder dem Langhaus blieb der C. durch den Lettner geschieden, bei Übernahme des französischen Umgangs mit Kapellenkranz schlossen Chorschranken ihn gegen diesen ab. Eine betonte Trennung von C. und Sanktuarium behielt die spanische Kirche bei, wo der coro, vom Altarraum (capilla mayor) durch die Vierung geschieden, im ö Teil des Langhauses lag.
Die Wandlung in der Stellung des C. in den französischen Kathedralen zeigt am besten die Kathedrale von Laon (Abb. 13). Der erste Entwurf um 1170 sah noch nach altgewohnter Weise einen kurzen Altarraum mit Umgang vor, während der C. in der Vierung seinen Platz finden sollte, die dann auch durch einen hohen Turm ausgezeichnet wurde; um 1210 erbaute man einen neuen langgestreckten Altarraum, mit dem nun der C. vereinigt werden konnte. Bereits vorher hatte die Pariser Kathedrale C. und Altarraum zusammengezogen, wobei man auf ein über die Flucht der Seitenschiffe vortretendes Querhaus verzichtet hatte. Die altertümliche Stellung des C. in der Vierung zeigt dagegen noch die erst im 2. V. 13. Jh. begonnene Kathedrale von Toul. Seit der Erbauung der Kathedralen von Soissons (C. vollendet 1212) und Chartres (beg. nach 1194) bürgerte sich der langgestreckte einheitliche Bau für C. und Altarraum ein. In Chartres nötigten die weitausgreifende Anlage eines doppelten Umgangs mit Kapellenkranz und die geplanten Turmbauten zur Wiedereinführung eines breiten Querhauses, das ursprünglich im Zusammenhang mit der Anlage des C. gestanden hatte (vgl. St. Martin in Tours), nun aber der Gemeinde überlassen wurde, soweit nicht wie in der Reimser Kathedrale die besonderen Verhältnisse der Krönungskirche eine andere Regelung verlangten. Der erste deutsche Dombau, der die neue französische Anordnung übernahm, war der zu Köln (1248 beg.; Abb. 14), während man in Straßburg noch wenige Jahrzehnte vorher die alte Stellung des C. in der Vierung beibehalten hatte (Abb. 12), so daß das Straßburger Münster in dieser Hinsicht schon nach Vollendung des Querhausumbaues in der M. 13. Jh. ausgesprochen unmodern gewirkt haben muß. Aber auch im Dom zu Münster, dessen neuer O-Bau zwischen 1225 und 1265 ausgeführt wurde, lag der C. noch in der Vierung, ebenso in der Basler Domkirche, deren C. damals schon vollendet war (beg. nach 1185), und genau so auch bei der ursprünglichen Anlage des Magdeburger Doms (1209ff.). – In der einschiffigen Kathedrale von Albi umgeben hohe Schranken den C. gleich einer in den Raum gestellten Kapelle.
Die Zisterzienser, die ihr Ideal strenger Askese seit dem 13. Jh. mehr und mehr aufgaben, übernahmen zwar z. T. den Kathedralplan mit Umgang und Kapellenkranz oder benutzten für das Sanktuarium die neue Form der Halle mit gleich hohen Seitenschiffen, doch blieb ihr C. in der Vierung und im O-Teil des Langhauses durch Schranken vom W-Teil der Kirche geschieden. Dagegen begnügten die Bettelorden sich mit einem schlichten Langchor, der an seinem O-Ende auch den Hochaltar umschloß und gegen das Gemeindeschiff meist mit einem Lettner abgeschlossen war. Bei den Kartäusern bildete das Untergeschoß des hohen Lettners einen Teil des Kreuzganges, so daß der C. im Binnenhof des Klosters, das für die Laienbrüder bestimmte Langhaus aber außerhalb desselben lag, beide nur durch zwei Türen in der O- und W-Wand des Lettners verbunden.
Gotische Zisterzienserchöre mit Umgang und Kapellenkranz im nordfranzösischen Kathedralplan sind vorgebildet in den gerade geschlossenen, rechtwinklig gebrochenen Choranlagen vom Typ Cîteaux II, der u. a. in Ebrach und Riddagshausen, ähnlich auch in Salem wiederkehrt. Clairvaux II zeigt die apsidale Form, die in Pontigny weitergebildet ist, schließlich ist in Royaumont der Kathedralplan übernommen. Die entsprechenden deutschen Beispiele sind Heisterbach, Marienstatt und Altenberg, modifizierte Spätformen Zwettl und Kaisheim. Die Hallenform vornehmlich in Österreich: Heiligenkreuz, Neuberg. Beispiele für die Langchöre der Bettelorden u. a. in Regensburg, Erfurt (Abb. 18), Eßlingen und Neuruppin. In der zweischiffigen Dominikanerkirche von Toulouse ist der Chor durch das große Sterngewölbe über der letzten Rundstütze klar betont und war im Raum selbst wohl ehemals durch Schranken abgetrennt. Die zweischiffige Dominikanerkirche von Augsburg hatte zur Barockzeit am O-Ende jedes Schiffs einen Altar, von denen der s als der „Principal Chor- und Conventsaltar“ bezeichnet wurde, während am n täglich die Frühmesse gelesen wurde; damals war bereits hinter der O-Wand eine besondere Kapelle, der sog. „untere Chor“, im 17. Jh. angebaut worden.
D. Spät-MA
Bei der regen Teilnahme des spätmittelalterlichen Bürgertums am kirchlichen Leben gewann die städtische Pfarrkirche immer mehr an Bedeutung; die Fülle bürgerlicher Altarstiftungen erforderte zahlreiche Kapellenanbauten (auch bei den Domkirchen). Mit den vielen Pfründen wuchs die Zahl der Kleriker, die sich vielfach zu einer Art Gemeinschaft in zeitgemäßer Umbildung der älteren Stiftskonvente zusammenschlossen und gemeinsam Gottesdienst feierten. Deshalb erhielten im späteren MA viele Pfarrkirchen große Choranlagen, teilweise nach dem Muster der Kathedralchöre.
Nur selten begnügten sich große städtische Pfarrkirchen mit einem einschiffigen C. wie in Ulm (Abb. 15), Überlingen oder Thorn (St. Marien und St. Jakob); häufiger sind dreischiffige Anlagen wie in Wien (St. Stefan), Breslau (St. Elisabeth), Prenzlau (St. Marien), Danzig (St. Marien) und Annaberg; von größerem baulichem Aufwand zeugen die Hallenchöre mit Umgang wie in Nürnberg (St. Sebald und St. Lorenz), Gmünd (Abb. 17), Hall, Dinkelsbühl, Nördlingen, Ingolstadt, Brandenburg (St. Katharinen) oder Tangermünde; besonderen Ehrgeiz, es den Domkirchen gleichzutun, verraten die basilikalen Bauten mit Umgang und Kapellenkranz in Freiburg i. Br. oder in den Hansestädten Lübeck (St. Marien, Abb. 16), Rostock (St. Marien), Wismar (St. Marien, St. Nikolai), Stralsund (St. Nikolai, St. Marien) oder Lüneburg (St. Nikolai). Gewöhnlich ist der eigentliche C. in der Fortsetzung des Mittelschiffes um mehrere Stufen erhöht und der Altarraum wieder gegenüber dem C. Das ist aber die einzige Scheidung, der Aufbau zeigt im übrigen die Tendenz, C. und Altarraum in einem Einheitsraum zu vereinen; dagegen ist die Sonderung des C. vom Langhaus, die sich aus spätererer Entstehung ergab, offenbar durchaus willkommen gewesen (vgl. Nürnberg, St. Sebald und St. Lorenz, Gmünd, Hall).
Es scheint, als wenn in den größeren Pfarrkirchen nicht überall der C. durch einen Lettner oder Schranken vom Gemeinderaum getrennt worden sei. Ein Lettner hat sich in der Lübecker Marienkirche erhalten, Reste eines solchen hat die Freiburger Pfarrkirche (erst neuerdings Domkirche, gewöhnlich „Münster“ genannt) bewahrt; andere Pfarrkirchen haben sich wohl mit einfachen Gitterschranken (wie ehemals in Gmünd) begnügt oder überhaupt auf jede feste Abgrenzung verzichtet. Der kurze, früher durch einen Lettner geschiedene C. in der Nikolaipfarrkirche zu Kalkar hängt mit der Gründung einer Bruderschaft Unserer Lieben Frau zusammen, die dort einen Platz für den Sängerchor hatte; in Friedberg ist der spätgot. Lettner eingebaut worden, als die Pfarrkirche mit einem Stiftskapitel verbunden wurde; in Gelnhausen ist der Lettner für den Konvent des Klosters Langenselbold errichtet, dem die Pfarrkirche inkorporiert war. Daß die Pfarrkirchen kleinerer oder neu begründeter bürgerlicher Gemeinden überhaupt keinen C., sondern nur einen Altarraum hatten, ist selbstverständlich, denn hier amtierten nur ein Pfarrer und ein oder zwei Vikare, für die ein C. nicht erforderlich war.
„Doppelchörige“ Pfarrkirchen sind sehr selten. In Nürnberg (St. Sebald) trat die Pfarrkirche an die Stelle einer älteren Peterskapelle; der Altar blieb dem hl. Petrus vorbehalten, für die Verehrung des hl. Sebald wurde der ö Altar bestimmt (später gelangte der Petersaltar als zweiter Altar hinter den Hochaltar im O, im W verblieb ein Katharinenaltar, der vordem in der W-Krypta gestanden hatte). An der Rothenburger Jakobspfarrkirche ist der West-C. durch Einbeziehung der ehemals selbständigen Hlg. Blutkapelle entstanden. In der Nabburger Pfarrkirche war der eine der beiden Altarräume sicher dem Regensburger Domkapitel vorbehalten, dem die Kirche gehörte, und daher mit einem C. ausgestattet.
Die Vierung verlor da, wo sie aufgehört hatte C. zu sein, gewöhnlich den Turmaufbau; beibehalten wurde er vor allem in England, wo die lange Ausdehnung der meist gerade schließenden Chöre und die häufige Anlage zweier Querhäuser nach einem zusammenfassenden vertikalen Bauglied verlangte, so daß der Turm liturgisch den Eingang des C. betont. Auch in Regensburg war im gleichen Sinne ein Vierungsturm am Domneubau geplant, dessen Ausführung aber unterblieb.
Der letzte Vierungsturm der großen Kathedralen Nordfrankreichs wurde als Spitze einer großen Turmgruppe in Reims geplant, aber nur z. T. ausgeführt; in Reims gehörte auch die Vierung noch zum C., in dem die Krönungszeremonien der französischen Könige stattfanden. Die Kathedrale von Amiens begnügte sich schon mit einem schlanken Dachreiter, ein solcher wurde dann in sehr gesteigerter Dimensionierung noch einmal am Ende des MA in Beauvais ausgeführt. Am eigentlichen Vierungsturm mit innerer Laterne hielt in Frankreich nur die Normandie (Coutances, Bayeux, Rouen, Lisieux, Evreux) fest, sonst findet er sich ganz vereinzelt in Burgund (Dijon, Notre-Dame) und im Süden (Tarbes, Kathedrale). Auch in Spanien lebte der Vierungsturm fort (Burgos, Barcelona, Salamanca u. a.), hier krönt er die Mitte zwischen C. und Altarraum („cimborio“).
E. Neuzeit
In der Neuzeit bildeten die Dom- und Pfarrkirchen keine neue Chorform aus, doch entsprach es der neuen Auffassung des Altarraums als einer Art Mysterienbühne, die zur Schau einladen sollte, daß fast allgemein die geschlossenen Lettner des Mittelalters entfernt oder durch lichte Gitterschranken ersetzt wurden. Aus der gleichen Einstellung entschloß man sich in den Mönchskirchen der alten Orden, die in Süddeutschland dank einer auf äußerste Prachtentfaltung gestellten Baubegeisterung im 17. und 18. Jh. fast ausnahmslos große prunkvolle Neubauten erlebten, häufig dazu, Sanktuarium und C. wieder zu trennen. Während jenes riesige Altarbauten erhielt und hinreißender Schau geöffnet wurde, zog sich der Mönchskonvent für das Chorgebet nicht selten hinter den Hochaltar zurück, entweder zu ebener Erde oder in ein oberes Geschoß. Bei Platzmangel wurde der C. in einigen Sonderfällen sogar auf eine W-Empore über der Eingangshalle verlegt, also auf einen Platz, der schon in den Anfängen klösterlichen Lebens wenigstens als zweiter C. gedient hatte. In Italien hatte man auch während des MA den altgewohnten Platz hinter dem Hochaltar meist nicht aufgegeben.
Beispiele für die Stellung des C. hinter dem Hochaltar: Benediktinerkirchen Banz, Benediktbeuern, Dietramszell, Rott a. Inn; Zisterzienserkirche Raitenhaslach; Karmeliterkirche Reisach; Minoritenkirche Ingolstadt; Augustinerkirche Beuerberg (Abb. 20). Auf einer W-Empore liegt der C. in der Benediktinerkirche Weltenburg (Abb. 21).
In Italien liegt in neuerer Zeit der C. hinter dem Hochaltar in der Apsis, wie sehen in den altchristlichen Basiliken; charakteristische Beispiele in den Klosterkirchen von S. Giustina in Padua, S. Giovanni Ev. in Parma, S. Maria in Porto in Ravenna; mehrfach steht der Hochaltar unter der Vierungskuppel wie im Florentiner Dom und ehemals auch im Mailänder Dom. Die m.a. Anordnung ist in der Neuzeit vielfach verändert worden; sicher ursprünglich ist die Anordnung des C. in der Apsis in S. Ambrogio in Mailand, im Dom in Perugia, in S. Francesco in Assisi und in S. Fortunato in Todi. Die Stellung des C. vor dem Hochaltar ist selten geworden, erhaltene Beispiele sind u. a.: S. Miniato in Florenz, S. Maria dell’Anima in Rom, S. Niccolo in Bari, Dom in Monreale.
III. Ausstattung
Zur Ausstattung des C. gehören vornehmlich Chorschranken, Chorgitter, Lettner, Chorgestühl und Chorpult, ferner die Banklaken, Dorsale und Bildteppiche.
Der C. ist außerdem eine besonders bevorzugte Stätte für die Beisetzung verdienter Kleriker gewesen. Laien fürstlichen Geblütes, die im Inneren der Kirche beigesetzt wurden, fanden in älterer Zeit gewöhnlich vor dem eigentlichen C. am Kreuzaltar Platz.
Königs-C. in Worms und Speyer; Grab Heinrichs des Löwen in der Braunschweiger Stiftskirche. In Bamberg steht die Grabtumba Papst Clemens’ II. im West-C., die des Stifters Kaiser Heinrich II. aber im Mittelschiff, etwa an der Stelle, wo der Kaiser tatsächlich bestattet worden war; erst die Tumba Riemenschneiders kam 1513 in den Ost-C., wo sie bis 1837 verblieb. Für den päpstlichen Gegenkönig Heinrichs IV., Rudolf von Schwaben, bedeutete es sicher eine betonte Auszeichnung, daß er im Merseburger Dom, und zwar, wie ausdrücklich berichtet wird, „in medio chori“ beigesetzt wurde; seine Grabplatte in der Vierung des Doms hebt in der Inschrift auch hervor „ecclesiae cecidit“.
Erst im späteren MA erhielten Fürsten ihre Grablege auch im Bezirk des Altarraumes. Schon die Grablege der französischen Könige wurde im C. der Klosterkirche St. Denis angegelegt. In Deutschland sind die Zisterzienserkirche Altenberg mit der Grablege der Grafen von Berg und die Marburger Elisabethkirche mit den Landgrafengräbern frühe Beispiele. Dagegen ist der C. der Stiftskirche in Tübingen erst nach der Reformation Grablege der Württemberger Grafen geworden.
Zu den Abbildungen
1. Rom, S. Clemente, Inneres. 1. Dr. 12. Jh. unter Verwendung der Chorschranken und der Ausstattung des 6. Jh.; Veränderungen im 17. Jh. Phot. Anderson.
2. Menasheiligtum, Hauptbasilika, Grundriß. Um 400, Apsis älter. Nach C. M. Kaufmann, Die Menasstadt und das Nationalheiligtum der altchristl. Ägypter, Leipzig 1910.
3. St. Gallen, Stiftsbibl., Klosterplan, Ausschnitt. Um 820. Nach Jean Hubert, L’art préroman, Paris 1938, Abb. 34.
4. Reims, St. Rémy, Grundriß des Baues von 1005. Nach P. Frankl, Hdb. d. Kw. S. 99.
5. Châteaumeillant (Berry), Pfarrkirche, Grundriß. 12. Jh. Nach R. de Lasteyrie, L’architecture religieuse en France à l’époque romane, Paris 19292, S. 296, Abb. 303.
6. Tours, St. Martin, Grabungsgrundriß des Chors. Ältester Grdr. A. 10. Jh. Nach R. de Lasteyrie a. a. O., S. 186, Abb. 163.
7. Flavigny, St. Pierre, Ausschnitt aus dem Plan von 1655. 9. Jh. Nach Jean Hubert a. a. O. (s. Abb. 3), Abb. 43 (vollständige Wiedergabe des Planes von 1655 ebd. Taf. II Abb. c).
8. Centula (St. Riquier). Abteikirche, Ansicht nach dem Stich von Petau von 1612. 799ff. Nach W. Effmann, Centula, Münster 1912, S. 9.
9. Hirsau, St. Peter und Paul. 1082. Grundriß nach Erich Schmidt.
10. Bamberg, Dom, Grundriß. 1004ff. und 1. Dr. 13. Jh. Umzeichnung nach W. Pinder - W. Hege, Der Bamberger Dom u. s. Bildwerke, Berlin 1927, S. 8/9.
11. Bamberg, Dom, Inneres nach Westen. 1. Dr. 13. Jh. Phot. Walter Hege.
12. Straßburg, Münster, Inneres nach Nordosten. 1240–50. Phot. Staatl. Bildstelle Nr. 355 119.
13. Laon, Kathedrale, Grundriß. 3. Dr. 12. Jh. – 1. V. 13. Jh. Nach Ernst Gall, Got. Baukunst in Frankreich, S. 371 Abb. 194 (die alte O-Apsis ist nach den vorgefundenen Fundamenten [Congr. archéol. 78, 1911] wiedergegeben; zum Aufbau vgl. Hanna Adenauer, Die Kathedrale von Laon, Düsseldorf 1934, S. 18ff.).
14. Köln, Dom, Grundriß. 1248ff. Nach Hans Peters, Der Dom zu Köln 1248–1948, S. XII.
15. Ulm, Pfarrkirche, Grundriß. Chor 1377–83, gwbt. 1449. Nach Aug. Raichle, Das Ulmer Münster, Stuttgart 1950, S. 10.
16. Lübeck, St. Marien, Grundriß. 2. H. 13. Jh., Chorumgang vor 1291 fertig. Nach Hans Schröder, Lübeck, Berlin 19432, S. 37.
17. Schwäbisch Gmünd, Hl. Kreuz, Grundriß. Chor 1351 beg. Nach Dehio – von Bezold Buch III, Taf. 450 Abb. 4.
18. Erfurt, Barfüßerkirche, Grundriß. Kirche voll. 1285, Chor voll. 1316. Nach Herbert Kunze, Erfurt, Berlin 1928, S. 18 (vgl. RDK II 405/6 Abb. 11).
19. Konstanz, Münster, Grundriß des Chores. 2. H. 11. Jh. mit Um- und Ausbauten seit 1430. Umzeichnung nach Jak. Eschweiler, Das Konstanzer Chorgestühl, Friedrichshafen 1949, Taf. 2.
20. Beuerberg, ehem. Augustiner-Stiftskirche, Grundriß. 1629–30, W-Joch 1729. Umzeichnung nach Inv. Bayern I, 1, Taf. 122.
21. Weltenburg, Benediktiner-Klosterkirche, Grundriß. 1717–21. Umzeichnung nach Inv. Bayern IV, 7, Abb. 308.
Verweise
- Altar (A. In der katholischen Kirche)
- Altarhaus
- Apsis, Apside
- Chorturm
- Chorumgang
- Dreiapsidenanlage
- Dreikonchenplan
- Kirchenbau
- Ordensbaukunst
Empfohlene Zitierweise: Gall, Ernst , Chor, in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. III (1952), Sp. 488–513; in: RDK Labor, URL: <https://www.rdklabor.de/w/?oldid=92593> [05.04.2022]
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