Daniel
englisch: Daniel; französisch: Daniel; italienisch: Daniele.
Hans Feldbusch (1954)
RDK III, 1033–1049
I. Daniel im A.T.
Unter den im A.T. genannten Trägern des Namens D. (griechisch Δανιήλ; hebr. = „mein Richter ist Gott“) ist der vierte der großen Propheten der bekannteste. Nach Josephus (Antiqu. 10, 10, 1) gehörte er einer vornehmen Familie, nach Hieronymus (in Dan. 1, 3) der Königsfamilie von Juda an. In jugendlichem Alter von Nebukadnezar 605 v. Chr. nach Babel entführt, wurde er dort am Königshof in babylonischer Schrift und Sprache unterrichtet (Dan. 1, 4) und erhielt den Namen Belsazar (Baltassar; Dan. 1, 7). Weil er die Speisevorschriften des jüdischen Glaubens befolgte (Dan. 1, 8–16), belohnte ihn Gott mit besonderer Weisheit und Sehergabe. Unter den Königen Nebukadnezar und Belsazar (Nabuchodonosor und Baltassar) von Babylon sowie unter Darius und Cyrus von Persien gab D. Proben seiner Weisheit; dadurch gelangte er bei den Babyloniern und in den östlichen Reichen zu großem Ansehen (Dan. 13, 64) sowie zu einflußreichen Stellungen am königlichen Hof. Seine Weissagungen über die Zukunft sind größtenteils in apokalyptische Form gekleidet; die letzte Prophetie stammt aus dem 3. Regierungsjahr des Cyrus, also 536. Nach dem Martyrol. Rom. wurde D. in Babel begraben; sein Fest wird am 21. Juli gefeiert.
Alle Nachrichten über D. entstammen ausnahmslos dem Buch Daniel, das im jüdischen Kanon unter die Hagiographen eingereiht und in der Vulgata als 4. Buch an die großen Propheten angeschlossen wird. Bei Luther stehen Teile von Kap. 3 sowie die Kap. 13 und 14 in den Apokryphen: Susanna und D. (Dan. 13, 1–64), Vom Bel zu Babel (Dan. 13, 65; 14, 1–22) und Vom Drachen zu Babel (Dan. 14, 23–42). Das Buch enthält vornehmlich neun Ereignisse, bei denen D. im Mittelpunkt steht, und vier Gesichte: 1) D. wird in die Gefangenschaft geführt und am babylonischen Hof erzogen (Dan. 1); 2) D. deutet Nebukadnezars Traum von den vier Weltreichen (Dan. 2); 3) die Drei Jünglinge im Feuerofen (Dan. 3); 4) Erlaß Nebukadnezars an seine Völker: Anerkennung des höchsten Gottes (Dan. 4); 5) D. deutet die geheimnisvolle Inschrift beim Gastmahl des Belsazar (Dan. 5); 6) D. wird wegen seiner Treue gegen Gott aus der Löwengrube errettet, Darius dadurch zur öffentlichen Anerkennung des Gottes der Juden bewogen (Dan. 6); 7) D. schaut die vier Weltreiche in Gestalt von Ungeheuern (Dan. 7); 8) D. schildert die Vision vom Kampf und Sieg des griechischen Ziegenbocks (Alexander d. Gr.) über den persischen Widder (Dan. 8); 9) D. Wochenprophetie sieht das Ende der Heimsuchung seines Volkes (Dan. 9); 10) D. Gesicht über den Kampf zwischen den Schutzgeistern der Völker, Weissagung über das Ende der Zeiten (Dan. 10–12); 11) D. rettet die unschuldig verurteilte Susanna vom Tode (Dan. 13); 12) D. beweist Cyrus, daß der Gott Bel ein Götze ist und darf ihn zerstören (Dan. 14, 1–22); 13) D. tötet den göttlich verehrten babylonischen Drachen; der wahre Gott, der D. aus der Löwengrube errettet, wird vom König anerkannt (Dan. 14, 23–42). Das Vorstehende nach [10].
Attribute D. sind in erster Linie ein oder mehrere Löwen, daneben auch der Widder (Dan. 8, 3–7). Als Tracht trägt D. meist jugendliche Kleidung, in frühchristl. Zeit zuweilen phrygische Mütze. Seltener ist D. in eigentlicher Prophetentracht mit Bart wiedergegeben, meist ist er ein Jüngling.
II. Darstellung in der frühchristlichen Kunst
Die frühchristliche Kunst hat einzelne Motive und Szenen aus dem Buch D. schon früh und immer wieder verwendet. Von der Wende vom 1. zum 2. Jh. an erscheinen D.-Szenen in der Katakombenmalerei und in der Sarkophagplastik, darunter häufig die Darstellung der Drei Jünglinge im Feuerofen, oft auch Susanna, von den Alten bedroht, verbunden mit dem Urteil über die Alten. Seit E. 1. Jh. wird aber auch schon D. selbst dargestellt, meist in der Szene in der Löwengrube, aber auch im Zusammenhang der Susanna-Erzählung (z. B. Fresko in der Cappella greca, [7] XV 1747, Abb. 10974). D. ist meist nackt, trägt aber zuweilen auch Tunika oder Lendenschurz, etwas später auch die phrygische Mütze und asiatische Beinkleider; er wird oft symmetrisch zwischen den Löwen stehend mit der Orantengebärde dargestellt. In späterer Zeit wird häufiger auch die Grube mit angedeutet. D. in der Löwengrube und seine Errettung gelten vor allem als a.t. Typen der Auferstehung Christi ([9] 529; [12] 644). Ganz allgemein kann D. in der Löwengrube einen Hauptgedanken frühchristlicher Zeit, die Errettung aus Not und Gefahr, ausdrücken, so die Commendatio animae im Rituale Romanum (Tit. V, Kap. 7): „Libera. Domine, animam servi tui, sicut liberasti Danielem de lacu leonum.“ Die Darstellung gehört mit Jonas, dem Guten Hirten, dem Quellwunder Mosis, den Drei Jünglingen im Feuerofen, der Arche Noah, der Erweckung des Lazarus und einigen anderen in den engen Kreis der sepulkralen Symbolik des frühen Christentums. In einer Krypta der Calixtuskatakombe bildet die Darstellung D. zwischen zwei Löwen den Mittelpunkt der ganzen Decke (Wulff, Hd. d. Kw. I, Taf. I). Gegen E. 3. Jh. erfährt der sepulkrale Bilderkreis eine gewisse Erweiterung. Die Auffassung wendet sich jetzt mehr dem erzählenden geschichtlichen Vorgang zu, wobei die symbolische Absicht der Einzeldarstellung immer mehr zurücktritt.
Auf einem Wandbild der Flaviergalerie in der Domitillakatakombe steht D. als Orant zwischen zwei Löwen (Wulff I, Abb. 41). Rein formal gleicht sich jetzt öfters die Darstellung des Guten Hirten mit zwei symmetrisch angeordneten Schafen dem D. in der Löwengrube an, so in der Deckenmalerei eines Cubiculum der Katakombe des Petrus und Marcellinus (Ebd. Abb. 42) und auch in einem Arkosolbild aus der Domitillakatakombe (Ebd. Abb. 50). Neben Susanna und den Drei Jünglingen bringt eine Goldglasschale aus Köln im B.M. London D. in Orantenstellung; der die Löwengrube andeutende Löwe wird dabei von dem Oranten getrennt in einem eigenen Medaillon angeordnet (Ebd. Abb. 56; andere Goldglasschalen: Abb. 1; Kraus I S. 343). Noch während des 3. Jh. nehmen die Bilder, die den Gedanken der Errettung aus Not und Gefahr ausdrücken, ständig zu. Als Personifikation der Gebetserhörung nehmen die Kuppelfresken einer Grabkapelle in El Bagauat D. in einem Brunnen stehend in ihren Zyklus auf (Wulff I S. 99). D. wird hier von zwei weiteren Personifikationen begleitet: der Gerechtigkeit mit Waage und Füllhorn und dem Frieden mit Zepter und monogrammkreuzartigem Lebenszeichen.
Der Typenschatz der Katakombenmalerei drang allmählich auch in die Sarkophagplastik ein. Auf der Längswand eines Deckelsarkophages aus Le Mas d’Aire steht der mit der Tunika bekleidete D. orans zwischen zwei Löwen neben der Erweckung des Lazarus (Ebd. Abb. 84). Der Sarkophag des Junius Bassus in der Peterskrypta bringt in einer unteren Nische D. zwischen zwei Löwen (Ebd. Taf. VII); D., bisher stets als Jüngling dargestellt, tritt hier mit langem Prophetenbart auf. – In erweiterter Komposition schildert dann der Sarkophag mit dem Doppelporträt im Lateran die Geschichte D. in der Löwengrube: von links naht Habakuk mit den Broten (Dan. 14, 33–39; Wulff I, Taf. VIII; vgl. auch einen ähnlichen Sarkophag in Arles, [1] Abb. 1); die Brote sind ein Symbol der Eucharistie [1]. Ein palästinensisches Relief mit D.-Erzählung wurde später in die Fassade von S. Giovanni e Paolo in Venedig eingemauert: Habakuk bringt D. in der Löwengrube Brot, aus den Ecken schauen die Halbfiguren Nebukadnezars und eines Engels zu (Wulff 1 S. 132). Die Türen von S. Sabina in Rom schildern noch ausführlicher die Entrückung Habakuks, der mit seinem Brot zu D. in die Löwengrube entführt wird (Ebd. Abb. 127). In der syrischen Holzbildnerei des 4. Jh. nimmt ein Konsolbalken aus Bawit D. in der Löwengrube in seine Szenenfolge auf.
Die altbyzantinische Kunst ordnete auch später gern D. unter den Löwen neben den Guten Hirten zwischen Schafen. Schon Konstantin d. Gr. ließ zwei Brunnen auf dem Forum in Konstantinopel mit zwei Bronzebildwerken des Guten Hirten und D. schmücken (Ebd. S. 149). Neben Christus als Bezwinger des Löwen und Basilisken tritt D. in der Löwengrube in einem Stuckrelief des Baptisteriums der Orthodoxen in Ravenna, um M. 5. Jh. (Ebd. S. 183). Nach erhaltenen älteren Aufnahmen folgten die Gewölbemosaiken von S. Costanza in Rom noch ganz dem sepulkralen Typenschatz und brachten au? dem Buch D. den Urteilsspruch des Propheten (Dan. 13, 45ff.). Noch in der koptischen Wandmalerei des 5.–7. Jh. begegnen mitunter, in Erinnerung an die sepulkrale Kunst; Szenen aus der D.-Geschichte, so in Athribis D. in der Löwengrube, in Sakkarah die Drei Jünglinge (Ebd. S. 354). Auch koptische Stoffe wie der schon unter neupersischem Einfluß stehende „Danielstoff“ in Düsseldorf gehören hierher (Ebd. S. 359).
Die frühchristliche Kleinkunst hat die Szene ebenfalls sehr geschätzt: die Goldgläser wurden schon genannt (Abb. 1); Kraus zählt einige weitere Beispiele auf, darunter eine Elfenbeinpyxis und zwei Bronzemedaillons, von denen eines, in den Vatikanischen Slgn., die seltene Darstellung eines knienden D. zeigt [6].
Als außerchristliches Beispiel nennt Sauer [10, Sp. 146] aus dem Bereich der altjüdischen Kunst das Fußbodenmosaik der Synagoge von Aïn Duk (3. Jh. n. Chr.).
Der Sieg D. über den babylonischen Drachen symbolisiert in der Sarkophagplastik zuweilen den Widerstand der Christen gegen den Kaiserkult (Sarkophage aus Arles und Dellys, Wulff I, Abb. 91 und 93).
III. Frühes MA
Auf byzantinische Vorbilder gehen die sogenannten Danielschnallen der Völkerwanderungszeit und des frühen MA zurück, Bronzeschnallen mit der oft schematischen oder stilisierten Wiedergabe des D. mit zwei Löwen (Abb. 2). H. Kühn hat alle zusammengestellt und abgebildet [3], wobei er mehrere Typen unterscheiden konnte (vgl. auch [2]). Am häufigsten tritt das Motiv in symmetrischer Form auf, D. steht – oft als Orant – zwischen den Löwen. Auf diese Schnallen haben byzantinische Kleinkunstwerke, vor allem aber koptische Schnallen eingewirkt, die über Marseille durch das Rhonetal den Weg nach Burgund fanden. Hauptverbreitungsgebiete sind die Westschweiz mit dem Zentrum Genf–Lausanne sowie Savoyen, doch kommen D.-Schnallen vereinzelt auch in Süd- und Mittelfrankreich vor ([3] S. 145, Karte 1; über Zusammenhänge mit den Darstellungen auf der Börse von Sutton Hoo in England s. G. Haseloff in „Nordelbingen“ 20, 1952, 18–20). Ein Beispiel aus der gleichzeitigen Steinplastik ist das Relief von Charlieu (Jos. Strzygowski, Die altslawische Kunst, Augsburg 1929, S. 208 Abb. 198).
Während in der Monumentalmalerei des frühen MA D. selten dargestellt wurde (Mainz, Wandgemälde im Dom von 1025–30, deren Tituli bekannt sind: O. Lehmann-Brockhaus, Schriftquellen Nr. 2573, S. 569f.; Rom, Unterkirche von S. Clemente, um 1080), begegnen wir ihm häufiger in der Kapitellplastik:
Fidenza und Chur (Jul. Baum, Früh-m.a. Denkmäler der Schweiz, Bern 1943, Abb. 46 u. 47); Hamersleben; Arles, Musée lapidaire (Marburger Jb. 8/9, 1936, S. 105 Abb. 126); Vézelay, St.-Martin de Saujon, Moissac, St.-Pons-de-Thomières, Ternay, St.-Eutrope de Saintes, Ste.-Marie la Daurade, La Charité-sur-Loire, sämtlich um 1100 – A. 12. Jh. (Joan Evans, Cluniac Art of the Romanesque Period, Cambridge 1950, S. 75f., Abb. 98, 127–29); Genf, mit Habakuk, 3. V. 12. Jh. (Hans Maurer,
Die roman. u. frühgot. Kapitelle d. Kathedrale St.-Pierre in Genf, Basel 1952, S. 36, 52–56). Eine besonders schöne und geschlossene Darstellung aus dem Bereich der romanischen Plastik bietet der Wormser Dom in dem in der Annenkapelle eingemauerten Relief, das vielleicht für ein Portal geschaffen wurde und die Inschrift „Daniel in lacu leonum“ trägt (Abb. 4); zugehörige Fragmente von Löwen und der vom Engel am Schopf erfaßte Habakuk sind in derselben Wand eingelassen. Die gleiche Szene findet sich in der Portalplastik zu Como und Beaulieu.
Hatte bereits das Malerbuch vom Berge Athos genauere Angaben über die Darstellung der einzelnen Geschichten des Buches D. gemacht (§§ 182–191; Godeh. Schäfer, Trier 1855, S. 137–40), so beschäftigte sich auch die früh-m.a. Buchmalerei eingehend mit dem D.-Thema. Wohl die reichhaltigsten Illustrationszyklen zum Buch D. enthalten die Beatus-Hss. und vor allem die Bibeln Katalaniens, die Roda- und die Ripoll-Bibel aus dem A. 11. Jh. (Wilh. Neuß, Die katalan. Bibelillustration, Bonn u. Leipzig 1922, S. 89–94, Abb. 43–45, 98–103). In der Roda-Bibel erhielt das Buch D. fünf Folioseiten mit Miniaturen, die Ereignisse und die Visionen sind reich illustriert, während in der Ripoll-Bibel weniger Szenen um so reicher ausgemalt sind. Auch die Beatus-Apokalypsen legen den Zyklus breit an, weil hier zum Text des Buches D. jeweils noch der Hieronymus-Kommentar tritt (Neuß a. a. O.). Auch der Kosmas Indikopleustes ist hier zu nennen, ferner aus der deutschen Buchmalerei der Danielkommentar der Bamberger Staatsbibl., E. 10. Jh. (Cod. bibl. 22; Hans Fischer, M.a. Miniaturen aus der Staatl. Bibl. Bamberg, Bamberg 1926–29), die Bibel des Abts Walther von Michaelbeuren, 1. H. 12. Jh. (Stoedtner Phot. 73 892), u. a.
Im Hoch-MA schwindet die Illustration der Geschichte D. auf wenige Szenen zusammen. Meist wird D. in der Löwengrube, von Habakuk mit Speise versehen (Abb. 6; Albanipsalter, Initiale 190, Goldschmidt S. 135; Heisterbacher Bibel von 1240 in Berlin, Hanns Swarzenski, Die lat. ill. Hss. d. 13. Jh., Berlin 1936, Abb. 85; weitere Beispiele Ebd. S. 93), oder D. vor Nebukadnezar (Abb. 5) wiedergegeben. In der Arnsteinbibel dient der jugendliche Prophet mit dem babylonischen Drachen als Figuralschmuck eines Initials (Festschrift O. Schmitt, Stuttgart 1951, S. 75 Abb. 4). Seltener ist die – auch im Malerbuch vom Berge Athos (§ 190) erscheinende – Szene, wo D. dem Drachen die tödlichen Küchlein eingibt (Dan. 14, 27; Heisterbacher Bibel, H. Swarzenski a. a. O. Abb. 84; weitere Beispiele Ebd. S. 93; später auch in den Heilsspiegel-Illustrationen, Abb. 7).
IV. Typologie
Große Bedeutung gewinnt die Gestalt des D. für die m.a. Typologie. War in frühchristlicher Zeit D. in der Löwengrube eines der wichtigsten Vorbilder der Auferstehung Christi, so kann es jetzt als Typus für das Verhör Christi vor dem Hohenpriester gelten (Armenbibel, Weigelsche Bilder-Hs. M. 15. Jh.; [9] 339, [12] 527). Die erweiterte Szene mit Habakuk, der, ohne das königliche Siegel zu zerbrechen, D. Speise bringt, gilt als Symbol der jungfräulichen Geburt Christi ([12] 147, 1009, 1118), kann aber auch typologischer Vorläufer für verschiedene n.t. Begebenheiten sein: so für Christi Höllenfahrt (Heilsspiegel Kap. 28; [9] 499, [12] 623), für die Erscheinung des Auferstandenen vor Maria Magdalena (Armenbibel; RDK I 1079/80, [9] 543/44, [12] 646), für das Gastmahl im Hause des Levi und für die Heimsuchung ([9] 187 und 961). Die Concord. vet. et novi testam. setzt gleich: D. fastet in der Löwengrube = Christus fastet 40 Tage in der Wüste (Heider, Jb. Z.K. 5, 1861, S. 115; [9] 162). Neben Hiob und den Drei Jünglingen im Feuerofen symbolisiert D. in der Löwengrube die Geduld. Auch andere D.-Szenen finden typologische Verwendung: D. deutet Nebukadnezars Traum = Der zwölfjährige Jesus im Tempel (Spiegel menschl. Behaltnis; [9] 134, [12] 459). D. mahnt Nebukadnezar zur Wohltätigkeit (Dan. 4, 24) = Gleichnis vom ungerechten Haushalter (Lk. 16, 1–13; Concordantia caritatis, Temp. Nr. 137; [9] 681). Gabriel richtet den zu Boden gefallenen D. wieder auf (Dan. 8, 17f.) = Heilung des Kranken am Teich Bethesda ([9] 668). Gabriel verkündet die Ankunft Christi (Dan. 9, 20–27) = Hirtenverkündigung ([9] 76). D. Lippen werden von einer himmlischen Erscheinung berührt (Dan. 10, 16) = Heilung des Taubstummen ([9] 664). D. errettet Susanna durch sein Urteil vom Tode (Dan. 13, 45ff.) = Christus und die Ehebrecherin ([9] 214; die letzteren alle nach Concord. v. et n. test.). Das Urteil D. kann aber typologisch für das Weltgericht stehen (Armenbibel in Kremsmünster; RDK I 1081/82, [9] 804). D. zerstört den Bel zu Babel und (bzw. oder) vernichtet den Drachen zu Babel durch tödliche Küchlein (Dan. 14) = Versuchung Christi (Heilsspiegel Kap. 13; Spiegel menschl. Behaltnis; [9] 167, [12] 473; Abb. 7), aber auch für die Höllenfahrt Christi (Concord. v. et n. test.; [9] 510). Die Babylonier fordern von Nebukadnezar die Auslieferung D. (Dan. 14, 28ff.; Abb. 5) – Christus vor Pilatus (Armenbibel; RDK I 1079/80, [9] 350, 361, [12] 529) oder vor dem Hohenpriester (Armenbibel; [12] 527).
Den Illustratoren der Armenbibeln, aber auch des Heilsspiegels und der Concordantia caritatis, bot gerade die Löwengrubenszene willkommene Gelegenheit, ihrer Phantasie freieren Lauf zu lassen. Übereinstimmend bringen fast alle die turmartig gemauerte Grube, den von außen zusehenden König (Nebukadnezar oder Cyrus) mit Gefolge, D. sitzend oder kniend zwischen zwei oder mehr Löwen. D. hält die Hände wie flehend empor, um Speise und Trank in Empfang zu nehmen, die ihm von dem aus einer Wolke hervorstürzenden Habakuk dargeboten werden. Meist erscheint auch der Engel, der Habakuk am Schopf herbeiführt. Frz. Jacobi hat eine ganze Reihe dieser Darstellungen abgebildet (Die dt. Buchmalerei in ihren stilistischen Entwicklungsphasen, München 1923, Abb. 24–30; s. auch Abb. 6).
V. Hohes und spätes MA
Die Monumentalmalerei des MA stellt neben den verschiedenen Bildern zum Buch D. die Vision, die Traumdeutung und die Löwengrube dar (Clemen, Roman. Mon. Mal. S. 829).
D. tritt aber auch als Einzelfigur, vor allem in der Reihe der Propheten, auf. Wohl die bedeutendste Ausprägung hat er so in einem der Glasfenster des Augsburger Domes vom A. 12. Jh. gefunden (Abb. 3). Als Gewändefigur in Prophetenreihen erscheint D. jugendlich, bartlos und in kurzem Gewand (Portale in Laon, Freiberg, Kaufbeuren). Als jugendlichen Gelehrten, schreibend, gibt auch Michelangelo D. in der Prophetenreihe der Sixtinischen Decke (Ch. de Tolnay, Michelangelo II, Princeton 1945, Abb. 63; Kopie der Zuccari-Schule im Pal. Sacchetti, Rom, Ebd. Abb. 332).
Der Bilderschmuck der Frühdrucke nimmt die Ikonographie des Buches D. wieder auf.
Als Autorenbild findet sich D. in einem Initial des Reutlinger Heiligenlebens von 1482 (Schramm, Frühdrucke IX 805).
Am Kopf des Buches D. wird zuweilen ein Initial mit der Löwengrubenszene und Nebukadnezar vor dem Feuerofen verwendet (Augsburger dt. Bibel des Günther Zainer von 1477, Nürnberger dt. Bibel des Joh. Sensenschmidt von ca. 1476–78; Schramm II 641; XVIII 270); doch beschränken sich diese deutschen Bibeln auf das Initial. Sehr eingehend in 18 Holzschnitten werden die Ereignisse des Buches D., besonders die Geschichte des Königs Nebukadnezar, behandelt in der „historij danielis“ in den Vier Historien, Bamberg 1462 bei Albr. Pfister (Schramm I 128–45); hier finden sich viele der Phantasie des Zeichners entstammende Bildmotive. Auch die Bibelillustrationen enthalten einiges: die Kölner Bibel des Heinr. Quentell von 1479 illustriert das Buch D. mit den Drei Jünglingen, der Vision D. von den vier Tieren, dem Kampf des Widders mit dem Bock (von Gabriel gedeutet), dem Urteil D. über die beiden Alten und der Errettung aus der Löwengrube (Ebd. VIII 449–53). Den gleichen Zyklus haben auch die Straßburger Bibel des Joh. Grüninger von 1485 (Ebd. XX 92–96) und die Lübecker Bibel des Steffen Arndes von 1494 (Ebd. XI 1039–43). Der Schatzbehalter (Nürnberg, Anton Koberger, 1491) gibt als 7. Figur die Visionen D. von den vier Weltreichen und vom Erscheinen des Heilands (Abb. 8), als 8. Figur die Klage der Babylonier gegen den – auf einem Turm oberhalb der Löwengrube betenden – D. (Schramm XVII 324). Die sonstigen D.-Illustrationen der Frühdrucke gehören meist dem Heilsspiegel und dem Spiegel menschl. Behaltnis an (Schramm II, IV, X, XVI, XXI u. a.).
Ausgehend von der schachtartigen Löwengrube (vielleicht auch in Zusammenhang mit der Beschreibung der verschiedenen Mineralien Dan. 2, 32–35?) ist D. im 15. und 16. Jh. in einigen Bergbaugebieten als Heiliger und Schutzpatron der Bergknappen verehrt und dargestellt worden; er trägt als solcher Bergmannstracht, Hammer und Erzstufe, dazu den Nimbus ([13]; vgl. ferner Gg. Schreiber, Apostel u. Evangelisten als Bergwerksinhaber, Rhein. Jb. f. Volkskunde 3, 1952, 145–68; Ders., Das Bergwerk in Recht, Liturgie und Volkskunde, Zs. d. Savigny-Stiftung f. Rechtsgesch., kanonist, Abt. 39, 1953, 362–418).
In der Pfarrkirche zu Schwaz, Tirol, ist der hl. D. in einem Glasfenster von A. 16. Jh. dargestellt, desgl. in einem Fresko des späteren 16. Jh. im Kreuzgang des dortigen Franziskanerklosters, Abb. bei [13]; in der Kirche St. Daniel am Kiechelberge in Auer, Südtirol, steht er in fürstlicher Tracht neben der Muttergottes im Hochaltar, während die Gemälde auf den Altarflügeln vier Szenen aus seinem Leben darstellen und in einem großen Fresko ausführlich die Löwengrubenszene erzählt ist: J. Weingartner, Die Kunstdenkmäler Südtirols III, 3, Wien-Augsburg 1929, S. 363 u. Abb. 64; das „Christliche Heldenbuch“, München 1629, stellt auf Bl. 1 r fest, daß „die Bergknappen S. Danielem“ verehren.
Das Patronat tritt häufiger im Ostschweizer und Tiroler Bergbau auf, vereinzelt aber auch im Schwarzwald, in Böhmen und Obersachsen; Carrara hat den hl. D. zum Schutzpatron. Seit dem 17. Jh. wird das Patronat dann durch die hl. Barbara verdrängt.
VI. Neuzeit
Seltener sind Darstellungen D. oder von Szenen aus dem Buch D. in der Neuzeit. Die gewaltige schreibende Prophetengestalt Michelangelos wurde schon genannt; Rubens hat sie in einer Zeichnung des Louvre kopiert (Nr. 20 233; Glück-Haberditzl Abb. 17). Einige Bildteppichfolgen, die jedoch nicht erhalten sind, beschäftigen sich mit der Geschichte D.
Um M. 16. Jh. befanden sich in Weimar mehrere D.-Teppiche unbekannter Herkunft (Göbel III, 2, S. 277, 281, 282). Eine Folge von sieben Behängen „D. und der Götze Bel“ wird in einem Dresdener Inventar von 1589 genannt (Ebd. S. 284). Die Manufaktur Helsingør schuf nach Entwürfen Hans Kniepers 1579 eine D.-Folge: Belsazar (1), Susanna (5), Löwengrubenerzählung (3) (Ebd. S. 227). Spätere D.-Teppiche sind nicht bekannt geworden.
Die Vernichtung des Bel und des Drachen hat Maarten van Heemskerck 1565 in einer Folge von 10 Stichen geschildert, die Hieronymus Cock herausbrachte und die verschiedentlich nachgestochen wurde (J. C. J. Bierens de Haan, L’oeuvre gravé de Cornelis Cort, Den Haag 1948, S. 42–44).
D. in der Löwengrube bleibt aber weiterhin das beliebteste Thema. Es dient nun, neben der Darstellung seines geistigen Inhalts, vor allem der Wiedergabe von Löwen in den mannigfaltigsten Stellungen und Ansichten. Rubens malte dies Motiv 1618 für Lord Dudley Carleton: D., ein jugendlicher, muskulöser Held, sitzt betend inmitten von neun Löwen (ehem. Hamilton Gallery; M. Rooses, L’oeuvre de P. P. Rubens, Antwerpen 1886, Taf. 40, S. 163f.; Wiederholungen s. [11] S. 260, Abb. 182; H. G. Evers, Rubens u. sein Werk, Brüssel 1943, S. 375).
Das Gemälde von D. Teniers d. J. im Schweriner Landes-Mus. (Inv. Nr. 1005; Replik in Aschaffenburg), dat. 1649, knüpft eng an die Komposition Rubens’ an und gibt 15 Löwen. Ein Phil. Uffenbach zugeschriebener Scheibenriß im Berliner Kk., 1. Dr. 17. Jh., gibt noch den herangeführten Habakuk mit seinem Speisentopf, ganz im alten ikonographischen Schema (Die graphischen Künste N.F. 7, 1942/43, S. 39 Abb. 6). Der Danziger Carl Borromäus Ruthart schuf 1665 ein Gemälde des D. in der Löwengrube (Abb. 9). Rembrandt hat die Szene nur in zwei Handzeichnungen behandelt (Kl.d.K. 31, S. 224f.). Dagegen zeigt er in einem Gemälde im K.F.M. die Vision des jungen D. vom Widder, die von dem Erzengel gedeutet wird (Kl.d.K. 23, S. 298; Vorzeichnung im Louvre, Kl.d.K. 31, S. 226). D. Vision von den vier Weltreichen gibt Rembrandt nur in einer Radierung von 1655 für ein Buch des Spaniers Manasse ben Israel wieder (Meister d. Graphik 8, Taf. 174). Die Traumdeutung vor Nebukadnezar und das Urteil über die beiden Alten zeigen zwei Handzeichnungen Rembrandts (Kl.d.K. 31, S. 223, 289).
Die Barockplastik hat die Einzelfigur des D. einige Male in ihre Programme aufgenommen: Peter Widerin nach Entwurf von Antonio Beduzzi am Hochaltar in Melk, 1727–35, wo der junge D. als Attribut einen ruhenden Löwen neben sich hat (Heinr. Decker, Barockplastik in den Alpenländern, Wien 1943, Abb. 292); Joh. Bapt. Straub am Sippenaltar der Ettaler Klosterkirche, 1762 (Abb. 10). Eine kleine Holzplastik in der Art des Joh. Hagenauer († 1807), wohl als Modell zu einer größeren Skulptur, zeigt den jungen D. im Gebet unter einem Feigenbaum sitzend (Wien, Barockmuseum; Kat. Haberditzl, 1923, Taf. 109). In der Reihe der großen Propheten erscheint D. mit dem Löwen z. B. in den Deckenbildern der Stiftsbibliothek zu Admont.
Zu den Abbildungen
1. Köln, Römisch-German. Mus., Inv. Nr. 991. Blaue Goldglasschale aus Köln-Braunsfeld. 1. H. 4. Jh., wohl 326 (vgl. Fr. Fremersdorf, Wallr.-Rich.-Jb. N.F. 1, 1930, 282–304). Etwa Orig.Größe. Phot. Bildarchiv Rhein. Mus. 29 900.
2. Bern, Histor. Mus., Inv. Nr. 16 677. Danielschnalle aus Daillens Kt. Waadt. Bronze, 6,5 × 10,3 cm. 7. Jh. Inschrift (berichtigt): „Vivit Dagnihil, duo leones pedes eius lingebant. Daidius“ (= es lebe Daniel, zwei Löwen leckten seine Füße. Daidius [Besitzername]). Phot. Stoedtner 191 347.
3. Augsburg, Dom, Glasfenster aus dem Prophetenzyklus. A. 12. Jh. Ca. 230 × 55 cm. Phot. Dt. Ver. f. Kw.
4. Worms, Dom, Annenkapelle. Daniel i. d. Löwengrube, Steinrelief, 95 cm h. E. 12. Jh. Phot. Walter Hege (DKV).
5. Darmstadt, Hess. Landesmus. Daniel vor Nebukadnezar, Glasfenster aus einem typolog. Zyklus aus der Ritterstiftskirche in Wimpfen im Tal. Um 1270–75. Phot. Verf.
6. Eßlingen a. N., Franziskanerkirche, Glasfenster. Daniel i. d. Löwengrube, von Habakuk gespeist, aus dem Armenbibelfenster. Um 1300–10. Phot. Landesbildstelle Württemberg 41 338.
7. München, St. Bibl., Clm. 146, fol. 15 v. Heilsspiegel-Hs. aus dem Johanniterhaus in Schlettstadt. Versuchung Christi; Daniel tötet den Drachen (noch zugehörig: David u. Goliath; David tötet den Bären u. Löwen). Federzeichnung auf Pergament, 14,4 × 19,3 cm. M. 14. Jh. Nach Lutz-Perdrizet, Spec. hum. salv., Mülhausen-Leipzig 1907, Taf. 25.
8. Holzschnitt aus dem Schatzbehalter, 7. Figur: Visionen Daniels. Entwurf von Michael Wolgemut; in Nürnberg, bei Anton Koberger, 1491 gedruckt. Nach Schramm, Frühdrucke XVII, Abb. 323.
9. Carl Borrom. Andr. Ruthart (1630 – nach 1703), Daniel i. d. Löwengrube. Ölgemälde auf Leinwand, 93,5 × 130,5 cm. Bez. u. dat. 1665. Ludwigsburg, Schloßgalerie L 165. Phot. Württ. Staatsgal. Stuttgart.
10. Joh. Bapt. Straub, Danielfigur vom Sippenaltar der Klosterkirche in Ettal. Holz, farblos gefaßt. 1757–62. Phot. Stoedtner 174 549.
Literatur
1. Gius. Wilpert, Il simbolismo eucaristico del cibo di Daniele nella fossa dei leoni, in: Rendiconti, Atti della Pontif. Accad. Romana di Archeologia 9, 1933 (1934), 89–94. – 2. Marius Besson, Un chapitre d’histoire de l’art barbare en Suisse, c) Le cycle de Daniel, in: Actes du Congrès 1936, Basel 1938, II S. 124–28. – 3. Herb. Kühn, Die Danielschnallen der Völkerwanderungszeit, IPEK, Jb. f. prähistor. u. ethnograph. Kunst 15/16, 1941/42, 140–69, Taf. 59–76. – 4. Gertrud Wacker, Die Ikonographie des Daniel in der Löwengrube, Diss. phil. Marburg (wird 1954 abgeschlossen). – 5. Peter H. Feist, Der Tierbezwinger. Strukturprobleme und Formenwanderung in der vor- und frühm.a. Kunst, Diss. phil. Halle (wird 1954 abgeschlossen; Nr. 4 und 5 konnten noch nicht benutzt werden).
6. Kraus I 342–44. – 7. Cabrol-Leclercq IV, 1, 221–48 (Daniel); XV, 2, 1742–52 (Susanne); ebd. 1805 (Symbolisme). – 8. Künstle I 308. – 9. Molsdorf. – 10. Buchberger III 144–47. – 11. B. Knipping, De iconografie van de contra-reformatie in de Nederlanden I, Hilversum 1939, S. 26 u. 260. – 12. J. J. M. Timmers, Symboliek en iconographie der christelijke kunst, Roermond-Maeseick 1947. – 13. Georg Schreiber, Daniel im Bergbau, „Der Anschnitt“, Zs. f. Kunst u. Kultur im Bergbau 5, 1953, 12f.
Verweise
Empfohlene Zitierweise: Feldbusch, Hans , Daniel, in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. III (1954), Sp. 1033–1049; in: RDK Labor, URL: <https://www.rdklabor.de/w/?oldid=92660> [04.04.2022]
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