Decius Mus

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englisch: Decius Mus; französisch: Decius Mus; italienisch: Decio Mure.


Edmund W. Braun (1954)

RDK III, 1121–1125


RDK III, 903, Abb. 3. Erhard Schön, 1531.
RDK III, 1121, Abb. 1. Nürnbergisch 15 21, Paris.
RDK III, 1123, Abb. 2. Erhard Schön, 1531.
RDK III, 1125, Abb. 3. Rubens, 1617.

I. Erzählung

Livius (VIII, Kap. 6 u. 9) und Valerius Max. (I, 7, 3 u. V, 6, 5) berichten von dem Opfertod des D.M. folgendes: D.M. sei, zusammen mit T. Manlius Torquatus, während des Latinerkrieges (340 v. Chr.) Konsul gewesen. Vor dem Beginn des Kampfes hätten beide Konsuln den gleichen Traum gehabt: in der kommenden Schlacht solle auf der einen Seite der Feldherr, auf der anderen das Heer den Göttern der Unterwelt verfallen sein; den Sieg erringe dasjenige Heer, dessen Feldherr sich, zusammen mit dem feindlichen Heer, dem Tode opfere. Als die am Morgen abgehaltene Opferschau den Traum bestätigte, verabredeten die Konsuln, das Unglück solle derjenige auf sich nehmen, dessen Flügel zuerst wiche; hiervon verständigten sie die Unterführer. In der Schlacht (am Vesuv), als der linke Flügel zu weichen begann, rief D.M. den Priester und weihte sich feierlich den unterirdischen Göttern; darauf schickte er die Liktoren zu T. Manlius, stürzte sich in die Mitte der Feinde und tötete eine große Zahl von ihnen, bis er selbst, von Geschossen bedeckt, den Tod fand. Hierdurch verbreitete sich unter den Feinden Furcht und Schrecken, und die Schlacht war den Römern gewonnen. – Die „Devotio“, der kennzeichnende Zug der Erzählung, fehlt bei Val. Max. (V, 6, 5). Sie war ein Gelöbnis mit feststehenden Riten, durch welche der Feldherr während des Kampfes sein Leben preisgab, um den unterirdischen Göttern damit das feindliche Heer zum Opfer zu bringen; nahmen die Götter das Opfer an, d. h. fiel der Betreffende, so waren sie zur Gegenleistung, zur Vernichtung des Feindes, verpflichtet (Fr. Lübker, Reallexikon d. klass. Altertums, Leipzig-Berlin 19148, S. 285; Pauly-Wissowa V 277–80).

Eine ähnliche Tat wird von dem gleichnamigen Sohn des D.M. aus der Schlacht von Sentinum gegen die Kelten (295 v. Chr.) berichtet; wahrscheinlich ist, daß die Erzählung vom Sohn auf den Vater übertragen wurde [1].

II. Darstellungen in der Renaissance

Dieses im Altertum sehr bekannte Beispiel von Vaterlandsliebe wurde in der Frührenaissance wieder aufgenommen und bekam in der „antikischen“ Ikonographie der Neuzeit seinen festen Platz. So erscheint es in den Wandgemälden der Sala de’ Giganti im Pal. Trinci zu Foligno (um 1424) in der Reihe der Uomini famosi, neben Mucius Scaevola, Curius Dentatus, Manlius Torquatus, Cincinnatus u. a. (Bollettino d’Arte 13, 1919, S. 163 u. Abb. 18).

Ebenso ist D.M. in die reichhaltige Gruppe der Gerechtigkeitsdarstellungen aufgenommen worden. Als Beispiel diene der Zyklus von zwölf Bildern, mit denen die Pfeiler zwischen den Fenstern des großen Nürnberger Rathaussaales geschmückt waren, und die um 1521 von Georg Pencz ausgeführt wurden.

Jede dieser gerahmten Darstellungen hatte eine Inschrifttafel; die vierte von ihnen lautete: „P. Decius diis se devotet in confertissi hostes ruens, quo morte spontanes victoriam suis obtineret“ (die Bilder wurden 1942 zerstört; Photos befinden sich im Nürnberger Stadtbauamt).

Zu den meisten der 12 Darstellungen des Nürnberger Rathaussaales gibt es Originalentwürfe oder Werkstattwiederholungen in verschiedenen Sammlungen. Für das D.M.-Fresko fand sich die zeichnerische Vorlage im Kk. des Louvre (Abb. 1; Inv. général des dessins des écoles du Nord: L. Dimier, Ecole allemande II, Nr. 412 Taf. 128). Die Darstellung ist als Einzelturniergang des Konsuls gegeben, der von rechts mit eingelegter Lanze auf eine Reihe ähnlich gewappneter Latiner einstürmt; im Hintergrund vollzieht sich die feierliche Devotio des D.M. Die Übereinstimmung mit dem Fresko ist groß.

Bisher unerkannt in seiner Bedeutung ist ein Zyklus von Holzschnitten Erhard Schöns aus dem Almanach des Sebald Busch, 1531 bei Friedrich Peypus in Nürnberg gedruckt, die einen populären, im Verhältnis zu den Originalfresken vereinfachten Führer zur Betrachtung der Wandgemälde darstellen (Geisberg, Einblattholzschnitt XXX, 32–33; Abb. 2; vgl. auch Sp. 904, Abb. 3). Die deutschen Übersetzungen der Inschriften erweisen die Abhängigkeit: „Pub. Decius hat sich den veinden in tod ergeben damit ehr aus willigem sterben den sig seinem hauffen erhielthe.“ Die Darstellung ist eine vereinfachte Wiedergabe des Gemäldes, bei der die mystische Hintergrundsszene wegfiel.

In den verschiedenen Illustrationen der Liviusausgaben und -übersetzungen des 16. Jh. finden sich zu den D.M. betreffenden Stellen Holzschnitte verwendet, die ein heftiges Kampfgewühl darstellen, und deren Stöcke übrigens auch zu anderen Kampfszenen unbedenklich wiederverwendet wurden.

So die deutsche Liviusausgabe, Straßburg bei Richel 1587, VIII, 14, zum Jahr der Stadt 415; desgl. „Neuwe Liuische Figuren“, Frankfurt a. M. 1563 mit Holzschnitten von Jost Amman nach Joh. Melchior Bocksberger, Blatt 37; D.M. ist hier keineswegs der Träger der Handlung. Nur der Zeichner des Holzschnitts der dt. Liviusübersetzung Mainz 1557 (fol. 557) hat sich bei seiner Fassung durch das Turnierschema der Penczschen Komposition beeinflussen lassen, wenngleich er im Hintergrund eine zweite Kampfszene wiedergibt.

Eine zweite Fassung, offenbar unabhängig von einem Archetypus Bocksbergers, schuf J. Amman in einem Holzschnitte des lateinischen Livius, Frankfurt a. M. 1568. Ob die von Becker vermutungsweise Amman zugeschriebene Radierung (C. Becker, Jobst Ammann, Leipzig 1854, S. 195, Nr. 101) D.M. darstellt, ist zweifelhaft, doch könnte auch hier das Penczsche Rathausbild nachwirken.

III. Rubens-Zyklus

Die künstlerisch vollendetste, dramatisch wahrhaftigste, zugleich auch die reichhaltigste Folge von Darstellungen zur Geschichte des D.M. hat Rubens geschaffen (Kl.d.K. S. 154 bis 159). Sie entstand 1617 unter Mitwirkung van Dycks als gemalte Vorlage für Bildteppiche, die im Auftrag von Genueser Edelleuten im Mai 1618 in Brüssel zuerst gewirkt wurden. Auf sechs Bilder, die sich heute in der Sammlung des Fürsten Liechtenstein befinden, ist die Erzählung verteilt: 1. D.M. erzählt den Offizieren seinen Traum; 2. die Opferschau; 3. die Todesweihe (Abb. 3); 4. D.M. schickt die Liktoren fort; 5. D.M. wird durch einen Lanzenstich im Kampf getötet; 6. das Leichenbegängnis.

Ein von Göbel (I, 1, S. 207) hinzugerechnetes 7. Bild „Errettung der Roma durch den vergöttlichten D.M. (Mars)“ stellt mit mehr Wahrscheinlichkeit Mars und Rhea Silvia dar (H. G. Evers, Rubens u. s. Werk, Brüssel 1943, S. 255–57). Göbel zählt ferner eine Darstellung „D.M. und Manlius ziehen in den Kampf gegen die Latiner aus“ (Teppich in Madrid, Göbel I, 1, S. 207) zur Folge.

Der Stecherkreis um Rubens hat für die graphische Weiterverbreitung gesorgt, aber auch noch im 18. Jh. haben die Wiener Stecher Josef u. Andr. Schmuzer, Adam Bartsch und Gust. Ad. Müller die Folge nachgestochen (M. Rooses, L’oeuvre de P. P. Rubens III, Taf. 217–22. Näheres über Vorzeichnungen u. dgl. Ebd. S. 195ff. und H. G. Evers, P. P.Rubens, München 1942, S. 180–86 und 492).

Die Kartons des Rubens-Zyklus leiteten eine neue Phase der Bildwirkerei ein (Göbel I, 1, S. 423). Es gibt im 17. Jh. zahlreiche Wiederholungen; vor allem sind zu nennen die Brüsseler Folgen des Jan Raes (Madrid; dt. Privatbes.), Franz v. d. Hecke (mindestens zweimal, verstreut), Jan van Leefdael und Geraert v. d. Strecken (Wien) (Göbel I, 1, S. 357, 390, 423; I, 2, Abb. 317). Außerhalb Brüssels ist die Folge offenbar nicht wiederholt worden.

Aus den gleichen dürftigen Quellen, Livius und Valerius Max., schöpfend wie seine Vorgänger, hat Rubens eine unübertrefflich reiche, von stärkstem Pathos erfüllte Darstellung römischer Größe geschaffen.

Auch dem Klassizismus lag das Motiv der Todesweihe für das Vaterland noch nahe. So stach der Hamburger Meno Haas 1810 die Szene nach einer Zeichnung von Joh. David Schubert (Berlin, Kk.).

Zu den Abbildungen

1. Paris, Louvre, Cabinet des estampes R.F. 5621, Kat. Nr. 412. Heldentod des Decius Mus. Federzeichnung auf braunem Papier, mit Gold gehöht. Dat. 1521, bez. m. falschem Dürermonogramm. Phot. Mus.

2. Erhard Schön (um 1491–1542), Holzschnitt aus einer Folge von 12 Gerechtigkeitsdarstellungen aus Sebald Buschs Almanach, Nürnberg b. Frdr. Peypus 1531. Nach Geisberg, Einblattholzschnitt XXX, 32.

3. P. P. Rubens, Todesweihe des Decius Mus. Ölbild aus einer Folge von 6 Gemälden (Bildteppichentwürfen) zur Geschichte des Decius Mus. 1617. Fürstl. Liechtensteinsche Kunstsammlungen (ehem. Wien, Liechtensteingalerie). Phot. Hanfstaengl, München.

Literatur

1. Pauly-Wissowa IV 2279–84 (Münzer).

Verweise