Demut

Aus RDK Labor
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englisch: Humility; französisch: Humilité; italienisch: Umiltà.


Friedrich Zoepfl (1954)

RDK III, 1251–1257


RDK III, 1251, Abb. 1. Namur, 2. H. 12. Jh.
RDK III, 1253, Abb. 2. Hortus deliciarum, E. 12. Jh.
RDK III, 1255, Abb. 3. Johann Bämler, 1474.
RDK III, 1255, Abb. 4. Cesare Ripa, 1603.

I. Begriff

D. (ahd. diomuotî, mhd. diemuot, dêmuot = Gesinnung des Dienenden) entspricht dem lateinischen humilitas. Sich in seiner Abhängigkeit von Gott erkennen, seine Kräfte und Leistungen nicht überschätzen, sich dienend anderen unterordnen – darin sieht die christliche Ethik das Wesen der D. In der Antike kaum gekannt, von Christus gefordert und vorgelebt (Mt. 11, 29), gilt D. als ausgesprochen christliche Tugend. Als Gegensatz zum Hochmut, der Wurzel aller Laster, erscheint sie geradezu als die Grundlage und „Behalterin“ aller Tugenden („custos virtutum“). Ihrer Bedeutung entsprechend wird sie gern den drei theologischen Tugenden beigesellt (Abb. 1). In der Scala coeli des Honorius Augustodunensis (Migne P. L. 172, 1240) erscheint sie auf der fünften Stufe der mystischen Himmelsleiter, bei Herrad von Landsberg auf der dritten der sieben Himmelsstufen. Bei der Wichtigkeit, die der D. im asketischen und besonders im klösterlichen Leben beigelegt wurde, sind Darstellungen der D. häufig. Zu unterscheiden ist zwischen Darstellungen der D. Christi, Mariä und des christlichen Menschen.

II. D. Christi

Christi D. wird gern bei Darstellung seines Leidens hervorgehoben. So erscheint die Humilitas in Frauengestalt bei Wiedergabe der Fußwaschung Petri auf einem Tympanonrelief aus dem ehemaligen Kreuzgang von St. Ulrich in Augsburg nach M. 13. Jh. (München, B.N.M. Inv. Nr. MA 119, z. Z. Leihgabe in den Städt. K.slgn. Augsburg). Auf einem flandrischen Teppich aus A. 16. Jh. [4, S. 421] begleiten Caritas und Humilitas den Herrn bei der Kreuztragung. Mit den anderen Tugenden Christi vollzieht die D. allegorisch seine Kreuzigung auf Miniaturen (Reliquienkästchen des Regensburger Domschatzes, um 1300; Braun, Reliquiare S. 621; Inv. Bayern II, 22, 1, S. 147 u. Abb. 78), auf Wandgemälden (Evang. Kirche in Mollwitz, Schles., 15. Jh.; Der Pionier 4, 1911/12, 75), Tafelgemälden (Doberan, Fronleichnamsaltar der ehem. Zisterzienserkirche, 14. Jh., [5] S. 201f.; Augsburg, Städt. K.slgn., aus St. Maximilian, A. 16. Jh. –Thoman Burgkmair zugeschrieben –, E. Buchner – K. Feuchtmayr, Beitr. z. Gesch. d. dt. K. II, S. 85–88), Glasgemälden (ehem. St. Salvator in München, um 1500, Inv. Bayern I, 2, S. 1015 u. Taf. 153 b; 1945 zerst.). Auf dem Augsburger Tafelbild und dem Münchner Glasgemälde schlägt D. mit einem Stock auf das dornengekrönte Haupt Christi ein. – Unter den Tugenden Christi, die aus seinem Kreuz als dem Lebensbaum sprossen, erscheint auch die „humilitas conversationis“ (Darmstädter Hs. des 14. Jh., Kraus-Sauer II, Abb. 192).

III. D. Mariä

Den Thron Salomons, den Maria einnimmt, umstehen die Tugenden, die sie geübt hat, darunter die Humilitas, die sie bei der Verkündigung gezeigt hat (Lk. 1, 38); so an der Ostwand des Nonnenchores im Dom zu Gurk, A. 13. Jh.; im Sommerrefektorium des ehemaligen Zisterzienserklosters Bebenhausen [2, S. 487]; am Giebel des mittleren Portals der Straßburger Westfassade.

IV. D. des christlichen Menschen

Die D. erscheint in der Regel unter den Tugenden, wenn sie – vielfach gewappnet und beritten – im Kampf gegen die ihnen widersprechenden Laster oder einfach im Gegensatz zu den Lastern gezeigt werden. Darstellungen des Tugenden- und Laster-Kampfes, der auf die Psychomachia des Prudentius (um 400 n. Chr.) zurückgeht, finden sich in der Portalplastik des 12./13. Jh. (Paris, Amiens, Chartres, Reims, Straßburg), in der Brunnenplastik (in Bronze auf dem nicht mehr erhaltenen Folcardusbrunnen bei St. Maximin in Trier), in der Goldschmiedekunst (Heribertusschrein in Deutz, 12./13.Jh.), in der Glasmalerei (Straßburger Münster, 13. Jh.), in der Buchmalerei (Hortus deliciarum der Herrad von Landsberg, E. 12. Jh.; Abb. 2), im Holzschnitt (Buch von den sieben Todsünden und den sieben Tugenden, Augsburg, Johannes Bämler, 1474; Abb. 3), auf Bildteppichen (Regensburg, Rathaus, E. 14. Jh.; [3]), auf den sog. Hansaschüsseln des 12./13. Jh. (z. B. München, B.N.M.). Im Hortus deliciarum führt die Humilitas in kriegerischer Rüstung die drei theologischen und die vier Kardinaltugenden im Kampf gegen die Laster an. In den ohne Beziehung auf die gegensätzlichen Laster dargestellten Tugendreihen hat die D. häufig eine ausgezeichnete Stellung. Auf der Rückseite des Reliquiars im Archäologischen Mus. zu Namur (2. H. 12, Jh.; Abb. 1; vgl. Braun, Reliquiare S. 295, 619), ebenso in Taddeo Gaddis Gewölbefresken der Baroncellikapelle von Sta. Croce in Florenz (M. 14. Jh.) ist die D. den drei theologischen Tugenden zugesellt; Taddeo Gaddi hat zudem diese vier Tugenden mit goldenen Nimben ausgezeichnet, während er den vier Kardinaltugenden blaue Nimben gibt. Im Figurenschmuck der Hansaschüsseln bildet mehrfach (München, Lund, Budapest) die D. den Mittelpunkt, den die drei theologischen Tugenden und die Patientia umgeben (A. C. Kisa in Zs. f. chr. Kst. 18, 1905, 227–36, 293–300, 365–78). In ihrer Verwandtschaft mit der Armut im Geiste zeigt die D. ein Sockelemail des Alexanderreliquiars von Godefr. von Huy, 1145 (Brüssel, Mus. du Cinquant. Nr. 1031); die Humilitas erscheint als jugendliche Frau in Halbfigur mit erhobener Rechten, dabei das Spruchband „Beati pauperes spiritu“ (ein Spruchband „Beo“ trägt die Gestalt der D., die dem David bei der Salbung durch Samuel in einer Regensburger Hs. die Krone aufsetzt; A. Boeckler, Regensb.-Prüfening. Buchm. Taf. 16).

V. D. als Grundtugend

Als Grundtugend wird die D., außer in den vorgenannten Fällen, besonders hervorgehoben in den Darstellungen des Tugendbaumes, der dem Lasterbaum entgegengestellt wird. Während der Lasterbaum aus dem Haupt der (bekrönten) Superbia entspringt und auf seiner Spitze den gefallenen ersten Adam zeigt, wächst der Tugendbaum aus dem Haupt der ungekrönten Humilitas und trägt auf seiner Spitze den die Sünde und den Tod überwindenden zweiten Adam (Leipzig, U. B. cod. ms. 305, 12. Jh.; RDK I 164, Abb. 7).

VI. Darstellung und Kennzeichen

Wie die übrigen Tugenden, wird auch D. gewöhnlich als Frau dargestellt. Auf dem Scheibenkreuz in Namur (Abb. 1) erscheint sie, wie die drei theologischen Tugenden, geflügelt und nimbiert, in der Rechten ein Kreuz, in der Linken die Inschriftscheibe. Im Streit gegen die Laster ist sie voll gerüstet (Abb. 2) oder nur leicht gewappnet (Teppich in Regensburg, [3] Taf. 112; Holzschnitt bei Bämler, Abb. 3); ihr Schild zeigt den Erzengel Michael oder zwei Leitern (wer auf der Leiter der D. unter sich herabsteigt, darf auf der anderen Leiter wieder emporsteigen); auf der Fahne trägt sie das kreuztragende Christkind (D. beugt sich unter das Kreuz Christi) oder den Greifen (wie der Greif die Berge hütet, in denen Gold und Edelsteine liegen, so ist D. die Hüterin der Tugenden); ihr Helmkleinod ist ein Busch roter Blüten (Regensburg) oder ein Kranz von Weinreben als Sinnbild der der D. unentbehrlichen Temperantia (Abb. 3). Das Reittier der D. ist der Panther (wie der Panther durch seinen süßen Atem die anderen Tiere anlockt, so zieht D. die Menschen zu anderen Tugenden; Archiv f. Kunde österr. Geschichtsquellen 5, 1850, 589). Weitere Attribute der D. sind die Taube (nach Mt. 10, 16), das Lamm, die Zeder („quasi cedrus exaltata in Libanon“, Sirach 24, 17), ein Netz mit Fischen oder Vögeln (die „minores“, die Bescheidenen entschlüpfen dem Netz des Teufels, während die „superbi, avari, divites“ sich darin verfangen) [5; 6].

Bei Cesare Ripa (Iconologia, Rom 1603) erscheint die Humiltà als „Donna vestita di colore berettino, con le braccie in croce al petto, tenendo con l’una delle mani una palla, et una cinta al collo, la testa china, et sotto in piè destro haurà una corona d’oro“ (Abb. 4; einige Beispiele zur Verwendung dieses Vorbildes nennt Erna Mandowsky, Untersuchungen zur Iconologie des Cesare Ripa, Diss. Hamburg 1934, S. 75f.). Andere Kennzeichen der D. sind bei Ripa: ein Lamm im Arm, ein Kleid aus Sackleinen, eine Brottasche in der Hand; ihr Fuß zertritt auch eine Schlange, die einen zerbrochenen Spiegel umschlingt. Die spätere Emblematik, z. B. Filippo Picinello (Mondo simbolico etc., Mailand 1635), führt zahlreiche Dinge aus der belebten und unbelebten Natur, auch geschichtliche Persönlichkeiten an, mit denen das Wesen der D. gekennzeichnet werden kann; die Beziehungen der angeführten Gegenstände zur D. sind allerdings meist recht gezwungen.

Auch in die Symbolik des Kirchengebäudes ist die D. einbezogen. Die D. des Menschen versinnbildlicht sich im Fußboden, in den niedrigen Chorschranken, im Glockenseil, die D. Christi in den Karfreitagsklappern, im Korporale, im Hyssopstengel [4].

Zu den Abbildungen

1. Namur, Archäologisches Mus. Scheibenreliquiar, Rückseite. Kupfer, vergoldet und graviert. 2. H. 12. Jh. Phot. unbekannt (Kh. Inst. Bonn).

2. Hortus deliciarum, fol. 200. Die Demut und ihr Gefolge (Gegenbild: die Hoffart, RDK I 1064, Abb. 2). Ende 12. Jh. Nach E. Straub – G. Keller Taf. 32.

3. Johann Bämler, Die sieben Todsünden und die sieben Tugenden, Augsburg 1474. Holzschnitt. Nach Rich. Muther, Die dt. Bücherillustration der Gotik usw. II, München-Leipzig 1884, Taf. 17.

4. Cesare Ripa, Iconologia, 1603. Humiltà, Holzschnitt. Phot. RDK nach der Ausg. Venedig 1645, S. 267.

Literatur

1. Bergner S. 520f.; 579–81. – 2. Beissel, Marienverehrung I, S. 484–89. – 3. Frdr. v. d. Leyen und Ad. Spamer, Die altdt. Wandteppiche im Regensburger Rathause, in: Das Rathaus zu Regensburg, Regensburg 1910, S. 105–118. – 4. Sauer S. 233–46; 414–22. – 5. Molsdorf S. 138f.; 201f.; 211; 217. – 6. Künstle I, S. 122; 156–67. – 7. Buchberger III, S. 206f. („Demut“, W. Rauch); X, S. 328 („Tugend“, J. Sauer). – 8. Osc. Doering, Christl. Symbole, Freiburg Br. 19402, S. 108–111. – 9. A. Anwander, Wörterbuch der Religion, Würzburg 1948, S. 58. – 10. Eug. Droulers, Dictionnaire des attributs, allégories, emblèmes et symboles, Turnhout 1950, S. 101f.

Verweise