Deukalion und Pyrrha

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englisch: Deucalion and Pyrrha; französisch: Deucalion et Pyrrha; italienisch: Deucalione e Pirra.


Edmund W. Braun (1954)

RDK III, 1297–1304


RDK III, 1297, Abb. 1. Virgil Solis nach Bernard Salomon, 1563.
RDK III, 1301, Abb. 2. Paul van Vianen, um 1596-98, München.

(D. = Deukalion, P. = Pyrrha).

I. Die Sage

D., der Sohn des Prometheus, ist durch seinen ältesten Sohn Hellen der mythische Stammvater der Hellenen. Er und seine Gattin P., die Tochter des Epimetheus, waren wegen ihrer Frömmigkeit die einzigen Menschen, welche der großen Flut entrannen, indem sich D. auf Prometheus’ Rat einen Kasten baute, der die beiden nach einer Fahrt von 9 Tagen und Nächten endlich am Othrys (Thessalien) oder am Parnaß (Phokis) wieder aufs Land setzte. Hier opferte D. am Altar der Göttin Themis, um zu erfahren, wie er und P. das Menschengeschlecht wieder herstellen könnten. Die Göttin gebot ihnen, das Haupt zu verschleiern, den Gürtel zu lösen und die Gebeine ihrer Mutter hinter ihren Rücken zu werfen. D. fand nach langem Nachdenken die Lösung der rätselhaften Worte: daß die große Mutter nur die Erde sein könne, deren Steine sie hinter sich werfen sollten. D. und P. taten nach der göttlichen Weisung. Da geschah das Wunder, daß die Steine ihre Härte verloren, wuchsen und Menschengestalt annahmen: was feucht und erdig war, wurde zu Fleisch, das Feste zu Knochen, die Gesteinsadern zu Adern. Die von D. geworfenen Steine wurden so zu Männern, die von P. geworfenen zu Frauen.

Die griechische Wasserflut, die Zeus zur Vernichtung des „ehernen Geschlechts“ der Menschen beschlossen und in einer großen Götterversammlung kundgetan hatte, ist ein Teil jener über die ganze Erde verbreiteten Flutsage (Rich. Andree, Die Flutsagen, Braunschweig 1891), in deren Zusammenhang auch die Sintflut gehört. Bei den antiken Autoren erscheint sie in einigen Varianten [1; 2]. Am bekanntesten wurde die Erzählung in der Fassung, in der sie Ovid (Metam. I, 260–415) überliefert und wie sie oben skizziert wurde. Auch Apollodor (Bibl. I, 7, 2; 1. Jh. n. Chr.), dessen Fassung auf Strabo (VIII, 383) überging, fußt auf Ovid, ebenso wie noch Boccaccio, der in der Genealogia deorum (I, Kap. 47; Neuausg. von Vinc. Romano, Bari 1951, I S. 264f.) Ovid als Quelle angibt. Auch der im späten MA oft gedruckte Hyginus hat den Mythus in seinen Fabulae behandelt.

II. Darstellungen

Fast alle bildlichen Darstellungen halten sich – mehr oder weniger eng – an die Erzählung in den Metamorphosen, und die Illustrationen bleiben auch meist bei Ovids Dreiteilung:

1) der Götterversammlung im Olymp, bei welcher der Untergang des Menschengeschlechts beschlossen wurde, 2) der Sintflut („deukalionischen Flut“) selbst, bei welcher Neptun mit dem Dreizack auf seinem Hippokampenwagen durch die von Toten und Ertrinkenden erfüllten Fluten fährt, und 3) der wunderbaren Neuschöpfung der Menschen durch die Tat D. und P.

Die älteste bekannte Erwähnung einer Darstellung des Mythus im Mittelalter findet sich um die Wende des 11. Jh.: Abt Baudri de Bourgueil beschreibt ein vornehmes Frauengemach mit den dort aufgehängten Wandteppichen, unter denen sich auch einer mit der Darstellung der Erzählung von D. und P. befand (Kurth, Bildteppiche I, S. 19 Anm. 8).

In der Gothaer Hs. des Ovide moralisé (Cod. Gothanus membr. I. 98, Moralitates magistri Thome de Anglia super libros metamorphoseos) sieht man in einer Miniatur D. und P. betend vor dem heranschwebenden Jupiter in der oberen Bildhälfte, in der Mitte eine breite Wasserflut, während unten D. und P. die Steine hinter sich werfen; um sie herum stehen kleine Menschen, und zwar hinter D. (links) Männer, hinter P. (rechts) Frauen. Im Text heißt es dazu: „decaulio cum uxore sua“, später aber richtig „deucalion“. – Im Ovide moralisé der Bibl. de l’Arsenal in Paris (ms. 5069, französisch 14. Jh.) findet sich auf fol. 1 ein Bild von D. und P. im Schiff während der Flut; auf fol. 1 v ist dann das Menschenwunder dargestellt. – In der etwa gleichzeitigen Hs. in Lyon (Bibl. de la ville, ms. 742) ist die Darstellung die gleiche (frdl. Mitt. des Warburg Institute, London).

Im gedruckten Ovide moralisé des Colard Mansion, Brügge 1484, ist die Neuschöpfung der Menschen mit zwei anderen Darstellungen verbunden: zunächst, in typologischer Auffassung, mit dem Sturz der Engel und dann mit dem Bild des Schreibers des Manuskriptes (M. D. Henkel, De houtsneden van Mansion’s Ovide moralisé Bruges 1484, Amsterdam 1922, Taf. 3). Zwischen den Bildern des Schreibers (links) und des Engelsturzes (rechts) schreiten – auf einem Wege längs des Schreiberhauses – D. und P. in zeitgenössischer Tracht, Steine rückwärts werfend, während hinter ihnen am Boden ein Mann und ein Weib, beide nackt, sitzen.

Die populärsten Ovidillustrationen des 16. Jh. waren die Holzschnitte von Bernard Salomon in den Lyoner Ovidausgaben von 1557 (franz.) und 1559 (ital.). Salomon konnte dabei für die drei ersten Bücher – darunter auch für den D. und P.-Holzschnitt – z.T. die anonymen Holzschnittillustrationen der kurz zuvor erschienenen Lyoner Ovidausgabe von 1556 als Vorbild benutzen [4, S. 76–78]. Virgil Solis hat dann die Holzschnitte Salomons für die lateinisch-deutsche Ovidausgabe des Joh. Posthius, Frankfurt a. M. 1563, im Gegensinne kopiert (Abb. 1). Auf fol. 7 ist die verhängnisvolle Götterversammlung wiedergegeben, die in dieser oder anderer Form zu den beliebtesten mythologischen Darstellungen der Hochrenaissance und des Manierismus gehörte. Der Sintflut selbst sind zwei Holzschnitte gewidmet: auf fol. 9 das verzweifelte Ringen der Menschheit um Rettung; nackte Menschen erklettern Bäume und Berge, während im Hintergrund auf dem Wasser das Schiff des D. schwimmt; fol. 10 zeigt Neptun mit dem Dreizack, auf seinem Hippokampenwagen durch die Wasserwogen fahrend; alles Menschliche ist tot, nur muschelblasende Tritone beleben das Wasser, während auf dem hohen Berg im Hintergrund das Schiff liegt, vor dem die kleinen Gestalten des übriggebliebenen Menschenpaares stehen. Den Abschluß des Zyklus bildet dann auf fol. 11 die Neuschöpfung der Menschen (Abb. 1): links knien im Hintergrunde D. und P. betend in einem Rundtempel vor der Themisstatue; rechts vorn schreiten sie verhüllten Hauptes mit Steinen, während links aus den geworfenen Steinen Menschlein werden.

Diese Fassung des Motivs ist im 16. Jh. öfters wiederholt worden. Die Malerei des Manierismus schätzte besonders die Sintflut mit den Rettungsversuchen der Menschen auf Bäumen und Bergen, welche zu einer Fülle pathetischer Bewegungsmotive Anlaß boten. So zeigt in dem vielfigurigen und mächtig bewegten Bild des Joachim Ant. Wtewael, um 1590, im G. N. M. Nürnberg (Nr. 1212; Kat. Lutze-Wiegand, 1937, S. 194 u. Abb. 407) die Komposition deutlich feststellbare Beeinflussung durch die Salomonsche Fassung. – Auch die große getriebene Silberschüssel der Münchner Schatzkammer in der Residenz (Abb. 2), mit der Gigantomachie als Gegenstück (Kat. 1931 Nr. 133/34), die O. v. Falke ohne Grund dem Augsburger Goldschmied Paul Hübner zuschrieb, kombiniert Teile aus der Götterversammlung und dem Neptunholzschnitt. Die Schüssel ist, wie die Randornamentik beweist, keine deutsche Arbeit, sondern wird von dem 1596–1603 in München arbeitenden Paul van Vianen aus Utrecht stammen, wie schon Heinr. Modern (Jb. Kaiserh. 15, 1894, 83f.) erkannte und Rud. Berliner (Oud Holland 51, 1934, 230) begründete. Die Schüsseln sind bereits im Inventar der Schatzkammer von 1598 genannt („Auf dem einen ist das diluvium Deucalionis, oben darauf die haydnische götter in gewölch“).

Schon vor Solis hatte Johann Bocksberger in den Deckenfresken der Landshuter Residenz 1542 das D. und P.-Thema in einer mehrszenigen Darstellung behandelt, die aber verloren ist (Max Goering, Münchner Jb. N. F. 7, 1930, 277f.).

In Italien erscheint die Darstellung des D. und P.-Mythus auch außerhalb der Ovid-Hss. bereits mehrfach im 15. Jh.

So auf dem linken Flügel der Bronzetür von St. Peter in Rom, 1433–45 von Ant. Averlino gen. Filarete (Bruno Sauer, Rep. f. Kw. 20, 1897, S. 2f.), und zwar in der Form des Steinewerfens. Ebenso in der bekannten Florentiner Bilderchronik aus dem Kreise des Maso Finiguerra im B. M., London (P. Schubring, Cassoni, Leipzig 1923, S. 63). Auch in dem vielseitigen mythologischen Inventar der Cassoni der ital. Renaissance kommt das Motiv vor, z. B. auf einem Brett der Slg. Guggenheim, Venedig, von der Hand des geistvollen Erzählers Nicc. Giolfino (Schubring a. a. O. Taf. CL, Abb. 689; wohl identisch mit dem Cassonebild gleichen Inhalts von Giolfino in der Nat. Gall. in Washington); das Thema ist hier ins Novellistische gewandelt: spielerisch aufgefaßte nackte Putten, die aus den Steinen entstanden, blicken erstaunt auf das seltsame Tun der Erwachsenen. Ein weiteres Cassonebild in der Slg. Horne in Florenz, von Domen. Beccafumi (P. Schubring, Zs. f. bild. K. 59, 1925/26, 164), zeigt links die fast nackten Gestalten von D. und P., während die größere rechte Bildhälfte ein Renaissancemotiv von packendem Reiz einnimmt: in feierlicher Stille – im stärksten Kontrast zu der Bewegung links – stehen, sitzen und liegen nackte Menschen der verschiedensten Größe, teils erst aus den Steinen als Kinder herauswachsend, teils bereits Jünglinge oder Jungfrauen; alle sehen gebannt auf das sich vor ihnen vollziehende Wunder. Auf einem Cassonebild des Andrea Meldolla gen. Schiavone in der Akademie in Venedig (Nr. 713; Jb. Kaiserh. 31, 1913, S. 198 Abb. 76) finden sich die soeben geschaffenen Menschen bereits paarweise zusammen. – In dem Zyklus von Wandbildern für eine Täfelung, den Giorgione nach dem Zeugnis von Ridolfi geschaffen hat, befand sich ebenfalls die Szene der Neuschöpfung der Menschen (Carlo Ridolfi, Maraviglie dell’Arte, Venedig 1648, ed. D. v. Hadeln I, Berlin 1914, S. 98). Ebenso ist sie unter den Fresken von Bald. Peruzzi in der Farnesina, 1511. Im Museum zu Lille befindet sich eine Zeichnung des Motivs unter einer Reihe von mythologischen Darstellungen des Signorellischülers Jacopo da Bologna, 1516 (Schubring, Cassoni, S. 191f.).

Die Ovidausgaben des 17. Jh. führen das Thema in der gewohnten Weise weiter, indem sie die Götterversammlung, die deukalionische Flut und die Neuerschaffung der Menschen darstellen (siehe hierzu [4]). Noch 1732 wiederholt Bernard Picart die Kupferstiche der Brüsseler Ovidausgabe von 1672 (E. W. Bredt, Der Götter Verwandlungen [= Bilderschatz zur Weltliteratur 1], Bd. I, München o. J., S. 28). Drei Stiche im 5. Band der 2. Ausg. von J. v. Sandrarts „Teutscher Academie“, Nürnberg 1772, mit den gleichen Darstellungen (Nr. 5, 6 und 7), seien noch erwähnt, weil sie deutlich das Nachleben der Salomonschen Komposition erkennen lassen (besonders im Sintflutbild mit der beherrschenden Neptungestalt in der Mitte). Auch die Kupferstiche zu „Ovids Verwandlungen, hsrg. von einer Gesellschaft“ usw., Wien 1791 (I, Taf. 11), die offenbar auf französische Vorlagen des 18. Jh. zurückgehen, stehen der Fassung Salomons noch nahe.

Von Rubens besitzt der Prado aus der Slg. der Herzogin von Pastrana eine Originalölskizze auf Holz (25 × 17 cm) mit D. und P., die im Schreiten Steine hinter sich werfen, aus denen Menschen werden (Kat. 1949, Nr. 2041). Der Entwurf entstand 1638 für ein verlorenes Gemälde von Jan Cossiers für die Torre de la Parada in El Pardo bei Madrid. – Eine Kopie nach einem ebenfalls verlorenen Rubensbild (91 × 169 cm), wahrscheinlich von Juan Bautista Martinez del Mazo gemalt, war bis 1878 ebenfalls im Prado ausgestellt (Kat. 1878 Nr. 1638; Max Rooses, L’oeuvre de P. P. Rubens III, Antwerpen 1890, Nr. 515). Aus den von D. und P. geworfenen Steinen entstehen drei nackte Menschen, ein Mann und zwei Frauen.

Auf Bildteppichen ist das Motiv später nicht nachgewiesen. Ebensowenig sind italienische Majolikaschüsseln mit Darstellungen des Mythus bekanntgeworden, obwohl Schubring (Cassoni S. 213) solche erwähnt; da Stoffe aus der antiken Mythologie besonders beliebte Themen der Bottegen waren, liegt die Annahme nahe, daß auch D. und P. zu ihnen gehörten.

Zu den Abbildungen

1. Virgil Solis nach Bernard Salomon, Holzschnitt aus Ovids Metamorphosen, Frankfurt a. M. bei Sigm. Feyerabend 1563, Blatt 11. Phot. G.N.M.

2. Paul van Vianen, Schüssel mit Darstellung der deukalionischen Flut. Silber, vergoldet, mit Treibarbeit, Dm. 57 cm. Um 1596–98. München, Schatzkammer der Residenz, Kat. Nr. 133. Phot. Mus.

Literatur

1. Roscher I 994–98 (v. Sybel). – 2. Pauly-Wissowa V 261–76 (Tümpel). – 3. Frdr. Lübker, Reallexikon des klass. Altertums, Leipzig-Berlin 19148, S. 285. – 4. M. D. Henkel, Illustrierte Ausgaben von Ovids Metamorphosen im 15., 16. und 17. Jh., Vortr. d. Bibl. Warburg 1926/27, Berlin-Leipzig 1930, S. 58–144.

Verweise