Dialog

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englisch: Dialogue; französisch: Dialogue; italienisch: Dialogo.


Elisabeth Rosenbaum (1954)

RDK III, 1400–1408


RDK III, 771, Abb. 1. München, A. 13. Jh.
RDK III, 1397, Abb. 7. München, A. 13. Jh.
RDK III, 1403, Abb. 1. Wien, E. 12. Jh.
RDK III, 1403, Abb. 2. Wien, E. 12. Jh.
RDK III, 1405, Abb. 3. Quedlinburg, 10. Jh. und E. 12. Jh.
RDK III, 1405, Abb. 4. Wien, 2. H. 14. Jh.
RDK III, 1407, Abb. 5. Basel, 1526.

I. Begriffsbestimmung; D. und Disputation

Unter D. (vom griech. Verbum διαλέγεσϑαι sich unterhalten) versteht man in der Kunst wie im Sprachgebrauch im weiteren Sinne jedes Gespräch; in der bildenden Kunst wird es anschaulich gemacht durch die Hinwendung der Personen zueinander, durch bestimmte Gesten, und häufig verdeutlicht durch Spruchbänder. Obwohl im Wort D. selbst kein Hinweis auf die Anzahl der beteiligten Personen gegeben ist, hat man sich daran gewöhnt, den Begriff D. vorwiegend auf das Zwiegespräch anzuwenden, während für eine Gruppendebatte meist der Begriff Disputation gewählt wird.

Entsprechend der literarischen Gattung des D. als Form für das philosophische Gespräch definiert Saxl [1] als D. im eigentlichen Sinne die Darstellung eines Gespräches über geistige Dinge, das durch keinerlei Handlung oder bestimmte Zielsetzung veranlaßt ist. Es erscheint gerechtfertigt, den Saxlschen Terminus D. auch auf die Darstellungen von Gelehrtenversammlungen und deren Übertragung in die religiöse Ikonographie anzuwenden. Nur solche sind für die Geschichte der m.a. D.-Darstellungen in diesem prägnanten Sinne bedeutend, nicht aber Darstellungen von Gesprächen, die durch einen konkreten Anlaß bedingt sind, wie z. B. im profanen Bereich Illustrationen von Dramen (Terenz), Epen und Romanen oder Darstellungen von Liebespaaren, in der religiösen Kunst z. B. die Verkündigung, Christus und die Samariterin, der zwölfjährige Jesus im Tempel. Unbeachtet in diesem Zusammenhange bleiben ferner Darstellungen, in denen die D.-Form lediglich als Kompositionsmittel gewählt ist, wie z. B. im Abendmahl, im Himmelfahrts- und Pfingstbild, im Marientod und in der Marienkrönung.

II. Entstehung in der christlichen Antike

Die klassische griechische Kunst kennt D.-Darstellungen nicht. Ausgangspunkt für die frühchristliche Formung des Dialogs sind die hellenistisch-römischen Darstellungen von Philosophen, Dichtern und Musen im Gespräch über ihre Kunst und Wissenschaft. Die spätantike Kunst schuf die Bildtypen für beide Arten des geistigen Gespräches, die für die m.a. Kunst verbindlich blieben. Beispiele für den profanen D. zeigt die Wiener Dioskurides-Hs. des 6. Jh.; der religiöse D. findet sich auf zahlreichen Goldgläsern mit Petrus und Paulus, in Katakombenmalereien und vor allem auf Sarkophagen mit Christus inmitten der Apostel (Einzelbeispiele bei [1] u. [2]). Der antike Redegestus hat sich im wesentlichen in unveränderter Form in den m.a. Darstellungen erhalten.

III. Mittelalter

Im MA wird der D. zum Bildtypus für „Wissenschaft“, speziell für „Philosophie“; er wird in diesem Sinne (entsprechend der altchristlichen Auffassung der Apostel als wahre, d. h. christliche Philosophen) mit Vorliebe für Darstellungen der Apostel und Propheten verwendet.

Zu den frühesten m.a. profanen D.-Darstellungen gehört das Widmungsbild der verschollenen karolingischen Hs. der Vita Eigilis aus Fulda (Brower, Antiquitatum Fuldensium Libri IV, Antwerpen 1612, S. 170) und eine Miniatur in der Hrabanus-Maurus-Hs. in Montecassino vom Jahre 1056 (Ms. 132; [1] Abb. 42). In einer österreichischen oder süddeutschen Hs. vom E. 12. Jh. sind in einer Miniatur zu Guido von Arezzo’s „Micrologus de disciplina artis musicae“ Guido und Bischof Theodaldus von Arezzo im Dialog dargestellt (Abb. 1; Beschr. Verz. N.F. Bd. II, S. 263, Fig. 155). Hier ist der Gegenstand des wissenschaftlichen Gespräches durch die Zeichnung eines Monochords angegeben. Eine Hs. aus Göttweig um 1200 zeigt als Illustration zu Thomas’ von Canterbury „Liber de veritate sub dialogo editus“ den Bischof als Magister und einen Kleriker als Discipulus im Gespräch (Wien, Nat. Bibl., Cod. 984, f. 33, Initial Q; Beschr. Verz. N.F. Bd. II, Fig. 200). In Darstellungen von bestimmten Denkern im D. wird ihre spezielle Wissenschaft oder Philosophie häufig auf Spruchbändern angedeutet, so z. B. in einem Fresko aus einem Privathaus bei St. Aposteln in Köln mit Boëthius und Martianus Capella (in Kopie erhalten; Clemen, Roman. Mon. Mal. S. 520ff., Taf. 35) oder in dem Aldersbacher Codex (Clm. 2599, A. 13. Jh.), in dem römische Dichter und Denker im D. oder diese im D. mit Personifikationen der Wissenschaften, unter Arkaden oder in rechteckiger Umrahmung, dargestellt sind (s. auch Sp. 1397, Abb. 7; Sp. 771, Abb. 1). Die Wiener Hs. aus dem Besitz König Wenzels von Böhmen (Wien, Nat. Bibl. Cod. 2352) mit den alfonsinischen Sterntafeln von 1392 und 1393 zeigt auf fol. 1 in einem Initial zwei Astronomen im D. (Stange II, Abb. 45). Im ehem. Reichenauer Klosterhof in Ulm finden sich Fresken mit je zwei weisen Meistern mit Spruchbändern im D. (nach 1380, Stange II, Abb. 255 bis 256). Das Gruppengespräch nach Art der Wiener Dioskuridesminiaturen ist erhalten im Fuldaer Agrimensorencodex in der Vatikanischen Bibliothek, dessen Miniaturen antike Vorbilder ziemlich getreu widerspiegeln (Pal. lat. 1564, f. 3; Goldschmidt, Dt. Buchmalerei I, Taf. 16). Beispiele des 14. Jh. bietet ferner das Losbuch im Wiener Kh. Mus., das auf zwei Miniaturen je eine Gruppe von disputierenden antiken Gelehrten und a.t. Weisen in Verbindung zu den Planeten zeigt (Abb. 4).

In der religiösen Kunst sind besonders häufig Apostel und Propheten im D. dargestellt. Der sog. Reliquienkasten Ottos I. in Quedlinburg mit den Tierkreisaposteln zeigt die Apostel einzeln in Arkaden, paarweise im D. einander zugewendet (Abb. 3; Goldschmidt, Elfenbeinskulpt. I, Nr. 58). Das Basler Apostelrelief von c. 1060 schließt sich besonders eng an altchristliche Sarkophagkompositionen an. Der Halberstädter Teppich mit Christus und den zwölf Aposteln stellt die Apostel im D. mit Spruchbändern, auf denen ihre Namen stehen, sitzend dar (Kurth, Bildteppiche II, Taf. 8/9). Im Siegburger Psalterium in Wien vom E. 12. Jh. sind Petrus und Paulus im D. dargestellt (Abb. 2), daneben auch Paare von männlichen und weiblichen Heiligen (Wien, Nat. Bibl., Cod. 1879, f. 9 v., 10, 10 v; Beschr. Verz. N.F. Bd. II, Taf. 13f.). Die Apostel- und Prophetenfiguren der Bamberger Chorschranken bezeichnen den Höhepunkt der m.a. geistlichen D.-Darstellung. Von den überaus zahlreichen Darstellungen von Aposteln und Propheten im D. in der Malerei und Plastik des 13. und 14. Jh. können nur wenige Beispiele genannt werden. In einer Miniatur im Merseburger Domarchiv umrahmen Halbfiguren von je zwei Propheten, Königen des A.T. und Aposteln einen mittleren Bildstreifen (13. Jh.; Stange, Münchener Jb. N.F. 6, 1929, S. 328f., Abb. 16). Auf einer Tafel des frühen 14. Jh. im Wallr.-Rich.-Mus. Köln sind die disputierenden Apostel einzeln unter Arkaden dargestellt (Stange I, Abb. 33). Die Propheten der Nürnberger Teppiche im G.N.M. und in Wien, Slg. List, sind in besonders lebhaftem D. gegeben. Ihre Spruchbänder haben auf die Redetechnik bezügliche Texte (Kurth, Bildteppiche III, Taf. 240–242). Eine böhmische Handzeichnung der 2. H. 14. Jh. in Erlangen zeigt einen Propheten und einen Astronomen im D. (Stange II, Abb. 34), eine andere gleichzeitige böhmische Zeichnung, ebenfalls in Erlangen, Sibylle und Prophet (E. Bock, Zeichn. in d. U.B. Erlangen, Taf. 2). Beliebt ist auch die Darstellung der beiden Johannes im D. (z. B. Berlin, Slg. Fuld; Stange I, Abb. 114).

Einen Sondertypus stellen die D. von Aposteln und Propheten dar, bei denen die den einzelnen Aposteln zugeteilten Artikel des Glaubensbekenntnisses auf Spruchbändern oder in Unterschriften beigegeben sind, wie z. B. die Apostel der Predella des Hochaltars der Osnabrücker Marienkirche (14. Jh.; Stange III, Abb. 54, 56, vgl. auch Th. Musper in Festschr. Otto Schmitt, 1951, S. 177ff., Abb. 1–4). Gelegentlich erscheinen auch Maria und Josef im D., z. B. auf einer Tafel des 14. Jh. im D.M. (Stange I, Abb. 113) oder auch die törichten Jungfrauen, z. B. in den Fresken in Hocheppan und Lana (12. Jh.; J. Garber, Die roman. Wandgem. Tirols, Abb. 32, 48).

Das Gruppengespräch ist in der religiösen Kunst weniger bedeutend als in der profanen.

Wenn Gruppen von mehreren Personen im Gespräch dargestellt sind, finden sie sich zumeist in Zweiergruppen im D. angeordnet. Daneben gibt es häufiger noch Dreiergruppen, bei denen die mittlere Figur meist in Vorderansicht gegeben ist, z. B. die Apostel im Apsidenfresko in Knechtsteden, die in Zweier- und Dreiergruppen angeordnet sind (Clemen, Roman. Mon. Mal. Taf. 18).

IV. Renaissance

Im 15. und 16. Jh. hat die D.-Darstellung die zentrale Bedeutung, die sie für das hohe MA hatte, eingebüßt. Die Fresken im Meistersingersaal in Schwaz, die Hans Sachs’ Ehrenpforte der 12 sieghaften Helden des A.T. und Historia der neun getreuen Heiden illustrieren, sind echte D.-Darstellungen (16. Jh.; J. Garber, Münchener Jb. N.F. 6, 1929, S. 288ff., Abb. 5, 6, 11, 12). Eine ähnliche Komposition von Brustbildern unter Arkaden findet sich auch auf Titelblättern in gedruckten Büchern des frühen 16. Jh. (Abb. 5). An gleicher Stelle gibt es auch die Gelehrtenversammlung, z. B. auf dem Titelblatt zum „Gart der Gesuntheit“, Mainz, Schöffer 1485, das 13 Ärzte in Disputation zeigt (Hind, Hist. of Woodcut II, 349, 160). Schließlich gehören Bilder wie die beiden Johannes von Altdorfer (Bayer. St. Gem. Slgn., Leihgabe aus Stadtamhof) und vor allem Dürers vier Apostel noch in diesen Zusammenhang. In der Folgezeit lebt der D. lediglich als Kompositionsmittel fort, seines spezifischen geistigen Inhaltes entkleidet. Im Barock gibt es eine D.-Darstellung im m.a. Sinne nicht.

Zu den Abbildungen

1. Wien, Nat.Bibl., Cod. 51, fol. 35 v. Guido und Theodaldus von Arezzo. Österreichisch-süddeutsch E. 12. Jh. Nach H. J. Hermann, Beschr. Verz. N.F. II, Abb. 155.

2. Wien, Nat.Bibl. Cod. 1879, fol. 9. Die hll. Petrus und Paulus. Siegburg E. 12. Jh. Nach H. J. Hermann a. a. O. Taf. 12, 2.

3. Quedlinburg, Zitter, sog. Reliquienkasten Ottos I. Apostel und Tierkreiszeichen. Elfenbeinreliefs 10. Jh., Kasten mit Goldfiligran und Edelsteinen E. 12. Jh. Phot. Stoedtner 98 155.

4. Wien, Kh.Mus., Ms. 6, Titelminiatur. Astronomen des Altertums. Böhmisch 2. Jh. 14. Jh. Nach Elfr. Bock, Die Zeichnungen in der U. B. Erlangen, Frankfurt a. M. 1929, Textabb. 1.

5. Divi Clementi Recognitionum Libri X etc., Basel 1526, Titelblatt. Autoren des Altertums. Holzschnitt. Phot. Warburg Institute, London.

Literatur

1. F. Saxl, Frühes Christentum und spätes Heidentum in ihren künstlerischen Ausdrucksformen. 1. Der Dialog als Thema der christlichen Kunst, Jb. f. Kunstgeschichte 2 (16), 1923, 64–77. – 2. W. Artelt, Die Quellen der m.a. Dialogdarstellung (= Kunstgesch. Studien H. 3), Berlin 1934. – 3. P. Lutze, Darstellung der Rede in der dt. bildenden Kunst des MA, gezeigt an Propheten und Aposteln. Diss. Halle 1935.