Docke, Dockengeländer

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englisch: Balustrade, baluster; französisch: Balustrade, balustre; italienisch: Balaustro.


Herbert Siebenhüner (1955)

RDK IV, 101–108


RDK IV, 101, Abb. 1. Nürnberg, A. 13. Jh.
RDK IV, 103, Abb. 2. Grundformen von Docken.
RDK IV, 105, Abb. 3. Spittal a. d. Drau, 1527ff.
RDK IV, 107, Abb. 4. Weltenburg, um 1720.

(D. = Docke; B. = Baluster.)

I. Begriff, Bezeichnung

Die D. (auch Tocke, von mhd. tocke = Bündel, Walze) oder der Baluster (frz. balustre, ital. balaustro, von griech. balaustion, lat. balaustium = Blüte des wilden Granatapfelbaumes, unreifer Granatapfel) ist ein untersetztes Säulchen von rundem oder polygonalem Querschnitt mit stark profiliertem Schaft. Die D. tritt selten allein, sondern vornehmlich in der Form der Reihung mehrerer D. auf (s. IV). Die Kunstsprache verschiedener Handwerke hält den Begriff D. als „Zapfen oder Säule von Holz“ fest.

Das Material der D. ist – je nach dem Verwendungszweck – verschieden: Holz, das gedrechselt oder geschnitzt wird (vgl. die Liste der Nördlinger „dockenschnitzer“ im 16. Jh. bei Gust. Wulz, Jb. d. Rieser Heimatvereins 20, 1937, 34), Stein der verschiedensten Arten (auch Kunststein) oder Metall (Gold, Bronze und am häufigsten Gußeisen).

II. Antike und MA

Der in Holz, Bronze oder Messing gedrehte B. hat im Möbelbau der Antike eine bedeutende Rolle gespielt (römische Bronzefessel, Paris, Louvre; Bronzebett aus Pompeji, Neapel, Mus. Naz.) und ist im vornehmen Gebrauchs- und Zeremonienmöbel des MA erhalten geblieben, wie die Thronsessel für Maria (Abb. 1) und Christus oder die Throne der Kaiserbilder zeigen, sowie auch sonstige Möbel, die sich auf Elfenbeinen, Miniaturen oder in der Kleinplastik dargestellt finden (z. B. RDK II 386, Abb. 2). Die ausgeprägte B.-Form verfiel im MA. Bei Verwendung der D. als Pfosten (zahlreiche Beisp. im Hortus deliciarum abgebildet) kam es oft zu starker Vereinfachung: vgl. den Abtsstuhl aus St. Denis, Pennsylvania Mus. in Philadelphia, 11. Jh. (The Display Coll., Philadelphia 1931, S. 12), die Throne rheinischer Muttergottesbilder der 2. H. 12. Jh. (Alfr. Wolters in Festschr. für Otto Schmitt, Stuttgart 1951, Abb. 1 und 3) oder die statt Kehlungen und Wülsten nur Horizontalritzungen aufweisenden Pfosten der Bank in der Klosterkirche von Alpirsbach, 12. Jh. (RDK I 1439, Abb. 1).

III. Neuzeit

Im 15. Jh. kam der B. erneut in Gebrauch, wohl unter dem Einfluß der Wiederaufnahme antiker Formen und gefördert durch die Vorliebe für seine stereometrisch einfache, aber auch wandlungsfähige Struktur. Man beachte die Ähnlichkeit der ersten florentinischen B.-Typen mit den Zeichnungen stereometrischer Gebilde wie Vasen und Kelchen bei Uccello (Abb. Wilh. Boeck, Paolo Uccello, Berlin 1939, Taf. 41). Der B. kommt in Florenz seit etwa 1450 vor, zuerst anscheinend bei den Modelltischlern (bes. Antonio Manetti) und den „Bronzisti“ (Donatello, Verrocchio, Pollaiuolo). Anwendungsbereich waren Möbel (Tische und Stühle), Schäfte von Lesepulten, Leuchtern und ähnlichem. Gleich von Anfang an wurden die verschiedenen Formmöglichkeiten erkannt: es gibt den symmetrischen Rund-B. (Dreiecksbasis der Judith Donatellos, ca. 1460), den symmetrischen Rund-B. mit ornamentaler Zier (Predella mit der Hostienlegende des P. Uccello, Urbino, Pal. Ducale, 1467/68; Basis zum Marzocco des Donatello, vor 1482; Florenz, Pal. Gondi, Treppe, 1490, und Kamin, 1497), und es gibt den unsymmetrischen Rund-B. mit vegetabilem und anorganischem Schmuck (Verrocchio, Bronzeleuchter, Rotterdam, Priv.bes., 1468; Bergamo, Fassade der Capp. Colleoni an S. M. Maggiore, 1470; Como, Dom, südl. Westportal, 1491; Bettstätten und Geländer auf den Gemälden des Carpaccio und Mansueti, ca. 1490–1500). Erst gegen 1480 dringt der B. in die Architektur ein, wahrscheinlich durch den ehemaligen Schreiner Giuliano da Sangallo: Prato, S. M. delle Carceri, innere Gewölbegalerie und Laternengalerie (1485); Florenz, S. M. Novella, Capp. Gondi (1503/04); Fassadenentwürfe zu S. Lorenzo in Florenz (Uff. dis. A. 276 u. A 281; 1515).

Die Grundformen der D. (Abb. 2 a–f) kommen zwar seit der Renaissance immer wieder und überall vor, hatten jedoch ihre Blütezeiten, so daß eine chronologische Entwicklung unschwer abzulesen ist.

a) Der unsymmetrische Rund-B. mit vegetabilischem Schmuck ist in Deutschland im Möbelbau bis ins 18. Jh. häufig (vgl. süddeutsche Tische und rheinische oder westfälische Stollenschränke), in der Architektur jedoch nur selten angewandt worden: Heilbronn, Kilianskirche, Turmoktogon, 1513 (Inv. Württ., Neckarkreis, S. 245); Würzburg, Domherrenhof Seebach, 1567 (Inv. Bayern III, 12, S. 582 Abb. 455).

b) Der unsymmetrische Rund-B., bei dem zwischen der oberen und unteren Hälfte des Säulenschaftes nicht mehr unterschieden ist; die Wülste und Kehlungen werden kräftiger als vorher gegeneinander gestellt; dadurch reicherer Formenwechsel zwischen Streckung und Gedrungenheit des Schaftes je nach Stillage. Rom, Vatikan, Cortile di S. Damaso (1503); Rom, Pal. Farnese, Balkon (1541); Rom, Konservatorenpalast (1562). In Deutschland wird der unsymmetrische Rund-B. im 17. und 18. Jh. bevorzugt: Nürnberg, Rathaus, Hofarkaden und Dachbalustrade (1616); Leipzig, Alte Börse (1678); Berlin, Zeughaus (1694) und Schloß, Schlüterhof (1698); Kassel, Orangerie (1701); Potsdam, Neues Palais (1755).

c) Der symmetrische Rund-B., bei dem obere und untere Hälfte spiegelbildlich zueinander stehen; er ist die klassische B.-Form der Hochrenaissance: Poggio a Cajano, Villa Medici, Terrasse (1480); Rom, S.Pietro in Montorio, Tempietto (1502); Rom, Pal. Vidoni-Caffarelli (ca. 1515); Florenz, Pal. Pandolfini (1521). In Deutschland wurde der symmetrische Rund-B. seit M. 16. Jh. aufgenommen (ein früheres Beisp., der Hof des Schlosses Porcia in Spittal a. d. Drau, 1527 beg. [Abb. 3], ist wohl durch Familienbeziehungen zu Italien zu erklären: die Frau des Bauherren war Italienerin). Der symmetrische Rund-B. war aber nur kurz (bis etwa um 1600) in Gebrauch: Dresden, Schloßhof, Loggia der Nordseite (1549); Leipzig, Altes Rathaus, Balkon (1556); Altenburg, Rathaus, Balkon (1562); Nürnberg, Pellerhaus (1605).

d) Der prismatische B. zeigt den Schaft in mehrere Prismen von polygonalem, meist quadratischem Querschnitt zerlegt. Nach anfänglich scharfer Kantenbetonung trat später eine Verschleifung der horizontalen (jedoch niemals der vertikalen) Kanten ein. Der prismatische B. ist eine charakteristische Schöpfung des Hochbarock. In Oberitalien war er seit Mitte 17. Jh. beliebt: Mailand, Pal. Brera (1651); Venedig, Pal. Pesaro (1679). Die Aufnahme des prismatischen B. in Deutschland erfolgte gegen 1675: Rothenburg o. T., Rathaus-Vorhalle (1681); Würzburg, Juliusspital, Mittelbau (1699); Schloß Pommersfelden, Treppenhaus (1711); Dresden, Zwinger, südöstl. Eckpavillon (1711); Dresden, Hofkirche (1738).

e) Der Flach-B., die geometrisierte Form des prismatischen B., ist entgegen der ursprünglichen Bedeutung von D. und B. (= Rundung) bretthaft abgeflacht (= Brett-D.). Gelegentlich wurde das Brett noch in Gitterwerk aufgelöst, dadurch entstand die Gitter-D. Eine weitere, beim Holzbau nicht seltene Form ist die Halb-D. (f), die eine gedrechselte, der Länge nach durchgeschnittene Rund-D. ist ([1]; Wasmuth, Lex. d. Bauk. II, Berlin 1930, S. 212). Das Material bei der Brett-D. war gemeinhin Holz (Balkone der oberbayerischen und Tiroler Bauernhäuser), bei der Gitter-D. vorzugsweise Gußeisen. Charakteristische Beispiele für letztere: Ehrenhof der Residenz Würzburg (1727); Kassel, Freitreppe zum Mittelbau der Orangerie (ca. 1730). In den Emporen von Vierzehnheiligen wurde die Gitter-D. durch Rocailleformen bereichert und schließlich aufgelöst (1744).

IV. Dockengeländer

Ein D.-Geländer oder eine Balustrade (frz. balustrade; ital. balaustrata) entsteht aus der Zusammenstellung von mehreren D. auf gemeinsamem Sockel und durch die Überdachung mittels einer Handleiste oder eines Geländerholms. Prismatische Baluster stehen in der Regel mit ihren Horizontalkanten in der Laufrichtung von Sockel und Holm; nur gelegentlich, erst im 18. Jh., werden die Baluster auch über Eck gesetzt. Die vertikale Unterteilung des D.-Geländers erfolgt in der Regel durch Einschieben von Postamenten.

Das Material ist wie bei der D. Holz, Stein und Metall; gelegentlich kommen auch D. aus verschiedenen Materialien (meist Bronze und Stein) vor. Das D. findet wie die Brüstung (RDK II 1329ff.) Verwendung als Geländer von Fenstern, Baikonen, Altanen, Terrassen, Brücken, Treppen; es dient ferner als Mittel der Unterteilung bzw. Abgrenzung von Räumen (wie Kapellen und Presbyterien) oder als Gitter, um einen Bezirk abzugrenzen (z. B. als Kommuniongitter, aber auch in Schlafzimmern, z. B. Versailles), und als architektonisches Bau- und Schmuckglied.

Das hölzerne D.-Geländer wird in Deutschland mit dem Eindringen der D. in die Möbelkunst üblich; es findet seine erste Verwendung in der Architektur als Geländer von Laufgängen in den Höfen und an den Rückseiten der Bürgerhäuser: Nürnberg, Binsengasse 9 (P. J. Rée, Nürnberg, hrsg. v. Th. Hampe, Leipzig 19225, Abb. 151); Kolmar, Hof der ehem. Brauerei Molly (2. H. 16. Jh.); Landau, Kirchstr. 17 (1739; Inv. Bayern VI, 2, S. 81). Ähnlich den Brüstungen hat das steinerne D.-Geländer in Deutschland eine besonders reiche Entwicklung gehabt und einen phantasievollen Formenapparat hervorgebracht. Seit Mitte 16. Jh. trat das steinerne D.-Geländer zuerst an Baikonen auf: Leipzig, Rathaus (1556); Altenburg, Rathaus (1562). Daneben erscheint es auch als Fenster- und Arkadenbrüstung: Dresden, Schloßhof, Loggia der Nordseite (1549); Nürnberg, Rathaus, Hofarkaden (1616). In der Gestaltung der Binnen- und Freitreppen hat das D.-Geländer wohl Bedeutung gehabt, um die Rhythmik der Gliederung anschaulich zu machen. Freitreppen: Würzburg, Neumünsterkirche (1716); Rastatt, Lustschloß Favorite (1710–11); Kloster Einsiedeln (1704); Binnentreppen: Würzburg, Alte Universität (1583); Schloß Pommersfelden (1711); Rastatt, Schloß (1700); Kloster Ebrach (1716).

In besonders bemerkenswerter Weise hat die Balustrade als architektonisches Bauglied in der Gestaltung der Fassaden sowohl in der Schloßarchitektur wie im Kirchenbau des 18. Jh. Verwendung gefunden: Dachbalustraden am Rathaus in Nürnberg (1616), an der Alten Börse in Leipzig (1678), am Zeughaus (1695) und am Schlüterhof des Schlosses (1698) in Berlin, an der Orangerie in Kassel (1701), am Neuen Palais in Potsdam (1755). In der kirchlichen Architektur bietet die Kathol. Hofkirche in Dresden (1738) ein gutes Beispiel. Seit E. 17. Jh. begegnet auch die Reihung verschiedener D.-Formen; zumeist erfolgt sie im Rhythmus a – b – a – b usw. Beispiele finden sich im Werk des älteren Fischer von Erlach (D.-Geländer über dem Mittelportal des Stadtpalastes für Prinz Eugen, 1695/7f.) und der Asam (Weltenburg, Abb. 4).

Zu den Abbildungen

1. Nürnberg, G. N. M., Inv. Nr. 200. Thronende Muttergottes. Zirbelholz mit alter Bemalung, 60,5 cm h. Tirol, A. 13. Jh. Fot. Mus.

2. Grundformen von Docken. Zchg. Karl-August Wirth, München.

3. Spittal a. d. Drau, Kärnten, Hof des Schlosses Porcia. Für Gabriel Salamanca, Gf. v. Ortenburg, 1527 beg. Fot. Lala Aufsberg, Sonthofen, 23 717.

4. Weltenburg Lkrs. Kelheim, ehem. Klosterkirche, Loge über der Presbyteriumstür. Das Dockengeländer wohl von Frz. Peter Giorgioli, um 1720. Fot. B. L. von Kleynot, München.

Literatur

1. Henry Havard, Dictionnaire de l’ameublement I, Paris o. J., Sp. 231–36. – 2. Raff. Niccoli, Enc. Ital. V, Rom 1930, S. 901–04. – S. auch Brüstung.

Verweise