Dom und Münster

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englisch: Dom and Münster, cathedral, minster; französisch: Dom et Münster, cathédrale; italienisch: Dom e Münster, cattedrale, duomo.


Wolfgang Stammler (1955)

RDK IV, 127–128


Seit Augustinus bestanden Vorschriften, die den Pfarrgeistlichen größerer Kirchen gemeinsames Leben und Wohnen auferlegten. Um 760 erließ Chrodegang, B. von Metz, Anweisungen für die vita canonica des Weltklerus nach dem Muster der Regel des hl. Benedikt. Ähnliche Bestimmungen wurden in der Folgezeit immer wieder getroffen, so von Kaiser Ludwig dem Frommen auf der Aachener Synode von 816 für die Kollegiatkirchen seines Reiches oder von Gunther, B. von Bamberg, für seine Stiftsgeistlichen (1063), usw.

Um M. 6. Jh. wurde unter B. Agericus in Verdun ein als domus ecclesiae (auch domus ecclesiastica) bezeichnetes Oratorium errichtet [6, S. 93]. Derselbe Ausdruck findet sich in den Beschlüssen des Konzils von Toledo (610) wieder und bezeichnet dort das Haus, das die Wohnungen für den Klerus und die Räume für die Verwaltung des Archidiakons enthielt. An Kathedralen wohnte dort ebenso der Bischof; daher heißt das Gemeindehaus auch domus episcopi (Paul Hinschius, Kirchenrecht der Katholiken und Protestanten in Deutschland II, Berlin 1869ff., S. 62), domus episcopalis (Aachener Synode von 802, Kap. 22) oder – wie bei Gregor von Tours [6, S. 93] und Chrodegang (Kap. 34) – einfach domus (Giov. Domenico Mansi, Sacrorum conciliorum nova et amplissima collectio, Florenz und Venedig 1757–98, Bd. 14, S. 331). Von der Hausbezeichnung ging domus über auf das darin wohnende collegium canonicorum, das Domkapitel. Ähnlich doppeldeutig waren im 9. Jh. die Bezeichnungen abbatta und ecclesia, die sowohl die geistliche Anstalt, das Gebäude, als auch die Klerikergemeinschaft bedeuten konnten (s. Karl Blume, Abbatia [= Kirchenrechtliche Abh., hrsg. von Ulr. Stutz, H. 83], Stuttgart 1914, S. 49, 54).

Im 12. und 13. Jh. fügten die Kanoniker bei Unterschriften ihrem Namen vielfach den Zusatz de domo (= vom Stift) bei (Grimm, II, 1233; A. Socin, Mhd. Namenbuch, nach oberrheinischen Quellen des 12. u. 13. Jh., Basel 1903, S. 380). Ebenso hieß die Stiftskirche ecclesia de domo, gekürzt zu domus. Ins Deutsche wurde dieses Wort wohl im 9. Jh. als dům, tům (altsächsisch, altfriesisch, mnd. dôm) übernommen; diese Formen (auch thum, thumb geschrieben) hielten sich bis ins 18. Jh. Der Ausdruck „Dom“ konzentrierte sich schon früh auf oratorium de domo = „Stiftsgebäude“, das zunächst dem hl. Diakon Stephan geweiht war (u. a. weil dort der Archidiakon waltete). Im 15. Jh. bildete man nach dem Französischen dôme (W. von Wartburg, Französisches etymologisches Wörterbuch III, Leipzig 1934, S. 135f.) das Wort Dom, zuerst im Elsaß („uf dem dom zu Straßburg“ heißt es in der Hs. 4. 811 der U.B. München, Bl. 87 b); im 16. Jh. erscheint es im Rheinland als doim (Buch Weinsberg, Köln II, S. 154), und seitdem setzte sich Dom überall in Deutschland durch. Für den Dom ist also das Stift, das Domkapitel das wesentliche Merkmal, nicht der Bischof. So waren oder sind nicht bischöflich z. B. die Dome von Braunschweig, Erfurt, Frankfurt am Main, Freiberg, Goslar, Greifswald, Halle, Königsberg.

Parallel verläuft die Entwicklung des Wortes Münster. Wegen des Zusammenlebens der Kanoniker in klösterlicher Form, wenn auch ohne die Ordensgelübde, hieß ihr Haus im 8./9. Jh. claustrum oder monasterium, monisterium. Danach bildeten sich ungefähr im 9. Jh. die Worte monasteri, monastre, munistre, die sich zu munstir, munester, munster, münster, monster weiterentwickelten. Auch hier trat neben die ursprüngliche Bedeutung Kloster, Stift als neue Kloster- bzw. Stiftskirche. Doch hießen auch große Kirchen so, wie z. B. Aachen, Freiburg i. Br. (erst seit 1821 erzbischöflich), Gmünd und Ulm; an diesen bedeutenden Pfarrkirchen aus der Blütezeit des Bürgertums wirkten auf Grund frommer Stiftungen so viele Seelsorggeistliche, Vikare, Altaristen, Frühmeßner u. dgl., daß für sie ein besonderer „Chor“ wie in Kollegiatsstiften angelegt wurde; sie hatten meist um das Münster ihre Wohnungen.

Heute sind beide Namen nicht immer sachlich geschieden, ohne daß sich die Gründe für die Wahl des einen oder anderen Wortes feststellen ließen. Nur so viel kann man sagen, daß außer dem Augsburger Dom die bischöflichen Kirchen im alemannischen Gebiet als Münster bezeichnet werden, obwohl hier sonst von „Domschulen“ und „Domherrenhöfen“ gesprochen wird. Im übrigen Deutschland heißen die bischöflichen Kirchen allgemein Dom, dagegen die Stifts- und Klosterkirchen Münster oder Dom.

Literatur

1. Heinr. Schäfer, Pfarrkirche und Stift im dt. MA, Stuttgart 1903. – 2. Paul Kretschmer, Wortgeschichtliche Miszellen (Kirche, Dom, Münster), Zs. f. vergleich. Sprachforschung 39, 1906, S. 539–48. – 3. A. Pöschl, Bischofsgut und mensa episcopalis I, Bonn 1908, S. 77 Anm. 4. – 4. Paul Kretschmer, Dt. Literaturzeitung 1931, Sp. 647. – 5. Georg Schreiber, Gemeinschaften des MA, Münster 1948, S. 398. – 6. Romuald Bauerreiss, Fons sacer (= Abh. d. Bayer. Benediktiner-Ak. 6), München-Pasing 1949, S. 90–94.

Verweise