Doppeladler

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englisch: Double eagle; französisch: Aigle bicéphale; italienisch: Aquila bicipite.


Ottfried Neubecker (1955)

RDK IV, 157–161


RDK III, 363, Abb. 1. Bern, 1460-80.
RDK IV, 157, Abb. 1. Halberstadt, 13. Jh.
RDK IV, 159, Abb. 2. Veste Coburg, M. 16. Jh.

Wieweit der Adler mit zwei Köpfen im Gebiet seines ersten Vorkommens, dem vorderen Orient, entweder eine vollsymmetrische Abart des Adlers oder eine Zusammenziehung zweier Adler ist, kann hier unerörtert bleiben; vgl. hierzu [2; 3]. Für beide Deutungen finden sich in Mesopotamien und in der altägyptischen Symbolik Vorbilder, zu denen später auch in Europa Parallelen (Darstellung der Luftfahrt Alexanders d. Gr.) kommen dürften. Der D. fehlt noch ganz in der romanischen Kunst.

Als fertiges, im früh-ma. Orient entwickeltes Ornament wurde der D. offenbar durch die mit symmetrischen Tiergestalten gezierten arabischen Textilien über Sizilien in Europa bekannt (Abb. 1). Verschiedene Belege machen es wahrscheinlich, daß der D. auch im byzantinischen Kaiserreich als eine Art von Hoheitszeichen, wenn nicht gar als richtiges Wappen gegolten hat; hierbei muß offenbleiben, ob die Teilung in ein ost- und ein weströmisches Reich damit ausgedrückt oder in der Erinnerung wachgehalten werden sollte [3]. Der D. im russischen Reichswappen jedenfalls verdankt seine Einführung dem Umstand, daß die Großfürsten von Moskau den durch Heirat erworbenen Anspruch auf den Kaisertitel von Konstantinopel (russ. „Kaiserstadt“) heraldisch zum Ausdruck bringen wollten. Die schon in Byzanz vorkommende Färbung (goldener D. auf rotem Grund) wurde in Rußland erst mit der Zeit durch die römisch-deutsche Variante (schwarzer D. im goldenen Feld) verdrängt [3].

Als deutsches Reichswappen gewann der D. erst im Jahre 1402 amtliche Geltung. Voraus ging etwa ein Jahrhundert volkstümlicher Auffassung, daß der römische Kaiser den zweiköpfigen, der römische König (designierter Kaiser) den einköpfigen Adler als Wappenbild zu führen habe (s. a. Reichsadler).

Unabhängig vom Reichswappen gehört der D. zu den rein heraldischen, im Physiologus nicht erwähnten Tieren [4]; d.h. seine reale Existenz wurde nicht angenommen. Eine Beziehung zum Reich oder zum Kaiser mag in manchen Fällen vorliegen, jedenfalls aber nicht bei den ersten heraldischen Vorkommen: im Siegel des Grafen Ludwig von Saarwerden 1185, in dem des Grafen Heinrich von Arnsberg (redendes Wappen!), möglicherweise im Wappen der Grafen von Botenlauben oder Henneberg (Doppelsiegel von 1231). Die Zahl der heraldisch nachweisbaren D. vermehrte sich im 13. Jh. Sie bilden drei Gruppen: 1) eigentliche D. ohne Beziehung auf das Reich; 2) D. mit Beziehung auf das Reich; 3) aus zwei Adlerhälften zusammengeschobene Adler.

Zur dritten Gruppe gehört z. B. der D. auf dem ältesten Stadtsiegel von Breslau (1261), der aus dem halben schlesischen und dem halben polnischen Adler besteht (Breslau gehörte damals nicht zum Reich; das älteste Stadtsiegel von Breslau wurde 1948 dem Stadtwappen von „Wrozlaw“ zugrundegelegt). Die Zusammenschiebung heraldischer Tiere (meist halber Adler und Vorderteil eines – böhmischen – Löwen) war bzw. wurde in Schlesien, Kujawien usw. sehr beliebt.

Zur zweiten Gruppe ist der D. im Siegel der Städte Kaiserswerth (A. 13. Jh., erst 1499 belegt), Lübeck (um 1370) sowie in dem der Judenschaft von Augsburg (1290; zwischen den Adlerköpfen der Judenhut) zu rechnen. Die Stadt Solothurn bezeichnete im Sekretsiegel von 1394 die Reichsfreiheit durch einen D. über dem Stadtwappen, kehrte aber bald zu dem zunächst noch amtlich gültigen einköpfigen Adler zurück. Ähnlich dürfte das Auftreten des D. auf Schild und Pferdedecke des Grafen Philipp von Savoyen, des Hl. Röm. Reichs Markgrafen in Italien, 1278, zu erklären sein. Das Wappen der Stadt Friedberg in Hessen unterscheidet sich seit 1334 durch einen D. von dem einköpfigen Adler der Burg, nachdem vorher die Kopfwendung des Adlers dazu hatte dienen müssen.

Die Auffassung, daß der D. des Kaisers Wappentier und der einköpfige Adler das des römischen Königs sei, dürfte aus der englischen Mentalität hervorgehen, da in England die heraldischen Regeln schon sehr früh die Stufung innerhalb einer Familie kannten [5, S. 94]. Der englische Chronist Matthäus Parisiensis hatte in seiner Chronik bereits für Friedrich II. († 1250) und seine Verwandten ein System von auf dem D. aufgebauten Wappen dargestellt (vgl. [11], wo andere Erklärung versucht wird), aber im Text nur angegeben, daß des Kaisers Wappen sei: scutum aureum aquila biceps vel moniceps. Anscheinend davon verführt hat König Eduard III. von England als Reichsverweser 1338 in Antwerpen im Namen Ludwigs des Bayern 300 000 Goldgulden mit dem D. schlagen lassen [8, S. 60], was den Volksglauben unterstützte, das alte Wappen des Kaisers, insbesondere Karls d.Gr., sei der D. gewesen. So konnte auch die Reimchronik Ernsts von Kirchberg 1378 (Schwerin, Landesarchiv) den meisten Kaisern Banner mit dem D. zuweisen. Ausgesprochen wird diese Auffassung im Ritterspiegel des Johannes Rothe (A. 15. Jh.; ed. Bartsch in: Bibl. d. Stuttg. Litt. Ver. Bd. 53, 1860, S. 117): „... Der konig muez sine stad bewarn – Wo man des keifers vormist. Doch haben di arn ein underscheid: Des keisers sehit uf beide sitin – Des konigis sin houbit treid – Also vor sich an einer litin.“

Der römische König Sigismund setzte den D. 1402 in sein Reichsvikariatssiegel, 1417 in sein (erst 1433 in Gebrauch genommenes) Kaisersiegel. Von nun an ist die Trennung zwischen dem Kaiser- und dem Königsadler offiziell (weiteres s. Reichsadler). Der D. als Wappentier des Kaisers wird nun auch das des antiken römischen Reiches, also u. U. auch das seines Gründers, des „ersten Kaisers“ Julius Caesar (RDK III 363, Abb. 1).

Der D. ist als dekoratives Element ins Kunstgewerbe (Abb. 2) und tief in die Volkskunst gedrungen. Mehrere Zünfte haben ihn als Zunftwappen usurpiert und als ihnen angeblich verliehen ausgegeben, besonders die Buchdrucker und die Schuhmacher [9, Abb. 83, 87]. Als Verzierung von Möbeln (Schränken, Stuhllehnen) ist er weit verbreitet [9, Abb. 84–86], schließlich so deformiert, daß nur die beiden Köpfe deutlich bleiben. – Die Geltung des D. als Hoheitszeichen hat nicht verhindern können, daß auch die auf den Schützenfesten abzuschießenden Vögel die Gestalt des D. – selbst mit allen kaiserlichen Attributen wie Krone, Zepter, Reichsapfel – erhielten.

Die Ausdehnung des Herrschaftsbereichs des römischen Kaisers unter Karl V. brachte den D. nach Spanien und schließlich auch nach Südamerika, wo er in Stadtwappen (Lima) und indianischer Volkskunst weiterlebt (Erland Nordenskiöld, Der D. als Ornament auf Aymarageweben, Globus, Ill. Zs. f. Länder- u. Völkerkde. 89, 1906, 341–46).

Der D. hat den Zusammenbruch des alten Reichs 1806 dadurch überlebt, daß er i. J. 1804 auch als Wappenzeichen des neuerrichteten österreichischen Kaisertums eingeführt worden war.

Zu den Abbildungen

1. Halberstadt, Domschatz. Kelchdecke, Seidenbrokat. 13. Jh. Fot. Stoedtner 83 483.

2. Veste Coburg, K.Slgn. Nr. A 5. 130. Doppeladlerkrug mit Wappen der Familie von Khuenburg. Fayence mit Scharffeuerfarben, Wappen kalt aufgemalt. M. 16. Jh. Höhe m. Deckel 33,5 cm. Fot. Mus.

Literatur

1. A. Erbstein, Numismatischer Beitrag zur Gesch. des Doppeladlers, Anz. f. Kunde dt. Vorzeit 1864, 166–73, 207–14. – 2. Frdr. Karl Fürst zu Hohenlohe-Waldenburg, Zur Gesch. des herald. Doppel-Adlers, Stuttgart 1871. – 3. Bernh. von Koehne, Vom Doppeladler, Berliner Bll. f. Münz-, Siegel- u. Wappenkde. 6, 1871/73, 1–26. – 4. Gust. Adelb. Seyler, Gesch. der Heraldik, Nürnberg 1885–89, S. 185–87, 283–85. – 5. Erich Gritzner, Symbole und Wappen des alten Deutschen Reiches, Leipzig 1902, S. 91–96. – 6. Gust. Adelb. Seyler, Wappen der dt. Souveraine und Länder N.F. (= J. Siebmachers großes und allg. Wappenbuch, I, 1, 2. Teil), Nürnberg 1909, S. 1–11, Taf. 1–15. – 7. Felix Hauptmann, Die Wappen in der Historia minor des Matthäus Parisiensis, Jb. d. k. k. herald. Ges. „Adler“ N.F. 19, 1909, 37–43. – 8. Otto Hupp, Wider die Schwarmgeister! 2. Teil: Beitr. z. Entstehungs- u. Entwicklungsgesch. der Wappen, München 1918, S. 52–63 (Der Adler des Kaisers). – 9. Ernst Otto Thiele, Sinnbild und Brauchtum, Potsdam 1937, S. 40–42. – 10. Paul Wentzcke, Hoheitszeichen und Farben des Reiches, Frankfurt a. M. 1938 (1. Aufl.: Die dt. Farben, Heidelberg 1927). – 11. Hans Joachim von Brockhusen, Wetzlar und der Reichsadler im Kreis der älteren Städtewappen, Mitt. des Wetzlarer Gesch. Ver. H. 16, 1954, 93–126.