Dornse (Dürnitz)

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englisch: Dornse (a heatable room in German medieval houses); französisch: Dornse (Salle chauffable dans les maisons médievales en Allemagne); italienisch: Dornse (caminata, stanza con camino).


Max Hasse (1955)

RDK IV, 326–332


RDK IV, 327, Abb. 1. Lübeck, 1502-10.
RDK IV, 327, Abb. 2. Schwerin, 15./16. Jh.
RDK IV, 329, Abb. 3. Schloß Gottorp, 1609-13.
RDK IV, 331, Abb. 4. Carl Ludwig Jessen, 1869, Flensburg.

I. Begriff und Namen

Im niederdeutschen Sprachgebiet nannte man D. den geheizten Raum, in dem man sich gewöhnlich zur Beratung oder Unterhaltung traf. Der Raum hieß im oberdeutschen Sprachgebiet Dürnitz.

Das Wort D. (mndt. dörntze; mhdt. dürnitz, turnitz; ndt. Doens) kommt aus dem Slawischen: dwornitze, turnitza = Feuerstätte, Gesinderaum. In Deutschland ist der Ausdruck zuerst in einer Regensburger Hs. des 12. Jh. bezeugt: caumata turnitza = Badstube.

Seit etwa 1300 ist er in Mitteldeutschland (Halle, Hildesheim, Braunschweig) und seit etwa 1400 im norddeutschen Küstengebiet (von Bremen bis Riga) sowie in nordwestdt. Städten wie Dortmund belegt (s. a. Grimm 2, 1734f.).

II. Dornse im niederdeutschen Sprachgebiet

Der D. begegnen wir in Niederdeutschland im Bürgerhaus wie im Schloß (Abb. 2), im Rathaus, Kompaniehaus, Spital (Abb. 1) und in der Herberge (Zs. d. Ver. f. hamburgische Gesch. 1866, 106ff.). Die übrigen Räume des Hauses werden als Kammern, gelegentlich als Gemächer und im besonderen als Kemenaten bezeichnet. Nur die Badstube heißt im Mittelniederdeutschen stove. In Lübeck wird auch einmal der Festraum im Flügelbau grote D. oder Hinter-D. genannt (Joh. Warnke in: Zs. d. Ver. f. lübeckische Gesch. u. Alt.kde. 27, 1934, 239ff.), und da in der gleichen Quelle die Vorder-D. bisweilen kurzerhand nur D. heißt, dürfte zumindest in Lübeck der Raum neben dem Eingang üblicherweise die D. gewesen sein. An anderen Orten hat nach den Urkunden die D. ebenfalls an dieser Stelle gelegen, es wird aber auch des öfteren von D., die hofwärts liegen, gesprochen. War noch im Keller eine Wohnung eingerichtet, so hatte sie auch dort ihre D. (J. Warnke a.a.O.), denn eine Wohnung ohne D. war schließlich kaum noch denkbar (Joh. Bugenhagen, Lübeckische Kirchenordnung von 1531, Neuausg. Lübeck 1877, S. 23).

Die D. ist (neben dem Festraum) der sorgfältigst ausgestattete Raum des Hauses. Im späten MA sind die Wände der D. gewöhnlich vertäfelt, der Fußboden mit farbig glasierten Ziegeln bedeckt und die hölzerne Balkendecke ornamental bemalt. Die D. öffentlicher Gebäude waren mit Vorliebe eingewölbt (Abb. 1). In den D. waren meist, wenn nicht schon in die Vertäfelung eingebaut (Abb. 1), eine Schenkschieve (norddt. Form der Anrichte) oder ein Schrank aufgestellt. Die D. wurden fast immer durch einen Kachelofen, ausnahmsweise auch durch Feuerpfannen oder einen Kamin geheizt. Bis ins 16. Jh. hinein scheint die D. im allgemeinen der einzige ofenbeheizte Raum des niederdt. Hauses gewesen zu sein. War sie auch im eigentlichen Sinn ein Gemeinschaftsraum, so konnte sie auf Grund einer testamentarischen Bestimmung gelegentlich auch einem bevorzugten Familienmitglied als Wohnung angewiesen werden (Beispiele in F. Bruhns, Die Lübecker Bergenfahrer, Bln. 1900, S. 113; A. Fahne, Die Herrn und Freiherrn von Hövel, Köln 1856, Bd. 2 S. 71).

Die Hausforschung hat die Behauptung aufgestellt, erst mit der D. sei die Stube in das niederdeutsche Haus gekommen und damit erst das niederdeutsche Haus unter oberdeutschem Einfluß zum Mehrfeuerhaus geworden. Tatsächlich setzt die Unterteilung des niederdeutschen Hauses schon früher ein und zwar aus dem allgemein gegen 1300 aufkommenden Bedürfnis, im Hause über einen dauernd wohnlich eingerichteten Raum zu verfügen. Es dürfte daher einen der D. zweckentsprechenden Raum schon gegeben haben, bevor der Name selbst sich überall durchsetzen konnte. Im übrigen hat es im niederdeutschen Hause außer der ofengeheizten D. immer noch weitere durch Feuerpfannen oder Kamine geheizte Räume gegeben.

In ihren stark philologisch ausgerichteten Untersuchungen hat die Hausforschung meist übersehen, daß der Ausdruck Kammer im mittelniederdeutschen Sprachgebrauch keineswegs immer nur einen unbeheizten Nebenraum bezeichnet. Allein vom Zweck her entspricht ein Teil der Kammern, Gemächer und Kemenaten den oberdeutschen Stuben, und sie werden auch später so genannt. Die D. ist eben nicht schlechthin dasselbe wie die Stube. Bei der verschiedenen Organisation des niederdeutschen und des oberdeutschen Hauses läßt sich im Grunde der Vergleich nicht durchführen, und daher können die weitgehenden Schlüsse, die man aus der Gleichsetzung D. = Stube gezogen hat, nicht überzeugen. Man hat wohl nur den Ofen, nicht den Raumtypus aus Süddeutschland übernommen, den Ofen aber allgemein nur in der D. verwendet.

Mit den stattlichen D. der Schlösser, vor allem den großen für das Hofgefolge, können sich die der Bürgerhäuser nicht messen. Die große Hofdornitz (später Hofsaal) des Schweriner Schlosses, ein zweischiffiger Raum mit Sterngewölben (Abb. 2), nahm das ganze Erdgeschoß des sogenannten Langen Hauses ein. Sie diente den Zusammenkünften der Edelleute und wurde daher meist Edelleute-D. genannt. Auch sonst ist die große Hof-D. gewöhnlich im Erdgeschoß der Burgen und Schlösser eingerichtet [4]. Besonders prunkvoll ausgestattet ist die Bet-D. (stubenartige Loge), die Adolf von Holstein 1609–13 für sich und sein Gefolge in der Gottorper Schloßkirche einbauen ließ (Abb. 3; Ernst Schlee in: Die Heimat 57, 1950, 222).

Als in der 2. H. 16. Jh. das Hochdeutsch in die Amtssprache der großen niederdeutschen Städte und Fürstenhöfe eindrang, verschwand allmählich der Ausdruck D. und wurde durch allgemeinere Wörter wie Gemach oder Stube und im Schloßbau durch Hofstube oder Hofsaal ersetzt. Die weitläufigeren Wohnungen kannten auch kaum mehr einen Wohnraum, der in dem gleichen Maße wie die D. die Hausgemeinschaft an sich fesselte. Seitdem verstand man auch hier unter Kammer nur noch einen untergeordneten Nebenraum. Der Ausdruck D. hielt sich in den unteren Volksschichten noch bis E. 17. Jh. und auf dem Lande, vor allem in Niedersachsen und Schleswig-Holstein, abgeschliffen zu Döns (Abb. 4) bis auf den heutigen Tag (Wilh. Peßler, Plattdeutscher Wort-Atlas von NW-Deutschland, Hannover 1928). Die Döns ist allerdings gewöhnlich mit einem Wandbett ausgestattet, also zugleich auch Schlafstube.

III. Dürnitz im oberdeutschen Sprachgebiet

In Süddeutschland hat sich der Ausdruck D. im Bürgerhaus nicht durchsetzen können, lediglich auf Schlössern und Burgen wird die Dürnitz oder Turnitz gegen Ende des MA und im 16. Jh. im Unterschied zu den Stuben immer wieder erwähnt. Die D. ist hier ebenso wie im niederdeutschen Schloß ein heizbarer Raum, in dem das Gesinde oder der Schloßherr mit dem Gesinde zusammenkamen.

Als Beispiel sei die 1496 erbaute Dürnitz auf der Harburg b. Donauwörth genannt, die im Erdgeschoß des heutigen „Saalbaues“ liegt. Aus den Quellen geht hervor, daß 1569 ein eigener, „neuer“ Dürnitzbau errichtet wurde, der aber nicht erhalten ist (Anton Diemand, Die Harburg im Ries, Regensburg 1930, S. 20 u. Abb. S. 9).

Die Urkunden berichten gelegentlich auch von D., die im Keller oder im Turm (Turnitz mit turn in Zusammenhang gebracht?) liegen. Seit E. 16. Jh. wird auch in Süddeutschland die D. Hofstube oder Hofsaal genannt.

Zu den Abbildungen

1. Lübeck, Heiliggeistspital, Herren-Dornse. Erb. zw. 1502 und 1510. Ofen 18. Jh. Fot. Wilh. Castelli jun., Lübeck.

2. Schwerin, Schloß, Grundriß vor dem Umbau des 19. Jh. Bei A 1 die große Hof-Dornse (darüber im 2. Geschoß der Tanzsaal, im 3. der Speisesaal, im 4. Gemächer der hzgl. Familie). Erb. E. 15. Jh., verändert 1553. Nach [4].

3. Schleswig, Schloß Gottorp, Bet-Dornse des Hzg. Adolf von Holstein. 1609–13. Fot. Staatl. Bildstelle 5181, 16.

4. Carl Ludwig Jessen, Innenansicht einer Döns in Niebüll, Schleswig-Holstein. Ölgem. Flensburg, Städt. Mus. Dat. 1869. Fot. Mus.

Literatur

1. Moriz Heyne, Das deutsche Wohnungswesen, Leipzig 1899. – 2. Otto Lauffer, Das deutsche Haus in Dorf und Stadt (= Wiss. u. Bildung Bd. 152), Leipzig 1919. – 3. Helmuth Thomsen, Der volkstümliche Wohnbau der Stadt Braunschweig im MA, Diss. Hamburg, Borna-Leipzig 1937. – 4. G. C. F. Lisch, Gesch. der fürstl. Residenzschlösser zu Wismar, Schwerin u. Gadebusch, Jbb. d. Ver. f. Mecklenb. Gesch. u. Alt.kde., Schwerin 1840.