Euklid
englisch: Euclid; französisch: Euclide; italienisch: Euclide.
Else Förster (1970)
RDK VI, 256–266
I. Leben, Werk, Wirkung in der Renaissance
Lebensdaten und Geburtsort des griech. Mathematikers E. sind nicht überliefert (auf Grund der irrigen Identifizierung mit dem Philosophen E. von Megara wurde er gelegentlich im MA und noch im 16. Jh. als „E. Megarensis“ bezeichnet). Nach dem Zeugnis des spätantiken E.-Kommentators Proklos von Byzanz (410–85) hat E. unter Ptolemäus I. Soter (305–285 v. Chr.) in Alexandria gelehrt (vgl. George Sarton, Introduction to the Hist. of Science, Baltimore 1927, Bd. 1 S. 153; ders., Ancient Science and Modern Civilization [= Montgomery Lectureship on Contemporary Civilization 1954], Lincoln/Nebraska 1954, S. 3–36).
Hauptwerk E. sind die ‚Elementa‘ (13 Bücher; 2 weitere früher ihm zugeschriebene gelten jetzt als Werk des Hypsikles, 2. Jh. v. Chr.); zusammen mit den ‚Data‘ (Dedomena), Übungen zur geometrischen Konstruktionspraxis, bildeten sie bis in die neuere Zeit die Grundlage der Mathematik und wurden häufig kommentiert (dazu, zur Hss.-Überlieferung sowie über Ausg. und Übers. s. G. Sarton a.a.O. [1927], S. 154–56). Dem lat. MA wurden die ‚Elementa’ E. durch Boethius erschlossen, allerdings nur teilweise und nicht nach dem griech. Original übersetzt (ed. Gottfried Friedlein, Lpz. 1867). Die ersten vollständigen lat. Fassungen sind im 12. Jh. besorgte Übersetzungen aus dem Arabischen (vgl. Charles Homer Haskins, The Renss. of the 12th C, Cambridge 1927 [Nachdruck Cleveland und New York 1961], S. 311, sowie G. Sarton [1927] S. 154). Im Druck liegen die ‚Elementa‘ in Latein seit 1482 (Ausg. Venedig nach Übers. aus dem Arabischen) und 1501 (Ausg. Venedig nach Übers. aus dem Griechischen), in Griechisch seit 1533 vor (Ausg. Basel; heute maßgebende kritische griech.-latein. Ausg. von Johan Ludvig Heiberg, Lpz. 1883 –1916, 8 Bde.).
Bei Künstlern und Kunsttheoretikern der Renss. fanden neben den ‚Elementa‘ auch E.,Optica‘, denen die Grundsätze der Proportionslehre und der Perspektive zu entnehmen waren, besonderes Interesse. Paolo Uccello und Piero della Francesca haben sich, wie Vasari vermerkt (ed. Milanesi Bd. 2 S. 216 und 498), mit E. beschäftigt; Leonardo da Vinci erwähnt E. (vgl. zur E.-Rezeption und zur Verbreitung seiner Lehren, die auch – wie z. B. im Falle Albertis – auf indirektem Weg erfolgte, Leonardo Olschki, Gesch. der neusprachlichen wiss. Lit., 2 Bde., Lpz., Florenz und Rom 1919 und 1922), und der ihm vertraute Luca Pacioli trat als E.-Übersetzer und -Kommentator hervor (R. Emmet Taylor, ,No Royal Road‘. L. P. and His Times, Chapel Hill 1942; vgl. auch das Jacopo de’Barbari zugeschr. Gem. im Mus. naz. di Capodimonte zu Neapel, das Pacioli mit einem Schüler Der Name des Attributs „[Person“ enthält das ungültige Zeichen „[“, das nicht hierfür verwendet werden kann. von Urbino?] vor einer Tafel zeigt, auf deren Rand EVCLIDES steht: Kat. „Pinacoteca del Mus. naz. di Napoli“ 1928, Taf. 20). Dürer, der die E.-Ausg. Venedig 1505 besaß, preist den ‚allerscharfsinnigsten E.‘, der „den Grund der Geometrie zusammengesetzt“ habe, wer ihn verstehe, bedürfe „dieser hernach geschriebenen Ding gar nicht“ (Einleitung zur „Unterweisung der Messung“, Nürnberg 1525). Auch in den folgenden Jahrzehnten wurde E. intensiv studiert, wie die im 16. Jh. besonders zahlreichen E.-Ausg. beweisen. Zum Lehrstoff der „Accademia dell’arte e del disegno“ in Florenz gehörte E. Geometrie; ihr Mitglied Ignazio Danti legte 1573 „Prospectione di Euclidis“ vor. Das Interesse der Künstler an E. trat im 17. Jh. zurück; seitdem sind, mit früheren Jhh. verglichen, E.-Darstellungen viel seltener geworden.
II. Darstellungen
E.-Bilder der Antike sind durch Apollinaris Sidonius (433?–79) indirekt bezeugt: Epist. IX, 14 warnt er davor, „hoc aemulari quod in gymnasia pingantur Areopagitica vel prytanea“ und nennt eine Reihe von Philosophen- und Mathematiker-Bildnissen, darunter E. „(digitis) propter mensurarum spatia laxatis“ (Mon. Germ. Auct. ant. VIII, S. 158. 19–27). Eine mit dieser Beschreibung vereinbare Handhaltung zeigt das Bild eines Geometers in einem Agrimensorencodex des 6. Jh. (aus Bobbio?; Lit. bei Gisela M. A. Richter, The Portraits of the Greeks, London 1965, Bd. 2 S. 245, und Ausst.Kat. „Karl d. Gr.“, Aachen 1965, Nr. 387). Das Urbild dieser Federzchg. (Abb. 1) ist nach Georgios Dontas wahrscheinlich um 170–60 v. Chr. entstanden (Εἰϰόνες ϰαϑημένων πνευματιϰῶν ἀνϑρώπων εἰς τὴν Ἀρχαίαν Ἑλληνιϰὴν τέχνην, Athen 1960, S. 70, Abb. 28 a); die Überlieferung des Bildtyps (E.-Autorenbild?) erlosch im Früh-MA.
Erst seit dem 12. Jahrhundert sind wieder E.-Bilder nachweisbar. Von den sehr seltenen E.-Autorenbildern abgesehen – sie folgen einem im MA geläufigen Typus und zeigen E. mit Buch, doch ohne Attribute, die auf sein Lehrfach hinweisen (Wien, Österr. Nat.Bibl., cod. 2465, fol. 1, N-Frankreich, um 1300: Beschr.Verz. 8, 7, 1, S. 104f. Nr. 50; Ausg. Rom 1545: Charles Thomas-Stanford, Early Editions of E.’s Elements, London 1926, Taf. 12 b) –, wird E. als der hervorragende Lehrer und „auctor“, der Geometrie dargestellt. In Bildzyklen der freien *Künste repräsentiert er diese Disziplin (2) oder begleitet deren Personifikation (1). Wenn auch in dieser Funktion niemand so oft wie E. abgebildet wird, sollte doch nicht jeder ohne nähere Charakterisierung gebliebene Repräsentant (Begleiter) der Geometrie E. genannt werden. Die Benennung E. kann gerechtfertigt sein durch 1) Beischriften (Name, Erwähnung E. im Titulus, Zitat aus einer Schrift E.), 2) Hinweis auf E. in dem Text, den das betreffende E.-Bild illustriert, und 3) das Bildprogramm: wenn sonst in dem Zyklus jeweils Autoren (nicht „Erfinder“) der einzelnen freien Künste dargestellt sind, darf der namenlos gebliebene Begleiter der Geometrie wohl immer E. geheißen werden. Ikonographische Kriterien allein verhelfen nicht zur Identifizierung (s. u. III).
1. Die personifizierte Geometrie mit E. ist seit dem 12. Jh. nachzuweisen. Der in der Archivolte des südl. W-Portals der Kath. zu Chartres, um M. 12. Jh., unter Geometria dargestellte sitzende Mann mit Zirkel und Tafel wird traditionell E. genannt (Abb. 2), eingedenk der Wertschätzung E. in der Chartreser Kathedralschule wohl zu Recht (vgl. Alex. Clerval, Les écoles de Ch. au moyen-âge, Paris 1895, S. 223 und 236). Auf einer deutschen gravierten Schüssel des 12. Jh. ist der Begleiter der Geometrie durch Namensbeischrift und Spruchband mit einem verderbten E.-Zitat als E. ausgewiesen (Albert Wormstall, Zs. f. chr. K. 10, 1897, 242; Josepha Weitzmann-Fiedler, Zs. f. Kw. 11, 1957, 30, nennt die Gelehrten jedoch „Propheten“[!]).
Vorläufer der Darstellungen von Geometrie mit E. hat man in der Zusammenstellung der Muse „Polymnia“ mit Geometrie und E. gesehen, wie sie in ausschließlich unbebilderten griechischen Handschriften in einer Liste Τὰ ὀνόματα τῶν ἐννέα μουσῶν καὶ ποίας τέχνης ἑκάστη ἐπιστατεῖ καὶ τὶς ὁ ταύτης ἐν βίῳ ἐϕευρετής erscheint (Jul. von Schlosser, Jb. Kaiserh. 17, 1896, 36). Belege dafür, daß es der Liste entsprechende bildliche Darstellungen gegeben habe, wurden bisher nicht bekannt (vgl. die Übersicht über die Wiedergabe von Musen in Verbindung mit Dichtern oder Weisen bei Klaus Parlasca, Die röm. Mosaiken in Deutschland [= Röm.-Germ. Kommission des Dt. Arch. Inst. zu Ffm., Röm.-Germ. Forschgn. Bd. 23], Bln. 1959, S. 142f.).
Aus Tituli des Iren Dungal („Hibernicus exul“ carmen 20; Text bei Schlosser, Schriftquellen, S. 374 bis 377 Nr. 1025), die von den freien Künsten sowie der Medizin handeln und jeweils auch über deren Erfindung (Erfinder) und ihre Geschichte in der Antike berichten, wollte man auf karolingische Darstellungen schließen, auf denen alle Künste mit Repräsentanten abgebildet seien (s. besonders Schlosser, Beiträge S. 131f.; s. auch ebd. S. 138f.). Abgesehen davon, daß unter Geometrie E. nicht erwähnt wird, ist der Schluß zweifelhaft: denn Tituli solchen Inhalts wurden nachweislich auch Darstellungen allein der freien Künste beigeschrieben (z. B. Florenz, Bibl. Laurenziana, cod. S. Marco 190; zu den Tituli vgl. Claudio Leonardi, Nuove voci poetiche tra sec. IX e XI, Studi medievali IIIa ser. 2, 1, 1961, 152–65). Ein sicheres Zeugnis für Darstellungen der Geometrie mit E. aus der Zeit vor dem 12. Jh. ist bisher nicht bekannt.
Die deutschen Beispiele aus dem 13. Jh. sind z.T. ikonographisch ungewöhnlich: die Miniatur München, Bayer. Staatsbibl., cod. lat. 17405 (Petrus Comestor, Hist. scholastica), fol. 4v, vor 1241, zeigt zwei Gelehrte – E. und Boethius, die gemeinsam eine Meßleine halten – als Begleiter der Geometrie (Johs. Damrich, Ein Künstlerdreiblatt des 13. Jh. aus Kloster Scheyern [= Stud. z. dt. Kg., Heft 52], Straßburg 1904, S. 29, Abb. 22); die für ill. Hss. des „Welschen Gastes“ von Thomasin von Zirklaere (Verzeichnis: RDK V 827ff.) charakteristische Darstellung der Geometrie zeigt deren Personifikation und E. bei gemeinsamer Arbeit (s. u. III); damit werden erst im 15. Jh. gebräuchlich gewordene Vorstellungen antizipiert (Abb. 4).
Die meisten Beispiele des 14. Jh. sind italienischer Herkunft und stimmen in der Anordnung des sitzenden E. zu Füßen oder unterhalb der an Körpergröße ihm überlegenen Geometrie überein. Die Federzchg. auf fol. 9 des ms. 1426 im Mus. Condé in Chantilly, vor 1349, illustriert ein Gedicht des Bartolomeo di Bartoli (Leone Dorez, La Canzone delle virtù e delle scienze di B. di B., Bergamo 1904, S. 9 und 42), das möglicherweise literarisches Vorbild für andere, mit analogen Darstellungen bebilderte Dichtungen ist: vgl. z. B. des Convenevole di Prato (?) Huldigungsgedicht für Robert den Weisen von Neapel † 1343 (ill. Hss. aufgezählt bei Franz Unterkircher, Jb. d. Kh. Slgn. in Wien 59, 1963, 244; vgl. auch Mario Salmi, La miniatura italiana, Mailand 1956, S. 34, zur zwischen der Toskana und Neapel strittigen Herkunft); eine Hs. dieses Werkes diente offenbar als Vorlage für die in der 2. H. 14. Jh. geschaffenen, 1606 zerst. Wandgem. des Giusto de’Menabuoi in der Kirche der Augustiner-Eremiten zu Padua (vgl. Jul. von Schlosser, Jb. Kaiserh. 17, 1896, 16ff. und Taf. 5,1), auf denen E. dargestellt war (die Tituli 1466 von Hartmann Schedel aufgezeichnet: München, Bayer. Staatsbibl., cod. lat. 418 fol. 104 und 105v: ebd. S. 91f.). Das erste erhaltene Beispiel aus der Wandmal. ist ein Fresko des Andrea da Firenze, 1365ff. (Abb. 3). Für weitere Belege aus der Buchmal. seien genannt: Mailand, Bibl. Ambrosiana, cod. B. 42 inf. (Giov. Andrea, Novella super libros Decretalium), fol. 1, von Niccolò da Bologna 1354 illuminiert (Paolo d’Ancona, La miniature italienne du Xe au XVIes., Paris und Brüssel 1925, Taf. 28); Madrid, Bibl. Nac., cod. 197 (Bartolomeo da Sassoferrato, Commentaria), fol. 4, Oberitalien (Bologna?), 2. H. 14. Jh. (Inv. general de mss. de la Bibl. Nac., Madrid 1953, m. Abb.).
Das Fortleben des trecentesken Typs im 15. Jh. bezeugen – u. a. – florentinische Truhenbilder (Umkreis des Pesellino im Mus. of Art, Birmingham/Ala.: Bernhard Berenson, Ital. Pictures of the Renss., Florentine School, London 1963, Bd. 1 S. 167, und Fern Rusk Shapley, Paintings from the Samuel H. Kress Coll., Ital. Schools 13th–15th C., London 1966, S. 110f., Abb. 302; Werkstatt des Pollaiuolo: Aukt.Kat. „Slg. Jos. Spiridon“, Bln. [Paul Cassirer und Hugo Helbing], 31. 5. 1929, Nr. 62 und Taf. 77f.); an ihn erinnert noch die Mittelgruppe auf Pinturicchios Darstellung der Geometrie im Appartamento Borgia des Vatikan, 1492ff. (L’arte 5, 1902, Abb. S. 382), wenn auch – eine Neuerung des 15. Jh. – E. etwas zur Seite gerückt und wie unter den Augen seiner Lehrerin Geometrie bei der Arbeit ist. Auf einem Holzschnitt, der um 1494–1500 in Nürnberg entstand (Heitz, Einblattdrucke Bd. 64, S. 8 Nr. 6, m. Abb.), stehen sich Geometrie und E. im Gespräch gegenüber. Auf einem Truhenbild des Giov. da Ponte, 1. H. 15. Jh., geleitet Geometria E. zum Thron der Astronomie, während ein über E. schwebender Putto (Genius?) diesem einen Lorbeerkranz aufsetzt (Madrid, Prado: Kat. 1963, S. 506f., und Schubring, Cassoni, S. 226, Taf. IV, 32).
In der Neuzeit wurde E. zwar weiterhin in Verbindung mit Darstellungen der Geometrie wiedergegeben, doch seltener im Rahmen von Schilderungen der sieben freien Künste. Auf Titelblättern naturwiss. Werke, die 1526 bei S. de Colines in Paris erschienen, stehen sich auf den senkrechten Rahmenleisten Medaillons mit Personifikationen der artes des Quadrivium und Vertreter dieser Disziplinen, darunter E., gegenüber (vgl. Ruth Mortimer, French 16th C. Books [= Harvard College Libr., Department of Printing and Graphic Arts. Cat. of Books and Mss., I], Cambridge/Mass. 1964, Nr. 368 und 482). Ein Holzschnitt zu Nicolo Tartaglia, Quesiti et inventioni diverse, Venedig 1606, zeigt E. neben zahlreichen Künsten und Wissenschaften sowie deren Vertretern (Abb. 7).
2. E. -Darstellungen im Rahmen von Gelehrtenbildnissen kennt man seit dem 13. Jh. Auf einer Miniatur des Matthew Paris, die dem „Liber experimentalis“ des Bernardus Silvestris vorangestellt ist, sind E. und Hermannus Contractus wiedergegeben; sie haben über die gleiche Materie wie Bernardus gearbeitet und sind hier als dessen vornehmste Gewährsleute dargestellt (Oxford, Bodl. Libr., Ms. Ashmole 304, fol. 2v, um 1250: Francis Wormald, The Walpole Soc. 31, 1942–43 [1946], 109–12, Taf. 27 a, und Verz. astrol. Hss., Bd. 3, Tafelbd. Abb. 141, ebd. Textbd. S. 287f. Hinweis auf eine jüngere Kopie). Häufiger findet man E. im Kreis von sieben Gelehrten, von denen jeder eine freie Kunst repräsentiert. Das bekannteste Beispiel aus dem 14. Jh. ist ein Kapitell des Dogenpalastes in Venedig (Gino Rossi und Giov. Salerni, I capitelli del Pal. Ducale di V., Venedig 1952, S. 66; Beischrift „HEVCLID GEOMETRICVS“). Zwischen 1437 und 1440 schuf Luca della Robbia für den Campanile des Florentiner Domes ein Relief, auf dem Geometrie (?) durch zwei Männer im Gespräch vorgestellt wird (L’arte 5, 1902, Abb. S. 226; Jb. Kaiserh. 17, 1896, 57 Abb. 14); sie werden gewöhnlich E. und Pythagoras genannt, Vasari (cd. Milanesi Bd. 2 S. 169) spricht nur von „Euclide per la geometria“. Repräsentation der artes liberales durch ihnen gemäße Verrichtungen und (oder) unterrichtende Lehrer ist im 15. Jh. mehrfach zu belegen, z. B. auf einer dt. Miniatur des 3. V. 15. Jh.: London, Brit. Mus., Add. Ms. 15 692 (de septem artibus liberalibus), fol. 29v(Raymond Klibansky, Erwin Panofsky und Fritz Saxl, Saturn and Melancholy. Studies in the Hist. of Natural Philosophy, Religion and Art, London 1964, Abb. 102).
Eine Neuerung des 15. Jh. sind E.-Bildnisse in Bildzyklen von „uomini illustri“, die sich nicht nur aus dem Kreis von Lehrern der freien Künste rekrutieren, vgl. das Gem. des Justus von Gent für das Studiolo des Federigo da Montefeltre im Pal. Ducale in Urbino (Abb. 6). An die Stelle der Bildnisreihe ist bei Raffael in seiner Schule von Athen in der Stanza della Segnatura des Vatikan, 1509–11, ein Bild getreten, auf dem die hervorragenden Vertreter von Künsten und Wissenschaften – unter ihnen E. mit dem Zirkel hantierend – bei ihren Beschäftigungen geschildert werden. Daneben lebt die ältere, enger gefaßte Programmkonzeption weiter und erscheint sogar gelegentlich in neuem Gewand: im „triclinium philosophie“, das ein Holzschnitt zur „Margarita philosophica“ des Gregor Reisch, Straßburg 1504 (u. ö.), zeigt, schaut E. als Repräsentant der Geometrie aus einem Fenster hervor (der concetto der „turris philosophiae“ ist, auch bildlich, bis in ottonische Zeit zurückzuverfolgen).
Auf dem Gestell eines 1595 nach St. Gallen geschenkten Erd- und Himmelsglobus (heute im Schweizerischen L.Mus. zu Zürich) ist E. in einer Reihe von 14 Gelehrten, meist Astronomen, im Brustbild dargestellt (Inv. Schweiz 45, S. 324ff.).
Im 17. Jh. findet man E. auf der Titelseite von Laurentius Beyerlinck, Magnum Theatrum vitae humanae, Lyon 1678, neben Ptolemäus dargestellt, beide zu Seiten eines Emblems mit einem Himmelsglobus als Icon; diese Paarung ist kaum als Reduktion des herkömmlichen Zyklus von artes-Repräsentanten zu erklären; vielmehr erscheinen beide als „Erforscher des Himmels (Ptolemäus) und der Erde (E.)“. Ein engerer, fachwissenschaftlich - mathematischer Aspekt wird in der Zuordnung E. zu Archimedes deutlich (Gem. des Luca Giordano in Berlin [Ost] und Düsseldorf, K.mus.: Oreste Ferrari und Gius. Soavizzi, L. G., Der Name des Attributs „[Ort“ enthält das ungültige Zeichen „[“, das nicht hierfür verwendet werden kann. 1966], Bd. 2 S. 20f., Bd. 3 Abb. 21f.; zur Deutung des Berliner Bildes s. aber auch Alfr. Hentzen, Jb. der Hamburger K.slgn. 9, 1964, 166). Nach der „Descrizione delle pitture a fresco di Luca Giordano esistenti nelle II. e RR. Gall. e Bibl. Riccardiana“, Florenz 1819, S. 26 und 28, waren dort E. und Archimedes („Filosofi“) zur Rechten der „Prudenza“ dargestellt.
Über den Bücherschränken der Wiener Hofbibl. sind Bildnisse antiker Gelehrter – darunter E. – „zu sehen, welche ... aus denen alten Römischen und Griechischen Medallien, oder antiquen Steinen wahrhafft entnohmen worden“ (Walther Buchowiecki, Der Barockbau der ehem. Hofbibl. in Wien, ein Werk J. B. Fischers von Erlach, Wien 1957, S. 111; schon in den Tituli des 14. Jh. zu Glasgem. der Bibl. von St. Albans war „Euclides ... geometer“ genannt – ob auch dargestellt?: Schlosser, Quellenbuch S. 321). Auch in den Darstellungen der *Fakultäten wird E. unter den Vertretern der einzelnen Disziplinen zu suchen sein.
III. Tracht und Attribute
1. Die Tracht E. ist zumeist die Gelehrtentracht der Zeit. Antikisierende Gewandung trägt er im MA seltener als in der Neuzeit; gelegentlich wird E. (auf Grund der Verwechslung mit dem gleichnamigen Philosophen?) im Philosophenmantel wiedergegeben. Das einzige für E. (wie für Astronomen) etwas typischere Kleidungsstück ist der Turban oder eine andere orientalisierende Kopfbedeckung, aber auch sie findet sich nicht einmal bei der Hälfte der bekanntgewordenen E.-Bilder.
2. Attribute E. sind die für Darstellungen der Geometrie gebräuchlichen: Maßstab (ausnahmsweise Meßleine, s. o. Sp. 260), Zirkel, Winkelmaß, Sphaera, Teleskop, Buch oder Tafel. Das für vorgotische Geometrie-Darstellungen charakteristischste Attribut, den Meßstab, erhielt E. sehr selten (z. B. auf der gravierten Schüssel des 12. Jh., so o. Sp. 259). Zumeist – und nicht nur auf E.-Autorenbildern – gab man ihm ein Buch in die Hand oder eine Tafel; im aufgeschlagenen Buch (oder auf der Tafel) sieht man häufig einfache geometrische Figuren (gewöhnlich sind sie aus den zu Beginn der ‚Elementa‘ definierten Grundbegriffen und -figuren ausgewählt). Auch der Zirkel dient vielfach als Attribut. Vom 15. Jh. an ist die Wiedergabe E. mit Buch (Tafel) und Zirkel die vorherrschende (Abb. 6). Sphaera und Teleskop, zur Vermessung des Himmels benötigte Instrumente, sind E. auf der Miniatur des Matthew Paris, s. o., beigegeben.
Nur selten wurde genauer auf E. Lehren angespielt. Charakteristisch ist dies für die Illustrationen zum „Welschen Gast“ des Thomasin von Zirklaere (Errichtung eines gleichseitigen Dreiecks über einer gegebenen Grundlinie: Abb. 4, hier – wie meist – vom Illustrator mißverstanden: vgl. Adolf von Oechelhaeuser, Der Bilderkreis zum Wälschen Gaste des Thomasin von Zerclaere, Heidelberg 1890, S. 64, Taf. 6). Vielleicht ist die Gebärde E. auf Abb. 5 nicht nur als Redegestus anzusehen und soll auf die Abmessung einer Strecke hindeuten (vgl. die Beischrift); auch das als Attribut E. sehr seltene Winkelmaß auf dem genannten Nürnberger Holzschnitt (s. o.) deutet möglicherweise auf E. Verdienste um die *Feldmeßkunst hin.
Zu den Abbildungen
1. Wolfenbüttel, Hzg. August-Bibl., ms. 36.22 Aug. 2° (sog. Cod. Arcerianus), fol. 69v, Geometer (E.?). Bobbio (?), 6. Jh. Fot. RDK (mit freundl. Erlaubnis der Hzg. August-Bibl. Wolfenbüttel).
2. Chartres, Kath., Archivolte des südlichen W-Portals, Geometrie und Euklid. Um 1150. Fot. Marburg, Nr. 35 407.
3. Andrea da Firenze, Personifikationen der Arithmetik und der Geometrie sowie Pythagoras und Euklid. Wandmal. in der Spanischen Kapelle am Kreuzgang von S. M. Novella in Florenz, 1365ff. Nach J. von Schlosser a.a.O. [Sp. 260, Abs. 1], Taf. 7.
4. München, Bayer. Staatsbibl., cod. germ. 571 (Thomasin von Zirklaere, Der Welsche Gast), fol. 70v (Ausschnitt), Geometrie und Euklid. Inschrift: „Super lineam datam triangulum equilaterum constituere“. Mitteldeutsch, dat. 1408. Fot. Bibl.
5. Salzburg, Univ. Bibl., cod. M III 36 (alt V 1 B 36/8; Sammelhs.), fol. 240v, Geometrie und Euklid. Salzburg, 1. H. 15. Jh. Fot. Landesbildstelle Salzburg.
6. Justus von Gent, Euklid, Gem. a. Holz, 94,6 × 58,4 cm. Urbino, Pal. Ducale. Zwischen 1473 und 1477. Fot. Alinari, Florenz, Nr. 28 597.
7. Philosophie, Künste und ihre Repräsentanten. Holzschnittill. aus Nicolo Tartaglia, Opere, hrsg. von Battista Manassi, Venedig 1606, Vorsatztitel zu „Quesiti et inventioni diverse“. Fot. Karl-August Wirth, Mchn.
Literatur
s. freie *Künste und Geometrie. Die Bearbeitung erfolgte auf Grund der von Karl-August Wirth gegebenen Hinweise.
Empfohlene Zitierweise: Förster, Else , Euklid, in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. VI (1970), Sp. 256–266; in: RDK Labor, URL: <https://www.rdklabor.de/w/?oldid=89372> [04.04.2022]
Dieser Text wird veröffentlicht gemäß der "Creative Commons Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland Lizenz". Eine Nachnutzung ist für nichtkommerzielle Zwecke in unveränderter Form unter Angabe des Autors bzw. der Autorin und der Quelle gemäß dem obigen Zitationsvermerk zulässig. Bitte beachten Sie dazu die detaillierten Angaben unter http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/.