Fächerrosette

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englisch: Fan-shaped rosette; französisch: Tympan à demi-rosace, demi-rosace en éventail; italienisch: Rosone a ventaglio.


Otto Gaul (1972)

RDK VI, 933–937


RDK VI, 933, Abb. 1. Halberstadt, undatiert.
RDK VI, 933, Abb. 2. Lemgo, 1569 und 1598.
RDK VI, 935, Abb. 3. Blomberg Krs. Detmold, 1569.
RDK VI, 935, Abb. 4. Lemgo, 1587.
RDK VI, 935, Abb. 5. Bad Salzuflen, 1612.
RDK VI, 941, Abb. 1. Gerüstentwicklung in Mittel- und Oberdeutschland.
RDK VI, 943, Abb. 2. Entwicklung der niederdeutschen Halle.
RDK VI, 947, Abb. 4. Wiedmühle Krs. Neuwied.

Das F. genannte, vornehmlich an Zimmermanns- und Schreinerarbeiten des 16. und frühen 17. Jh. vorkommende Ornament besteht normalerweise aus einem überhöhten Halbkreis, in den – ausgebreitet wie ein Fächer – die Rosette flach eingeschnitzt ist; diese hat etwa fünfzehn schmale, konkav oder konvex gewölbte Blätter. Das Kreiszentrum wird von einem überhöhten Halbkreis gebildet, den ein Flachwulst umrahmt. Den großen Kreisbogen umgibt ein flaches Profil aus zwei Wülsten oder aus Kehle und Wulst (über die vielfältigen Variationen s. unten).

Die F. ist nicht als Symbolzeichen („Sonnenzeichen“, „halbes Sonnenrad“) anzusehen.

Im Holzbau des genannten Zeitraums wurden F., deren Grundlinie in der Regel ungefähr 80 cm mißt, in die Hölzer (Ständer, Fußbügen, Brüstungsbretter) eingeschnitzt und schmücken, als Fries aneinandergereiht, die Brüstungen. Das eigentliche Verbreitungsgebiet ist Niedersachsen (bis an die Elbe-Saale-Linie) und Westfalen-Lippe; von Niedersachsen ausstrahlend, kommt die F. auch östlich der Elbe vor, insbesondere in Schleswig-Holstein. Der Fachwerkbau der übrigen deutschen Landschaften kennt sie nicht.

Die frühesten datierten F. entstanden 1532 in Halberstadt (Hoher Weg 5, zerst.). In kurzen Zeitabständen folgen datierte Beispiele in Stolberg (1535, „Alte Münze“), Braunschweig (1536: Burgplatz 2 a, Hofseite; Langestr. 9, zerst.), Hildesheim (1540, Schelenstr. 3, zerst.), Einbeck (1541, Tidexerstr. 26) und Hornburg (1541, Nr. 162). Der Ursprung liegt demnach im östl. Niedersachsen; von dort aus drang die F. allmählich nach Westen vor: 1548 ist sie in Hameln nachweisbar (Pferdemarkt 10), 1553 in Stadthagen (Amtspforte), 1561 in Höxter (Dechanei), 1562 in Lemgo (Papenstr. 22), 1567 in Wiedenbrück (In der Halle 2) und 1585 in Soest (Wiesenstr. 6). Im mittleren Westfalen fand die F. selten Aufnahme (hier herrschte das Blattornament).

Im allgemeinen wurde die F. bis gegen E. 16. Jh. verwendet (an ihre Stelle trat dann meist das Rollwerk oder Beschlagwerk, in Halberstadt – seit 1576 [Holzmarkt 8] – die Blendarkatur, in Hildesheim die vorgesetzte struktive Gliederung). Als späteste Vorkommen seien erwähnt: Hornburg (1614, Nr. 253), Bad Salzuflen (1612, Langestr. 33: Abb. 5; 1618, Langestr. 41; 1632, Obere Mühlenstr. 1, zusammen mit Beschlagwerk) und Goslar (1624, Frankenbergerplan 11).

Die F. ist wohl kaum als eigene Erfindung des Holzbaus anzusehen. Ebenso wie bei anderen Ornamenten des sächsisch-westfälischen Holzbaus muß an ihre Herkunft aus dem Steinbau gedacht werden, d. h. an die von der Halbkreismuschel der italienischen Frührenss. (tatsächlich bezeichnet das Aufkommen der F. stilistisch die Wendung zur Renss.). Freilich ist die zeitliche Priorität der F. im sächsischen Steinbau schwer nachzuweisen: sie findet sich 1518 im obersächsischen Annaberg (Annakirche, Empore), erst um 1535 in Burg Arnstein im Ostharz (Kamin, zerst.) und 1552 in Halberstadt am Petershof-Portal, im westfälischen Bereich um 1555 an den Schlössern Detmold und Berleburg. Die allgemeine Verbreitung dieses Motivs als Bekrönung von Giebeln, Fenstern und Portalen wie auch von Altären und Grabmälern verläuft zeitlich parallel mit der Verwendung der F. im Fachwerkbau.

Andererseits erinnert diese Form an die romanische Palmette, wie sie sich als Kapitellornament gerade in Sachsen häufig findet, und auch für die im Verein mit der F. auftretenden Schnitzornamente wie Flechtband und Schnürrollen oder Schiffskehlen gibt es entsprechende Formen in der romanischen Kunst.

Der Versuch H.-G. Grieps, die Entwicklung der F. darzulegen [3], geht von einer unzutreffenden Datierung aus und läßt die Beispiele vor 1548 außer Betracht.

Im Fachwerkbau wurde die F. anfangs auf den Achsen der Ständer angeordnet, sie sitzt auf dem Ständerfuß und den anschließenden Fußbügen. Da im niedersächsischen Fachwerk die Fußbügen gerade Schrägseiten bilden, kontrastiert hier die Halbkreisform der F. gegenüber der trapezförmigen Holzfläche (Abb. 1). Im westfälisch-lippischen Fachwerk mit seinen Viertelkreis-Fußbügen füllt dagegen die F. harmonisch die halbkreisförmige Holzfläche völlig aus (vgl. Abb. 2). Seit der Einführung der verbreiterten Brüstungsflächen wurde die F. zwischen den Ständern auf den Brüstungsbrettern angeordnet, so daß sie nicht mehr den struktiv wichtigen Ständerfuß betont, sondern Füllornament wird; so erstmals 1540 in Hildesheim (s. oben), in der Spätzeit z. B. 1587 in Lemgo (Abb. 4).

Während man im östl. Niedersachsen noch am ehesten in den Friesen der F. eine Neigung zur starren Gleichmäßigkeit spüren kann, zeigen sonst die Muster in Umrahmung, Blattgestaltung und Mittelpunkt-Ornament einen überraschenden Reichtum an Variationen und eine fast von Stadt zu Stadt wechselnde Gestaltung. Aus der frühen Zeit sei erwähnt, daß an vier (zerst.) Braunschweiger Häusern aus den Jahren zwischen 1536 und 1543 die F. nach unten auf den Schwellbalken übergriffen und daß an den ebenfalls zerst. Gebäuden Braunschweig, Langestr. 9 (1536), und Hildesheim (s. oben, 1540) die Mittelpunkt-Scheiben mit Köpfen beschnitzt waren. Besonders an den verbretterten Brüstungen konnte mit der F. sehr frei geschaltet werden: ineinander übergreifende Fächer in Hornburg (1561), Osterwieck (1570) und Goslar (1589); Fächer wechselnder Größe und übereinander in Gandersheim (1581, Markt 3); Einstreuung „hängender“ Fächer und Winkelmuster-Füllungen am Schwalenberger Rathaus (1579); volle Kreisfächer in Wernigerode (Kirchhof 15), Halberstadt (1574, zerst.), Goslar (1611, 1614, 1618) und in Osnabrück (1586, Krahnstraße 7; hier mit besonders üppigen Zierrahmen). – Aber auch an anderen Stellen wurde die F. willkürlich als Ornament verwendet: an Torbögen als Zwickelfüllung der oberen Ecken in Einbeck (erstmals 1543, die F. frei variierende oder weiterbildende Vollkreise) und in Stadthagen, in Kleinformat an Schwellbalken in Einbeck (1543, Tidexerstraße 16) sowie an Eckständern in Lemgo (1562, Papenstr. 22) in wechselnden Größen und Stellungen längs der senkrechten Kanten.

An lippischen Fachwerkbauten ist der ornamentale Reichtum gesteigert, da sich hier die (niedersächsische) F. mit dem (westfälischen) Blattrankenwerk verbindet, wie z. B. am Ostflügel der Burg Blomberg (1569, Abb. 3). Hier wie am Amtshaus vor der Burg (Pforthaus von 1572) und an der Dechanei in Höxter (1561) sind die Mittelpunkt-Ornamente besonders reich ausgebildet. Bemerkenswert ist, daß in der Frühzeit zwei (zerst.) Braunschweiger Häuser von 1536 und das zerst. Haus in Hildesheim, Schelenstr. 3 (1540), F. kombiniert mit Frührenss.-Formen – Balustersäulen, Putten, Blattranken mit figürlichen Motiven – zeigten.

Der Bestand an Fachwerkbauten mit F. ist im 20. Jh. durch Kriegszerstörungen und Abbruch sehr vermindert worden (Totalzerstörungen in Braunschweig, Halberstadt und Hildesheim). In größerer Zahl ist der niedersächsische Typ erhalten in Einbeck, Gandersheim, Goslar, Hameln, Hornburg, Northeim, Osterwieck, Quedlinburg und Stolberg, der westfälische in Höxter, Lemgo, Stadthagen und Wiedenbrück.

Die geschnitzte F. fand auch in der Innenausstattung Verwendung, so an Emporenbrüstungen (Lübbecke, Andreaskirche, 1561), ferner auf Möbeln, an denen sie z. B. in Schleswig-Holstein bis ins 17. Jh. vorkommt (vgl. Ernst Sauermann, Handwerkliche Schnitzereien des 16. und 17. Jh. aus Schleswig-Holstein, Ffm. 1910, Taf. 2 a, 3f., 6 und 9).

Zu den Abbildungen

1. Halberstadt, Haus Gerberstr. 10, Detail von der Giebelseite zum Hohen Weg. Undatiert. Fot. Verf.

2. Lemgo, Haus Mittelstr. 27, erstes Giebelgeschoß. Brüstung und Schwellbalken 1569; Füllhölzer, Rähmholz und Riegel 1598. Fot. Verf.

3. Blomberg Krs. Detmold, Burg, Ostflügel. 1569. Fot. Verf.

4. Lemgo, Haus Mittelstr. 17. 1587. Fot. Verf.

5. Bad Salzuflen, Haus Lange Str. 33, Giebel (Ausschnitt). 1612. Nach [4], S. 308 Fig. 10 (ebd. Gesamtabb.).

Literatur

1. Otto Gaul, Zierschnitzereien der Renss. an lippischen Fachwerkbauten, Lippische Mitt. aus Gesch. und Landeskde. 27, 1958, 53 bis 102. – 2. Ders. Herforder Fachwerkbauten, Herforder Jb. 7, 1966, 48–69. – 3. Hans-Günther Griep, Das Bürgerhaus in Goslar (= Das dt. Bürgerhaus), Tübingen 1959, S. 62ff. und 71. – 4. Wilh. Hansen, Fachwerkbau im Oberweserraum; in: Ausst. Corvey, Bd. 1 S. 296–312.

Verweise