Feigenblatt
englisch: Vine-leaf; französisch: Feuille de vigne; italienisch: Foglia di fico.
Elke von Schulz (1979)
RDK VII, 1056–1060
F. nennt man das Blatt, das zur Bedeckung der menschlichen Blöße dient, gleichgültig, ob es sich um ein Blatt der Feige, dem eines anderen Gewächses (vorrangig des Weines) oder um ein botanisch nicht bestimmbares handelt. Die Benennung bezieht sich auf 1. Mos. 3, 7: nach dem Sündenfall erkannten Adam und Eva ihre Nacktheit und verbargen ihre Scham unter F.
Darstellung oder Anbringung eines F. ist eine unter mehreren Möglichkeiten, bei Wiedergabe nackter Menschen deren Scham zu bedecken. Nur bei den (hier nicht behandelten) Darstellungen Adams und Evas ist die Verwendung des F. attributiv (vgl. Sp. 1038f. und RDK I 139). Meist erhielten Männer F.
Erörterungen der Frage, ob die menschliche Scham wiederzugeben sei oder nicht oder ob sie, falls dargestellt, bedeckt werden solle (s. Nacktheit), sind auch auf den Gebrauch des F. zu beziehen.
Zuerst äußerte sich 1435 hierüber Alberti: „Le parti brutte a vedere del corpo et l'altre simili quali porgano poca gratia si cuoprano col panno, con qualche fronde et con la mano“ (Della pittura II: ed. Luigi Mallè, Florenz 1950, S. 92f.; ed.princ. Basel 1540 [lat.]; die Stelle zit. u. a. von Giov. Domenico Ottonelli und Pietro Berettini da Cortona, Trattato della Pittura e Scultura, uso et abuso, Florenz 1652, S. 143). Auch in der nach dem Tridentinum – jetzt allerdings aus moralischen Gründen – lebhaft diskutierten Frage wird das F. nicht ausdrücklich genannt (vgl. z. B. Paola Barocchi, Trattati d'arte del Cinquecento fra Manierismo e Controriforma, Bari 1960 bis 1962, Bd. 3 S. 672 s. v. „nudità“, „nudo“; Paolo Lomazzo, Trattato dell'arte de la pittura, Mailand 1584 [Nachdr. Hildesheim 1968], S. 366; Federico Borommeo, De pictura sacra [1624]: ed. Carlo Castiglioni, Sora 1932, S. 65f.).
F. können zum ursprünglichen Bestand der Darstellung gehören (1) oder nachträglich hinzugefügt worden sein (2).
1. In der chr. K. kommt das F. so gut wie nie vor. Ausnahme ist die um 1420 entstandene Muttergottes, die sich ehem. in der Slg. Herm. Schwartz, Mönchengladbach, befand: hier hat das Christkind ein F. (Aachener K.bll. 21, 1961, 19 Nr. 31, Taf. 23). Hauptsächlich findet es sich bei mythologischen Personen. Die ältesten Beispiele stammen aus dem 2. Dr. 15. Jh. (grammatisch-mnemonische Gestalt mit F. als Ill. zu Jacobus Publicus, De arte memorativa, London, Brit. Mus., Add. Ms. 28 805, dat. 1460: Ludw. Volkmann, Jb. der khist. Slgn. in Wien N. F. 3, 1929, 146, Abb. 144), häufiger sind Beispiele erst seit dem 18. Jh. (Abb. 2), aber auch dann ist Canova, der fast alle seine nackten männlichen Figuren mit F. versah, die Ausnahme.
Da in den Jhh. der Neuzeit grundsätzlich alle nackt dargestellten männlichen Personen des Mythos mit einem F. wiedergegeben werden konnten, erübrigt sich deren Aufzählung. Seltener wurden Frauen mit F. versehen, so z. B. Kleopatra (ital. Bronzestatuette, E. 15. Jh.: Yvonne Hackenbroch, Bronzes, other Metalwork and Sculpture in the Irwin Untermyer Coll. [New York], London 1962, Taf. 32 Abb. 35), Fortuna (Dan. Hopfer zugeschr. Zchg., A. 16. Jh. [?]: Städelsches K.inst. Ffm., Kat. der dt. Zchgn., Alte Meister, Mchn. 1973, Nr. 119), Voluptas (Gem. von Lucas Cranach d. Ä., nach 1537: Max J. Friedländer und Adolf Rosenberg, Die Gem. von L. C, Bln. 1932, Abb. 328) und Dejanira (Stich von Allaert Claesz, wohl 2. V. 16. Jh.: Hollstein, Dutch Fl. Engr., Bd. 4 S. 105). Selbst Wilde Männer (Abb. 1) und Gaukler bekamen gelegentlich F. (ital. Bronzestatuette, 1. H. 16. Jh.: Wilh. Bode, Kgl. Mus. zu Bln., Die ital. Bronzen, Bln. 1904, Nr. 389, Taf. 8). Auffällig ist das zeitliche Zusammentreffen aller genannten Beispiele.
Als eigene Gruppe sind Nachbildungen meist antiker Bildwerke anzusehen, die – im Gegensatz zu den Vorbildern – ein F. besitzen.
Im 16. Jh. sind Beispiele hierfür anscheinend noch relativ selten (z. B. florentinische Bronzestatuette, 1. H. 16. Jh., freie Nachbildung nach einem verschollenen hellenistischen Bildwerk: W. Bode a.a.O. Nr. 250, Taf. 7), sie mehren sich in den folgenden Jhh. (ital. Bronzestatuetten, 17. Jh., nach Venus Medici und Antinous: Weihrauch, Bronzestatuetten Abb. 50; florentin. Bronzestatuette, um 1700, nach Silen mit Bacchusknaben aus dem Umkreis des Lysipp: Ders., Die Bildwerke in Bronze und in anderen Metallen. Mit einem Anhang: Die Bronzebildwerke des Residenzmus. [= Kat. des Bayer. Nat.mus. 13, 5], Mchn. [1956] Nr. 281 Abb. S. 224 – die gleiche Statuette jeweils ohne F. im Mus. du Louvre, Paris und im Kh. Mus. Wien; Antoine Coysevox, Marmornachbildung der sog. Ildefonso-Gruppe, Versailles, Park, zw. 1685 und 1712: Georges Keller-Dorian, A. G, Bd. 2, Paris 1920, S. 69 Nr. 89, Taf. 138; Biskuitporzellan, 1804, nach Wandgem. in Herculaneum: Ausst.Kat. „The Age of Neoclassicism“, London 1972, Nr. 1470, Taf. 124a).
Bei Bernard de Montfaucon, L'Antiquité expliquée et représentée en figures, Paris 1719–1757, sind fast alle abgebildeten nackten Figuren – auch solche auf Münzen und kleinen Reliefs – mit F. oder Blattschürzen versehen.
In der 2. H. 18. Jh. wurden Serien von Gipsabgüssen mit F. aufgestellt, z. B. in englischen Landsitzen (so in Syon House, Middlesex [1762–um 1770], Newby Hall, Yorkshire [um 1765], Kedleston Hall, Derbyshire [um 1761–1770]: Christopher Hussey, Engl. Country Houses, Mid Georgian, 1760 to 1800, London 1956, S. 91, 146, und 73, Abb. 166, 292 und 133, vgl. auch Damie Stillman, The Decorative Work of Rob. Adam, London 1966, Abb. 18 und 21). Zur gleichen Zeit erhielt auch der Abguß des Bacchus von Michelangelo für die Serie in Syon House ein F. (Ch. Hussey a.a.O. S. 91 Abb. 166).
Im Schloß Tegel in Berlin wurden 1824 die (seit 1802 angefertigten) Gipsabgüsse antiker Statuen aufgestellt, alle Aktfiguren haben F.
2. Nachträglich angebrachte F. finden sich am häufigsten an antiken Statuen. Genaue Datierung der Anbringung ist vielfach schwierig, selbst datierte graphische Wiedergaben einer Skulptur mit F. scheinen nicht immer den bestehenden Befund getreu abzubilden, und auch innerhalb einer Sammlung konnte die Anbringung zu verschiedener Zeit erfolgen.
Etwas genauer bestimmbar sind folgende Beispiele: Rom, Rossebändiger vom Montecavallo, F. zw. 1584 und 1589 (Ant. Lafrerius, Speculum Romanae Magnificentiae, Rom 1541–93, Taf. 94: dat. 1584, ohne F.; Taf. 95: nach der 1589 abgeschlossenen Wiederherstellung unter Sixtus V., mit F.); München, Glyptothek, Barberinischer Faun, F. zw. 1624/1628 (Auffindung) und 1642 (Hieron. Tetius, Aedes Barberinae descriptae, Rom 1642, S. 215, Abb. nach Rest., mit F.; vgl. Kchr. 25, 1972, 90–93); Versailles, Park, Apollo sowie „römischer Kaiser“, beide mit F. aus den 80er Jahren 17. Jh. (Simon Thomassin, Recueil des Figures, Groupes, Thermes, Fontaines, Vases, Statues et autres Ornemens de V., Bd. 1, Paris 1695, Taf. 17 und 21; vgl. dazu Jules Guiffrey, Comptes des Bâtiments du Roi sous le Règne de Louis XIV, Paris 1881–1901, Bd. 2 Sp. 1116: 1687 erhielt der Bildhauer Fontelle „pour les feuilles de sculpture qu'il a mis devant les nuditez des figures du jardin de Versailles ... 37H“; ebd. Bd. 3 Sp. 249: 1689 wurden an Bertin 234 Livres bezahlt „pour draperies et feuilles de vigne“); Rom, „Lucius Verus“ aus den Mattei-Gärten und Hirtenknabe aus dem Pal. Altemps, F. vor 1704 (Paolo A. Maffei und Dom. De Rossi, Raccolta di Statue antiche e moderne ..., Rom 1704, Taf. 106 und 126); München, Glyptothek, Silen mit dem Bacchusknaben, F. des Silen zw. 1812 (Erwerbung) und 1835 (Darstellung nach der Rest. auf einer 1835 dat., von Max Auer bemalten Vase des sog. Onyx-Service in der Münchner Residenz (Ausst.Kat. „The Age of Neoclassicism“, London 1972, Nr. 1444, Taf. 123).
Selten nur wurde nichtantiken Bildwerken ein F. hinzugefügt, so dem Neptun, einer Brunnenfigur von Giov. Montorsoli in Messina, 1557 voll. (Bertha Harris Wiles, The Fountains of Florentine Sculptors and Their Followers from Donatello to Bernini, Cambridge, Mass. 1933, Abb. 88), urspr. ohne F. (vgl. die Montorsoli zugeschr. Zchg.: ebd. Abb. 91), 1824 aber mit einem solchen versehen (Jakob Ignaz Hittorf und Ludwig Zanth, Architecture moderne de la Sicile, Paris 1835, Taf. 25).
Erst in der 2. H. 19. Jh. wurde die Anbringung von F. in großen europäischen Sammlungen antiker Bildwerke zur Regel.
Zu den Abbildungen
1. Lucas Cranach d. Ä., Bildnis des Kg. Christian II. von Dänemark. Holzschnitt, 25,1 × 17,2 cm. Dat. 1523. Nach Geisberg, Einblattholzschnitte Bd. 24 Nr. 13.
2. Burkard Zamels (zugeschr.), Personifikation der Liebe und der Treue. Sandstein. Pommersfelden, Schloß Weißenstein, Hofseite des Mittelpavillons. Um 1718/20. Fot. Helmut Kobler, Landshut.
Empfohlene Zitierweise: Schulz, Elke von , Feigenblatt, in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. VII (1979), Sp. 1056–1060; in: RDK Labor, URL: <https://www.rdklabor.de/w/?oldid=88622> [05.04.2022]
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